Verwaltungsrecht

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung

Aktenzeichen  S 38 KA 652/16 ER

Datum:
5.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BayUniKlinG BayUniKlinG Art. 1 Abs. 2
Ärzte-ZV Ärzte-ZV § 31 Abs. 2, § 31a
SGG SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2
BMV-Ä BMV-Ä § 5 Abs. 1
SGB V SGB V § 97 Abs. 4, § 106, § 117
SGB X SGB X § 35
GG GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Begründung für die Entscheidung der Erteilung einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung muss den Anforderungen des § 35 SGB X genügen. Sie muss konkret und substantiiert darlegen, aus welchen Gründen ein Anspruch auf Ermächtigung nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV iVm § 5 BMV-Ä besteht und welche besonderen öffentlichen Interessen eine sofortige Vollziehung nahelegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, aus der sich auch der Vorrang der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ergibt. (redaktioneller Leitsatz)
3 Sinn und Zweck der Vorschrift des § 117 Abs. 1 S. 1 SGB V besteht in einer besseren Verzahnung des ambulanten mit dem stationären Bereich, in der Einbindung von Einrichtungen, in denen Forschung und Lehre betrieben wird, in der Vermeidung der Vorhaltung nicht genutzter Kapazitäten sowie der Nutzung des in Hochschuleinrichtungen vorhandenen speziellen Fachwissens, ohne dass es einer förmlichen Ermächtigung bedarf. Nicht relevant ist, ob ein Institut der Universität der Hochschulklinik zugeordnet ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Auf Antrag der Antragstellerin wird die aufschiebende Wirkung der Klage unter dem Aktenzeichen S 38 KA 654/16 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin (Beschluss vom 23.06.2016, Az.) wieder hergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Mit dem beim Sozialgericht München eingelegten Antrag begehrt die Klägerin/Antrags-stellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Beklagten/Antragsgegner (Beschluss vom 23.06.2016, Az.).
Inhalt des Bescheides war nach Widerspruch des Beigeladenen die Aufhebung des Beschlusses des Zulassungsausschusses Ärzte-Bayern vom 09.12.2015 und Erteilung der Ermächtigung zugunsten des Beigeladenen, Pathologe und Direktor des pathologischen Instituts der Universität A-Stadt gemäß § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BMV-Ä. Die Ermächtigung, befristet bis 31.12.2017, wurde beschränkt auf bestimmte histologische, zytologische, zytogenetische und molekulargenetische Leistungen auf Überweisung durch Vertragsärzte sowie im medizinischen Versorgungszentrum tätige Ärzte. Die Erbringung und Abrechnung der ermächtigten Leistungen wurde auf 1.200 Fälle pro Quartal begrenzt. Zur Begründung trug der Antragsgegner vor, Träger des pathologischen Instituts sei die …-Universität und nicht das Universitätsklinikum. Die Pathologie sei nicht dem Klinikum unterstellt worden, sondern sei seit dem 01.10.1999 organisatorisch der Universität A-Stadt zugeordnet (vgl. Art. 1 Abs. 2 BayUniKlinG). Dies habe zur Folge, dass das pathologische Institut gerade nicht kraft Gesetzes zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung von Versicherten gemäß § 117 SGB V ermächtigt sei. Der Normgeber habe keine Klarheit darüber geschaffen, ob bei der Konstellation des vom Beigeladenen geleiteten pathologischen Instituts eine Institutsermächtigung nach § 117 SGB V vorliege. Eine baldige Klärung der Rechtsfrage sei aus Sicht des Berufungsausschusses dringend geboten. Das pathologische Institut sei auch kein Krankenhaus, so dass der Beigeladene auch kein Krankenhausarzt sei und deshalb die Regelungen des § 106 SGB V und § 31a Ärzte-ZV nicht anwendbar seien. Der Beigeladene habe aber einen Anspruch auf eine Ermächtigung gemäß § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BMV-Ä. Der Berufungsausschuss habe insgesamt 21 Praxen befragt, wovon 15 Praxen geantwortet hätten. Zwölf Praxen hätten sich zum Erfordernis einer Ermächtigung für den Beigeladenen nicht geäußert, drei Praxen hätten sich für eine Ermächtigung ausgesprochen.
Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, dass vorliegend eine quantitative Versorgungslücke im Hinblick auf den Versorgungsgrad von 122,7% nicht bestehe. Im Bescheid des Antragsgegners wird ferner ausgeführt, die vom Beigeladenen begehrten Leistungen würden von den niedergelassenen Pathologen erbracht, die jedoch nicht über ausreichend freie Kapazitäten verfügten (wird näher ausgeführt). Nach Überzeugung des Berufungsausschusses seien im Ergebnis nicht so viele freie Kapazitäten vorhanden, dass die vom Beigeladenen durchschnittlich pro Quartal erbrachten 1.288 Fälle (Durchschnitt in den Quartalen 1/2015-4/1015) von den niedergelassenen Vertragsärzten aufgefangen werden könnten. Auch durch das entsprechende Institut der Universität E. – dort bestehende gesetzliche Ermächtigung nach § 117 SGB V – ergebe sich keine im Ergebnis gesicherte Abdeckung bestehenden Bedarfs.
Was den Antrag des Beigeladenen auf Anordnung des Sofortvollzugs betreffe, sei diesem stattzugeben. Denn es bestehe ein feststellbares, besonderes öffentliches Interesse, das noch über das öffentliche Interesse an der Sachentscheidung selbst hinausgehe. Der Beigeladene habe im Termin besonders eilbedürftige Einzelfälle zur fachlichen Beurteilung durch ihn geltend gemacht und geschildert. Den Grundrechtspositionen aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG der Versicherten Rechnung tragend bedürfe es einer kurzfristig wirksam werdenden weiteren Einbeziehung des Beigeladenen persönlich in die ambulante Versorgung.
Zuvor hatte der Zulassungsausschuss Ärzte-Bayern den Antrag des Beigeladenen auf Ermächtigung abgelehnt. Dem Antrag auf Ermächtigung nach § 116 SGB V in Verbindung mit § 31a Ärzte-ZV stehe bereits entgegen, dass der Beigeladene nicht an einem Krankenhaus im Sinne dieser Vorschrift tätig sei. Der Zulassungsausschuss Ärzte-Bayern ging von einer Ermächtigung des pathologischen Instituts nach § 117 SGB V aus. Diese Ermächtigung sei für die Bedarfsdeckung zu berücksichtigen und stehe der Annahme eines qualitativen Versorgungsbedarfs und damit der von dem Beigeladenen begehrten erneuten persönlichen Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss entgegen.
Die Antragstellerin führte in ihrer Begründung aus, Ihres Erachtens lägen die notwendigen Voraussetzungen für eine Ermächtigung nicht vor. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei schon deshalb rechtswidrig, weil der Antragsteller nicht der besonderen Begründungspflicht nachgekommen sei. Es bedürfe einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darstellung der wesentlichen Erwägungen, warum aus der Sicht des Antragsgegners gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben sei. Genüge es schon nicht für die Entscheidungen über die Ermächtigung von Krankenhausärzten nach § 116 SGB V in Verbindung mit § 31a Ärzte-ZV, darauf zu verweisen, dass die Umsetzung des Bescheides keinen Aufschub dulde, treffe dies erst recht für eine Ermächtigung aufgrund des nachrangigen § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV zu. Notwendig sei ein zusätzliches öffentliches Interesse. Ebenfalls sei es unzureichend, das zusätzliche öffentliche Interesse damit begründen zu wollen, die Versicherten bedürften unbedingt der fachlichen Betreuung ausgerechnet durch den Beigeladenen. Auch sei nicht erkennbar, mit welchen Erwägungen der Antragsgegner sich über das vom Gesetzgeber vorgegebene Regel-Ausnahme-Verhältnis hinweggesetzt habe. Im Übrigen habe offensichtlich der Antragsgegner selbst Zweifel daran, ob nicht doch das pathologische Institut der Universität A-Stadt nach § 117 SGB V ermächtigt sei und deshalb die persönliche Ermächtigung des Beigeladenen daran scheitern könne.
Auch würden die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren überwiegen – gegen den Bescheid des Berufungsausschusses vom 09.12.2015 wurde von der Antragstellerin Klage zum Sozialgericht München eingelegt, welche unter dem Aktenzeichen S 38 KA 654/16 geführt wird-. So habe der Antragsgegner den Vorrang der niedergelassen Vertragsärzte nicht beachtet. Bestünden rechtlich begründete Zweifel, ob nicht doch von einer Institutsermächtigung nach § 117 Abs. 1 SGB V auszugehen sei, hätte die Antragsgegnerin dies im Rahmen des Abwägungsprozesses berücksichtigen und in Konsequenz ein öffentliches Interesse am Sofortvollzug verneinen müssen. Abgesehen davon habe die dem Beigeladenen erteilte Ermächtigung keine Rechtsgrundlage in der Regelung des § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV. Denn eine solche Ermächtigung diene lediglich der „Schließung von Versorgungslücken bei spezialisierten Einzelleistungen“, nicht jedoch für „umfangreiche Ermächtigungen für alle ärztlichen Leistungen eines Teil-oder Schwerpunktgebietes in Form einer Katalogermächtigung“. Des Weiteren habe der Antragsgegner ohne nähere Angabe von Gründen das Leistungsangebot an der Universitätsklinik E. nicht gewürdigt, insbesondere nicht dargestellt, „welche speziellen Leistungen das sein sollen, und warum diese nicht an der Universitätsklinik in E. durchgeführt werden können“.
In Erwiderung vertrat die Antragsgegnerin die Auffassung, sie habe sehr wohl die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausreichend begründet. Im Termin der Verhandlung vor dem Berufungsausschuss am 23.6.2016 habe sich der Sitzungsvertreter der Antragstellerin aus eigener Anschauung dazu ein Bild machen können.
Vorgreifliche Rechtsfrage, von der Antragstellerin nicht erörtert, sei, welche Reichweite die Vorschrift des § 117 Abs. 1 SGB V habe. Diese Norm sei im Jahr 2015 mehrfach geändert worden. Seien die Voraussetzungen für eine vorrangige gesetzliche Ermächtigunghier als Institutsermächtigungvorliegend, dann sei kein Raum für eine persönliche Ermächtigung. Umgekehrt, lägen die Voraussetzungen für eine vorrangige gesetzliche Ermächtigung – hier als Institutsermächtigungnicht vor, dann komme eine persönliche Ermächtigung in Betracht.
Die Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen machte geltend, der Beigeladene sei sehr wohl der besonderen Begründungspflicht nachgekommen, indem er in der Verhandlung vor dem Berufungsausschuss dargestellt habe, dass es sich bei den von ihm beantragten Leistungen nicht im Standardleistungen handle, sondern um ärztliche Leistungen, bei deren Erbringung die spezielle Expertise und Erfahrung des begutachtenden Arztes einen hohen Stellenwert habe. In dem Zusammenhang wies die Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen auf die dem Schriftsatz beigefügte eidesstattliche Erklärung des Beigeladenen vom 30.08.2016 hin. Die Klärung der Rechtsfrage hinsichtlich der möglichen gesetzlichen Ermächtigung des pathologischen Instituts nach § 117 SGB V ändere nichts am besonderen öffentlichen Interesse, insbesondere der Sicherstellung der Versorgung eilbedürftiger Patientenfälle. Anders, als von der Antragstellerin dargestellt, seien auch die Erfolgsaussichten der Klage einzuschätzen. So habe der Antragsgegner die Vorgaben des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 1. Juli 1998, Az B 6 KA11/98 R) und den Vorrang der niedergelassenen Ärzte berücksichtigt. Nachdem bei den befragten niedergelassenen Pathologen nur sehr begrenzte freie Kapazitäten bestünden, könnten diese die bislang vom Beigeladenen erbrachte Fallzahl nicht auffangen. Was das Leistungsangebot der Universität E. betreffe, so habe das dort angesiedelte pathologische Institut andere fachliche Schwerpunkte. Dies habe zur Folge, dass seit vielen Jahren bestimmte Fälle an den Beigeladenen und nicht an die Pathologen in E. geschickt würden. Hinzu komme, dass jede Begutachtung immer ein besonderes Vertrauensverhältnis erfordere. Folglich sei die Darstellung des Antragsgegners zutreffend, wonach das Institut der Universität E. noch „keine im Ergebnis gesicherte Abdeckung des Bedarfs gewährleiste“.
Die Antragstellerin beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Beklagten (Beschluss vom 23.06.2016 Az.) wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragte sinngemäß,
den Antrag abzuweisen.
Die Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen vertrat die Auffassung, der Antragsgegner habe zu Recht den Sofortvollzug angeordnet.
Auf die Klageakte im Verfahren unter dem Aktenzeichen S 38 KA 654/16 sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten wird verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Auch bei Anordnung des Sofortvollzugs durch die Behörde nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung. In diesem Fall kann das Gericht die aufschiebende Wirkung wieder herstellen (LSG NRW, Beschluss vom 19.03.2012, Az L 11 KA 15/12 ER).
Es handelt sich hier um eine Entscheidung des Antragsgegners über die Ermächtigung des Beigeladenen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung auf der Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BMV-Ä. Er hob die vorausgegangene ablehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses auf und gab dem Antrag des Beigeladenen im Wesentlichen unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung statt. Eine Anfechtung einer solchen Entscheidung entfaltet grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dadurch, dass der Antragsgegner unter Ziff. 9. des Bescheides den Sofortvollzug nach § 86a Abs. 2 Ziff. 5 SGG anordnete, ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtung aber entfallen. Rechtsschutz kann die Antragstellerin gem. § 86b Abs. 2 Ziff. 2 SGG erlangen, indem seitens des Gerichts die aufschiebende Wirkung wieder hergestellt wird.
Vorauszusetzen für die Zulässigkeit eines solchen Antrags ist, dass die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen. Diesbezüglich bestehen keine rechtlichen Zweifel.
Im Rahmen der summarischen Prüfung der Begründetheit des Antrags sind die öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen. Bei der Abwägung der gegenteiligen Interessen sind auch die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren von Bedeutung. Leitlinie ist, dass bei einem offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakt, wenn der Betroffene in seinen subjektiven Rechten verletzt ist, das Gericht die aufschiebende Wirkung wieder herstellt. Denn am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, ist von einem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug auszugehen. Trotzdem bedarf es auch in diesem Fall eines besonderen öffentlichen Interesses an dem Sofortvollzug, wenngleich bei dieser Fallkonstellation die Anforderungen geringer sind (Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Komment. zum SGG, Rn 20b zu § 86a). Zu beachten ist auch die Wertung des Gesetzgebers. Hat der Gesetzgeber für bestimmte Fallgruppen bestimmt (§ 86a Abs. 2 Nr. 2 – 4 SGG), dass Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung entfalten, ist daraus der grundsätzliche Vorrang des Vollziehungsinteresses herzuleiten. In den übrigen Fällen entsteht durch Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). Hier kann von diesem Regel/Ausnahmeverhältnis nur abgewichen werden, wenn ein öffentliches Vollzugsinteresse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten vorliegt.
In Anwendung der o.g. Prüfungskriterien ist zu prüfen, ob das Vollziehungsinteresse das Interesse an der aufschiebenden Wirkung überwiegt.
Von einem überwiegenden Vollziehungsinteresse ist generell auszugehen, wenn die Entscheidung über die Ermächtigung nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BMV-Ä als rechtmäßig anzusehen wäre.
Nach summarischer Prüfung ist bereits fraglich, ob der angefochtene Bescheid des Berufungsausschusses den Anforderungen des § 35 SGB X genügt. Danach ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen. In dieser sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Handelt es sich um Ermessensentscheidungen, muss die Begründung auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Die Vorschrift erfordert zwar nicht, dass schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten begründet werden müssen. In dem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich die Bescheide an einen sachkundigen Personenkreis richten. Die hier jedoch angegebene, rudimentäre Begründung erfüllt nach summarischer Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht die Anforderungen an die Begründungspflicht nach § 35 SGB X. Die Begründung erschöpft sich lediglich in allgemeinen Aussagen, statt in einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung, warum aus der Sicht des Antragsgegners ein Anspruch auf Ermächtigung nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä zugunsten des Beigeladenen bestehen soll und welche besonderen öffentlichen Interessen eine sofortige Vollziehung nahelegen.
Bei der Ermächtigung nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, aus der sich auch der Vorrang der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ergibt. Danach können die Zulassungsausschüsse über die Ermächtigungstatbestände des § 31 Abs. 1 Ärzte-ZV hinaus und gemäß § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV geeignete Ärzte und in Ausnahmefällen ärztlich geleitete Einrichtungen zur Durchführung bestimmter, in einem Leistungskatalog definierter Leistungen auf der Grundlage des EBM ermächtigen, wenn dies zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich ist.
Wenn einerseits die Rede davon ist, es bestehe im Hinblick auf den Versorgungsgrad von 122,7% keine quantitative Versorgungslücke, andererseits zum Ausdruck gebracht wird, die niedergelassenen Vertragsärzte verfügten nicht über ausreichend freie Kapazitäten und durch das pathologische Institut der Universität E. ergebe sich „keine im Ergebnis gesicherte Abdeckung bestehenden Bedarfs“, woraus ein entsprechende Versorgungsbedarf für die Ermächtigung abgeleitet wird, erscheint dies widersprüchlich. Denn es fand zwar eine Umfrage bei den niedergelassenen Radiologen statt. Die Befragung von insgesamt 21 Praxen, wovon 15 Praxen geantwortet haben, zwölf davon sich nicht zum Erfordernis einer Ermächtigung geäußert haben und lediglich drei Praxen sich eine Ermächtigung ausgesprochen haben, ist kaum als aussagekräftig anzusehen. Der angefochtene Bescheid lässt auch nicht erkennen, welche Schwerpunkte das pathologische Institut in E. hat, insbesondere, ob die Versorgung der Versicherten mit den vom Beigeladenen zu erbringenden Leistungen nicht doch durch das pathologische Institut in E. auch mit sichergestellt werden kann. Unklar bleibt auch, um welche Leistungen es sich handeln soll, die nur durch den Beigeladenen aufgrund seiner speziellen Expertise und Erfahrung erbracht werden können. Hierzu finden sich keinerlei Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid. Wenn die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang auf das Vorbringen des Beigeladenen in der Sitzung vor dem Berufungsausschuss hinweist und auch geltend macht, der Vertreter der Antragstellerin sei dort auch zugegen gewesen und habe insofern die Gelegenheit gehabt, sich ein eigenes Bild davon zu machen, ersetzt dies nicht die Pflicht, in dem Bescheid konkret, substantiiert und nachvollziehbar die Gründe aufzuzeigen, die den Antragsgegner zu seiner Entscheidung bewogen haben. Erst recht vermag die dem Gericht gegenüber abgegebene „eidesstattliche Erklärung“ des Beigeladenen die ungenügende Begründung des Widerspruchsbescheides durch den Antragsgegner zu heilen, abgesehen davon, dass sich hieraus inhaltlich keine neuen Erkenntnisse, insbesondere zu den „speziellen Leistungen“ durch den Beigeladenen und/oder zu unterschiedlichen Schwerpunkten der pathologischen Institute in E. und A-Stadt ergeben.
Erhebliche Zweifel bestehen auch hinsichtlich der Begründung der sofortigen Vollziehung. In dem Zusammenhang weist die Antragsgegnerin darauf hin, der Beigeladene habe im Termin besonders eilbedürftige Einzelfälle zur fachlichen Beurteilung durch ihn geltend gemacht und geschildert. Außerdem bedürfe es einer kurzfristig wirksam werdenden weiteren Einbeziehung des Beigeladenen persönlich in die ambulante Versorgung vor dem Hintergrund der Grundrechtspositionen der Versicherten aus Art. 1 Abs. 1,2 Abs. 1 GG. Im Grunde deckt sich diese Begründung größtenteils mit der Begründung, die für die Erteilung der Ermächtigung herangezogen wurde. Der Antragsgegner übersieht dabei, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 97 Abs. 4 SGB V ein besonderes öffentliches Interesse voraussetzt, das über das öffentliche Interesse an der Erteilung der Ermächtigung hinausgeht. Entsprechend substantiierte Begründungen sind daher vorauszusetzen.
Abgesehen davon bestehen auch erhebliche Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Zutreffender Weise zieht daher der Antragsgegner in seiner Stellungnahme zum Antrag der Antragstellerin den Schluss, es sei vorrangig zu klären, ob es durch § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB V für das pathologische Institut, dem der Beigeladene als dessen Leiter vorsteht, kraft Gesetzes eine (Instituts-)Ermächtigung gibt. Liegen die Voraussetzungen nach § 117 SGB V vor, wird aus Gründen der Nachrangigkeit und auch aus Bedarfsgründen kein Raum für eine persönliche Ermächtigung des Beigeladenen vorhanden sein. Unstrittig zwischen den Beteiligten ist, dass Träger des pathologischen Instituts die …-Universität und nicht das Universitätsklinikum ist. Die Pathologie ist nicht dem Klinikum unterstellt worden, sondern seit dem 01.10.1999 organisatorisch der Universität A-Stadt zugeordnet (vgl. Art. 1 Abs. 2 BayUniKlinG).
§ 117 Abs. 1 Satz 1 SGB V regelt, dass „Ambulanzen, Institute und Abteilungen der Hochschulkliniken (Hochschulambulanzen)“ zur ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten und der in § 75 Abs. 3 genannten Personen … ermächtigt sind. Nachdem das pathologische Institut in A-Stadt nicht dem Klinikum unterstellt ist, ist dieses vom Wortlaut her kein Institut der Hochschulklinik, so dass die Vorschrift des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht anwendbar erscheint. § 117 Abs. 1 Satz 8 SGB V lautet wie folgt: „Soweit und solange kein Vertrag nach Satz drei zu Stande gekommen ist, können die Hochschulen oder Hochschulkliniken mit den Kassenärztlichen Vereinigungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen die Festlegungen nach den Sätzen 3 und 4 vereinbaren.“ Der Gesetzgeber differenziert also zwischen Hochschulen und Hochschulkliniken. Auch dies könnte dafür sprechen, dass § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB V keine Anwendung findet.
Andererseits deuten Sinn und Zweck der Vorschrift des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB V darauf hin, dass auch medizinische Institute darunter zu subsummieren sind, die nicht einer Hochschulklinik zugeordnet sind. Sinn und Zweck der Vorschrift besteht in einer besseren Verzahnung des ambulanten mit dem stationären Bereich, in der Einbindung von Einrichtungen, in denen Forschung und Lehre betrieben wird, in der Vermeidung der Vorhaltung nicht genutzter Kapazitäten sowie der Nutzung des in Hochschuleinrichtungen vorhandenen speziellen Know-How´s, ohne dass es einer förmlichen Ermächtigung bedarf. Es besteht vielmehr eine gesetzliche Ermächtigung. Dies davon abhängig zu machen, ob ein Institut der Universität der Hochschulklinik zugeordnet ist, oder nicht erscheint nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die Zuordnung durch das Staatsministerium für Bildung und Kultur… erfolgt und rein zufällig ist (Art. 1 Abs. 2 BayUniKlinG).
Das Gericht neigt daher bei summarischer Prüfung dazu, von einer Institutsermächtigung des pathologischen Instituts in A-Stadt gemäß § 117 SGB V auszugehen. Dies würde zwangsläufig dazu führen, dass für eine individuelle Ermächtigung des Beigeladenen nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä mangels der Notwendigkeit, einen Versorgungsbedarf sicherzustellen, kein Raum mehr ist.
Selbst wenn eine gesetzliche Institutsermächtigung gemäß § 117 SGB V für das pathologische Institut in A-Stadt zu verneinen wäre, wäre dann noch eingehender als bisher geschehen, zu prüfen, ob im Hinblick auf die Versorgungsmöglichkeiten im ambulanten vertragsärztlichen Bereich und unter Einbeziehung des Leistungsspektrums des pathologischen Instituts in E. eine Ermächtigung zu Gunsten des Beigeladenen gemäß § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä zur Sicherstellung des speziellen Versorgungsbedarfs notwendig ist.
Dabei wird auch zu beachten sein, dass die Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä subsidiär ist, insofern eine Katalogermächtigung nicht erlaubt ist und sich der Ermächtigungsumfang generell nur auf Einzelleistungen erstrecken kann. Die in dem Bescheid aufgezählten Leistungen, die den Ermächtigungsumfang widerspiegeln, scheinen bei summarischer Prüfung nicht von der Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä gedeckt zu sein.
Allenfalls könnte die Anordnung des Sofortvollzugs vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Beigeladene bereits vorher über eine Ermächtigung verfügte und insofern zur ambulanten Versorgung der Patienten beigetragen hat, ins Auge gefasst werden. Es bleiben aber erhebliche, noch zu klärende Zweifel, ob die Ermächtigung zur Sicherstellung der Versorgung nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 5 Abs. 1 BMV-Ä zur Sicherstellung des speziellen Versorgungsbedarfs notwendig ist.
Zusammenfassend kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass mehr für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht. Entsprechend sind momentan im summarischen Verfahren die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu beurteilen.
Dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist somit bei Abwägung der widerstreitenden Interessen und bei summarischer Abwägung stattzugeben, zumal bei der Sach-und Rechtslage keine Veranlassung besteht, sich über die vom Gesetzgeber in § 86 a Abs. 1 SGG grundsätzlich vorgegebene „aufschiebende Wirkung“ nach Klageeinlegung hinwegzusetzen.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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