Verwaltungsrecht

Zugehörigkeit einer alleinstehenden, nicht geschiedenen Frau zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3 AsylG

Aktenzeichen  14 ZB 18.31863

Datum:
11.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1015
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1 u. Abs. 4 S. 4
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 138, § 154 Abs. 2

 

Leitsatz

Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) erschüttert worden sind (im Anschluss an VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris).

Verfahrensgang

AN 1 K 17.30575 2018-05-07 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris Rn. 3 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Die Klägerin hält erstens die Frage für klärungsbedürftig, „ob alleinstehende, nicht geschiedene Frauen mit einem zuvor gescheiterten und abgelehnten Scheidungsantrag, selbstständig überleben können, wie zum Beispiel Wohnungen mieten und Unterstützung vom Staat erhalten, da gesellschaftliche Normen verlangen, dass Frauen im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds leben.“
Hierzu führt sie im Wesentlichen aus, entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sei der iranische Staat weder in der Lage noch willens, Schutz vor Verfolgung durch Familienangehörige, hier Schutz vor Verfolgung durch die Familie des betrogenen Ehemanns, in Fällen von gescheiterten Scheidungsanträgen zu bieten. Die Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass sie von der Familie des (Noch)-Ehemanns verfolgt und bedroht werde. Die Argumentation des Verwaltungsgerichts, eine Verfolgungsgefahr bestehe nicht, da für eine etwaige Bedrohung bei einer Rückkehr keine Originaldokumente vorgelegt worden seien, sei unzutreffend. Eine etwaige Rückkehr zu dem Vater der Klägerin, um von diesem Unterstützung zu bekommen, unterliege ebenfalls einer Falscheinschätzung des Verwaltungsgerichts. Die Eltern der Klägerin seien mit ihrer Heirat nicht einverstanden gewesen. Kontakt zu ihrem Vater bestehe nicht. Weiterhin lebe ein Großteil der Familie der Klägerin in Deutschland. Des Weiteren sei die Argumentation des Verwaltungsgerichts, sie könne sich jederzeit scheiden lassen, in Zweifel zu ziehen. Selbst bei einer etwaigen Scheidung würde der Klägerin die Zwangsheirat drohen. Um überleben zu können, wäre die Klägerin gezwungen, sich einer Zwangsheirat hinzugeben. Zum einen bekomme sie keinen Rückhalt von der noch im Iran lebenden Familie. Zum anderen habe sie mit ihrer ersten Heirat gegen den Willen des Vaters gehandelt und damit die Ehre der Familie verletzt.
Mit diesen Ausführungen ist eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.
Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge, die sodann bereits für sich genommen den Zugang zum Berufungsverfahren eröffnen würde, bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist im Asylverfahrensrecht aber nicht eröffnet (siehe § 78 Abs. 3 AsylG), so dass Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen nur über die – begrenzt eröffnete – Verfahrensrüge möglich sind (vgl. VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Daran gemessen ist eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht dargelegt, weil das Verwaltungsgericht die Klägerin nicht als alleinstehend im Sinne der aufgeworfenen Frage angesehen hat und weil die Klägerin die der nunmehrigen Behauptung ihres Alleinstehens entgegenstehenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen erschüttert hat.
Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin als verheiratete Frau mit einer Rückzugsmöglichkeit bei ihrem Vater angesehen und keinen endgültigen Scheidungswillen der Klägerin und/oder ihres Ehemanns festgestellt.
In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, es sei insbesondere glaubhaft, dass sich die Klägerin von ihrem Ehemann zunächst habe scheiden lassen wollen und in diesem Zusammenhang die Rückgabe der Morgengabe von ihren Schwiegereltern verlangt habe, worauf sie von diesen aus der Einliegerwohnung in deren Haus geworfen worden sei und anschließend wieder bei ihrem Vater gelebt habe. Auch die weiteren Schilderungen, dass ihr Ehemann anlässlich eines Hafturlaubs die Klägerin gebeten habe, wieder mit ihm zusammen zu leben, sich dann aber eine Zweitfrau genommen habe, hat das Verwaltungsgericht für glaubhaft gehalten (UA S. 15). Nicht geglaubt hat das Verwaltungsgericht der Klägerin jedoch wegen unauflösbarer Widersprüche zwischen ihren Schilderungen beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung die vorgetragenen angeblich fluchtauslösenden Ereignisse, insbesondere dass sie zusammen mit ihrem Freund bei diesem Zuhause von dessen getrennt lebender Ehefrau überrascht und deswegen nachfolgend von ihren Schwiegereltern wegen angeblichen Ehebruchs bedroht worden sei (UA S. 15 ff.).
Diese tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die der nunmehrigen Behauptung ihres Alleinstehens entgegenstehen, hat die Klägerin nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen erschüttert. Ihre nun erstmals aufgestellte Behauptung, alleinstehend zu sein, weil kein Kontakt mehr zu ihrem Vater bestehe und weil sie keinen Rückhalt von der noch im Iran lebenden Familie bekomme, ist so im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens unbeachtlich. Sie enthält weder eine Verfahrensrüge bezogen auf die Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts noch wird mit diesem Vortrag seinerseits eine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.
Die Klägerin hält zweitens die Frage für klärungsbedürftig, „ob die Klägerin als alleinstehende, nicht geschiedene Frauen mit einem zuvor gescheiterten und abgelehnten Scheidungsantrag und nicht im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds leben kann, zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zählt.“
Hierzu führt sie im Wesentlichen aus, sie sei als alleinstehende, nicht geschiedene Frau einer bestimmten sozialen Gruppe zugehörig, was das Verwaltungsgericht in der Entscheidung verkenne und im Rahmen des Antrags auf Zulassung der Berufung der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung gebe. Der Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG liege vor. Alleinstehende, nicht geschiedene Frauen hätten Schwierigkeiten, selbständig eine Wohnung zu mieten und alleine zu wohnen, da gesellschaftliche Normen verlangten, dass eine Frau im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds lebe. Sie könnten im Iran keine Unterstützung vom Staat oder der Gesellschaft erwarten, redaktioneller Leitsatz des Verwaltungsgerichts Ansbach, Urteil vom 16. März 2017 – AN 1 K 16.32047 -.
Mit diesen Ausführungen ist eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, weil das Verwaltungsgericht die Klägerin nicht als alleinstehend im Sinne der aufgeworfenen Frage angesehen hat und weil die Klägerin die der nunmehrigen Behauptung ihres Alleinstehens entgegenstehenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts (siehe oben) nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen erschüttert hat.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.


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