Verwaltungsrecht

Wiederholungsgefahr bei Suchtgefahr – erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  10 ZB 17.1263

Datum:
22.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 987
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 6
VwGO § 124, § 124a
AufenthG § 53
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellte. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 16.5243 2017-04-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. Oktober 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf – zuletzt – fünf Jahre (unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit) bzw. auf sieben Jahre befristet und seine Abschiebung nach Serbien angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Es kann letztlich offenbleiben, ob – wie der Vertreter des öffentlichen Interesses meint – die Begründung des Zulassungsantrags nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt, weil sie sich nicht hinreichend konkret fallbezogen und substantiiert mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt (siehe dazu Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2018, § 124a Rn. 72 f.). Jedenfalls sind dem Vortrag keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung begründen könnten.
1. Die Einwendungen gegen die durch das Verwaltungsgericht getroffene Gefahrenprognose greifen nicht durch.
Der Kläger ist der Meinung, das Verwaltungsgericht habe die Wiederholunggefahr zu hoch gewichtet und dabei übersehen, dass von ihm aufgrund der Unterbringung keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgehe. Die erfolgten Lockerungen der Unterbringung (Stufe C, Aufenthalt tagsüber außerhalb des Klinikgeländes) würden nur dann gewährt, wenn von den behandelnden Ärzten festgestellt werde, dass dadurch keine Gefahr von ihm ausgehe. Seine hervorragende Entwicklung in der Therapie sei nicht ausreichend gewichtet worden. Der Kläger legt als Beleg hierfür einen „Behandlungs- und Vollzugsplan zur Stufungskonferenz am 22.05.2017“ der Entziehungsanstalt vor.
Aus diesem Behandlungs- und Vollzugsplan ergibt sich jedoch gerade nicht, dass die Therapie des Klägers bereits so weit fortgeschritten wäre, dass die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts damit ernsthaft in Zweifel gezogen werden könnte. Vielmehr kommt er zu dem Ergebnis: „Bei aktuell noch nicht ausreichend behandelter Suchtproblematik würde Hr. […] im Fall einer derzeitigen Entlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit rasch wieder suchtmittelrückfällig mit der Folge von erneuten Straftaten entsprechend dem Eingangsdelikt.“ Die dem Kläger gewährten Vollzugslockerungen wie die Möglichkeit des Aufenthalts tagsüber außerhalb des Klinikgeländes und die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zum 26. Juni 2017 stellen ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine wesentlich geänderte Gefahrenprognose dar. Vielmehr wurde der Kläger nach Lage der Akten am 2. September 2017 wegen einer Betäubungsmittel-Straftat in Untersuchungshaft genommen und in der Folge aus der Therapie in der Entziehungsanstalt wieder in den Justizvollzug verlegt.
2. Auch soweit sich der Kläger gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Ausweisungs- und der Bleibeinteressen wendet, ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Er bringt insoweit vor, in dem Urteil werde die Tatsache, dass es sich bei ihm um einen faktischen Inländer handle, der fast ein ganzes Leben im Bundesgebiet verbracht und erfolgreich die Schule abgeschlossen habe und dessen gesamte Kernfamilie sowie dessen Verlobte im Bundesgebiet lebten, nur formelhaft genannt, nicht aber ausreichend gewichtet. Die Tat des Klägers und die sich daraus ergebende Wiederholungsgefahr würden dagegen in einem zu hohen Maß gewichtet.
Die Behauptung, die genannten Aspekte würden nur „formelhaft“ genannt, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr die Eigenschaft als „faktischer Inländer“ und die damit verbundenen Gesichtspunkte eingehend untersucht und in Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung geprüft (UA S. 20-22). Im Ergebnis hat es jedoch im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG den durch die Schwere der vom Kläger begangenen Taten und die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr begründeten Ausweisungsinteressen den Vorrang eingeräumt und auch dieses eingehend begründet (UA S. 22-24). Weshalb das Verwaltungsgericht die Ausweisungsinteressen „in einem zu hohen Maße gewichtet“ haben soll, ist nicht weiter dargelegt und auch nicht ersichtlich.
3. Ebenso ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, soweit dieses die ermessensfehlerfreie Bemessung der Frist des § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG festgestellt hat. Der Kläger meint, aus dem Urteil ergebe sich nicht, warum das Verwaltungsgericht zu diesem Ergebnis gekommen sei.
Dieses pauschale Vorbringen ist nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat durchaus dargelegt, warum die Bestimmung der Frist unter fehlerfreier Ermessensausübung durch die Beklagte getroffen worden ist (UA S. 24-26). Es hat dabei auf das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck einerseits und auf die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und die Vorgaben aus Art. 8 EMRK Bezug genommen. Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind auch hier nicht substantiiert vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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