Verwaltungsrecht

Widerruf der Heilpraktikererlaubnis

Aktenzeichen  21 CS 19.2278

Datum:
18.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4621
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
1. DVO-HeilprG § 2 Abs. 1 S. 1 lit. f
BayVwVfG Art. 44, Art. 46
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
StPO § 359

 

Leitsatz

1. Hatte das Landratsamt hinsichtlich der für einen Widerruf der Erlaubnis erforderlichen Voraussetzungen keinen Beurteilungsspielraum, ist die unterbliebene Anhörung des Gutachterausschusses für die Widerrufsentscheidung ohne Einfluss. (Rn. 13) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Die in einem rechtskräftigen Strafurteil enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen dürfen regelmäßig zur Grundlage der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Beurteilung eines Widerrufs der Heilpraktikererlaubnis wegen Unzuverlässigkeit gemacht werden. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn sich gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben. (Rn. 17) (red. LS Alexander Tauchert)
3. Allein der Einwand, der Antragsteller sei jahrzehntelang völlig unbeanstandet seiner Tätigkeit nachgegangen, ist nicht geeignet, die für die Feststellung der beruflichen Unzuverlässigkeit erforderliche Prognose zu widerlegen, dass er keine hinreichende Gewähr dafür bietet, in Zukunft seinen Beruf als Heilpraktiker ordnungsgemäß auszuüben. (Rn. 19) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

RN 5 S 19.1784 2019-10-28 VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der am … … 1943 geborene Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage, die er gegen den Widerruf seiner Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein (Heilpraktikererlaubnis), erhoben hat.
Das Amtsgericht … verurteilte den Antragsteller mit Urteil vom 29. November 2017, rechtskräftig seit dem 7. Dezember 2017, wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in Tateinheit mit sexuellem Übergriff (§ 174c Abs. 1, § 177 Abs. 1, § 184h Nr. 1, § 52 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt und mit Beschluss vom 29. November 2017 eine Bewährungszeit von 3 Jahren bestimmt. Wegen des der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf Nr. II. des Strafurteils verwiesen.
Nach Anhörung des Antragstellers widerrief das Landratsamt … mit Bescheid vom 25. Juli 2019 dessen Heilpraktikererlaubnis (Nr. 1), bestimmte, dass der Widerruf mit Ablauf des 31. Oktober 2019 und im Fall der Aussetzung der Vollziehung mit Ablauf einer Frist von zwei Wochen nach erneuter Vollziehbarkeit bzw. Bestandskraft des Bescheids wirksam wird (Nr. 2) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an. Des Weiteren wurde dem Antragsteller aufgegeben, die Erlaubnisurkunde im Original innerhalb einer Woche nach Ablauf des in Nr. 2 genannten Zeitpunkts an das Landratsamt zurückzusenden (Nr. 4).
Der Antragsteller hat am 24. September 2019 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erhoben und am 4. Oktober 2019 vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 28. Oktober 2019 abgelehnt. Dagegen richtet sich die am 11. November 2019 eingelegte Beschwerde.
II.
1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) hat keinen Erfolg.
Das zur Begründung der Beschwerde fristgerecht Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
1.1 Mit der Beschwerde wird vergeblich eingewendet, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei deshalb formell rechtswidrig, weil der Gutachterausschuss dazu nicht angehört wurde.
Nach der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz (1. DVO-HeilprG) vom 18. Februar 1939 (in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2122-2-1, veröffentlichten bereinigten Fassung), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191, 3219) ist der Ausschuss lediglich vor der Entscheidung über den Widerspruch gegen einen Bescheid der Kreisverwaltungsbehörde (§ 3 Abs. 3 Satz 2 der 1. DVO-HeilprG) und vor der Zurücknahme (Widerruf) der Erlaubnis (§ 7 Abs. 3 der 1. DVO-HeilprG) anzuhören. Mithin ist der Ausschuss lediglich dann zu beteiligen, wenn es darum geht, ob die für eine Erteilung der Heilpraktikererlaubnis nach § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilprG erforderlichen Voraussetzungen bestehen (§ 3 Abs. 3 der 1. DVO-HeilprG) oder nachträglich entfallen sind (§ 7 Abs. 3 der 1. DVO-HeilprG), nicht aber dann, wenn es darum geht, ob das von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung vorausgesetzte öffentliche Interesse besteht.
1.2 Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass von der im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung getroffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts abzuweichen, die gegen den Widerruf der Heilpraktikererlaubnis gerichtete Klage werde sehr wahrscheinlich keinen Erfolg haben.
1.2.1 Der Bevollmächtigte des Antragstellers rügt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass nach der Regelung des Art. 46 BayVwVfG wegen einer etwaigen Verletzung der Beteiligungsrechte des Gutachterausschusses die Aufhebung des Widerrufsbescheids nicht verlangt werden könne. Er meint, es sei nicht offensichtlich, dass dieser Verfahrensverstoß die Entscheidung in der Sache unbeeinflusst gelassen habe. Gerade die Beteiligungsrechte des Gutachterausschusses nach der Ersten Heilpraktikerdurchführungsverordnung dienten dazu, eine Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess sicherzustellen. Eine solche Einflussnahme sei auch möglich, weil der Gutachterausschuss zu der hier im Raum stehenden Prognoseentscheidung etwas hätte beitragen können. Auch wenn eine gebundene Entscheidung vorliege, seien im Rahmen der anzustellenden Prognose und der Verhältnismäßigkeitsprüfung Argumente zu beurteilen und zu gewichten, die für oder gegen die Wahrscheinlichkeit weiterer Pflichtverletzungen und die Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit sprächen.
Das greift nicht durch. Nach Art. 46 BayVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Bei gebundenen Entscheidungen ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verfahrensfehler offensichtlich ohne Einfluss auf die Entscheidung ist, weil sie der Behörde rechtlich keinen Entscheidungsspielraum belassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2007 – 11 ZB 07.680 – juris Rn. 7; Emmenegger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 46 Rn. 79 ff. m.w.N.).
Eine gebundene Entscheidung liegt hier vor. Nach § 7 der 1. DVO-HeilprG ist die Erlaubnis (zwingend) zurückzunehmen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die deren Versagung nach § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilprG rechtfertigen würden, wenn sich also – soweit hier einschlägig – nachträglich aus Tatsachen ergibt, dass dem Heilpraktiker die Zuverlässigkeit fehlt, insbesondere wenn schwere strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen vorliegen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f der 1. DVO-HeilprG). Die unterbliebene Anhörung des Gutachterausschusses ist mithin für die Widerrufsentscheidung ohne Einfluss. Das Landratsamt hatte auch hinsichtlich der für einen Widerruf der Erlaubnis erforderlichen Voraussetzungen keinen Beurteilungsspielraum, denn es unterliegt der umfassenden gerichtlichen Überprüfung, ob die vorhandenen Tatsachen auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Annahme rechtfertigen, dass dem Betroffenen die berufliche Zuverlässigkeit fehlt.
Es ist im Übrigen weder dargelegt noch offenkundig, dass es sich bei der nach § 7 Abs. 3 der 1. DVO-HeilprG vor einem Widerruf der Heilpraktikererlaubnis erforderlichen Anhörung des Gutachterausschusses um ein absolutes Verfahrensrecht handelt, dessen Verletzung entgegen der durch Art. 46 BayVwVfG vorgegebenen Regel zu einem Anspruch auf Aufhebung eines lediglich formell rechtswidrigen Erlaubniswiderrufs führt (vgl. dazu Emmenegger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 46 Rn. 111).
1.2.2 Der Bevollmächtigte des Antragstellers macht geltend, der Widerrufsbescheid sei materiell rechtswidrig.
a) Er führt aus, dass im erstinstanzlichen Verfahren auf die Widersprüche hingewiesen worden sei, die der Antragsteller in den Aussagen der im Strafverfahren vernommenen Zeugen aufgedeckt habe, und wiederholt dazu im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen.
Das führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Die in einem rechtskräftigen Strafurteil enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen dürfen regelmäßig zur Grundlage der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Beurteilung eines Widerrufs der Heilpraktikererlaubnis wegen Unzuverlässigkeit gemacht werden. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn sich gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn Wiederaufnahmegründe im Sinn des § 359 StPO vorliegen, wenn der Verwaltungsbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder die Verwaltungsbehörde bzw. das Verwaltungsgericht die entscheidungserheblichen, aber strittigen Tatsachen ausnahmsweise besser als das Strafgericht oder die Strafverfolgungsbehörden aufzuklären in der Lage sind (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 5; B. v. 20.9.2012 – 3 B 7.12 – juris Rn. 8; B.v.10.3.1997 – 6 B 72.96 – juris Rn. 9).
Solche gewichtigen Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der dem Urteil des Amtsgerichts … zugrunde liegenden Feststellungen ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht. Die Beschwerde wiederholt insoweit im Wesentlichen lediglich die bereits im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwände. Das Verwaltungsgericht hat sich damit in dem angegriffenen Beschluss ausführlich und in überzeugender Weise befasst (BA S. 11 ff). Die Beschwerde setzt sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht konkret auseinander und legt so nicht dar, dass und aus welchen Gründen sie die verwaltungsgerichtliche Entscheidung als fehlerhaft erachtet.
b) Allein der Einwand, der Antragsteller sei jahrzehntelang völlig unbeanstandet seiner Tätigkeit nachgegangen, ist nicht geeignet, die für die Feststellung der beruflichen Unzuverlässigkeit erforderliche Prognose zu widerlegen, dass er keine hinreichende Gewähr dafür bietet, in Zukunft seinen Beruf als Heilpraktiker ordnungsgemäß auszuüben. Denn schon ein einmaliges Fehlverhalten kann geeignet sein, den Schluss auf eine berufliche Unzuverlässigkeit zu rechtfertigen (vgl. dazu BVerwG, B.v. 10.12.1993 – 3 B 38.93 – juris Rn. 3). Im Übrigen ist es angesichts des hohen Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die auf die berufliche Zuverlässigkeit bezogene Prognose des Verwaltungsgerichts negativ ausfällt. Denn bei der gebotenen summarischen Prüfung ist auf der Grundlage des die strafrechtliche Verurteilung tragenden Sachverhalts davon auszugehen, dass der Antragsteller zulasten einer Patientin grundlegende berufliche Pflichten in derart schwerwiegender Weise verletzt hat, dass er im maßgebenden Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung nicht die Gewähr für eine künftig ordnungsgemäße Berufsausübung bot.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei die in Anlehnung an Nr. 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (abgedr. in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) mit 15.000,00 Euro zu bewertende Bedeutung der Sache im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert wird (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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