Verwaltungsrecht

„Wiener Ampelpärchen“, Phantasiezeichen, Klagebefugnis

Aktenzeichen  M 23 K 20.6509

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 11714
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 5
StVO § 39 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Beteiligten das Verfahren im Hinblick auf den Klageantrag zu 1 übereinstimmend für erledigt erklärt haben und der Kläger die mit Schriftsätzen vom 8. Februar und 20. März 2021 angekündigten Klageanträge zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Klage wird im Übrigen abgewiesen (= Ziffer 2 der Klage).
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit im Hinblick auf den Klageantrag zu 1 übereinstimmend für erledigt erklärt haben und soweit der Kläger seine mit Schriftsätzen vom 8. Februar und 20. März 2021 formulierten Klageergänzungen zurückgenommen hat, war das Verfahren (entsprechend) § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO klarstellend einzustellen. Nachdem der Kläger auch die ursprünglich formulierten Anträge zu 3 bis 6 nicht aufrechterhalten hat, indem er sie seinem erklärten Willen entsprechend ausdrücklich nicht zur gerichtlichen Entscheidung gestellt hat, ist vorliegend lediglich über den ausschließlich noch rechtshängigen Klageantrag zu 2 zu entscheiden.
Diese Klage ist jedoch bereits unzulässig.
Letztlich dahingestellt bleiben kann, ob der Antrag des anwaltlich nicht vertretenen Klägers sachdienlich auszulegen ist als auf reine Aufhebung der verwendeten Streuscheiben gerichtete Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO, als allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Verpflichtung zum schlichthoheitlichen Austausch der Streuscheiben oder als Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO auf positive behördliche Entscheidung hierüber.
Einer Anfechtungsklage wie auch einer Verpflichtungsklage dürfte bereits entgegenstehen, dass die Klage insoweit nicht auf die Änderung einer „Regelung“ i.S.v. Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG gerichtet ist, was aber Voraussetzung für eine auf Aufhebung (gem. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) bzw. Anordnung (gem. § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO) einer mittels Verwaltungsakt verkörperten Regelung gerichteten Klage wäre. So geht mit dem Austausch der WAP-Streuscheiben hin zu den vom Kläger als „herkömmlich“ bezeichneten Streuscheiben erkennbar keine Änderung eines verbindlichen Regelungsgehalts einer Fußgängerampel einher, sondern lediglich eine zumindest rechtlich unwesentliche Änderung der bildlichen Darstellung. So sind die streitgegenständlichen roten Pärchen erkennbar stehend abgebildet mit der für einen verständigen Verkehrsteilnehmer objektiv erkennbaren Wartepflicht. Auch sind die grünen Pärchen erkennbar schreitend ausgestaltet, sodass mit ihnen für einen verständigen Verkehrsteilnehmer auch damit die der herkömmlichen Fußgängerampelbeschilderung gleiche Erlaubnis zum Überqueren der Fahrbahn einhergeht. Eine der herkömmlichen Fußgängerampelbeschilderung abweichende Regelungswirkung kommt den von der Beklagten verwendeten Sinnbilder der WAP mangels wesentlich anderem charakterlichem Erscheinungsbild nicht zu (a.A. wohl D …, Fragen der Zulässigkeit und der Haftung bei Verwendung abweichender Ampelmännchen, NZV 2020, 636-640), sodass die Klage nicht auf die Änderung einer verbindlichen Regelung gerichtet ist. Gegenteiliges hat der Kläger auch nicht behauptet und liegt bei der konkreten Ausgestaltung der Streuscheiben auch nicht nahe.
Im Übrigen stünde einer Anfechtungsklage ersichtlich auch deren Verfristung entgegen. Die angegriffenen Streuscheiben sind seit Mitte des Jahres 2019 in unveränderter dauerhafter Anwendung. Dies ist dem Kläger – auch ausweislich seiner eigenen Ausführungen – seitdem bekannt. Mit dem am 2. September 2019 gestellten Antrag auf Austausch der Streuscheiben und der am 11. Dezember 2019 seitens der Beklagten erfolgten Ablehnung seines Antrags stünde der Auslegung als Anfechtungsklage (wie auch als Versagungsgegenklage) die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO entgegen. Dabei ist unerheblich, dass die erlassenen verkehrsrechtlichen Anordnungen der formellen Vollständigkeit halber erst später dauerhaft erfolgt sind. So kommt diesen Anordnungen zur dauerhaften Nutzung der WAP-Streuscheiben keine – von den herkömmlichen genutzten Streuscheiben – abweichende eigenständige und rechtlich verbindliche Regelung zu (vgl. hierzu: Rn. 23).
Einer Verpflichtungsklage auf behördliche Neu-Entscheidung fehlt es zudem ersichtlich an einem auf nur denkbaren subjektiv-öffentlichem Recht (§ 42 Abs. 2 VwGO) des Klägers auf Neu-Entscheidung, insbesondere folgt ein solches auch nicht aus Art. 2 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz, nachdem der Kläger sich nicht gegen ein der LSA allgemein innewohnende Ge- bzw. Verbot wendet (vgl. Rn. 26 f).
Ob der – damit wohl am sachnächsten auf schlichthoheitlichen Austausch der Streuscheiben gerichtete – Antrag folglich als allgemeine Leistungsklage statthaft ist, kann ebenso dahingestellt bleiben. Wie einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage fehlt es auch insoweit an der allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzung der Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Hiernach ist die Klage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch ein Verwaltungshandeln oder dessen Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Erforderlich aber auch hinreichend ist, dass unter Zugrundelegung der Darlegungen des Klägers die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts möglich erscheint (BVerwG, U.v. 25.11.2020 – 6 C 7/19 – juris Rn. 24). Es genügt somit nicht die Behauptung allein einer tatsächlichen Betroffenheit, sondern entscheidend ist die Geltendmachung der Verletzung von eigenen Rechten. Einen Rechtsanspruch, vor jeder tatsächlichen Beeinträchtigung geschützt zu sein, gibt es nicht (BayVGH, 15.8.2016 – 20 ZB16.931 – juris Rn. 4).
Hierzu ist im Ausgangspunkt festzustellen, dass sich der Kläger nicht gegen die der LSA innewohnende Ge- bzw. Verbotsregelung selbst wendet. Vielmehr beruft sich der Kläger vorliegend – wenn auch formell eingekleidet in den Kontext der StVO – mit Belangen des Jugend- und Kinderschutzes auf Belange des Allgemeininteresses, die ersichtlich nicht den Kläger persönlich zu dienen bestimmt sind. Wenn auch der Kläger meinen sollte, der Anblick der WAP sei für ihn und seine persönliche Entfaltung störend, da nach seiner künstlerischen „Bedeutungsbetrachtung“ Kinderpornographie verharmlost würde, so ist der Kläger darauf hinzuweisen, dass die aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz folgende Allgemeine Handlungsfreiheit weder vor eigenen und höchst subjektiven Wahrnehmungen schützt, die – wie hier – einer objektiven Betrachtung fernliegend sind, noch einen entsprechenden Anspruch vermitteln vermag, zumal die Ausführungen des Klägers in weiten Teilen inhaltlich und dem äußerlichen Erscheinungsbild der Streuscheiben fern jeglicher Lebenserfahrung erscheinen.
Die Klage war folglich als unzulässig abzuweisen, sodass es nicht darauf ankommt, ob die verwendeten Streuscheiben die Grenze hin zu einem unwirksamen Phantasiezeichen überschreiten. Hierzu käme es in erster Linie darauf an, ob das in § 37 Abs. 2 Nr. 5 StVO umschriebene Sinnbild „Fußgänger“ durch die Abbildung des – lediglich schreitenden – Fußgängers in § 39 Abs. 7 StVO abschließend durch die StVO, ihre Anlagen und den Verkehrszeichenkatalog als maßgebliche Bekanntmachungsquellen geregelt ist. Daran schließt sich die Frage an, ob die gewählte Beschilderung ein wesentlich abweichendes charakterliches Erscheinungsbild aufweist, sodass ein Verkehrsteilnehmer tatsächlich nicht mehr von einer behördlichen Anordnung ausgehen muss (vgl. hierzu: BeckOK StVR, 11. Ed. 15.4.2021, StVO § 39 Rn. 38 f.).
Nach Ansicht der Kammer handelt es sich bei den von der Beklagten an sechs Stellen des Stadtgebiets verwendeten Streuscheiben um keine Phantasiezeichen im oben benannten Sinne. Der Regelungsgehalt der wartenden und schreitenden Figuren ist im Hinblick auf deren Ge- und Verbot zunächst bei Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizonts – noch – eindeutig. Auch enthalten weder StVO mitsamt deren Anlagen und der Verkehrszeichenkatalog verbindliche entgegenstehende Vorgaben. Dennoch weist die Kammer darauf hin, dass es sich der Rechtssicherheit wegen vorliegend um einen Grenzfall der – hier noch zulässigen – straßenverkehrsrechtlichen Gestaltungsfreiheit handeln dürfte, insbesondere im Hinblick auf die zweifelsohne nicht mehr durch Aspekte der Gefahrenregelung des Straßenverkehrsrechts getragene Symbolik von Herzen und Schmetterlingen. Entsprechend der Erklärungen der Beklagtenvertreter im Augenschein und der mündlichen Verhandlung ist eine Verwendung an weiteren Stellen im Stadtgebiet aber auch nicht beabsichtigt.
Die Kostenfolge ergibt sich für den streitig entschiedenen Teil des Rechtsstreits aus § 154 Abs. 1 VwGO, unter Berücksichtigung des § 155 Abs. 2 VwGO für den zurückgenommenen Teil, sowie des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Hinblick auf den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil. Es entspricht billigem Ermessen, dem Kläger auch insoweit die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da sein angekündigter Klageantrag zu 1 voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte. Vielmehr blieb dieser Antrag – auch auf mehrmalige gerichtliche Aufforderung zur Konkretisierung hin – bis zuletzt zu unbestimmt, um auch nach sachdienlicher Auslegung die Anfechtung konkreter verkehrsrechtlicher Regelungen oder gar das für eine Verpflichtungsklage konkrete Begehr einer bestimmten verkehrsrechtlichen Anordnung herauslesen zu können.


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