Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Malta

Aktenzeichen  M 22 S 19.32967

Datum:
20.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9743
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 26 Abs. 5, § 29 Abs. 1 Nr. 2
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Malta besteht kein Anspruch auf erneute Anerkennung in Deutschland, auch wenn Ehefrau und Kinder hier als anerkannte Flüchtlinge leben, jedenfalls dann nicht, wenn der Antrag nicht unverzüglich nach der Einreise gestellt wurde. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf das Gebot der Wahrung der Familieneinheit kann der Antragsteller beanspruchen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen ihm gegenüber unterbleiben. Die Prüfung dieses Vollstreckungshindernisses fällt in die Zuständigkeit der Ausländerbehörde. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der 19xx geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Gemeinsam mit seiner Ehefrau (geb. 19xx) und seinen drei Kindern (geb. 19xx, 20xx und 20xx) verließ er im Juni 2013 Syrien. Nach einem längeren Aufenthalt in Jordanien reisten der Antragsteller und seine Familie weiter in den Westen, wobei sie anscheinend getrennt wurden. Der Ehefrau und den Kindern des Antragstellers gelang es, nach Deutschland zu kommen. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 28. Juli 2016 wurde ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Der Antragsteller sah sich dagegen nach seinen Angaben gezwungen (um eine bis zu zweijährige Inhaftierung abzuwenden), in Malta einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, dem mit Bescheid vom 21. Juli 2015 stattgegeben wurde. Dem Antragsteller wurde in Malta die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
In der Folgezeit besuchte der Antragsteller seine Familie in Deutschland zweimal und reiste zuletzt am 5. August 2017, in das Bundesgebiet ein, wo er sich seitdem aufhält.
Der Antragsteller gibt an, bereits bei seinen Besuchsaufenthalten Kontakt zu der zuständigen Ausländerbehörde aufgenommen zu haben, wobei es darum gegangen sein dürfte, zu klären, was veranlasst ist, um dem Antragsteller einen erlaubten Verbleib im Bundesgebiet bei seiner Familie zu ermöglichen. Nach Aktenlage hat der Antragsteller zunächst keinen Kontakt zum Bundesamt aufgenommen.
Am 8. Januar 2019 stellte der Antragsteller einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 23. Juli 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Malta an und befristete das gesetzliche Einreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf einen Monat ab dem Tag der Abschiebung.
In den Bescheidsgründen wurde u.a. ausgeführt, der Asylantrag sei unzulässig, weil dem Antragsteller in Malta, einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, bereits internationaler Schutz gewährt worden sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Die Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots auf einen Monat sei unter Berücksichtigung des Interesses des Antragstellers an einer künftigen legalen Einreise bestimmt worden.
Am 16. August 2019 erhob der Antragsteller gegen den (am 13.08.2019 zugestellten) Bescheid Klage. Weiter beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung von Klage und Antrag trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, er könne sich auf ein aus Art. 6 GG abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen, nachdem seiner Ehefrau und den Kindern die Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 28. Juli 2016 zuerkannt worden sei. Weiter komme hier auch die Richtlinie 2003/109/EG zur Anwendung. Im Ergebnis stehe jedenfalls fest, dass dem Antragsteller ein Bleiberecht im Bundesgebiet zustehe. Der Stellung eines Asylantrags sei insoweit nicht notwendig gewesen. Behördlicherseits hätte der Antragsteller dahin beraten werden müssen, dass bezüglich der aufenthaltsrechtlichen Fragestellungen nicht das Bundesamt, sondern die Ausländerbehörde zuständig sei. Der angefochtene Bescheid sei damit aufzuheben, da er von der falschen Behörde erlassen worden sei.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt aus, bei Vorliegen einer ausländischen den Flüchtlingsstatus zuerkennenden Entscheidung sei das Bundesamt zu einer erneuten Zuerkennung weder verpflichtet noch berechtigt. Die im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigte Kernfamilie sei bei der Festsetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots berücksichtigt worden. Die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse obliege der zuständigen Ausländerbehörde. Im Übrigen bestünden angesichts des zuerkannten Schutzstatus des Antragstellers in Malta und seiner Familie in Deutschland ausländerrechtliche Möglichkeiten hinsichtlich einer Familienzusammenführung in Deutschland. Eine Zuständigkeit des Bundesamtes sei insoweit aber nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die mit dem Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wie auch der dieser zugrundeliegenden Sachentscheidungen zum Anspruch auf Asylgewährung bzw. zur Zuerkennung des internationalen Schutzes und zum Vorliegen von Abschiebungsverboten bestehen (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Zu dem Vorbringen des Antragstellers, es gehe ihm um die Geltendmachung eines auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) bzw. den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Rechtstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger gestützten Bleiberechts in Deutschland, woraus bereits die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides folge, da das Bundesamt insoweit nicht die zuständige Behörde sei, ist Folgendes festzustellen:
Zwar steht die Entscheidung in Bezug auf entsprechende Aufenthaltsrechte in der Tat nicht dem Bundesamt zu. Dies kann aber schon deshalb nicht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides begründen, weil hierüber im Bescheid auch nicht entschieden wurde, im Verfahren beim Bundesamt vielmehr ausschließlich die mit dem Antrag geltend gemachten Ansprüche (Anerkennung als Asylberechtigter, Zuerkennung des internationalen Schutzes) behandelt wurden und die nach den Regelungen des Asylgesetzes vorgesehenen Neben- bzw. Folgeentscheidungen getroffen wurden (Feststellung zu Abschiebungsverboten, Abschiebungsandrohung, Befristung des Wiedereinreiseverbots). Die Einlassung des Antragstellers, die Antragstellung sei Folge einer nicht sachgerechten behördlichen Beratung gewesen, ändert, auch wenn dies zutreffen sollte, nichts daran, dass er nach Aktenlage einen wirksamen Antrag gestellt hat und dementsprechend das Bundesamt verpflichtet war, hierüber zu entscheiden.
Eine formelle Rechtswidrigkeit des Bescheides (die auch einen Aufhebungsanspruch zur Folge hätte) könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn man die Anfechtung einer Asylantragstellung wegen Irrtums in entsprechender Anwendung von §§ 119 ff. BGB für zulässig erachten wollte (vgl. VGH BW, B.v. 7.12.1981 – A 13 S 191/81 – VBlBW 1983,22), im vorliegenden Fall tatsächlich ein beachtlicher Anfechtungsgrund vorlag und eine Anfechtung auch unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) erfolgt ist bzw. wenn von einer Wirkungslosigkeit der Antragstellung deshalb auszugehen wäre, weil der Antragsteller in der Sache keinen Asylantrag stellen wollte (der Antrag also irrtümlich gestellt wurde) und das Bundesamt dies auch erkannt hat (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 22 Rn. 79). Eine (unverzügliche) Anfechtung ist hier aber ersichtlich nicht erfolgt und nach Aktenlage fehlt es auch an hinreichend eindeutigen Hinweisen darauf, dass von einer Wirkungslosigkeit der Antragstellung auszugehen sein könnte. (Allerdings ist festzustellen, dass im Schreiben vom 08.10.2018, das vermutlich zur Einleitung des Verfahrens Anlass gegeben hat, der Antragsteller tatsächlich nur aufenthaltsrechtliche Fragestellungen angesprochen hat.)
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang weiter darauf, dass der Antragsteller die Möglichkeit hat, den Antrag bis zum Eintritt von dessen Bestandskraft zurückzunehmen. Ein solches Vorgehen kann aber nachteilige Auswirkungen etwa in Bezug auf ein Folgeantragsverfahren haben und die Antragsrücknahme kann in gleicher Weise wie die unanfechtbare Ablehnung eines Asylantrags zu Erschwernissen im Hinblick auf die Erteilung einer (asylunabhängigen) Aufenthaltserlaubnis führen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG).
Die Rechtmäßigkeit der mit dem angefochtenen Bescheid getroffenen Verfügungen begegnet im Übrigen keinen ernstlichen Zweifeln.
Da dem Antragsteller in Malta die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, ist sein in Deutschland gestellter Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Dafür, dass dem Antragsteller in Malta eine Behandlung ernsthaft drohen würde (insbesondere im Hinblick auf die dortigen Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte), die sich als Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta darstellen würde – für diesen Fall wäre wegen der Vorgaben des Gemeinschaftsrechts eine Unzulässigkeitsablehnung trotz der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in dem anderen Mitgliedstaat nicht statthaft (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17 – BeckRS 2019, 28304) -, ist nichts ersichtlich, wobei anzumerken ist, dass es dem Antragsteller während seines Aufenthalts in Malta augenscheinlich gelungen ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der Regelung des § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 und 3 AsylG über den internationalen Schutz für Familienangehörige. Geht man davon aus, dass § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verdrängt wird, wenn § 26 einschlägig ist (vgl. hierzu OVG LSA, U.v. 19.2.2019 – 4 L 201/17 – juris; höchstrichterlich ist diese Frage noch nicht geklärt), so würde die Zuerkennung (abgeleitet von der Ehefrau bzw. den minderjährigen Kindern, denen in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde) doch daran scheitern, dass der Antragsteller den Asylantrag nicht unverzüglich nach seiner Einreise gestellt hat (vgl. § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG; Einreise zum Zwecke eines Daueraufenthalts soweit ersichtlich an 05.08.2017; Asylantragstellung am 08.01.2019).
Die Entscheidung zum Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten in Bezug auf Malta und die Abschiebungsandrohung begegnen gleichfalls keinen Bedenken.
Bezüglich der Abschiebungsandrohung sei bemerkt, dass davon auszugehen sein dürfte, dass der Antragsteller tatsächlich vor einer Abschiebung geschützt ist, weil seine Familie als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland lebt und er im Hinblick auf das Gebot der Wahrung der Familieneinheit (vgl. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK, Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU) beanspruchen kann, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen ihm gegenüber unterbleiben. Dieser Umstand stand allerdings dem Erlass der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt nicht entgegen, da die Prüfung von Vollstreckungshindernissen dieser Art nicht in die Zuständigkeit des Bundesamtes fällt, sondern hierüber die Ausländerbehörde zu befinden hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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