Verwaltungsrecht

Zulässigkeit von Bearbeitungshinweisen bei Prüfungsaufgaben

Aktenzeichen  Au 3 K 15.832

Datum:
12.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 3 Abs. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Bearbeitungshinweise sind im Prüfungswesen allgemein üblich und anerkannt. Sie dürfen dem Prüfling, ausgehend von seinem Fachwissen, nichts Unmögliches abverlangen und müssen verständlich und widerspruchsfrei sein. (redaktioneller Leitsatz)
Es kann von einem Prüfling trotz des prüfungsbedingten Zeitdrucks erwartet werden, dass er die in Fußnoten gut sichtbaren Bearbeitungshinweise beachtet (Parallelentscheidung zu BeckRS 2016, 49047). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.
Das für die Klägerin erstellte Prüfungszeugnis der Beklagten vom 29. Januar 2015 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12. Mai 2015 sind rechtmäßig, so dass sie die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Sie hat daher keinen Anspruch auf ein neues, entsprechend ihrem Klageantrag korrigiertes Prüfungszeugnis (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen (vgl. BVerwG, U. v. 9.8.1996 – 6 C 3.95 – juris Rn. 38 m. w. N.). Soweit ein Prüfling substantiierte Einwendungen erhebt, hat das Verwaltungsgericht darüber zu urteilen, ob die vom Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar war. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte jedoch ihre Lösung der Aufgabe 4.7 („2%“) zu Recht als falsch bewertet. Dies folgt aus dem in der Fußnote 1) der abgebildeten „Bilanz zur 4. Aufgabe“ gegebenen Bearbeitungshinweis, den die Klägerin hätte durchlesen, beachten und befolgen müssen.
Bearbeitungshinweise sind grundsätzlich unbedenklich. Sie sind im Prüfungswesen allgemein üblich und anerkannt. Als Bestandteil von Prüfungsaufgaben dürfen sie jedoch von dem Prüfling, ausgehend vom Prüfungswissen, fachlich nichts Unmögliches verlangen und müssen zudem verständlich und in sich widerspruchsfrei sein (vgl. BVerwG, U. v. 9.8.1996 a. a. O. Rn. 40). Des Weiteren dürfen sie nicht gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen, müssen also sachlich gerechtfertigt sein, wobei insoweit dem Prüfer bzw. Ersteller der Prüfungsaufgabe ein weiter, gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Gestaltungsspielraum zukommt. Der in der Fußnote 1) gegebene Bearbeitungshinweis „Aktive Rechnungsabgrenzungsposten werden den Forderungen zugerechnet“ steht mit diesen Anforderungen im Einklang.
Der konkrete Bearbeitungshinweis ist hinreichend klar und unmissverständlich formuliert. Dies wird letztlich auch von der Klägerin eingeräumt, die sich darauf beruft, die strittige Fußnote zwar gelesen, berechtigterweise aber nicht befolgt zu haben. Soweit sie geltend macht, einem Prüfling, der sich, wie sie, umfassend auf die Prüfung vorbereitet habe und somit Formel und Bedeutung der Forderungsquote kenne, könne nicht zugemutet werden, eine abgebildete Bilanz nach Fußnoten an Stellen zu durchforsten, die mit dem Sachverhalt fachlich und rechtlich nichts zu tun hätten, ist dem bereits entgegenzuhalten, dass sie nach ihren Angaben den strittigen Bearbeitungshinweis durchgelesen hat. Abgesehen davon kann von einem Zwang zum „Durchforsten“ keine Rede sein. Vielmehr war die Fußnote 1) ebenso wie die Fußnoten 2) und 3) gut sichtbar in der gleichen Schriftgröße wie die meisten Bilanzpositionen unterhalb der abgebildeten Bilanz angebracht. Auch das Argument, Auszubildende müssten sich auf Kontinuität verlassen können, weil sie sich in hohem Maße anhand „alter“ Prüfungen vorbereiteten, ist nicht stichhaltig. Vielmehr würde der Prüfungszweck offenkundig verfehlt, wenn immer wieder die gleichen Prüfungsaufgaben ohne wesentliche Modifikation gestellt würden, weil dann die Fähigkeit zum eigenständigen Denken keine maßgebliche Rolle mehr spielen würde. Zwar wäre es zielführender gewesen, wenn der Hinweis auf die Fußnote „1)“ zumindest auch bei den Forderungen gegeben worden wäre. Dies kann jedoch nicht als Mangel der Prüfungsaufgabe gewertet werden, weil von jedem Prüfling trotz des prüfungsbedingten Zeitdrucks erwartet werden kann, dass gut sichtbare Bearbeitungshinweise gelesen werden. Dies hat die Klägerin nach ihren Angaben auch getan.
Dass die Prüfungsaufgabe 4.7 in Übereinstimmung mit dem strittigen Bearbeitungshinweis objektiv lösbar war, verdeutlicht der Umstand, dass etwa 15 von 25 Absolventen der Berufsschule II in … den Bearbeitungshinweis befolgt und auf diese Weise zu der von der AkA vorgegebenen Musterlösung gekommen sind.
Die rechtliche Zulässigkeit des strittigen Bearbeitungshinweises lässt sich auch nicht mit dem Argument in Frage stellen, die dort formulierte Zuordnung der aktiven Rechnungsabgrenzungsposten zu den Forderungen sei fachlich und rechtlich falsch im Sinn der Bilanzgliederung gemäß dem Handelsgesetzbuch. Vielmehr lässt der Bearbeitungshinweis die konkrete Bilanzgliederung, die den handelsrechtlichen Vorgaben entsprechend zwischen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (B. II. 1.) einerseits und (aktiven) Rechnungsabgrenzungsposten (C.) andererseits unterscheidet, unberührt und gibt lediglich eine Vorgabe für die Berechnung der sog. Forderungsquote. Die in der Fußnote 1) konkret gegebene Vorgabe ist fachlich und damit auch rechtlich vertretbar, weil bei einem aktiven Rechnungsabgrenzungsposten das Unternehmen in Vorleistung gegangen ist und damit eine Forderung gegen den Zahlungsempfänger hat, deren Erfüllung in ähnlicher Weise mit einem Unsicherheitsrisiko belastet ist wie die Erfüllung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gemäß B. II. 1. der abgebildeten Bilanz.
Da ein rechtlich zulässiger Bearbeitungshinweis nach seinem erkennbaren Sinn und Zweck für jeden Prüfling verbindlich ist, musste die Klägerin den strittigen Bearbeitungshinweis, den sie nach ihren Angaben durchgelesen hat, bei der Lösung der Aufgabe 4.7 befolgen. Wenn sie dies, aus welchen Gründen auch immer, nicht tat, handelte sie auf eigenes Risiko.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung war gemäß § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.


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