Verwaltungsrecht

Vorläufiger Rechtsschutz, Altlastenverdachtsfläche, Auffüllung einer ehemaligen Kiesgrube, Verpflichtung zur Erstellung eines Untersuchungskonzepts, Störerauswahl, Sofortvollzug, Androhung Zwangsgeld

Aktenzeichen  Au 9 S 21.1897

Datum:
17.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45747
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BBodSchG § 9 Abs. 2
BBodSchG § 4 Abs. 3 und 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 22. September 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. August 2021 wird hinsichtlich der Nrn. 1 bis 4 wiederhergestellt und hinsichtlich der Nrn. 6 bis 8 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Pflicht zur Erstellung eines Untersuchungskonzepts über die Vornahme der Untersuchungen hinsichtlich des Gefährdungspotentials von Altablagerungen auf Flurstücken der Gemarkung ….
Die streitgegenständliche Fläche (Grundstücke der Kat.-Nr., Fl.-Nr. … bis … bis, … und, …) der Gemarkung … befindet sich auf einer ehemaligen Kiesgrube (frühere Plan-Nr. …) mit einem Deponievolumen von ca. 25.000 m³, die bis spätestens 1950/1951 verfüllt wurde und jedenfalls bis 1943 im Eigentum der Antragsgegnerin stand. Ab dem Jahr 1951 wurde die Fläche zunehmend privat bebaut und weist heute Wohnbebauung mit Parkplätzen, Gartenanlagen und kleineren baulichen Anlagen wie Garagen und Gartenhäuser auf.
Mit Vertrag vom 13. Dezember 1939 stellte die Antragsgegnerin der Antragstellerin einen Teil der Kiesgrube zur Auffüllung mit Schutt bis längstens 30. Juni 1940 und bis zur Höchstmenge von 5.000 m³ zur Verfügung.
Ausweislich eines Aktenvermerks der „Städtischen Fuhrpark und Straßen-Reinigungs-Anstalt“ vom 25. April 1941 wurde festgestellt, dass die Kiesgrube bis zu diesem Zeitpunkt im vertraglich vereinbarten Umfang (5.000 m³) durch die … ordnungsgemäß aufgefüllt und eingeebnet worden war.
Die historische Erkundung durch das Umweltamt der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 hat außerdem ergeben, dass das streitgegenständliche Areal ausweislich eines Aktenvermerks vom 7. Juni 1943 im Eigentum der Antragsgegnerin stand und als Ersatz für einen bereits zu 80% befüllten Schuttplatz vorgesehen war.
Im Rahmen einer von der Antragsgegnerin beauftragten orientierenden Untersuchung nach dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) in den Jahren 2019 und 2020, wurde das Areal der ehemaligen Kiesgrube als Verdachtsfläche identifiziert. Ausweislich des Gutachtens zur orientierenden Untersuchung vom 6. Mai 2020 beträgt die Flächengröße ca. 10.000 m² bei einer Verfüllhöhe von durchschnittlich 3 bis 4 m im Süden und 0,6 bis 1 m im Norden. Bei den festgestellten Auffüllungen handelt es sich im Wesentlichen um Schutt, gewerbliche Abfälle und Hausmüll. Die Untersuchungsergebnisse zeigten Prüfwertüberschreitungen für Benzo(a) pyren hinsichtlich der Wirkungspfade Boden-Mensch und Boden-Nutzpflanze. Außerdem wurde auf fast allen Grundstücken eine abfallrelevante Schadstoffkonzentration hinsichtlich Arsen, Schwermetallen, PAK und MKW ermittelt. Im Gutachten wird daher für eine abschließende Gefährdungsabschätzung eine vertiefte Detailuntersuchung empfohlen.
Mit Bescheid vom 24. August 2021 wurde die Antragstellerin verpflichtet, zur Vorbereitung einer bodenschutzrechtlichen Detailuntersuchung ein Untersuchungskonzept über die Vornahme der Untersuchungen hinsichtlich des Gefährdungspotentials durch die Altablagerung erstellen zu lassen (Nr. 1 des Bescheids). Das Konzept ist für die gesamte Fläche der Altablagerung zu erstellen (Nr. 1 a) des Bescheids). Bei der Konzepterstellung ist die Errichtung von mindestens zwei abstromig gelegenen Grundwassermessstellen einzuplanen (Nr. 1 b) des Bescheids). Eine Abgrenzung der schädlichen Bodenveränderungen hat horizontal und vertikal durch Bohrungen bis in die wassergesättigte Bodenzone zu erfolgen (Nr. 1 c) des Bescheids). Aus den Bohrkernen müssen horizontierte Bodenproben in maximalen Abständen von einem Meter entnommen werden (Nr. 1 d) des Bescheids). Auf den Grundstücken mit bestehendem Handlungsbedarf sollen Resorptionsverfügbarkeitsstudien nach den Merkblättern des LfU bzw. nach Maßgabe der DIN 19738 durchgeführt werden (Nr. 1 e) des Bescheids).
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung beruhe auf § 9 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 BBodSchG. Hiernach könne die zuständige Behörde gegenüber den in § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG genannten Personen die Durchführung notwendiger Maßnahmen bzw. Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung anordnen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast bestehe. Die einer konkreten Untersuchung vorausgehende Erstellung eines Untersuchungskonzepts sei eine solche notwendige Maßnahme. Aufgrund der bereits nachgewiesenen Verunreinigungen des Bodens und der daraus möglicherweise bereits vorliegenden Gefahren für das Grundwasser sowie der menschlichen Gesundheit bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs. Würden keine weiteren Untersuchungen zur Abgrenzung und Gefährdungsabschätzung erfolgen, bestehe die Möglichkeit, dass hohe Schadstoffkonzentrationen in das Grundwasser gelangen. Die damit verbundenen Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung könnten nur dadurch ausgeschlossen werden, dass das Gefährdungspotential unverzüglich ermittelt und unterbunden wird. Die Interessen der Verursacherin, insbesondere die Klärung der Frage der Verantwortlichkeit in einem unter Umständen mehrjährigen Gerichtsverfahren, müssten gegenüber dem Vollzug der bodenschutzrechtlichen Anordnung zurückstehen.
Die Antragstellerin sei auch richtige Adressatin der Anordnung. Durch diverse Unterlagen könne belegt werden, dass die Auffüllung durch die Antragstellerin erfolgt sei. Insbesondere der Vertrag vom 13. Dezember 1939 und der Aktenvermerk vom 25. April 1941 belegten, dass die Antragstellerin das vertraglich gewährte Recht zur Verfüllung der Kiesgrube in Anspruch genommen habe. Weitere Nutzer der Grube bzw. weitere Pachtverhältnisse seien weder bekannt, noch aktenkundig. Den Untersuchungsergebnissen sei zu entnehmen, dass wesentliche Teile der ehemaligen Kiesgrube bis heute unter dem umliegenden Gelände liegen und nicht verfüllt worden seien. Im Zuge der Amtsermittlung sei auch deutlich geworden, dass die anstehenden Maßnahmen einen grundstücksübergreifenden Charakter hätten. Insofern sei die Verpflichtung der Verursacherin zielführender als eine Heranziehung einzelner Grundstückseigentümer, da deren Verantwortlichkeit auf das jeweilige Grundstück beschränkt wäre. Eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen sei im Rahmen der effektiven Gefahrenabwehr daher nicht zielführend.
Auf den weiteren Inhalt des Bescheids vom 24. August 2021 wird ergänzend verwiesen.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 22. September 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. August 2021 aufzuheben (Au 9 K 21.1896). Über die Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 22. September 2021 hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 24. August 2021 hinsichtlich der Nrn. 1 bis 4 wiederherzustellen und hinsichtlich der Nrn. 6 bis 8 anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs sei nicht ausreichend, da das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nicht hinreichend dargetan sei. Die Antragsgegnerin stelle auf die rein abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung ab. Zur Begründung sei keine konkrete Gefährdung der Wasserversorgung angeführt. Die Anordnung sei aber auch voraussichtlich rechtswidrig. Die Antragsgegnerin lege bewusst einen unzutreffenden und nicht belegten Sachverhalt zugrunde. Es werde suggeriert, dass die Antragstellerin das gesamt Areal zur Schutt- und Abfallablagerung genutzt habe und dabei die alleinige Nutzerin gewesen sei. Dies sei jedoch insgesamt unzutreffend. Richtig sei lediglich, dass die Antragstellerin aus dem Vertrag vom 13. Dezember 1939 dazu berechtigt gewesen sei, auf einem Teil des Areals Auffüllungen mit Schutt bis zu einer Höchstmenge von 5.000 m³ vorzunehmen. Die Antragstellerin sei zu keinem Zeitpunkt Eigentümerin des Areals gewesen. Dies sei vielmehr – jedenfalls bis zum Jahr 1945 – die Antragsgegnerin gewesen. Zudem werde außer Betracht gelassen, dass das Grundstück ein Fassungsvermögen von mindestens 20.000 m³ gehabt habe. Auch bleibe völlig unerwähnt, dass die Antragsgegnerin die ehemalige Kiesgrube nach ihren eigenen Feststellungen im Rahmen der historischen Erkundung vom 2. November 2015 mindestens ab dem Jahr 1943 selbst mit Müll und Schutt verfüllt habe. Es stehe nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass die Antragstellerin außer Schutt auch Abfälle, Müll oder Ähnliches in das Grundstück eingebracht habe und etwaige Bodenverunreinigungen von der Antragstellerin stammen bzw. stammen könnten. Die im Bescheid vom 24. August 2021 getroffene Ermessensentscheidung hinsichtlich der Störerauswahl sei daher fehlerhaft.
Auf den weiteren Vortrag im Schriftsatz vom 22. September 2021 wird ergänzend verwiesen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Anordnung des Sofortvollzugs sei hinreichend begründet. Eine Gefahrenlage könne zwar noch nicht belegt, aber vor allem auch nicht ausgeschlossen werden. Ziel der Anordnung sei es, die Situation schnellstmöglich zu untersuchen. Auf eine konkrete Gefahr könne deshalb nicht abgestellt werden. Der Bescheid sei auch im Übrigen rechtmäßig. Die Antragstellerin habe nachweislich einen Teil der ehemaligen Kiesgrube verfüllt. Nach den durch das Umweltamt vorgenommenen Feststellungen habe es keine weitere Verfüllung der Grube gegeben. Das in den Folgejahren errichtete Wohngebiet stehe heute mehrere Meter unterhalb der Geländeoberkante und damit auf der noch immer vorhandenen Kiesgrubensohle. Die ursprünglichen Hangkanten seien bis heute ersichtlich. Die Verfüllung der Grube sei zumindest größtenteils durch die Antragstellerin erfolgt, sodass die Störerauswahl nicht zu beanstanden sei.
Auf den weiteren Inhalt des Antragserwiderungsschriftsatzes vom 13. Dezember 2021 wird ergänzend verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Antragsgegner vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Au 9 K 21.1896) hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 22. September 2021 erhobenen Klage (Au 9 K 21.1897) hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Nrn. 1 bis 4 des Bescheids vom 24. August 2021 sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohungen in den Nrn. 6 bis 8 des mit der Klage angegriffenen Bescheids.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes entfällt, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Das Gericht prüft dabei im Fall des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind, und trifft im Übrigen jeweils eine eigene Abwägungsentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Bleibt das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, so wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen. Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache hingegen voraussichtlich Erfolg, so ist dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Wenn sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dagegen weder die offensichtliche Rechtswidrigkeit noch die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung feststellen lässt, hängt der Ausgang des Verfahrens vom Ergebnis einer vom Gericht vorzunehmenden weiteren Interessenabwägung ab (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 10 CS 14.2244 – juris).
b) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist formell rechtmäßig.
(1) Formelle Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung der Behörde ist, dass für das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO eine schriftliche Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gegeben worden ist. Der Sinn und Zweck dieses Begründungserfordernisses besteht zum einen darin, dass sich die Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung bewusst macht und mit besonderer Sorgfalt prüft, ob vorrangige öffentliche Interessen eine Vollziehung bereits vor Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts notwendig erscheinen lassen, und zum anderen darin, dem Gericht die Überprüfung der Argumente der Behörde zu ermöglichen. Dementsprechend muss aus der Begründung nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Einzelfall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts Vorrang vor dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen einräumt. Pauschale, formelhafte und für eine beliebige Vielzahl von Fallgestaltungen anwendbare Formulierungen genügen den gesetzlichen Anforderungen im Regelfall nicht. Auf die inhaltliche Richtigkeit der von der Behörde für die Anordnung des Sofortvollzugs gegebenen Begründung kommt es hingegen nicht an (vgl. VGH BW, B.v. 2.12.2005 – 10 S 644/05 – juris).
(2) Diesen Anforderungen genügt die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 24. August 2021 gegebene Begründung. Die Antragsgegnerin führt aus, dass die Interessen der Antragstellerin vor dem Hintergrund der festgestellten Verunreinigungen des Bodens, der sich hieraus möglicherweise ergebenden Gefahren für das Grundwasser und Gesundheit der Bevölkerung sowie der zu erwartenden Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ausnahmsweise zurücktreten müssen. Etwaige Gesundheitsgefahren könnten nur dadurch ausgeschlossen werden, dass das Gefährdungspotential unverzüglich ermittelt und gegebenenfalls unterbunden wird. Diese Begründung stellt auf den vorliegenden Einzelfall ab und lässt erkennen, was die Antragsgegnerin zum Erlass der Anordnung bewogen hat und dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters der Anordnung des Sofortvollzugs bewusst war. Damit werden die formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erfüllt. Ob die vom Antragsgegner angeführten Gründe inhaltlich tragen, ist hingegen keine Frage des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern im Rahmen der besonderen Dringlichkeit der Vollziehung des Verwaltungsaktes und damit beim Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses zu würdigen.
c) Bei summarischer Prüfung erweist sich der Bescheid vom 24. August 2021 allerdings als ermessensfehlerhaft und somit als rechtswidrig. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Vorliegend genügt die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Heranziehung der Antragstellerin als Verpflichtete zur Erstellung eines bodenschutzrechtlichen Untersuchungskonzepts auf der Grundlage der §§ 9 Abs. 2 Satz 1 und 4, Abs. 3 BBodSchG nicht den Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie Störerauswahl.
(1) Die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens setzt zunächst voraus, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt einschließlich aller ernsthaft in Betracht kommenden Störer und ihrer jeweiligen Verantwortlichkeit sowie deren Möglichkeit zur Beseitigung der Verunreinigung zutreffend ermittelt und zur Grundlage der Störerauswahl gemacht werden (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 24.2.2011 – 11 B 10.09 – juris Rn. 45). § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG begründen dabei grundsätzlich kein Rangverhältnis hinsichtlich der als Adressaten in Betracht kommenden Verantwortlichen, sondern lassen eine in erster Linie an der Effektivität der Gefahrenabwehr orientierte Auswahlentscheidung zu (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2008 – 22 CS 06.2055 – juris Rn. 2; VGH BW, B.v. 11.12.2000 – 10 S 1188/00 – juris Rn. 12). Taugliche Adressaten einer behördlichen Anordnung zur Erstellung eines bodenschutzrechtlichen Untersuchungskonzepts können wegen der Verweisung auf § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG die dort genannten Personen sein. Danach kommen als Pflichtige neben dem Grundstückseigentümer und dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück insbesondere die (potentiellen) Verursacher der schädlichen Bodenveränderung oder Altlast in Betracht.
(2) Dies zugrunde gelegt, sind die von der Antragsgegnerin vorgenommenen Erwägungen zur Störerauswahl unzureichend. Diese erweist sich daher insgesamt als ermessensfehlerhaft. Denn es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin alle gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG potentiell in Betracht kommenden Verantwortlichen in ihre Überlegungen zur Störerauswahl miteinbezogen hat.
(aa) Nach den Ergebnissen der historischen Erkundung vom 2. November 2015, wonach das betroffene Areal zum Zeitpunkt der Verfüllung der Kiesgrube im Eigentum der Antragsgegnerin stand und von dieser ausweislich eines Aktenvermerks vom 7. Juni 1943 als Ersatz für einen damals bereits zu 80% verfüllten Schuttplatz herangezogen werden sollte, hätte die Antragsgegnerin auch ihre eigene Rolle im Zusammenhang mit der Verfüllung der ehemaligen Kiesgrube in ihre Ermittlungen und Überlegungen zur Störerauswahl miteinbeziehen und entsprechend bewerten müssen. Dies gilt umso mehr, als sich nach dem Gutachten über die orientierende Untersuchung auf dem ca. 10.000 m² großen streitgegenständlichen Areal eine Verfüllhöhe von durchschnittlich 3 bis 4 m im Süden und 0,6 bis 1,0 m im Norden zeigte. Damit beläuft sich das Gesamtvolumen der vorgefundenen Auffüllungen selbst bei einer unterstellten Verfüllhöhe von durchschnittlich nur 0,6 m bereits auf 6.000 m³ und übersteigt damit jedenfalls das Volumen der von der Antragstellerin nachweislich vorgenommenen Auffüllungen. Zu berücksichtigen wäre dabei auch gewesen, dass die Antragsgegnerin einen Teil des Areals in den Jahren 1939/1940 der Antragstellerin zur Auffüllung von lediglich 5.000 m³ Schutt vertraglich zur Verfügung stellte, während bei den Geländearbeiten anlässlich der orientierenden Untersuchung aber auch gewerblicher Abfall und Hausmüll vorgefunden wurde (vgl. Seite 4 des Bescheids, Seite 18 des Gutachtens zur orientierenden Untersuchung vom 6. Mai 2020).
Vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Entscheidung über die Heranziehung der Antragstellerin auch ihre eigene (Mit-)Verantwortlichkeit bezüglich der festgestellten Verunreinigungen zu bewerten gehabt hätte, hätte es für die Inanspruchnahme der Antragstellerin auch einer detaillierten Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und einem entsprechend erhöhten Begründungsaufwand seitens der Antragsgegnerin bedurft.
(bb) Dennoch und trotz der in den Akten enthaltenen Hinweise auf eine potentiell gegebene (Mit-)Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin selbst, finden sich im angegriffenen Bescheid vom 24. August 2021 Ausführungen hierzu jedoch weder in der Sachverhaltsdarstellung, noch in der Begründung zur Heranziehung der Antragstellerin als Verpflichtete. Die eigene Rolle der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Verfüllung der Kiesgrube bleibt vielmehr völlig unerwähnt, mit der Folge, dass die Störerauswahl in ermessensfehlerhafter Weise von Anfang an allein auf eine Entscheidung zwischen der Antragstellerin und den heutigen Eigentümern der betroffenen Grundstücke beschränkt wurde.
Die Antragsgegnerin hat ihre Erwägungen zur Störerauswahl diesbezüglich auch nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt. Im Antragserwiderungsschriftsatz vom 13. Dezember 2021 bleibt eine mögliche (Mit-)Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin weiterhin unerwähnt. Sie wird abermals nicht als potentiell Verpflichtete in Erwägung gezogen. Es wird lediglich ausgeführt, dass es nach den Feststellungen des Umweltamts keine weiteren Verfüllungen der Kiesgrube gegeben habe und das nunmehr auf dem Gelände bestehende Wohngebiet noch immer auf der vorhandenen Kiesgrubensohle liege. Angesichts der Feststellungen im Gutachten zur orientierenden Untersuchung vom 6. Mai 2020, wonach die durchschnittliche Verfüllhöhe im Süden des Areals 3 bis 4 m und im Norden des Areals 0,6 bis 1,0 m beträgt (Bl. 45 des Gutachtens), bestehen für das Gericht zumindest Zweifel an dieser Argumentation.
Im Ergebnis war die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (Au 9 K 21.1896) gegen die Nrn. 1 bis 4 des angegriffenen Bescheids daher gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO wiederherzustellen.
(3) Durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Nrn. 1 bis 4 des Bescheids ist auch den Zwangsgeldandrohungen in den Nrn. 6 bis 8 des Bescheids die rechtliche Grundlage entzogen. Hinsichtlich dieser Maßnahmen ist die aufschiebende Wirkung der Klage daher nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Sonderbeilage BayVBl. Januar 2014). Der in der Hauptsache gebotene Streitwert in Höhe von 5.000,00 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG) war im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.


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