Verwaltungsrecht

Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage aufgrund erstinstanzlicher Stattgabe in der Hauptsache

Aktenzeichen  M 17 S 17.3002

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5 S. 1
BayVwZVG BayVwZVG Art. 21a

 

Leitsatz

1 Die in der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe liegende Sicherung vorläufigen Rechtsschutzes gehört zu den wesentlichen Elementen des Rechtsschutzes überhaupt. Im Hinblick auf diese Gewährleistung ist für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein besonderes öffentlichen Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgehen muss, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (Verweis auf BayVGH BeckRS 2013, 50895). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat die Klage in der Hauptsache Erfolg, ist ihre aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 17 K 16.5268) wird hinsichtlich Nrn. 1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2016 wiederhergestellt und hinsichtlich Nr. 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2016 angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 7.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Befristung ihrer gewerblichen Alttextiliensammlung im Landkreis Weilheim-Schongau.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des Urteils vom 27. Juli 2017 im Hauptsacheverfahren, Az. M 17 K 16.5268, verwiesen.
Mit Schreiben vom 21. November 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tage eingegangen, erhob die Antragstellerin Klage (M 17 K 16.5268) und beantragte mit Schriftsatz vom 31. Januar 2017 zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts seien alle sich ereignenden Veränderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, d.h. der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache in der zweiten Instanz, zu berücksichtigen. Da im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens eine mündliche Verhandlung nicht stattfinde, könnten nicht alle Veränderungen berücksichtigt werden. Zudem werde auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. März 2014 (Az. 10 S 1127/13 – juris Rn. 64-67) verwiesen.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Durch den angeordneten Sofortvollzug werde der Klägerin nicht das Recht entzogen, gewerbliche Sammlungen im Landkreis durchzuführen. Die Durchführung werde lediglich beschränkt, sodass die Antragstellerin trotz der Anordnung des Sofortvollzugs mit den Sammlungen im Landkreis in dem im Bescheid festgelegten Umfang beginnen könne.
Mit Beschluss vom 5. Juli 2017 wurde der Landkreis zum Verfahren M 17 S. 17.3002 beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 17 S. 17.3002 und M 17 K 16.5268 und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der zulässige Antrag ist begründet
1. Die Antragstellerin begehrt sinngemäß die Aussetzung des Sofortvollzugs der Befristungsverfügung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage insoweit bzw. durch Anordnung der nach Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung der Klage, soweit sie sich gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids richtet.
2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 des Bescheides des Landratsamts vom 17. Oktober 2016 entspricht den sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden formellen Anforderungen.
Die Begründung des Sofortvollzugs erfordert insbesondere auf den Einzelfall bezogene, konkrete Gründe, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen. Eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts ist nicht ausreichend. Allerdings dürfen keine allzu hohen Anforderungen an die Begründungspflicht gestellt werden (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Die Begründung soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl. 1999, 465; VG Würzburg, B.v. 22.5.2013 – W 4 S. 13.327 – juris Rn. 24).
Vorliegend hat das Landratsamt hinreichend einzelfallbezogen und insbesondere nicht nur floskelhaft dargelegt, dass es ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids annimmt: Die Anordnung des Sofortvollzugs sei zur Sicherstellung bzw. Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Landkreises als öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) erforderlich. Das Interesse der Antragstellerin ergebe sich primär aus dem Aspekt, im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Im Hinblick auf das überwiegende öffentliche Interesse habe das private Interesse der Antragstellerin zurückzutreten.
Diese Begründung macht deutlich, dass die Behörde sich den Ausnahmecharakter der Anordnung des Sofortvollzugs vor Augen geführt hat, das Begründungserfordernis also seiner Warnfunktion gerecht geworden ist. Ob sie ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung zu Recht angenommen hat und die Begründung auch in inhaltlicher Hinsicht zu überzeugen vermag, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.
3. Die aufschiebende Wirkung der Klage war wiederherzustellen bzw. anzuordnen, da die Klage der Antragstellerin Erfolg hat (vgl. VG München, U.v. 27.7.2017 – M 17 K 16.5268).
Nach dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung. Sie entfällt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ausnahmsweise dann, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse besonders angeordnet wird. Auszugehen ist davon, dass die grundsätzlich durch Widerspruch und Klage herbeigeführte aufschiebende Wirkung ein Wesensmerkmal gewährleisteten Verwaltungsrechtsschutzes ist. Ohne aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage würde der Verwaltungsrechtsschutz häufig hinfällig werden, weil bei einer sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes in vielen Fällen von der Verwaltung vollendete Tatsachen geschaffen würden, die auch dann nicht oder jedenfalls nur schwer wieder rückgängig gemacht werden könnten, wenn der Betroffene mit seinem Rechtsmittel letzten Endes Erfolg hat. Die in der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe liegende Sicherung vorläufigen Rechtsschutzes gehört daher zu den wesentlichen Elementen des Rechtsschutzes überhaupt. Im Hinblick auf diese Gewährleistung ist für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein besonderes öffentlichen Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgehen muss, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2013 – 20 AS 13.700 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen, sofern das Interesse des Betroffenen, von der Vollziehung des belastenden Verwaltungsakts bis zur Klärung seiner Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung übersteigt. Das Gericht hat hierbei nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Bei der danach erforderlichen Abwägung der Interessen sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen, soweit sie bei summarischer Prüfung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt werden können. Ergibt die Überprüfung der Erfolgsaussichten, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer reinen Interessenabwägung.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Hauptsache Erfolg hat. Diesbezüglich wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des VG München vom 27. Juli 2017 im Hauptsacheverfahren M 17 K 16.5268 Bezug genommen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, dürfen ihm keine Kosten auferlegt werden (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Mangels erfolgreichen Antrags des Beigeladenen entspricht es auch der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
5. Der Streitwert bemisst sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 1.7.2 und 2.4.2. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013). Der Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 28.6.2017 – 20 B 17.381 – juris Rn. 4) geht hinsichtlich der Befristung vom Auffangstreitwert und hinsichtlich der Auflagen von einem Streitwert von jeweils 2.000,- Euro aus. Die Anordnung zur Entfernung der Altkleidercontainer (1.2 des Bescheides) war dabei ebenfalls in Höhe des Auffangwertes zu bemessen.


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