Verwaltungsrecht

Vorläufiger Rechtsschutz (abgelehnt), Eingliederungshilfe in Form der Übernahme des Schulgelds für den Besuch einer privaten Onlineschule, Selbstbeschaffung jugendhilferechtlicher Leistungen, Vorrang des öffentlichen Schulsystems

Aktenzeichen  M 18 E 20.258

Datum:
24.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48200
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
SGB VIII § 35a
SGB VIII § 36a
SGB IX § 90 Abs. 4
SGB IX § 112 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die am … geborene Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung vom Antragsgegner die vorläufige Übernahme des Schulgeldes für den Besuch der britischen … im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Die Antragstellerin lebte mit ihrer Familie mehrere Jahre in Großbritannien, bevor sie im März 2016 zurück nach Deutschland übersiedelte. Im Schuljahr 2016/17 besuchte die Antragstellerin die Mittelschule …
Laut eines ärztlich-psychologischen Berichtes des …s vom 19. Dezember 2016 wurde bei der Antragstellerin nach dem Diagnosesystem der ICD-10/MAS ein Asperger-Syndrom (F84.5) und eine Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung (F43.21) diagnostiziert. Des Weiteren wurden eine gut durchschnittliche Intelligenz und eine ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung in mindestens ein oder zwei Bereichen festgestellt. In der zusammenfassenden Beurteilung wurde die Zugehörigkeit der Antragstellerin zum Personenkreis des § 35a SGB VIII bejaht.
In einer Stellungnahme der Mittelschule vom … … 2017 an das Jugendamt des Antragsgegners führte diese aus, dass die Antragstellerin kaum bis gar keine Leistungen erbringe und den Unterricht ohne jegliche Teilnahme besuche. Sie sei in die Klassengemeinschaft nicht integriert und man merke, dass sich die Antragstellerin, so wie ihr Schulalltag derzeit verlaufe, nicht wohl fühle. Sie benötige nach Einschätzung der Lehrkraft eine Bezugsperson, die sie durch den Schulalltag begleitet.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2017 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin zunächst befristet bis zum 31. Juli 2017 Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung und verlängerte diese Hilfemaßnahme anschließend bis zum 22. Dezember 2017.
Die Antragstellerin wurde im Folgenden ein weiteres Mal im … vorgestellt. Laut ärztlich-psychologischen Bericht vom … 2017 wurden die im Gutachten vom … … 2016 getroffenen Diagnosen nach ICD-10/MAS und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35a SGB VIII nochmals bestätigt. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin nach wie vor geringe Deutschkenntnisse zeige. Ihre sprachlichen Fähigkeiten im Deutschen würden sich überwiegend auf Grundschulniveau, teils auch darunter, bewegen. Da Deutsch die 2. Sprache der Antragstellerin darstelle und sie ihre Erst- und Muttersprache Englisch deutlich besser beherrsche, sei jedoch nicht von einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung auszugehen, zumal erst seit etwa einem Jahr intensiver Kontakt zur deutschen Sprache bestehe. Durch ihre Gesamtentwicklung mitbedingt verwende die Antragstellerin die deutsche Sprache zudem nur sehr selten und ungern aktiv, sodass von einer unzureichenden Sprachpraxis auszugehen sei. Entsprechend werde intensiver Deutschkontakt sowie eine gezielte deutsche Förderung empfohlen. Des Weiteren werde ein intermittierender Aufenthalt in der Ambulanzklasse des … empfohlen, da fraglich sei, ob die Antragstellerin für eine Regelmittelschule auch mit Hilfestellung dauerhaft geeignet sei und nicht einen beschützteren Rahmen benötige. Zudem werde unter dem emotionalen Aspekt eine Psychotherapie empfohlen, welche die Mutter der Antragstellerin jedoch ablehnen würde.
Am … … 2017 fand zwischen den Beteiligten ein Hilfeplangespräch statt. Im Protokoll heißt es, dass sich die schulische Situation für die Antragstellerin aktuell als unzumutbar darstelle. Die Antragstellerin sei von den Strukturen und der Organisation in der Schule überfordert und könne dem Unterricht nicht eigenständig folgen. Auch durch den Schulbegleiter sei keine Entspannung eingetreten. Eine Beschulung im Klassenverband sei auch mit diesem nicht möglich. Aktuell werde die Antragstellerin vier Stunden täglich durch den Schulbegleiter in einem separaten Raum in der deutschen Sprache gefördert, da die Antragstellerin diese bislang nicht habe erlernen können. Durch diese Förderung habe jedoch keine positive Veränderung erzielt werden können. Es werde vermutet, dass die Antragstellerin unter einer Depression leide. Von der Schule und dem Mobilen Sonderpädagogischen Dienst für Autismus (MSD) sei empfohlen worden, das Kind zur Stabilisierung und therapeutischen Behandlung in einer Ambulanzklasse in einer Klinik zu beschulen. Die Mutter der Antragstellerin habe berichtet, sich über eine englische Onlinebeschulung erkundigt zu haben; sie glaube, dass diese Art der Beschulung ihre Tochter enorm entlasten würde und sie wieder zu lernen beginnen könnte. Der Mutter der Antragstellerin sei von den anderen Gesprächsbeteiligten nahegelegt worden, sich an das Schulamt und an die Inklusionsberatung in … zu wenden, um sich über eine derartige Möglichkeit der Beschulung beraten zu lassen. Da die Antragstellerin schulpflichtig sei, ihre gesundheitliche Situation jedoch eine adäquate Beschulung zuletzt nicht zugelassen habe und sie häufig krankgeschrieben werden müsse, sollten sich ihre Mutter und die Schulleitung über die Möglichkeit einer Schulpflichtaufhebung informieren. Da die Antragstellerin schulpflichtig sei, solle ihr die Schulbegleitung bis zum Jahresende weiterhin vier Stunden täglich in einem separaten Raum Deutschunterricht ermöglichen.
An der Mittelschule … war die Antragstellerin seit Beginn des Schuljahres 2017/18 krankgeschrieben.
Die Mutter der Antragstellerin meldete diese zu einem dem Gericht nicht bekannten Zeitpunkt bei der britischen … an, welche die Antragstellerin seit dem … 2017 besucht. Laut den auf der Website der „I.“ zu findenden Informationen werden die Schüler dort im britischen Lehrplan unterrichtet. Der Unterricht findet „live“ in der Form von online-Kursen statt. Mögliche Schulabschlüsse sind das GCSE („General Certificate of Secondary Education“) und die A-Levels, welche unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland als mittlerer Schulabschluss (GCSE) respektive Abitur (A-Levels) anerkannt werden können.
Mit Schreiben vom 23. November 2017 beantragte die Mutter der Antragstellerin für diese beim Antragsgegner die Übernahme der Kosten für die Onlineschule. Ihre Tochter könne wegen der Diagnose Asperger-Autismus in der hiesigen Mittelschule nicht angemessen beschult werden. Trotz Hinzuziehung verschiedener Fachleute sowie zweier Hilfeplangespräche im Juni 2017 habe von niemandem ein Vorschlag zur Lösung gemacht werden können, weshalb die Mutter der Antragstellerin in Eigeninitiative die „I.“-Schule gesucht habe. Die Gesundheit der Antragstellerin habe sich seit dem Schulwechsel fundamental verbessert, auch ihre schulischen Leistungen seien ausgezeichnet. Weiterhin bekäme sie an dieser Schule auch Deutschunterricht und könne dort einen „iGCSE“ machen, einen international anerkannten mittleren Schulabschluss, der dem deutschen Realschulabschluss entspreche.
Mit Bescheid vom 5. April 2018 lehnte der Antragsgegner die Kostenübernahme ab. Er führte zur Begründung aus, dass vor Inanspruchnahme der Jugendhilfe das öffentliche Schulsystem in Anspruch genommen werden müsse. Ausnahmen seien nur dann in Betracht zu ziehen, wenn auch durch unterstützende Maßnahmen keine Möglichkeit bestehe, den Hilfebedarf zu decken. Durch die Beschulung der internetbasierten Schulform alleine zu Hause fände keine Integration in die Gesellschaft statt, die Antragstellerin werde vielmehr sozial isoliert. Dazu trage auch der Umstand bei, dass die Onlinebeschulung in nicht deutscher Sprache stattfinde. Zudem sei bereits eine unterstützende Maßnahme in Form einer Schulbegleitung gewährt worden; diese sei seit August 2017 nicht mehr beansprucht worden, obwohl dies möglich gewesen wäre. Auch aus dem Hilfeplan vom … … 2017 gehe klar hervor, dass eine Schulbegleitung weiterhin empfohlen werde. Somit sei die Schulbegleitung die erforderliche und geeignete Hilfemaßnahme gewesen.
Der Antragsgegner trägt weiterhin vor, dass laut Aussage des staatlichen Schulamtes … die britische Onlineschule keinen Ersatz für einen Schulbesuch darstelle, da die Einrichtung in Bayern nicht anerkannt sei. Von der Regierung von Oberbayern sei Hausunterricht genehmigt worden, die Mutter der Antragstellerin habe diesen jedoch verweigert. Aktuell erfülle die Antragstellerin ihre Schulpflicht nicht, da weder der reguläre Unterricht an der Mittelschule … direkt besucht werde, noch ein Hausunterricht stattfinden könne. Im Übrigen stelle der Besuch der Onlineschule eine selbstbeschaffte Hilfe dar, welche nach § 36a Abs. 1 SGB VIII nicht übernahmefähig sei. Das Jugendamt sei nicht über einen Schulwechsel informiert worden; die Mutter der Antragstellerin habe im Hilfeplangespräch lediglich berichtet, dass sie sich über eine englische Onlinebeschulung erkundigt habe. Weitere Informationen seien dem Jugendamt nicht mitgeteilt worden. Eine Dringlichkeit habe nicht bestanden, da zum Zeitpunkt der selbstbeschafften Hilfe mit der Schulbegleitung bereits eine erforderliche und geeignete Maßnahme gewährt wurde.
Mit Schreiben vom 16. April 2018 legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin gegen die Entscheidung Widerspruch ein.
Er führte aus, dass die Schulbegleitung nicht als einzig erforderliche und geeignete Maßnahmen anzusehen sei. Im ersten Hilfeplangespräch im Juni 2017, von dem der Antragsgegner jedoch kein Protokoll erstellt habe, habe der Schulbegleiter deutlich gemacht, dass die Antragstellerin in keiner Weise Lernprobleme habe und die aktuelle Situation der Beschulung (täglich vier Stunden Betreuung im Flur vor dem Klassenraum) keine Dauerlösung sein könne, da der Schulbegleiter keine komplette schulische Bildung vermitteln könne. Es habe auch geheißen, dass für das nächste Schuljahr definitiv eine andere Lösung gefunden werden müsse. Niemand der am Hilfeplangespräch Anwesenden, insbesondere Schul- und Klassenleitung sowie das Jugendamt, habe einen Vorschlag hierzu unterbreiten können. Es habe allgemeine Ratlosigkeit geherrscht. Auch im weiteren Hilfeplangespräch am … 2017 habe seitens der zuständigen Stellen keine Lösung für die Beschulung ab dem Schuljahr 2017/2018 gefunden werden können, sodass sich die Mutter zum Schutz ihrer Tochter zu Eigeninitiative gezwungen gesehen habe. Die Behauptung des Antragsgegners, die Mutter der Antragstellerin habe jede Kontaktaufnahme in Sachen Hausunterricht verhindert, sei zudem unrichtig. Sie habe seit September 2017 versucht, sich an die Regierung von Oberbayern und auch an das Staatliche Schulamt … zu wenden, von da habe sie aber keine Antwort erhalten. Die Mittelschule … habe dann am 20. März 2018 seiner Mandantin mitgeteilt, dass keine Lehrkraft für einen Hausunterricht zur Verfügung stehe.
Nachdem das Jugendamt des Antragsgegners dem Widerspruch nicht abhalf, wurde dieser an die Regierung von Oberbayern weitergegeben. In einer Stellungnahme vom … …r 2018 bat diese den Antragsgegner um erneute Prüfung. Sie führte aus, dass das Argument des Antragsgegners, der Besuch der Onlineschule stelle eine abzulehnende selbst beschaffte Hilfe dar, in Hinblick auf den Hilfeplan vom … 2017 für sie nicht nachvollziehbar sei. Sie vermisse des Weiteren in der Akte eine komplexe Bewertung der Gesamtpersönlichkeit des Mädchens und seines sozialen Umfelds. Eine Gewährung von Schulbegleitung im Schuljahr 2017/2018 erscheine jedenfalls nicht als angemessene Lösung zur Bewältigung der Belastungssituation, auch deshalb, da die Antragstellerin die Mittelschule … derzeit krankheitsbedingt überhaupt nicht besuche. Zudem verwies die Widerspruchsbehörde auf die Voraussetzungen, nach denen nach der Rechtsprechung die Übernahme von Kosten für eine Privatschule ausnahmsweise denkbar seien und führte aus, dass nicht ausgeschlossen sei, dass bei der Antragstellerin ein solcher Ausnahmefall vorliege. Allerdings lägen nach Aktenlage keinerlei fachliche Stellungnahmen zur Frage vor, ob die Antragstellerin im Rahmen des öffentlichen Schulsystems, gegebenenfalls mit Unterstützung, beschult werden könne bzw. ob es dieser unmöglich oder unzumutbar sei, eine öffentliche Schule zu besuchen.
Im Folgenden forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, alle Atteste und medizinische oder psychologische Gutachten für den Zeitraum, seitdem die Antragstellerin die öffentliche Schule krankheitsbedingt nicht mehr besuche, vorzulegen. Hierzu teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 8. November 2018 mit, dass solche Atteste oder Gutachten nicht vorlägen.
Weiterhin holte der Antragsgegner eine Stellungnahme des Staatlichen Schulamtes … ein zur Frage der Beschulbarkeit der Antragstellerin und der Genehmigung von Hausunterricht. Das Staatliche Schulamt … führte mit Schreiben vom 11. Dezember 2018 und vom 9. Januar 2019 aus, dass die Antragstellerin an keiner staatlichen Mittelschule, auch nicht mit Schulbegleiter, beschulbar sei. Nach Auskunft der Schulberatung lägen Gutachten vor, die eine Unbeschulbarkeit bescheinigen würden, diese könnten aber wegen einer fehlenden Schweigepflichtbindung nicht beigelegt werden. Da die Antragstellerin die Regelschule nicht habe besuchen können und da auch keine Anzeichen einer absichtlichen Verweigerung des Schulbesuchs gesehen worden seien, habe das Schulamt von einem Bußgeldverfahren wegen Schulpflichtverletzung abgesehen. Hinsichtlich des Hausunterrichts teilte das Schulamt mit, dass diesbezüglich von den Eltern der Antragstellerin im Februar 2018 ein ordnungsgemäßer Antrag gestellt worden sei, dieser aber nicht an die Regierung weitergeleitet und daher auch nicht genehmigt worden sei, da die Mutter der Antragstellerin den Hausunterricht, als die vorgesehene Lehrkraft der Mittelschule mit dieser hierzu in Kontakt trat, ausdrücklich verweigert habe. Ein Antrag auf Befreiung von der Schulpflicht sei von den Eltern nicht gestellt worden.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2019 teilte der Antragsgegner der Regierung von Oberbayern mit, dass er nach erneuter Prüfung bei seiner im Bescheid vom 5. April 2018 geäußerten Auffassung bleibe und führte im Einzelnen neben der Wiederholung bereits genannter Argumente u.a. Folgendes ergänzend aus: Die Prüfung für die Übernahme des Schulgeldes beziehe sich auf den Zeitraum ab Antragstellung bis zum 1. August 2018, dem Ende der Schulpflicht der Antragstellerin. Die Übernahme von Schulgeld für eine Privatschule als Eingliederungshilfemaßnahme sei erst nach Scheitern der Beschulung im öffentlichen Schulsystem unter Zuhilfenahme der möglichen Eingliederungshilfen gerechtfertigt; der Nachweis eines solchen Scheiterns läge jedoch nicht vor. Die Aussagen des staatlichen Schulamtes vom 11. Dezember 2018 und vom 9. Januar 2019, dass eine Unbeschulbarkeit vorläge, seien nicht haltbar, weil eine Unbeschulbarkeit durch das Staatliche Schulamt selbst nie geprüft worden sei; das Schulamt habe lediglich aus den seit September 2017 andauernden Krankschreibungen geschlossen, dass die Antragstellerin unbeschulbar gewesen sei.
Am 4. April 2019 erhob die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München (M 18 K 19.1607) mit dem Antrag, die Regierung von Oberbayern (nach sachgerechter Auslegung: den Antragsgegner) zu verpflichten, der Klägerin rückwirkend ab 23. November 2017 die Kosten für den Besuch der … zu gewähren.
Am 21. Januar 2020 beantragte die Antragstellerin durch den Bevollmächtigten zudem,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die Schulgebühren für den Besuch der … zu gewähren.
Zur Begründung des Antrags wurde im Wesentlichen auf die Widerspruchsbegründung vom 16. April 2018 verwiesen. Zum Anordnungsgrund wurde ausgeführt, dass die Eltern der Antragstellerin nicht mehr in der Lage seien, bis zur Entscheidung in der Hauptsache die für den weiteren Besuch der Onlineschule fälligen Schulgebühren mit eigenen Mitteln zu finanzieren.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2020 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf die Stellungnahme der Widerspruchsbehörde vom 26. April 2016 sowie auf die eigenen Stellungnahmen vom 28. Januar 2019 und vom 25. April 2019 im Verfahren M 18 K 19.1607. Über diese Stellungnahmen hinaus würden sich rechtlich keine anderen Gründe ergeben. Der Antrag auf Übernahme des Schulgeldes werde weiterhin abgelehnt.
Auf Aufforderung des Gerichts legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin eine Erklärung der Eltern der Antragstellerin vor, in welcher diese das Staatliche Schulamt und die Schulberatung … von ihrer Schweigepflicht hinsichtlich ihrer Feststellungen zur Unbeschulbarkeit der Antragstellerin entbanden. Ein Anruf des Gerichts beim Staatlichen Schulamt ergab, dass dessen Aussagen gegenüber dem Jugendamt des Antragsgegners zur Unbeschulbarkeit der Antragstellerin vom 11. Dezember 2018 und vom 9. Januar 2019 auf einer Auskunft der Schulberatung beruht hätten. Diese wiederum habe ihrer Einschätzung das Gutachten der … vom … 2017 zugrunde gelegt. Weitere Unterlagen lägen nicht vor.
Des Weiteren ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten eine Bescheinigung des an der „I.“ im Juni 2019 erfolgreich abgeschlossenen GCSE-Abschluss vorlegen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 18 K 19.1607, und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Entsprechend §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO ist der gestellte Antrag sachdienlich so auszulegen, dass eine Übernahme der Kosten für den Besuch der privaten … ab Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung begehrt wird. Denn für eine rückwirkende Kostenübernahme fehlt es regelmäßig an einem Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 23). Ob der Anspruch zeitlich bis zur Entscheidung über die Hauptsache oder lediglich begrenzt auf das aktuelle Schuljahr (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 12 B 07.280 – juris Rn. 26 f.) geltend gemacht wird, kann vorliegend offen bleiben.
Denn der Antragstellerin ist es nicht gelungen, einen Anspruch gegenüber dem Antragsgegner auf Kostenübernahme glaubhaft zu machen.
Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme von Kosten für den Besuch der Onlineschule kommt allein § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind.
Nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII können vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Hilfen unter bestimmten Maßgaben ausnahmsweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe ersetzt werden. Gemäß § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII trägt dieser die Kosten für Hilfemaßnahmen nämlich grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht werden. Dies ist Ausdruck der grundsätzlichen sog. Steuerungsverantwortung des Jugendamts, dessen Aufgabe damit gerade nicht darin liegt, als bloße Zahlstelle für vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Maßnahmen zu fungieren (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 35). Grundlegende Pfeiler des Jugendhilferecht sind partnerschaftliche Hilfen unter Achtung familiärer Autonomie und kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – NJW 2013,1111 Rn. 31).
Die Anmeldung der Antragstellerin an der „I.“-Schule im Jahr 2017 durch deren Eltern erfolgte zunächst ohne Wissen des Antragsgegners sowie im Folgenden nach förmlicher Ablehnung der Kostenübernahme durch Bescheid vom 5. April 2018 ohne dessen Zustimmung und stellt damit eine i.S.d. § 36 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII selbst beschaffte Hilfe dar.
In einem solchen Fall der Selbstbeschaffung einer Hilfe ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zur Übernahme der Aufwendungen nur verpflichtet, wenn (1.) der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, (2.) die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und (3.) die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es im vorliegenden Fall nicht bereits an der rechtzeitigen Inkenntnissetzung gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII soll die Steuerungsverantwortung des Jugendamts für Jugendhilfemaßnahmen sicherstellen. Das Erfordernis, den Jugendhilfeträger vor einer Selbstbeschaffung vom Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, ermöglicht es ihm, die Leistungsvoraussetzungen sowie mögliche Hilfemaßnahmen pflichtgemäß zu prüfen und entsprechende Leistungen zu bewilligen. Beschafft sich daher ein Leistungsberechtigter eine Leistung, bevor der Jugendhilfeträger überhaupt Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt hat, liegt regelmäßig eine unzulässige Selbstbeschaffung vor (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 35).
Auf ein fehlendes Inkenntnissetzen kann sich jedoch der Antragsgegner spätestens ab dem zweiten von der Antragstellerin auf der „I.“-Schule verbrachten Schuljahr (2018/2019) und damit auch für das hier maßgebliche aktuelle Schuljahr nicht mehr berufen. Da es im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht um Leistungen geht, die rückwirkend für die Vergangenheit gezahlt werden sollen, sondern konkret um die Kosten für kommende Schulzeiten, kommt es auf die Beantwortung der Frage, ob die Mutter der Antragstellerin den Antragsgegner im Hilfeplangespräch vom … … 2017 i.S.d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ausreichend über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, nicht an. Denn bei einer Hilfeleistung, die zeitabschnittsweise erbracht wird, ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die mangelnde rechtzeitige Inkenntnissetzung die Gewährung der Hilfe durch den Jugendhilfeträger nicht zwingend für die Folgezeit ausschließt (vgl. wiederum BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 36 m.w.N.). Auch im Falle einer ursprünglichen rechtsfehlerfreien Versagung einer Eingliederungsmaßnahme nach § 35a SGB VIII wegen fehlender rechtzeitiger Antragstellung kann die hierauf gestützte Ablehnung der Hilfe nicht ohne zeitliche Beschränkung fortbestehen; die Frage, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erfüllt sind, ist nach dem jeweils aktuellen Hilfebedarf zu beurteilen, der für folgende Zeitabschnitte jeweils gesondert festzustellen ist (vgl. VG Magdeburg, B.v. 26.11.2012 – 4 B 235/12 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 12 B 07.280 – juris Rn. 26).
Der Antragsgegner wusste vorliegend seit der Antragstellung der Mutter mit Schreiben vom 23. November 2017, dass die Antragstellerin Online-Unterricht an der „I.“-Schule bekommt und nach dem Willen der Eltern auch mindestens bis zum Erreichen des „GCSE“ Abschlusses im Juni 2019 an dieser verbleiben sollte. Bei der streitgegenständlichen Hilfemaßnahme liegt eine Zeitabschnittsbildung nach Schuljahren nahe. Demnach wäre jedenfalls mit dem Ende des Schuljahres 2017/2018 ein jugendhilferechtlicher Zeitabschnitt beendet und bei Zubilligung eines angemessenen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums zu Anfang des Schuljahres 2018/2019 eine erneute Entscheidung des Beklagten über den jugendhilferechtlichen Bedarf geboten gewesen, ohne dass es dabei noch auf eine vor Beginn der Maßnahme möglicherweise nicht erfolgte Inkenntnissetzung ankäme.
Die Antragstellerin, die im Rahmen des § 36a Abs. 3 SGB VIII die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Selbstbeschaffung trägt (vgl. Kunkel/Pattar in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, § 36a Rn. 29), konnte vorliegend jedoch nicht hinreichend glaubhaft machen, dass die Bewilligungsvoraussetzungen nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 35a SGB VIII bezüglich der hier konkret begehrten Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für den Privatschulbesuch für das laufende Schuljahr vorliegen.
Zwar fällt die Antragstellerin unstreitig unter den nach dieser Vorschrift leistungsberechtigten Personenkreis, jedoch wurde ein Anspruch auf die konkret begehrte Maßnahme nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn deren seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Laut dem ärztlich-psychologischen Bericht des … München vom … … 2017 wurde bei der Antragstellerin ein Asperger-Syndrom und eine Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung diagnostiziert. Die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII sowie das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII wurden von den untersuchenden Ärzten bejaht. Auch der Antragsgegner ging in seinem Bescheid vom 26. Juli 2017, mit welchem für die Antragstellerin eine Schulbegleitung bewilligt wurde, von einem Eingliederungshilfebedarf aus. In Hinblick auf das nach ICD-10/MAS attestierte Asperger-Syndrom (F84.5), eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, besteht auch trotz Fehlens eines aktuellen ärztlichen Gutachtens kein Grund zur Annahme, dass das Gutachten der … inzwischen überholt sein könnte (generell zum Asperger-Syndrom i.R.d. Eingliederungshilfe m.w.N. vgl. Fegert in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 35a Rn. 77).
Welche Hilfeform im Rahmen des Anspruchs aus § 35a Abs. 1 SGB VIII geleistet wird, richtet sich nach dem jeweiligen Bedarf im Einzelfall (vgl. § 35a Abs. 2 und 3 SGB VIII) und obliegt grundsätzlich der Steuerungsverantwortung des zuständigen Jugendhilfeträgers. Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Dementsprechend ist auch bei der Selbstbeschaffung einer abgelehnten Leistung im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob die Entscheidung des Jugendamts verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich nicht nur auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde – maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung – gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 -, BVerwGE 145, 1 [10] Rn. 33).
Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbstbeschaffte Hilfe (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 12 ZB 18.534 – BeschlAbdr. Rn. 37).
Wenn das Jugendamt allerdings gar nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in einer den Anforderungen entsprechenden Weise über eine begehrte Hilfeleistung entschieden hat, darf ein Leistungsberechtigter im Rahmen der Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 3 SGB VIII an Stelle des Jugendamtes den sonst diesem zustehenden und nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation des sog. Systemversagens ist er – obgleich ihm der Sachverstand des Jugendamts fehlt – dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen mit der Folge, dass sich die Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung des Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung des Leistungsberechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr im Nachhinein nicht etwa mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet oder notwendig gehalten (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – NJW 2013, 1111; U.v. 9.12.2014 – 5 C 32/13 – NJW 2015, 2278, m.w.N.).
Das Gericht geht vorliegend zwar unter Berücksichtigung des bisherigen Sachvortrags und der vorgelegten Akten davon aus, dass der Einschätzungsspielraum des Antragsgegners aufgrund Systemversagens auf die Antragstellerin übergegangen ist, jedoch steht die Übernahme der Kosten für eine Privatschule im konkreten Fall im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht als erforderliche Hilfemaßnahme zur Verfügung.
Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. §§ 90 Abs. 4 SGB IX ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. So konkretisiert § 112 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (bis zum 31.12.2019: § 54 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB XII) sodann diese Fördermaßnahmen u.a. in Form von Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.
Die Begründung des Ablehnungsbescheides des Antragsgegners vom 5. April 2018 und die insoweit auch beachtliche Stellungnahme an die Widerspruchsbehörde vom 28. Januar 2019 erscheinen in diesem Zusammenhang fachlich nicht mehr vertretbar.
Insbesondere die vom Antragsgegner geäußerte Einschätzung, eine Schulbegleitung sei zum damaligen Zeitpunkt die geeignete und erforderliche Hilfemaßnahme gewesen, ist nicht nachvollziehbar. Eine Schulbegleitung ist lediglich dafür da, die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft abzusichern. Eine Schulbegleitung soll unterrichtsbegleitende als auch sonstige pädagogische Maßnahmen wahrnehmen, die nur unterstützenden Charakter haben; der Kernbereich der pädagogischen Arbeit ist hingegen allein von der jeweiligen Schule zu leisten (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 37). In Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesozialgerichts umfasst der Kernbereich pädagogischer Arbeit insbesondere die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, den Unterricht selbst, seine Inhalte sowie das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung (vgl. BSG U.v. 18.7.2019 – B 8 SO 2/18 R, juris. Rn. 16). Laut dem Protokoll des Hilfeplangesprächs vom … 2017 habe die Antragstellerin wegen anhaltender psychischer Belastung damals aus dem Klassenverband herausgenommen werden müssen. Der Schulbegleiter habe der Antragstellerin in dieser Zeit stattdessen vier Stunden täglich in einem separaten Raum Deutschunterricht gegeben. Einen Schulbegleiter gleichsam als Nachhilfelehrer zu engagieren, entspricht jedoch in keiner Weise dem Aufgabenkreis einer Schulbegleitung und verwischt das in § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII normierte Rangverhältnis zwischen Jugendhilfe und der vorrangig leistungsverpflichtenden Schule. Die individuelle Förderung in der deutschen Sprache obliegt – wenn überhaupt – den dafür ausgebildeten Lehrkräften.
Sofern der Antragsgegner des Weiteren in Hinblick auf sein Schreiben an die Widerspruchsbehörde vom 28. Januar 2019 offenbar davon ausgeht, ein Anspruch auf Hilfen zu einer Schulbildung würde grundsätzlich nur bis zum Ende der Schulpflicht – gemeint wohl bis zum Ende der Vollzeitschulpflicht nach neun Jahren gem. § 37 Abs. 3 Satz 1 BayEUG – in Betracht kommen, verkennt dieser die überragende Bedeutung der Erlangung eines qualifizierten Schulabschlusses gerade für aufgrund einer seelischen Störung teilhabebeeinträchtigte Kinder und Jugendliche. Entsprechende Maßnahmen der Eingliederungshilfe finden ihre Schranken lediglich in der Eignung des Hilfeempfängers für den gewählten Bildungsgang, der dessen intellektuellen Fähigkeiten entsprechen muss (BayVGH, B. v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – BeckRS 2013, 47782 Rn. 33). Eine Eignung der Antragstellerin für den von ihr verfolgten Bildungsgang ist indes mit der Erlangung des britischen mittleren Schulabschlusses GCSE, zum Teil mit Erreichen der Bestnoten, hinreichend dargetan.
Da sich der Antragsgegner, wie sich der Stellungnahme an die Widerspruchsbehörde vom 28. Januar 2019 entnehmen lässt, grundsätzlich nur bis zum Ende der Vollzeitschulpflicht der Antragstellerin für Eingliederungsmaßnahmen im schulischen Bereich in der Pflicht sah, liegt somit bezogen auf das hier streitgegenständliche laufende Schuljahr überhaupt keine verwertbare Aussage des Antragsgegners zum aktuellen Hilfebedarf vor. Aufgrund der notwendigen zeitabschnittsweisen Betrachtung, nach welcher der Träger der Jugendhilfe das etwaige Fortbestehen oder Änderungen des geltend gemachten jugendhilferechtlichen Bedarfes nicht aus den Augen verlieren darf, hätte der Antragsgegner, angesichts der Tatsache, dass die Eltern der Antragstellerin an der Onlineschule festhielten, eine erneute Prüfung und Entscheidung vornehmen müssen. Ein “Systemversagen” ist nach alledem evident.
Ein Anspruch auf Übernahme von Kosten für eine Privatschule im Rahmen der Eingliederungshilfe setzt jedoch im Speziellen voraus, dass auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, mithin diesem der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61.14 – BeckRS 2015, 43210, Rn. 4; BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 12 ZB 16.1982 – BeckRS 2019, 15369 Rn. 18; B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 – BeckRS 2016, 55019 Rn. 3 ff., jeweils m.w.N.). Denn die Vermittlung einer angemessenen Schulbildung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst Angelegenheit des Allgemeinschulsystems, so dass den schulrechtlichen Anforderungen entsprechende Maßnahmen Vorrang haben. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben insofern keinen eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Der Besuch einer Privatschule kann also nur dann überhaupt eine erforderliche Maßnahme nach § 35a Abs. 3 SGB VIII sein, wenn im konkreten Fall das öffentliche Schulsystem versagt hat. Dies hat die leistungsberechtigte Antragstellerin auch im Rahmen der auf sie übergegangenen Einschätzungsprärogative grundsätzlich zu berücksichtigen.
Dementsprechend konnte die Antragstellerin nach derzeitigem Kenntnisstand nicht glaubhaft machen, dass es ihr aktuell unmöglich oder unzumutbar ist, ggf. mit unterstützenden jugendhilferechtlichen Maßnahmen an einer Regelschule beschult zu werden. Insbesondere fehlt es an Darlegungen, welche fortbestehenden Beeinträchtigungen speziell den weiteren Besuch der „I.“-Schule erforderlich machen, weil ihnen im öffentlichen Schulwesen auch unter Berücksichtigung weiterer ambulanter Hilfen oder auch des Hausunterrichts nicht begegnet werden könnte.
Die Stellungnahmen des Schulamtes vom 11. Dezember 2018 und vom 9. Januar 2018 an den Antragsgegner, nach welchen die Antragstellerin auf einer öffentlichen Schule nicht beschulbar sei, führen zu keinem abweichenden Ergebnis. Zum einen ist schon nicht klar, ob das Schulamt dies auch den Eltern der Antragstellerin in dieser Form bescheinigt hat – vom Bevollmächtigten der Antragstellerin ist diesbezüglich jedenfalls weder im Widerspruchs- noch im gerichtlichen Verfahren etwas vorgetragen worden. Zum anderen sind diese Stellungnahmen, wie der Antragsgegner in seiner erneuten Stellungnahme gegenüber der Widerspruchsbehörde vom 28. Januar 2019 – zugeleitet an die Antragstellerin und damit auch für diese erkennbar – im Detail ausgeführt hat, in keiner Weise nachvollziehbar. In einem ersten Schreiben des Schulamtes an den Antragsgegner vom 4. April 2018 heißt es zunächst, dass eine Teilnahme der Antragstellerin am Unterricht der Mittelschule … “nach Aussage der Mutter derzeit wohl nicht möglich ist”. Eine eigene Überprüfung des Sachverhaltes wurde vom Schulamt zu diesem Zeitpunkt wohl offensichtlich (noch) nicht eingeleitet. Dieses ging vielmehr von der Möglichkeit aus, die Schulpflicht der Antragstellerin durch Hausunterricht sicherzustellen, der von den Eltern der Antragstellerin wohl auch zunächst beantragt wurde. Was die späteren Aussagen des Schulamts gegenüber dem Antragsgegner zur Unbeschulbarkeit anbelangt, stützten sich diese nach dem Gericht telefonisch gegebener Auskunft ausschließlich auf die Einschätzung der Schulberatung …, welche wiederum allein auf das bereits zitierte ärztlich-psychologische Gutachten des …s vom … 2017 referierte. Neben dem Thema des mangelnden Erwerbs der deutschen Sprache wurde in diesem zwar zu dem damaligen Zeitpunkt wegen der attestierten Anpassungsstörung ein vorübergehender Aufenthalt in der hauseigenen Ambulanzklasse empfohlen, da fraglich sei, ob die Antragstellerin die Anpassungsleistung für eine Regelmittelschule auch mit Hilfestellung dauerhaft erbringen könne. Eine abschließende Aussage über die (Nicht-)Beschulbarkeit der Antragstellerin auf einer öffentlichen Schule, wie sie es offenbar die Schulberatung … angenommen hat, folgt aus dem Gutachten, welchem angesichts des fast drei Jahre zurückliegenden Datums ohnehin nur beschränkte Aussagekraft für den gegenwärtigen Zeitpunkt zukommt, jedoch nicht. Auch aus Sicht der die Antragstellerin vertretenden Eltern musste daher spätestens mit der Stellungnahme des Antragsgegners an die Widerspruchsbehörde klar gewesen sein, dass die Aussagen des Schulamtes, sofern die Eltern überhaupt auf diese vertrauten, den Beweis der Unbeschulbarkeit ihrer Tochter nicht tragen können. Weitere fachlichen Stellungnahmen sei es ärztlicher, psychologischer oder sozialpädagogischer Natur, wurden nicht vorgelegt.
Des Weiteren hätten für die Feststellung eines Scheiterns der öffentlichen Beschulung auch alle denkbaren und geeigneten unterstützenden Maßnahmen in Betracht gezogen werden müssen. Sofern man davon ausgeht, dass ein aktiver Besuch der Mittelschule … der Antragstellerin krankheitsbedingt zum Schuljahr 2017/2018 nicht möglich war, hätte vorrangig zunächst auf die Option des Hausunterrichts nach § 1 ff. Bayerische Hausunterrichtsverordnung (HunterrV) zurückgegriffen werden müssen (vgl. BayVGH, B. v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 40, nach dem der BayVGH ein Scheitern des öffentlichen Schulsystems “spätestens” nach erfolgloser Durchführung von Hausunterricht als gegeben ansieht; generell zum Hausunterricht als Angebotsform des nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorrangigen öffentlichen Schulwesens: OVG NRW, B.v. 16.5.2008 – 12 B 547/08 – juris). Dieser war vom zuständigen Schulamt empfohlen und im Frühjahr 2018 bereits genehmigt worden. Eine Lehrkraft habe laut Aussage des Schulamtes zur Verfügung gestanden. Der Hausunterricht wurde jedoch letztlich von der Mutter der Antragstellerin unter Verweis auf den bereits stattfindenden Onlineunterricht an der Privatschule abgelehnt.
Zudem scheint sich die aktuelle Situation der Antragstellerin grundlegend von derjenigen im Jahre 2017 zu unterscheiden, als das … in seinem Gutachten vom … 2017 einen unzureichenden Erwerb der deutschen Sprache („Leistungen überwiegend auf Grundschulniveau“) und eine darauf beruhende eingeschränkte schulische Lernfähigkeit feststellte. Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin – zumindest ausweislich der vorgelegten Leistungsnachweise – mit der deutschen Sprache inzwischen gut zurechtzukommen scheint, spricht dafür, dass die Antragstellerin ihren weiteren Bildungsweg – ggf. mit unterstützenden Maßnahmen – im öffentlichen Schulsystem verfolgen kann.
Dies gilt auch ungeachtet der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 13. März 2020, nach welcher aufgrund der Corona-Pandemie an allen Schulen Bayerns der Unterricht bis zum 19. April 2020 entfällt. Die grundsätzliche Möglichkeit, an einer öffentlichen Schule im Freistaat Bayern beschult zu werden, wird damit nicht in Frage gestellt.
Auf die Frage der Unaufschiebbarkeit der Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII sowie auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i.S.v. § 123 Abs. 1 VwGO kommt es daher nicht mehr an.
Das Gericht kann den elterlichen Wunsch nach der bestmöglichen Schulausbildung für die Antragstellerin nachvollziehen. Jedoch besteht im Rahmen der Eingliederungshilfe gerade kein Anspruch auf optimale Förderung; für die Kostenübernahme reicht es nicht aus, dass die Beschulung an einer privaten Schule im Hinblick auf bestimmte Voraussetzungen geeigneter erscheint (vgl. z.B. VGH Kassel, U.v. 20.8.2009 – 10 A 1799/08 – juris Rn. 59 m.w.N.).
Den Parteien wird dringend angeraten, in einem neuerlichen ergebnisoffenen Hilfeplangespräch den aktuellen Hilfebedarf der Antragstellerin zu untersuchen und entsprechende Maßnahmen zu erarbeiten. Das Gericht schließt indes nicht aus, dass die Erforderlichkeit eines Privatschulbesuchs beispielsweise nach Einholung aussagekräftiger Gutachten zukünftig auch anders bewertet werden kann.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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