Verwaltungsrecht

Weitere Ersatzzwangshaft wegen Zweckentfremdung von Wohnraum

Aktenzeichen  M 9 X 17.5450

Datum:
15.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG VwZVG Art. 33

 

Leitsatz

1. Für die Anordnung von Ersatzzwangshaft bleibt auch nach einem Umzug des Vollstreckungsschuldners das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das für eine Anfechtungsklage gegen die Vollstreckungbehörde zuständig wäre. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vollstreckung einer Ersatzzwangshaft führt zwar zum Erlöschen der zugrundeliegenden Zwangsgeldforderung (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 123009 Rn. 23-27), nicht aber zur Unwirksamkeit des zu vollstreckenden Grundverwaltungsaktes und der Androhung eines weiteren Zwangsgeldes. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Durchsetzung eines Zweckentfremdungsverbots als einer Unterlassungspflicht scheiden unmittelbarer Zwang und Ersatzvornahme aus und es bestehen keine Bedenken gegen die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Anordnung einer weiteren Ersatzzwangshaft. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Gegen den Vollstreckungsschuldner wird zur Erzwingung des angeordneten Verbots der Zweckentfremdung die erneute Ersatzzwangshaft von längstens einer Woche angeordnet.
II. Zum Zwecke des Vollzugs der Ersatzzwangshaft wird gegen den Vollstreckungsschuldner Haftbefehl erlassen.
III. Die Ersatzzwangshaft ist durch die Justizverwaltung zu vollstrecken.
Von der Vollstreckung ist abzusehen, wenn der Vollstreckungsschuldner seiner Verpflichtung nachkommt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und Vollstreckungsgläubigerin begehrt die Anordnung einer erneuten Ersatzzwangshaft, um den Antragsgegner und Vollstreckungsschuldner zur Befolgung einer zweckentfremdungsrechtlichen Nutzungsuntersagung zu veranlassen.
Der Vollstreckungsschuldner wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. Juni 2016 verpflichtet, die zweckfremde Nutzung des Wohnraums Wohnung Nr. …, E. Straße, unverzüglich zu beenden (Ziffer 1.) und den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziffer 2.).
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2017 (M 9 X 17.2044) wurde gegen den Vollstreckungsschuldner zur Erzwingung des angeordneten Verbots der Zweckentfremdung die Ersatzzwangshaft von längstens einer Woche angeordnet, da dieser die Zwangsgelder in Höhe von 5.400,00 Euro (Ziffer 5. des Bescheids vom 02.06.2016) und in Höhe von 10.800,00 Euro (Bescheid vom 10.11.2016 über die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes) nicht bezahlt hat. Auf den Beschluss wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Anordnung der Ersatzzwangshaft wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. August 2017 (12 C 17.1544) bestätigt; auf diese Entscheidung wird ebenfalls Bezug genommen.
Die Ersatzzwangshaft gegen den Antragsgegner wurde vollstreckt.
Mittlerweile ist der Vollstreckungsschuldner ausweislich der von ihm vorgelegten Meldebestätigung vom 1. September 2017 mit Hauptwohnsitz in Berlin gemeldet (Bl. 17 Gerichtsakte). Das vorläufige Insolvenzverfahren über sein Vermögen wurde eingeleitet. Nach den Ermittlungen der Vollstreckungsgläubigerin, den eigenen Angaben des Vollstreckungsschuldners und der Information durch die vorläufige Insolvenzverwalterin, hat der Antragsteller kein beitreibbares Vermögen und ist als angestellter Chauffeur im Betrieb seines Bruders, dessen Geschäftsführerin die Ehefrau des Vollstreckungsschuldners ist, beschäftigt. Der Verbleib der Gelder aus den Einnahmen durch die Vermietung mehrerer Wohnungen tageweise an Medizintouristen zu Beträgen von ca. 200,00 Euro am Tag, ist unklar. Im Rahmen des mit Beschluss des Amtsgerichts München „Insolvenzgericht“ vom 14. März 2017 eingeleiteten vorläufigen Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (Az.: 1506 EN 450/17) wird aktuell diesbezüglich ermittelt und ein Gutachten erstellt.
Mit Schriftsatz vom 16. November 2017 beantragte die Vollstreckungsgläubigerin:
1. Es wird beantragt, gegenüber dem Vollstreckungsschuldner R. Ersatzzwangshaft anzuordnen und die Dauer der Zwangshaft auf eine Woche festzusetzen.
2. Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Beschlusses mit Zustellungsvermerk.
Zur Begründung wurde angegeben, dass ausweislich der beigefügten Ermittlungsberichte über Ortstermine vom 16. Oktober 2017, 17. Oktober 2017 und 8. November 2017 die Zweckentfremdung des Wohnraums durch den Vollstreckungsschuldner fortgesetzt werde. Ausweislich der beigefügten Ermittlungsberichte wurden am 17. Oktober 2017 und 8. November 2017 Personen angetroffen, die erklärten, dass sie sich zur medizinischen Behandlung in München aufhielten.
Der Vollstreckungsschuldner wurde mit Schreiben des Gerichts vom 23. November 2017, zugestellt mit dem Vermerk „trotz Postsperre zustellen“ sowohl an die Adresse in Berlin als auch an die Adresse S. Straße in München, angehört.
Der Vollstreckungsschuldner beantragte mit Schreiben vom 30. November 2017:
I. Das Verwaltungsgericht München erklärt sich für örtlich unzuständig.
II. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen.
III. Hilfsweise: Der Antrag auf Anordnung der Ersatzzwangshaft wird abgelehnt.
Nach § 52 Nr. 5 VwGO sei das Verwaltungsgericht am Wohnsitz des Pflichtigen, hier Berlin, für die Anordnung der Ersatzzwangshaft nach Art. 33 Abs. 1 VwZVG zuständig. Der Antrag auf Anordnung der Ersatzzwangshaft sei abzulehnen, da die Zwangsgeldforderung erloschen und die bisher ergangenen Zwangsgeldbescheide erledigt seien. Deshalb könne die Behörde nicht mehr auf den Bescheid vom 10. November 2016 zurückgreifen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung einer weiteren Ersatzzwangshaft hat Erfolg.
Trotz der Ummeldung des Vollstreckungsschuldners nach Berlin ist das Verwaltungsgericht München weiterhin gemäß § 52 Nr. 3 VwGO örtlich zuständig. Der Verweis des Vollstreckungsschuldners auf § 52 Nr. 5 VwGO unter Berufung auf eine entsprechende Fundstelle (Käß in: Giehl u.a., Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: März 2017, VwZVG, Art. 33 Rn. 21; ebenso Hasser/Kugele u.a., Verwaltungsrecht in Bayern, VwZVG, Art. 33 Erläuterung 3; VG Würzburg, B.v. 1.3.2011 – W 4 X 11.74 – juris Rn. 8) ändert nichts. Denn örtlich zuständig ist das Verwaltungsgericht, das für eine Anfechtungsklage gegen die Vollzugsbehörde zuständig wäre (so zu Recht Troidl in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, Rn. 6). Außerdem befinden sich die Wohnungen, die der Vollstreckungsschuldner weiterhin tageweise zu Zwecken des Fremdenverkehrs an Medizintouristen vermietet, in München.
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, Art. 19 VwZVG, und die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, Art. 33 VwZVG, liegen vor.
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben, Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 VwZVG. Der Ausgangsbescheid vom 2. Juni 2016 ist bestandskräftig. Der Vollstreckungsschuldner ist seiner Grundverpflichtung weiterhin nicht nachgekommen. Auf die Ermittlungen der Vollstreckungsgläubigerin vom 17. Oktober 2017 und 8. November 2017 wird Bezug genommen. In der Wohnung wurden jeweils verschiedene Personen angetroffen, die als Aufenthaltszweck angaben, dass sie bzw. Verwandte medizinisch behandelt würden und dass sie aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammten.
Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen für eine weitere Anordnung der Ersatzzwangshaft, Art. 33 Abs. 1 VwZVG, liegen vor. Der Vollstreckungsschuldner wurde auf die Möglichkeit der Anordnung der Ersatzzwangshaft im Bescheid vom 10. November 2016 hingewiesen. Er hat auch nach Vollstreckung der Anordnung der Ersatzzwangshaft seine Verpflichtung zur Aufgabe der gewerblichen Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken nicht erfüllt und sein rechtswidriges Nutzungskonzept unverändert fortgeführt. Der Vollstreckungsschuldner wurde zur beantragten Anordnung der erneuten Ersatzzwangshaft angehört und hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Vollstreckung der Ersatzzwangshaft hat nicht zu einer Erledigung des Grundverwaltungsakts geführt.
Soweit der Vollstreckungsschuldner vorträgt, der Bescheid vom 10. November 2016 habe sich durch Erlöschen der Zwangsgeldforderung erledigt, mit der Folge, dass eine wirksame Grundverfügung fehle, trifft dies rechtlich nicht zu. Nach Art. 37 Abs. 4 Satz 1 BayVwZVG ist die Anwendung von Zwangsmitteln einzustellen, wenn der Vollstreckungsschuldner der angeordneten Verpflichtung nachkommt. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Dies gilt entsprechend, wenn der Vollstreckungsschuldner das Zwangsgeld zahlt (BayVGH, B.v. 29.8.2017 – 12 C 17.1544 – juris Rn. 23 f. m.w.N.). Dies ist vorliegend ebenfalls nicht der Fall. Wenn, wie hier, die Ersatzzwangshaft bereits vollstreckt wurde, führt dies aufgrund der vom Gesetzgeber angeordneten Akzessorietät und Subsidiarität des Rechtsinstituts der Ersatzzwangshaft dazu, dass das Zwangsgeld nicht mehr beigetrieben werden kann, da die Forderung dadurch erloschen ist (BayVGH, a.a.O.). Das Erlöschen der Zwangsgeldforderung bedeutet nicht, dass der zugrundeliegende Bescheid über die Androhung eines weiteren Zwangsgelds, verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Ersatzzwangshaft, als tatbestandliche Voraussetzung für weitere Zwangsmittel gegenstandslos wird. Ein Beitreibungshindernis führt nicht zur Unwirksamkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsakts. Aus Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG folgt vielmehr, dass Zwangsmittel solange und so oft angewendet werden können, bis die Verpflichtung erfüllt ist, wobei die Ersatzzwangshaft die Höchstdauer von vier Wochen nicht übersteigen darf.
Die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 1 VwZVG für die Anordnung einer erneuten Ersatzzwangshaft liegen vor. Die in der Vielzahl von Verfahren angedrohten Zwangsgelder sind uneinbringlich. Unmittelbarer Zwang scheidet ebenso wie die Ersatzvornahme zur Durchsetzung des Gebots nach der Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus (VG München, B.v. 26.4.2016 – M 9 S. 16.1449; BayVGH, B.v. 9.5.2016 – 12 CS 16.899). Bedenken dagegen, dass die Anordnung einer weiteren Ersatzzwangshaft nicht den Grundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entspricht, bestehen nicht, Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BayVwZVG. Eine weitere Ersatzzwangshaft ist vorliegend erforderlich, da der Vollstreckungsschuldner sich durch die bereits vollstreckte Ersatzzwangshaft nicht beeindrucken ließ, seiner öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nach wie vor nicht nachkommt und vielmehr auf dem Standpunkt steht, dass die zugrundeliegende Grundverfügung sich damit erledigt hat. Die Anordnung ist angemessen, da es sich um ein letztes, legitimes Mittel des Staates handelt, seine Anordnung gegenüber uneinsichtigen Bürgern durchzusetzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn unter der Behauptung der Mittellosigkeit eine Unterlassenspflicht nicht erfüllt wird, obwohl tägliche Einnahmen in Höhe von 150,00 Euro bis 300,00 Euro für eine Vielzahl von Wohnungen erzielt werden. Die Flucht in die Vermögenslosigkeit ist keine Rechtfertigung dafür, rechtliche Verpflichtungen zu einem Tun oder Unterlassen nicht zu erfüllen.
Einwendungen i.S. des Art. 21 VwZVG oder Vollstreckungshindernisse i.S. des Art. 37 Abs. 4 VwZVG sind nicht ersichtlich. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Pflicht zur Aufgabe des Nutzungskonzepts eine Unterlassungspflicht ist.
Es entspricht angesichts des Verhaltens des Antragstellers pflichtgemäßem Ermessen, nach Art. 33 VwZVG erneut die Ersatzzwangshaft für eine Woche anzuordnen. Unter Berücksichtigung, dass der Antragsteller sein Geschäftsmodell weiterhin professionell betreibt, ist die Dauer von bis zu einer Woche verhältnismäßig und angemessen.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Eine Streitwertfestsetzung ist mangels einer entsprechenden Position im Kostenverzeichnis entbehrlich.
Nach Art. 33 Abs. 3 VwZVG ist Vollstreckungsbehörde die Justizbehörde.


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