Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  AN 18 K 17.30430

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7680
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand zum Termin erschienen ist. Auf die Möglichkeit, auch in Abwesenheit von Beteiligten entscheiden zu können, wurde in der Ladung hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die innerhalb der zweiwöchigen Frist, § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG, erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dem Kläger steht nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 1.), noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (dazu 2.), noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu (dazu 3.). Zudem erweisen sich sowohl die Ausreiseaufforderung samt Abschiebungsandrohung (dazu 4.) als auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot (dazu 5.) als rechtmäßig.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 Alt. 1 AsylG.
Flüchtling gem. § 3 Abs. 1 AsylG ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Erforderlich ist, dass die Verfolgung mit einem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32 und B.v. 15.8.2017 – 1 B 120.17 – juris Rn. 8).
Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Eine Verletzung von Grundrechten stellt demgemäß nur dann eine Verfolgung dar, wenn sie von einer bestimmten Schwere ist (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C-201/12 – juris Rn. 53).
Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass bei verständiger Würdigung die geschilderte Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Von dem Asylsuchenden kann verlangt werden, dass er zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – juris Rn. 8). Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel die Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 2.10.2017 – Au 5 K 17.31438 – juris Rn. 23).
Bezüglich des Klägers liegt unter Berücksichtigung oben genannter Anforderungen keine flüchtlingsrelevante Verfolgung vor.
In Bezug auf den klägerischen Vortrag ist schon fraglich, ob ein Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG gegeben ist. Auch eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG ist fraglich. Jedenfalls liegt keine flüchtlingsrelevante Verfolgung vor, da der vom Kläger geschilderte Sachverhalt nicht an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG anknüpft, vgl. zum Erfordernis § 3a Abs. 3 AsylG.
Im Rahmen der Anhörung vom 17. November 2016 gab der Kläger an, dass die Taliban zu seinem Vater gekommen seien, da der Kläger mit ihnen kommen solle. So sei, zwei Monate vor der Ausreise des Klägers, dem Vater des Klägers eine Frist von drei Monaten gesetzt worden, nach deren Ablauf der Kläger mit den Taliban mitgehen sollte. Diese Schilderung ist -selbst bei Wahrunterstellungnicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. So hat der Kläger sowohl in der Anhörung als auch in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass er nie persönlich von den Taliban angesprochen wurde. Der Kläger hat auch in der Anhörung angegeben, dass ihm persönlich vor der Ausreise aus Afghanistan nichts passiert ist. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung kann damit nicht vorliegen. Hinzu kommt, dass der Kläger laut Anhörung auch nicht schildern konnte, wie oft die Taliban den Vater des Klägers in dem vom Kläger angegebenen Zeitraum von zwei Jahren angesprochen haben, wodurch sich Zweifel an einer schlüssigen Darstellung des Sachverhalts ergeben. Auch wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung schildert, dass seine Eltern von Taliban geschlagen, bedroht und befragt werden, warum sie den Kläger in den Westen geschickt hätten, kann auch dies nicht zu einer begründeten Furcht der Verfolgung in Bezug auf den Kläger führen. Zum einen ist dieser Vortrag unsubstantiiert, da der Kläger erneut nicht angeben kann, wie oft die Taliban zu seinen Eltern gekommen sind. Auf Hinweis des Gerichts, dass nunmehr sechs Jahre lang die Taliban zu den Eltern des Klägers gekommen sein sollen, gibt der Kläger nur vage an, wenn er mit seinen Eltern spreche, schildern diese Drohungen der Taliban. Hinzu kommt, dass der Kläger nach eigenen Angaben seitdem er in Deutschland ist, das heißt zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seit über vier Jahren, nur neun- bis zehnmal Kontakt zu seinen Eltern hatte. Zum anderen kann sich aus diesem Vortrag – selbst bei Wahrunterstellung – nach oben genannten Maßstäben keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Bezug auf die Person des Klägers ergeben, da dieser seit September 2015 in Deutschland ist und damit weiterhin nie persönlich bedroht wurde. Auch der Vortrag des Klägers, dass es immer Krieg gegeben habe und manchmal die Taliban, manchmal die Regierung die Macht übernommen hätten, kann die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen, da ein Sachverhalt geschildert wird, welcher nicht an einen Verfolgungsgrund anknüpft.
Darüber hinaus ist der Kläger jedenfalls auf internen Schutz, § 3e Abs. 1 AsylG, zu verweisen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger in einer Großstadt wie beispielsweise Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif keine Verfolgung droht, da es insbesondere keine Anhaltspunkte für eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers gibt und etwas Derartiges seitens des Klägers auch nicht vorgetragen ist. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist in Bezug auf den Kläger auch geeignet und diesem zumutbar, sodass erwartet werden kann, dass er sich dort vernünftigerweise niederlässt. Insbesondere ist es dem Kläger als arbeitsfähigem und gesundem jungen Mann zumindest durch die Übernahme von Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten möglich, sich sein Existenzminimum zu sichern (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 32).
Die als inländische Fluchtalternative in Frage kommenden Städte Kabul in der Provinz Kabul, Herat in der Provinz Herat und Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh sind im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage – entgegen dem Vortrag in der Klagebegründung – als inländische Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, liegt weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Zur Feststellung, ob eine solche Bedrohung gegeben ist, ist zum einen eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl erforderlich. Darüber hinaus ist neben dieser quantitativen Ermittlung auch eine wertende Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22, 23). In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung allerdings davon aus, dass – bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres – ein Risiko, verletzt oder getötet zu werden von 1:800 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.) bzw. 1:1.000 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 11.10 – juris Rn. 20 f.) so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich eine im Übrigen unterbliebene wertende Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht mehr auszuwirken vermag. Bei einer Einwohnerzahl von geschätzt 4.679.648 und 1.831 zivilen Opfern (479 Tote und 1.352 Verletzte) im gesamten Jahr 2017 in der Provinz Kabul, einer geschätzten Einwohnerzahl von 1.967.180 und 495 zivilen Opfern (238 Tote und 257 Verletzte) im Jahr 2017 in der Provinz Herat und einer Einwohnerzahl von geschätzt 1.382.155 und 129 zivilen Opfern (52 Tote und 77 Verletzte) in der Provinz Balkh, lag die Wahrscheinlichkeit, in den genannten Provinzen in diesem Zeitraum ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, bei 0,039% (Kabul), 0,025% (Herat) und 0,009% (Balkh) (vgl. zu den Opfer- und Bevölkerungszahlen Österreich / Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 90 ff., S. 145 ff., S. 108 ff.). Damit liegt in diesen Provinzen eine Gefahrendichte vor, die ganz erheblich unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als indiziell für die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefährdung anerkannten statistischen Auslösewertes des Tötungs- und Verletzungsrisikos liegt. Zieht man Vergleichszahlen aus UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in an Armed Conflict, Annual Report 2018, Februar 2019, S. 67 heran, wurden dort für das Jahr 2018 in der Provinz Kabul 1.866 (596 Tote und 1270 Verletzte; Anstieg im Vergleich zu 2017 um 2%), in der Provinz Herat 259 (95 Tote und 164 Verletzte; Rückgang im Vergleich zu 2017 um 48%) und in der Provinz Balkh 227 (85 Tote und 142 Verletzte; Anstieg im Vergleich zu 2017 um 76%) zivile Opfer verzeichnet. Auch wenn für die Provinz Balkh ein Anstieg von 76% zu verzeichnen war, liegt die Opferzahl in Relation zu der geschätzten Einwohnerzahl (vgl. oben) noch weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden. In der Rechtsprechung ist auch geklärt, dass eine annäherungsweise Ermittlung der entsprechenden, zueinander ins Verhältnis gesetzten Zahlen ausreichend ist (BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 6). Zudem ist auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt gegeben (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris Rn. 29; HessVGH, U.v. 27.9.2019 – 7 A 1923/14.A – juris Rn. 117 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 63). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers, aufgrund derer hier eine andere Einschätzung geboten wäre, sind weder konkret vorgetragen noch ersichtlich, zumal der Kläger nie persönlich bedroht wurde.
Der Kläger kann darüber hinaus auch sicher und legal in oben genannte Provinzen reisen. Zum einen enden Abschiebungen in der Regel in Kabul, wo es einen internationalen Flughafen gibt. Aber auch Mazar-e Sharif und Herat verfügen über einen internationalen Flughafen und können daher legal und sicher vom Kläger, jedenfalls von Kabul aus, erreicht werden (vgl. Österreich / Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 265 f.).
Vom Kläger kann unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse auch vernünftiger-weise erwartet werden, dass er sich in den Provinzen insbesondere in den Provinzhauptstädten niederlässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass Afghanistan zu den ärmsten Ländern der Welt zählt und im Jahr 2018 Platz 168 von 189 beim Index der menschlichen Entwicklung belegte (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 27). Der Bevölkerungsanteil derjenigen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, stieg im Vergleich zu den Jahren 2011/2012 von 38,3% auf etwa 55% in den Jahren 2016/2017 an (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 20). Die Arbeitslosenquote wird in den verschiedenen Quellen unterschiedlich eingestuft (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, 2.9.2019, S. 28: 11,2% im Jahr 2017; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 20: 24% in den Jahren 2016/2017; Österreich / Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 358: über 40% erwerbslos oder unterbeschäftigt). Besonders Kabul ist durch eine große Anzahl von Binnenflüchtlingen (diese beliefen sich laut IOM im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 auf 9.037 Personen, vgl. ACCORD, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mezar-e Sharif und Kabul, 7.12.2018, S. 15) und Rückkehrern (diese beliefen sich laut IOM im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 auf 9.912 Personen, vgl. ACCORD, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mezar-e Sharif und Kabul, 7.12.2018, S. 22) überlaufen.
Trotz oben genannter Umstände ist das Gericht nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls der Überzeugung, dass es dem jungen, gesunden, arbeitsfähigen und ledigen Kläger bei einer Rückkehr insbesondere in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif gelingen wird, zumindest durch Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zunächst hat der Kläger in Afghanistan sechs Jahre die Koranschule besucht und dort gelernt, Dari zu lesen und zu schreiben. Zwar hat der Kläger in Afghanistan keinen Beruf erlernt, aber seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. In Deutschland hat der Kläger sechs Monate einen Sprachkurs besucht und eine Ausbildung zum Maschinenanlagenführer begonnen, diese aber nicht abgeschlossen. Der Kläger hat in Deutschland im Februar 2019 den Mittelschulabschluss erworben. Aufgrund dieser schulischen und beruflichen Erfahrungen ist das Gericht der Überzeugung, dass sich der Kläger gegenüber anderen Bewerbern auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen kann. Auch hat der Kläger durch seine eigenständige Flucht als junger Mann und sein eigenständiges Leben in Deutschland bewiesen, dass er über ein großes Maß an Selbstständigkeit verfügt. Zudem leben die Eltern und eine Schwester des Klägers nach dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach wie vor in Afghanistan in der Provinz Sar-e Pol. Der Kläger kann also auch auf Unterstützung seiner Familie zurückgreifen.
Darüber hinaus kann der Kläger eine finanziell eventuell schwierige Anfangszeit zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt, was ihm zumindest helfen wird, anfängliche Schwierigkeiten zu überwinden. Es liegt an ihm, insoweit eine anfängliche Unterstützung durch eine freiwillige Rückkehr unter Inanspruchnahme von Start- und Reintegrationshilfen (z. B. im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms) und damit einen vorübergehenden Ausgleich zu erhalten (vgl. REAG/GARP-Programm, Stand Januar 2019; ERRIN-Programmflyer 06/2018-05/2020 zu Afghanistan, Stand Mai 2019). Das „REAG/GARP-Programm 2019“ umfasst für einen alleinstehenden Mann neben der Übernahme der Beförderungskosten, eine Reisebeihilfe in Höhe von 200 EUR sowie eine Starthilfe in Höhe von 1.000 EUR. Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Leistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERRIN“. Diese beinhalten z.B. Services bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Hilfestellungen bei der Existenzgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation in Form von Sachleistungen gewährt und kann bei einer freiwilligen Rückkehr Leistungen im Wert von bis zu 2.000 EUR umfassen. Weiter haben Deutschland und Afghanistan am 2. Oktober 2016 eine Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit in Fragen der Migration abgegeben. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders bedürftige Flüchtlinge vor. Rückkehrer aus Deutschland werden außerdem über das BMZ-Rückkehrerprogramm „Perspektive Heimat“ bei der Reintegration vor Ort unterstützt, insbesondere bei der Existenzgründung, Qualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 28 f. mit weiteren Einzelheiten). Aufgrund dieser Rückkehr- und Starthilfen und unter Berücksichtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Kläger in den genannten Provinzen ein Existenzminimum sichern wird.
Das Gericht folgt auch nicht der Einschätzung, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (so insbesondere Friederike Stahlmann, Asylmagazin 3/2017, 73 ff.). Auch unter Berücksichtigung der vorliegenden neuesten Erkenntnismittel hält das Gericht weiterhin an der obergerichtlichen, ständigen Rechtsprechung fest, dass für alleinstehende, erwerbsfähige und gesunde junge Männer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung besteht, auch wenn diese weder über ein soziales Netzwerk in Afghanistan noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügen (aus neuerer Zeit etwa: BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris; B.v. 23.10.2019 – 13a ZB 19.32670 – juris Rn. 6; B.v. 3.9.2019 – 13a ZB 19.33043 – juris Rn. 6; B.v. 25.2.2019 – 13a ZB 18.32487 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 34; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 55; OVG NRW, B.v. 17.9.2018 – 13 A 2914/18.A – juris Rn. 23; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 336 ff.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015- 1 A 144/15.A – juris) und schließt sich insbesondere dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 an. Dieser hat sich auch unter Bezugnahme auf verschiedene Einschätzungen der Gutachterin Stahlmann (so z.B. im Asylmagazin 3/2017 und insbesondere im schriftlichen Gutachten an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 28. März 2018) mit der wirtschaftlichen Situation in Afghanistan auseinander gesetzt und kam – wie bereits die oben genannten Gerichte – zu dem Schluss, dass sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht ergebe, dass es insbesondere leistungsfähigen, erwachsenen Männern – soweit nicht besondere, individuell erschwerende Umstände festgestellt werden können – selbst ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk unmöglich sei, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland ihr Existenzminimum zu sichern (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Auch der Bewertung von Frau Stahlmann, die ausgehend von einer von ihr erst kürzlich durchgeführten Studie zum Verbleib und den Erfahrungen abgeschobener Afghanen vertritt, dass es Rückkehrern aus Europa in Afghanistan per se nicht möglich sei, ein menschenwürdiges Leben zu führen, da ihnen dort eine unmenschliche Behandlung infolge von Gewalt, Arbeits- oder Wohnungslosigkeit drohe (vgl. Friederike Stahlmann, Asylmagazin 8-9/2019, 276 ff.), folgt das Gericht nicht. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass von den laut Frau Stahlmann 547 Männern, die zwischen Dezember 2016 und April 2019 aus Deutschland abgeschoben wurden, mit Stand Juli 2019 lediglich Informationen zu 55 Betroffenen dokumentiert werden konnten (Friederike Stahlmann, Asylmagazin 8-9/2019, 276/277), was gerade einmal ca. 10% ausmacht. Es kann gerade nicht darauf geschlossen werden, dass die nicht in die Untersuchung eingebundenen restlichen Rückkehrer vergleichbar schlechte Erfahrungen gemacht haben wie die interviewten Rückkehrer. Soweit dies in der Studie behauptet wird, beruht dies auf bloßen Mutmaßungen und eigenen Bewertungen ohne valide Tatsachengrundlage. Überdies handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG, da keine stichhaltigen Gründe für die Annahme eines ihm in seinem Herkunftsland drohenden ernsthaften Schadens vorgebracht wurden oder sonst ersichtlich sind.
2.1 Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger ein ernsthafter Schaden durch die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe drohen würde, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG.
2.2 Auch droht dem Kläger kein ernsthafter Schaden durch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
Eine Behandlung wird als „unmenschlich“ angesehen, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend“ ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die ge-eignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR (Große Kammer), U.v. 21.1.2011 − 30696/0 – NVwZ 2011, 413/414, Rn. 220). Entscheidend ist auch hier der Wahrscheinlichkeitsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22). Aufgrund des in § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG enthaltenen Verweises auf § 3c AsylG muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung außerdem von einem der dort genannten Akteure ausgehen (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 29).
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in der Person des Klägers, eine unmenschliche oder er-niedrigende Behandlung zu erfahren, liegt nach Überzeugung des Gerichts nicht vor. Der Kläger befindet sich seit September 2015 in Deutschland. Er wurde nie persönlich von den Taliban angesprochen und ihm persönlich ist auch vor der Ausreise nichts passiert.
Jedenfalls müsste sich der Kläger auch hier auf die interne Fluchtalternative verweisen lassen, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG (vgl. ausführlich oben).
Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Selbst wenn eine solche anzunehmen wäre, könnte dies dennoch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes vermitteln, da es insoweit an einem erforderlichen Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG fehlen würde, von dem die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers ausgehen müsste (vgl. hierzu oben). Die humanitären Verhältnisse in Afghanistan beruhen gerade auf einer Vielzahl von Faktoren, zu denen die allgemeine wirtschaftliche Lage, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen ebenso wie die Sicherheitslage gehören. Es ist jedenfalls nicht feststellbar, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung tragen. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176; OVG NRW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3741/18.A – juris Rn. 71).
2.3 Auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Folge einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommt nicht in Betracht, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Eine ernsthafte individuelle Bedrohung liegt vor, wenn im Rahmen eines Konflikts der Grad will-kürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme be-stehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei wird der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, umso geringer sein, je mehr der Kläger darlegen kann, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezi-fisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – juris Rn. 30, 31; U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – juris Rn. 35, 43; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 193). Solche Umstände können sich beispielsweise aus dem Beruf des Schutzsuchenden – etwa als Arzt oder Journalist – sowie aus dessen religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 193).
Für die Person des Klägers sind – wie bereits dargestellt – keine derartigen gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich oder vorgetragen. Der Kläger befindet sich seit September 2015 in Deutschland, wurde nie persönlich von den Taliban angesprochen und hat auch sonst keine Umstände vorgetragen, aufgrund derer man von gefahrerhöhenden Umständen ausgehen könnte.
Liegen – wie hier – keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 19, 20; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33). Zur Feststellung, ob das er-forderliche hohe Niveau vorliegt, ist zum einen eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl erforderlich. Darüber hinaus ist neben dieser quantitativen Ermittlung auch eine wertende Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jeden-falls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von de-ren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22, 23). In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung allerdings davon aus, dass – bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres – ein Risiko, verletzt oder getötet zu werden von 1:800 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.) bzw. 1:1.000 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 11.10 – juris Rn. 20 f.) so weit von der Schwelle der beachtli-chen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich eine im Übrigen unterbliebene wertende Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht mehr auszuwirken vermag. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 13). Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 100; U.v 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 202). Entscheidend ist danach auf die Provinz Sar-e Pol abzustellen, wo der Kläger bis zu seiner Ausreise gewohnt hat und wo – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat – seine Familie immer noch lebt.
Für die Provinz Sar-e Pol besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger dort eine ernsthafte individuelle Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG widerfährt. In der Provinz Sar-e Pol (bzw. Sar-i-Pul / Sar-e-Pul / Sar-i-Pol) gab es im gesamten Jahr 2017 108 zivile Opfer (67 Tote und 41 Verletzte). Bei einer Bevölkerungszahl der Provinz von geschätzt 578.639 (vgl. zur Opfer- und Bevölkerungszahl Österreich / Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, 29.6.2018, letzte Kurzinformation v. 4.6.2019, S. 235 f.) ergibt sich hier ein Opferrisiko von 0,019% und damit ein Risiko, welches erheblich unterhalb des Risikobereichs von 1:800 (0,125%) bzw. 1:1.000 (0,1%) liegt, der nach der Rechtsprechung derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt liegt, dass selbst bei einer übrigen unterbliebenen wertungsmäßigen Gesamtbetrachtung nicht mehr von einer individuellen Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgegangen werden kann. Zieht man Vergleichszahlen aus UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in an Armed Conflict, Annual Report 2018, Februar 2019, S. 67 heran, wurde dort für das Jahr 2018 in der Provinz Sar-e Pol ein Rückgang der Opferzahlen im Vergleich zu 2017 um 6% (101 zivile Opfer (22 Tote und 79 Verletzte)) verzeichnet, weshalb sich an obiger Wertung nichts ändert. Darauf, dass eine annäherungsweise Ermittlung der Zahlen ausreichend ist, wurde bereits oben hingewiesen. Zudem weist insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – darauf hin, dass auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer bei einem sich in diesem Bereich bewegenden Gefahrengrad (dort 1:2.354 = 0,042%) noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt gegeben ist (vgl. auch HessVGH, U.v. 27.9.2019 – 7 A 1923/14.A – juris Rn. 117 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 63).
Im Ergebnis schließt sich das Gericht vollumfänglich der obergerichtlichen Rechtsprechung an, wobei insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weiterhin davon ausgeht, dass für keine Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen (vgl. U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 43 ff.; B. v. 25.2.2019 – 13a ZB 18.32203; B. v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6; B. v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 9; B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Der anderweitige klägerische Vortrag überzeugt – auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel – insoweit nicht.
Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin not-wendig Art. 3 EMRK verletze (vgl. z.B. EGMR, U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 – Rn. 53). Auch aus dem dem Gericht vorliegenden zusätzlichen Erkenntnismaterial mit neuerem Datum lässt sich nichts dafür entnehmen, dass hier zwischenzeitlich eine andere Einschätzung zur Sicherheitslage geboten wäre.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes und zwar weder auf Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (dazu 3.1) noch auf Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (dazu 3.2).
3.1 Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG wegen Verletzung der EMRK besteht weder mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan – hierzu wird vollumfänglich auf obige Ausführungen verwiesen – noch aufgrund der dortigen schlechten humanitären Bedingungen.
Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen, die der Kläger in Afghanistan insgesamt bzw. in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh oder auch in seiner Herkunftsprovinz Sar-e Pol zu erwarten hat, sind nicht derart schlecht, dass davon ausgegangen werden müsste, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Zwar können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat grundsätzlich eine unmenschliche Behandlung des Klägers im Sinne des Art. 3 EMRK begründen. Hierfür ist aber ein außergewöhnlicher Fall notwendig, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Dafür reicht es noch nicht aus, wenn im Fall einer Ausweisung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde (EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23). Ein solcher Ausnahmefall kann allenfalls dann vorliegen, wenn zu solchen schlechten humanitären Bedingungen ganz außerordentliche individuelle Gründe hinzutreten und humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen (siehe BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10 unter Verweis insbesondere auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 und 11449/07 – Rn. 278). Auch hier gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22; B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6). Für die Prüfung der humanitären Verhältnisse ist dabei grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, wobei zunächst die Umstände an dem Ort maßgeblich sind, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 26).
Ein solcher Ausnahmefall besteht vorliegend nicht. Auch diesbezüglich kann auf die vorstehen-den Ausführungen verwiesen werden. Es ist nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte. Insbesondere ist das Gericht der Überzeugung, dass es dem Kläger als arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann, der in Deutschland einen Mittelschulabschluss erworben hat und berufliche Erfahrungen besitzt, zumindest durch die Übernahme von Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten, möglich sein wird, sich sein Existenzminimum zu sichern. Die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher nicht erfüllt.
3.2 Auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt in Bezug auf den Kläger nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen wird nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, angenommen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Dem Kläger droht keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen. Derartige Umstände sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Auch aus allgemein vorherrschenden schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan lässt sich ein Abschiebungsverbot nicht begründen. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die gesamte Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG grundsätzlich nur bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten – insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage – kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser im Abschiebungszielstaat herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann die vorherrschenden allgemeinen Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung des Ausländers in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Dazu müssen diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr drohen. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris Rn. 47; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 u.a. – juris Rn. 3; vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 40 m.w.N; VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 131 ff.; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 313 ff.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 188 ff.)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Es sind keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr nach Afghanistan einer solchen extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Insbesondere würde der Kläger nicht mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden. Das Gericht ist der Überzeugung, dass sich der Kläger sein Existenzminimum sichern wird (vgl. oben).
4. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung (Ziffer 5 des Bescheides) bestehen keine Bedenken, vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Nach § 38 Abs. 1 AsylG war dem Kläger eine Ausreisefrist von 30 Tagen zu setzen.
5. Auch das auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6 des Bescheides) ist rechtmäßig. Auch unter Berücksichtigung des nunmehr geltenden § 11 Abs. 1 AufenthG, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung eintritt, sondern es hierfür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 71), bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ziffer 6 des Bescheides. Die nunmehr geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbot von bestimmter Dauer wird in unionsrechtskonformer Auslegung regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gesehen (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72). Eine solche hat die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid wirksam getroffen und in Ausübung des ihr nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens eine Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung vorgesehen. Ermessensfehler, auf deren Überprüfung das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO beschränkt ist, sind nicht ersichtlich.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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