Verwaltungsrecht

zu den Voraussetzungen des Darlegungsgebots

Aktenzeichen  10 ZB 21.731

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16277
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Das Darlegungsgebot erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, insbesondere eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil und den insofern entscheidungstragenden Argumenten.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 18.4663 2021-02-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Jahre bei Straffreiheit, ansonsten auf acht Jahre befristet und seine Abschiebung angeordnet bzw. angedroht wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO oder eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier nicht der Fall.
Dabei genügt die Zulassungsbegründung bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Das Darlegungsgebot erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 10 ZB 19.1318 – juris Rn. 6; B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2498 – juris Rn. 8; B.v. 24.1.2019 – 10 ZB 17.1343 – juris Rn. 4; B.v. 5.12.2018 – 9 ZB 18.904 – juris Rn. 3 m.w.N.), insbesondere eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil und den insofern entscheidungstragenden Argumenten (vgl. Happ in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 62 ff. m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Der Kläger bringt vor, die Ausweisung sei jedenfalls unverhältnismäßig. Des Weiteren sei dem Kläger zu Unrecht der Status des faktischen Inländers nicht anerkannt worden. Im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts sei er in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt, da er sein ganzes Leben hier verbracht habe und Bindungen in die Türkei nicht mehr vorlägen. Er befinde sich erstmals seit längerer Zeit in Haft, und es sei davon auszugehen, dass ein solcher Hafteindruck auf ihn eingewirkt habe, dass er zukünftig keine Straftaten mehr begehen werde. Insbesondere im Hinblick auf seine langjährige Krebserkrankung sei der Kläger auf die Unterstützung seiner Familie im Bundesgebiet angewiesen.
Mit diesen wenigen, allgemein gehaltenen Sätzen geht der Kläger in keiner Weise auf die ausführlichen, differenzierten und sorgfältigen Erwägungen des Verwaltungsgerichts ein und kann sie somit auch nicht in Frage stellen. Überdies treffen seine Behauptungen überwiegend auch nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat keineswegs seinen „Status des faktischen Inländers nicht anerkannt“, sondern ausführlich dargelegt, warum es nicht unzumutbar ist, den Kläger auf ein Leben in der Türkei zu verweisen, obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hier die Schule besucht und in der Justizvollzugsanstalt den Mittelschulabschluss erreicht und hier seine wesentliche Prägung und Entwicklung erfahren hat sowie zahlreiche Verwandte hier leben. Es hat im Einzelnen erörtert und dargelegt, dass er nicht derart irreversibel in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt ist, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre (UA Rn. 43). Auf diese Erwägungen geht die Begründung des Zulassungsantrags nicht ein. Ferner trifft es auch nicht zu, dass der Eindruck, den seine Inhaftierung auf ihn gemacht habe, eine künftige Straffreiheit erwarten lasse. Das Verwaltungsgericht verweist (UA Rn. 33) zu Recht auf den Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 29. Oktober 2020 (Bl. 76-77 der VG-Akte), der zu dem Ergebnis kommt: „Zusammenfassend führt sich der Gefangene in hiesiger Justizvollzugsanstalt bislang miserabel und er erweckt den Eindruck, sich nicht in ein geregeltes System einfügen zu wollen und Obrigkeiten sowie ihn belastende Vorschriften und Anordnungen nicht anzuerkennen.“ Seine Krebserkrankung (aus dem Jahr 2006) hat der Kläger offensichtlich seit Jahren überwunden, und warum und in welcher Weise sich aus den Folgewirkungen (Schwerbehinderung) die Notwendigkeit einer besonderen Unterstützung seitens seiner Familie ergeben sollte, ist – wie das Verwaltungsgericht ebenfalls ausgeführt hat (UA Rn. 43) – weder vom Kläger vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Hinsichtlich des behaupteten Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) hat der Kläger nichts dazu vorgetragen, inwiefern die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines der in dieser Vorschrift genannten Gerichte abgewichen sein sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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