Verwaltungsrecht

Wesentliche Ursache eines Dienstunfalls für einen Körperschaden

Aktenzeichen  3 ZB 16.2339

Datum:
11.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3449
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Unter mehreren zusammenwirkenden Bedingungen ist eine von ihnen als alleinige Ursache im Rechtssinn dann anzusehen, wenn sie bei natürlicher Betrachtungsweise als wesentliche (Mit-)Ursache im Rechtssinne anzusehen ist; dabei kann auch ein äußeres Ereignis wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht sein, mit dem ein anlagebedingtes Leiden ausgelöst oder beschleunigt wird. Allerdings darf das auslösende Unfallereignis im Verhältnis zu der schon vorliegenden krankhaften Veranlagung keine so untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge haben, dass diese andere Bedingung bei natürlicher Betrachtungsweise als allein maßgeblich anzusehen ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Demgegenüber ist die Einschätzung eines medizinischen Gutachters, dass das Unfallereignis nur vor dem Hintergrund der bestehenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Bandscheiben zu dem relevanten Bandscheibenvorfall habe führen können, nicht geeignet, die Kausalität (im Sinn einer wesentlichen Mitverursachung der Unfallfolge) entfallen zu lassen. (Rn. 5 und 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bejaht das Verwaltungsgericht einen Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden, weil die Beamtin nachgewiesen hat, dass der Dienstunfall als überwiegende Mitbedingung für den Gesundheitsschaden und nicht als bloße Gelegenheitsursache anzusehen ist, so wird damit rechtsfehlerfrei die materielle Beweislast für den Kausalzusammenhang der Beamtin auferlegt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 1 K 16.1002 2016-09-28 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festge-setzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils – sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO – besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten – gestützte Antrag bleibt erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und HWK 6/7 links mit Myelonkompression sowie eine Nervenwurzelreizung am linken Arm als Folge des Dienstunfalls der Klägerin am 9. Juli 2014 anzuerkennen. An diesem Tag wurde sie als Fahrerin eines Dienstkraftfahrzeugs Opfer eines Verkehrsunfalls, als das unfallverursachende Fahrzeug ungebremst mit ca. 45 bis 50 km/h in die Fahrerseite ihres Fahrzeugs fuhr, das infolgedessen um die eigene Achse geschleudert wurde und dann zunächst mit einem Laternenmast und anschließend einem Verkehrszeichen kollidierte.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht. Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9).
Das Verwaltungsgericht bejaht im angefochtenen Urteil die Kausalität zwischen dem Verkehrsunfall und dem späteren Schaden (Bandscheibenvorfall mit Myelonkompression sowie Nervenwurzelreizung am linken Arm) im natürlich-logischen Sinn; dabei seien nur solche Bedingungen mitursächlich für den eingetretenen Schaden, die wesentlich mitgewirkt hätten. Die Kausalität entfalle hier nicht nach der erforderlichen wertenden Betrachtung anhand des Begriffs der Gelegenheitsursache. Zwar habe bei der Klägerin auf Grund degenerativer Veränderungen bereits vor dem Unfall ein stummer Bandscheibenvorfall bestanden, der jedoch erst durch die vom Unfallereignis ausgelösten erheblichen Kräfte symptomatisch geworden sei. Zuvor sei er niemals diagnostiziert oder gar operationsbedürftig gewesen. Weder den medizinischen Feststellungen noch dem Geschehensablauf lasse sich entnehmen, dass die Klägerin den Körperschaden auch ohne den Dienstunfall bei irgendeiner anderen nächsten Gelegenheit, etwa bei einer geringfügigen alltäglichen Einwirkung erlitten hätte. Nur dann würde es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum dienstunfallrechtlichen Ursachenbegriff einer sachgerechten Risikoverteilung entsprechen, den Dienstherrn nicht mit den aus anderen als dienstlichen Ursachen resultierenden Risiken zu belasten. Aber auch wenn man von einer Prädisposition der Klägerin mit einer wesentlichen Bedeutung für die eingetretenen Körperschäden ausgehen wolle, wäre die Kausalität gleichwohl zu bejahen, weil nicht von einer bloßen Gelegenheitsursache im Rechtssinne ausgegangen werden könne.
Der Beklagte macht demgegenüber geltend, die Anwendung der im Urteil richtig dargestellten Grundsätze auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalles und die vorgenommene Beweislastverteilung begegne ernstlichen Zweifeln. Es fehle an der Kausalität, weil das Unfallgeschehen hinweggedacht werden könne, ohne dass damit die Grunderkrankung entfiele. Die Einschätzung des Gutachters Dr. W. ergebe, dass das Unfallereignis nur vor dem Hintergrund der bestehenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Bandscheiben zu dem relevanten Bandscheibenvorfall führen habe können. Unfallbedingte Bandscheibenschädigungen seien nach Stand der Medizinwissenschaft selten. Die Untersuchung nach dem Unfall habe gerade keine Hinweise auf dramatische Einwirkungen wie etwa Blutungen ergeben, sondern vielmehr eine degenerative Vorschädigung des untersuchten Materials. Es begegne daher ernstlichen Zweifel, wenn das Verwaltungsgericht unter Berufung auf diese fachlichen Äußerungen eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne bejahe. Vielmehr handele es sich bei dem Unfall um eine „Gelegenheitsursache“ bei bestehendem Grundleiden; nicht nachvollziehbar sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin hätte den Schaden nicht bei irgendeiner nächsten Gelegenheit erlitten. Weiter habe das Verwaltungsgericht eine unzutreffende Beweislastregel formuliert, indem es für die Tatsachenfrage nach dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Körperschaden die materielle Beweislast dem Beklagten auferlegt habe, obwohl die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Voraussetzungen für einen Dienstunfall zulasten des Beamten gehe. Diese in der Rechtsprechung angenommene volle Beweislast kehre das Verwaltungsgericht mit einer Regelung, die eine Vermutung der Kausalität zugunsten der Beamtin für den Fall einer Vorschädigung vorsehe, in sein Gegenteil um; damit werde der Beklagte beweispflichtig für das Vorliegen der Alltäglichkeit des konkreten Ereignisses gemacht. Es sei reiner Zufall, ob ein anderes alltägliches Ereignis die schon bestehenden Schäden zeitgleich oder mit zeitlicher Verzögerung symptomatisch werden lasse. Eine gleichwertige Mitbedingung für den eingetretenen Körperschaden lasse sich daraus nicht ableiten. Entscheidend sei, ob auch ein alltägliches Ereignis die Folgen hätte auslösen können. Andernfalls könne man bei keinem Unfall eine Gelegenheitsursache annehmen, weil er niemals alltäglicher Natur sei.
Mit diesem Vortrag zeigt der Beklagte keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf. Vielmehr kommt das Verwaltungsgericht unter Zugrundelegung der von ihm ausführlich dargestellten Rechtsprechung (UA S. 10, 11) des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats mit tragfähiger Begründung zu dem Ergebnis, dass eine wesentliche Mitursächlichkeit des Unfalls für die eingetretenen Körperschäden wegen seiner besonderen Beziehung zum Erfolg besteht. Unter mehreren zusammenwirkenden Bedingungen ist eine von ihnen als alleinige Ursache im Rechtssinn dann anzusehen, wenn sie bei natürlicher Betrachtungsweise als wesentliche (Mit-)Ursache im Rechtssinne anzusehen ist; dabei kann auch ein äußeres Ereignis wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht sein, mit dem ein anlagebedingtes Leiden ausgelöst oder beschleunigt wird (SächsOVG, U.v. 20.10.2015 – 2 A 296/14 – juris Rn. 17). Allerdings darf das auslösende Unfallereignis im Verhältnis zu der schon vorliegenden krankhaften Veranlagung keine so untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge haben, dass diese andere Bedingung bei natürlicher Betrachtungsweise als allein maßgeblich anzusehen ist. Damit scheiden Ursachen als im Rechtssinn erheblich aus, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht (sog. Gelegenheitsursachen), also Fälle, in denen die krankhafte Veranlagung so „leicht ansprechbar“ war, dass zur Auslösung der akuten Folgeerscheinungen auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis ausgereicht hätte.
Mit nachvollziehbarer Begründung verneint das Verwaltungsgericht eine im dargestellten Sinne untergeordnete Bedeutung des Verkehrsunfalls für die eingetretenen Körperschäden. Die nachgewiesene Vorschädigung in Form degenerativer Veränderungen im Halswirbelbereich („stummer Bandscheibenvorfall“) ist erst anlässlich des Verkehrsunfalls festgestellt und durch ihn symptomatisch geworden, ohne dass dieser bloß als Ereignis angesehen werden kann, „der das Fass zum Überlaufen gebracht“ hat und dem damit bei natürlicher Betrachtung keine ausschlaggebende Bedeutung für den Schadenseintritt zukam. Der Beklagte vermag die Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Dienstunfall stelle gegenüber den (bereits vorliegenden) degenerativen Veränderungen im Halswirbelbereich der Klägerin eine überragend zum Eintritt des Erfolgs beitragende Ursache dar und sei demnach kausal im dienstunfallrechtlichen Sinn, nicht zu erschüttern.
Schon das konkrete Unfallgeschehen, das durch drei innerhalb kürzester Zeitspanne erfolgte Aufprallereignisse an verschiedenen Punkten des Dienstfahrzeugs gekennzeichnet ist, legt nahe, dass er sich hierbei nicht um ein alltägliches Ereignis gehandelt hat, dass sich so oder in ähnlicher Form jederzeit ereignen und zu den gleichen Körperschäden hätte führen können, sodass die Zurechnung der Dienstunfallfolge in den Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge nicht mehr einer sachgerechten (wertenden) Beurteilung entspräche. Insoweit ist der vorliegende Fall anders gelagert als der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Fall einer während der Dienstausübung erfolgten Achillessehnenruptur eines Sportlehrers mit bestehender Vorschädigung seiner Achillessehne; diese Vorschädigung war bei wertender Betrachtung von wesentlicher Bedeutung für den Riss der Sehne, weil sich diese Gefahr jederzeit auch außerhalb des Dienstes bei einer im Alltag vorkommenden Belastung hätte verwirklichen können (BVerwG, U.v. 18.4.2002 – 2 C 22.01 – juris Rn. 11). Eine derartige Feststellung hat das Verwaltungsgericht im Fall der Klägerin, deren gesundheitliche Vorschädigung sich erst infolge eines besonders schweren Unfallgeschehens ausgewirkt hat, gerade nicht getroffen.
Auch der weitere Vortrag des Beklagten führt nicht zu Zweifeln an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Die Aussage, dass das Unfallereignis allein „ohne vorbestehende Degeneration der Bandscheiben nicht zu dem… Bandscheibenvorfall geführt“ hätte, ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht geeignet, die Kausalität (im Sinn einer wesentlichen Mitverursachung der Unfallfolge) entfallen zu lassen, zumal die degenerativen Veränderungen der Bandscheiben „alleine ohne das Dienstunfallereignis nicht zu einem operationswürdigen Bandscheibenvorfall geführt hätten“ (Gutachten Dr. W. v. 9.7.2014, S. 8). Der Hinweis des Beklagten, das Unfallgeschehen könnte hinweggedacht werden, ohne dass die „hier streitgegenständliche Grunderkrankung entfiele“, hilft bei der Frage der Kausalität nicht weiter.
Im Übrigen hält der Beklagte eine Kausalität des Unfallgeschehens „allenfalls…für die Nervenwurzelreizung am linken Arm“ für möglich, weil diese Unfallfolge tatsächlich auf eine unfallbedingte Verlagerung des Bandscheibengewebes zurückzuführen sei. In dem Gutachten des Dr. W. v. 9.7.2014 (S. 11) wird hierzu festgestellt, dass die Nervenwurzelreizung am linken Arm „überwiegend durch das Unfallereignis verursacht“ worden ist. Damit kommt es in diesem Zusammenhang nicht mehr auf die vom Beklagten thematisierte Frage an, ob die Kausalität des Unfalls als sog. Gelegenheitsursache für diese Unfallfolge entfällt.
Schließlich stellt das Zulassungsvorbringen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils auch nicht deswegen als ernstlich zweifelhaft in Frage, weil das Verwaltungsgericht eine – nicht zutreffende – allgemeine Beweislastregel aufgestellt habe, mit der es die die Klägerin treffende materielle Beweislast für das Bestehen eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegenden Kausalzusammenhangs zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden in ihr Gegenteil verkehrt. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht (UA S. 11) der Klägerin in vollem Umfang die Beweislast – insbesondere für den hier strittigen Kausalzusammenhang – auferlegt; im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe hat es dann mit zutreffender Begründung dargelegt, dass die Klägerin nachgewiesen hat, dass der Dienstunfall als überwiegende Mitbedingung für den Gesundheitsschaden und nicht als bloße Gelegenheitsursache anzusehen ist. Zu Recht weist die Klägerin in der Antragserwiderung darauf hin, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie „bei irgendeiner nächsten Gelegenheit“ im Alltag einen unmittelbar operationsbedürftigen Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelreizung erlitten hätte.
2. Aus den gleichen Gründen, mit denen das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu verneinen ist, folgt auch, dass der Rechtssache nicht die – insbesondere im Hinblick auf den im Dienstunfallrecht geltenden Kausalitätsbegriff und den Begriff der Gelegenheitsursache – besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten zukommen, die der Beklagte ihr zumisst. Damit scheidet auch eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aus.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 i.V.m. Ziffer 10.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Mit diesem gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbaren Beschluss wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben