Verwaltungsrecht

Wettbüro im Mischgebiet

Aktenzeichen  9 ZB 15.1216

Datum:
2.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 113654
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 3

 

Leitsatz

Wenn nahezu auf jedem Grundstück eine gewerbliche Nutzung in den Erdgeschossen mit einer darüber liegenden Wohnbebauung anzutreffen ist und deshalb ein faktisches Mischgebiet vorliegt, fehlt es jedenfalls an dem nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO zu fordernden Gebietsteil innerhalb eines Mischgebiets, der „überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt“ ist (vgl. BVerwG BauR 2005, 1886). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 13.2205 2015-04-30 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 14.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. November 2013, mit dem er unter Androhung eines Zwangsgelds verpflichtet wird, die Nutzung von Räumlichkeiten als Wettbüro aufzulassen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. April 2015 in der Sache abgewiesen. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
Das Verwaltungsgericht geht vom Vorliegen eines faktischen allgemeinen Wohngebiets aus, es verneint die allein entscheidungserhebliche „offensichtliche Genehmigungsfähigkeit“ des ohne die erforderliche Baugenehmigung aufgenommenen Betriebs des Wettbüros aber auch dann, wenn die Umgebungsbebauung als Mischgebiet oder als durch Wohnnutzung dominierte Gemengelage gewertet würde. Dies ist nicht ernstlich zweifelhaft.
a) Die Kritik des Klägers an den Feststellungen und Bewertungen des Verwaltungsgerichts zur näheren Umgebung und zur Gebietsart lässt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils erkennen.
aa) Die vom Kläger geltend gemachte Einsehbarkeit zweier Spielhallen auf der Seite des J …-Friedhofs (südlich der J …straße) von den Randbereichen der vom Verwaltungsgericht festgestellten maßgeblichen näheren Umgebung (nördlich der J …straße) aus lässt keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Sachverhaltswürdigung aufkommen. Denn das Verwaltungsgericht hat der J …straße als stark frequentierten Verkehrsachse zur gegenüberliegenden südlichen Straßenseite eine trennende Wirkung beigemessen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass eine Straße – zumal auch eine Hauptstraße – sowohl eine trennende als auch verbindende Wirkung haben kann (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1.00 – juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – NVwZ 1995, 698 = juris Rn. 15). Das Zulassungsvorbringen zeigt aber nicht auf, weshalb die Bewertung des Verwaltungsgerichts im konkreten Fall nicht zutreffend oder wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sein soll, insbesondere welche tatsächlichen Verhältnisse dafür sprechen, dass die J …straße zwischen der südlich gelegenen Bebauung und Nutzung zum nördlich gelegenen Straßengeviert K …weg (beidseits), L …straße, P … Straße, J …straße (nördlich) eine verbindende Wirkung haben sollte. Da das Wettbüro des Klägers nicht an der J …straße anliegt, bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Prägung des klägerischen Wettbüros durch die auf der Südseite der J …straße gelegenen Spielhallen. Im Verlauf des K …wegs, in dem das Wettbüro des Klägers betrieben wird, hat das Verwaltungsgericht die beiderseitige Bebauung in den Blick genommen.
bb) Hiervon ausgehend führt auch die Annahme des Klägers, wonach ein faktisches Mischgebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO vorliege, das sich in dem „hier in Augenschein genommenen Gebietsteil als überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt“ darstelle, nicht zur Zulassung der Berufung.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, „auch wenn man die Umgebungsbebauung als Mischgebiet qualifizieren wollte, wäre das Vorhaben nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO nicht zulässig, da der maßgebliche Gebietsteil, mithin die Umgebungsbebauung des streitgegenständlichen Vorhabens nicht überwiegend durch gewerbliche Nutzung, sondern durch Wohnbebauung geprägt ist“. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
Soweit es die maßgebliche Bebauung nördlich der J …straße betrifft, führt die klägerische Wertung, „nahezu jedes in Augenschein genommene Grundstück ist im Erdgeschoss durch gewerbliche Nutzungen charakterisiert und geprägt“, nicht zur Zulassung der Berufung. Träfe es tatsächlich zu, dass nahezu auf jedem Grundstück eine gewerbliche Nutzung in den Erdgeschossen mit einer darüber liegenden Wohnbebauung anzutreffen ist und deshalb ein faktisches Mischgebiet vorliegt, fehlte es jedenfalls an dem nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO zu fordernden Gebietsteil innerhalb eines Mischgebiets, der „überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt“ ist (vgl. BVerwG, B.v. 13.6.2005 – 4 B 36.05 – BauR 2005, 1886 = juris Rn. 4). Maßgeblich ist deshalb nicht, ob ein „Mischgebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO vorliegt, das überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt ist“, wie der Kläger auch ausführt, sondern ob ein faktisches Mischgebiet vorliegt, das in dem Teil, in dem die Vergnügungsstätte ausgeführt werden soll, überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt ist (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO). Dass im Bereich des klägerischen Wettbüros die gewerbliche Nutzung überwiegen würde, also im Verhältnis zur sonst vorhandenen gewerblichen Nutzung nördlich der J …straße gehäuft vorzufinden wäre, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht dargelegt.
cc) Das Vorbringen des Klägers, die in den Obergeschossen anzutreffende Wohnnutzung trete (gegenüber der gewerblichen Erdgeschossnutzung) optisch deutlich zurück, ist angesichts der Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Augenschein aber auch der mit Schriftsatz vom 25. März 2014 vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Fotografien (Anlage K4, Bilder Nr. 12 mit Nr. 20) kaum nachzuvollziehen, lässt aber erkennen, dass die Wettbüronutzung des Klägers jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgeht.
dd) Das weitere Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht setze sich nicht mit der mangelnden Ausübung des Ausnahmeermessens durch die Beklagte nach § 6 Abs. 3 BauNVO auseinander (vgl. auch Schriftsatz vom 24.9.2015), führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Ist ein Vorhaben nur im Weg der Ausnahme nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB, § 6 Abs. 3 BauNVO zulassungsfähig, kann von einer „offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit“ nicht mehr die Rede sein (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 13; ebs. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 31 m.w.N.).
b) Soweit der Kläger die Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Augenscheinstermin beanstandet, weil es zur Bestätigung des vorgefundenen äußeren Eindrucks von Wohnnutzungen in den oberen Geschossen auch auf die Klingelschilder Bezug genommen und bloße Mutmaßungen angestellt habe, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts hergeleitet. In diesen Fällen wird ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird. Entspricht das Vorbringen diesen Anforderungen, kommt eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2015 – 9 ZB 15.944 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Die Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2017 – 9 ZB 14.626 – juris Rn. 22 m.w.N.). Daran gemessen führt die Aufklärungsrüge des Klägers nicht zur Zulassung der Berufung. Der Kläger hat nicht dargelegt, welche anderen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und dass vonseiten des anwaltlich vertretenen Klägers im Augenscheinstermin oder in der mündlichen Verhandlung auf eine vertiefte Tatsachenfeststellung durch das Verwaltungsgericht hingewirkt worden wäre.
Im Übrigen sind Namens- oder Firmenangaben auf Klingelschildern zwar kein unumstößlicher Beweis für eine bestimmte ausgeübte Nutzung, sie geben aber in aller Regel einen zur Bestimmung der Gebietsart zureichenden äußeren Anhalt für die aktuell ausgeübte Nutzung.
c) Von Vorstehendem abgesehen hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass eine abschließende Aussage über die materielle Rechtmäßigkeit des Vorhabens bereits deshalb ausscheidet, weil es mangels Vorliegens von Bauantragsunterlagen mit einer detaillierten Betriebsbeschreibung an einer eindeutigen und prüffähigen Darstellung des Vorhabens fehlt, anhand dessen die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens zu prüfen wäre. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
2. Die geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor
a) Der zu beurteilende Sachverhalt weist entgegen der Annahme des Klägers keine Besonderheiten auf, die über das bei der Feststellung und Bewertung der baulichen Nutzung in der näheren Umgebung sowie deren Abgrenzung normale Maß hinausgehen würden. Eine besondere tatsächliche Schwierigkeit ergibt sich auch nicht aus den Gründen des angefochtenen Urteils oder aus der Niederschrift zum Augenscheinstermin. Insbesondere durfte das Verwaltungsgericht offen lassen, ob ein allgemeines Wohngebiet, ein Mischgebiet oder eine durch Wohnnutzung dominierte Gemengelage vorliegt, weil es nur der Frage nachgehen musste, ob das Wettbüro des Klägers „offensichtlich genehmigungsfähig“ ist. Dies hat das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung verneint. Auf die vorstehenden Ausführungen zu den geltend gemachten ernstlichen Zweifeln an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird insoweit verwiesen.
b) Dass es nicht immer einfach ist, ein faktisches allgemeines Wohngebiet gegenüber einem faktischen Mischgebiet abzugrenzen, trifft zu (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1.00 – juris Rn. 34). Dies führt aber noch nicht auf besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache hin, die erst dann vorliegen, wenn die Rechtssache Probleme aufwirft, die das Verfahren in seinem Schwierigkeitsgrad von den in der verwaltungsgerichtlichen Praxis regelmäßig zu entscheidenden Streitsachen abheben (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124 Rn. 28 m.w.N.). Die Feststellung, ob die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete entspricht, ist demgegenüber eine tatrichterliche Aufgabe, die zu den in der verwaltungsgerichtlichen Praxis regelmäßig zu entscheidenden Streitsachen gehört.
Davon abgesehen führen selbst schwierige Fragen nur zur Zulassung der Berufung, wenn sie entscheidungserheblich sind (vgl. Rudisile a.a.O.). Das ist hier nicht der Fall, denn das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Wettbüro des Klägers auch dann planungsrechtlich unzulässig wäre, wenn es in einem faktischen Mischgebiet oder in einer durch Wohnnutzung dominierten Gemengelage liegen würde und dass sich die gegenständliche Nutzung „somit nicht als offensichtlich genehmigungsfähig“ darstellt. Insoweit stellt sich die Frage nicht, ob die vonseiten des Klägers genannten gewerblichen und freiberuflichen Nutzungen der Gebietsversorgung dienen.
c) Soweit der Kläger besondere tatsächliche und/oder rechtliche Schwierigkeiten darin sieht, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil umfassend begründet hat, weshalb es das Wettbüro des Klägers als Vergnügungsstätte bewertet, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auf Frage des Gerichts erklären ließ, „dass hinsichtlich des Gegebenseins einer Vergnügungsstätte keine Zweifel bestünden, d.h. klägerseits wird nicht bestritten, dass es sich um eine Vergnügungsstätte handelt“, ist schon nicht erkennbar, weshalb diese – aus Sicht des Klägers offenbar unstreitige – Bewertung besondere Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufwerfen sollte, die in einem Berufungsverfahren zu klären wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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