Verwaltungsrecht

Zulassung der Berufung bei Zwangspensionierung

Aktenzeichen  3 ZB 19.2443

Datum:
13.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4555
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 26 Abs. 1
BayBG Art. 65, Art. 66
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 S. 4

 

Leitsatz

Einer weiteren Begutachtung bedarf es nur, wenn die vorliegenden amtsärztlichen Äußerungen erkennbare Mängel aufweisen, insbesondere von unzutreffenden Tatsachen ausgehen würden, oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen bestünde oder auch wenn es sich um besonders schwierige oder umstrittene medizinische Fragen handelte, zu denen einander widersprechende Gutachten vorliegen würden Eine Diagnose ist im Gutachten nicht erforderlich. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 19.174 2019-10-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 54.764,68 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel) und § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Auf der maßgeblichen Grundlage des Zulassungsvorbringens liegen keine ernstlichen Zweifel in diesem Sinn vor, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen könnten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums vom 22. November 2018, mit dem die dauernde Dienstunfähigkeit des 1964 geborenen Klägers (Kriminaloberkommissar, Besoldungsgruppe A 10) festgestellt und seine Versetzung in den Ruhestand nach § 26 Abs. 1 BeamtStG im Zwangspensionierungsverfahren (vgl. Art. 66 BayBG) verfügt worden ist, zu Recht abgewiesen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzung kommt es dabei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier also des Bescheides vom 22. November 2018 – an (stRspr vgl. BVerwG, U. v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10). Das Verwaltungsgericht ist anhand des Gesundheitszeugnisses des Ärztlichen Dienstes der Polizei vom 2. März 2018 (Untersuchungstermin vom 2.3.2018), ergänzt durch die Stellungnahme der Amtsärztin vom 23. Juli 2018, zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger dauernd dienstunfähig ist (§ 26 Abs. 1 BeamtStG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 BayBG) und eine anderweitige Verwendung nach § 26 Abs. 2, 3 BeamtStG ebenso wie die Annahme einer begrenzten Dienstfähigkeit (vgl. § 27 BeamtStG) nicht in Betracht kommt.
1.1 Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils kann nicht mit der Begründung als ernstlich zweifelhaft beurteilt werden, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht vom Vorliegen der Dienstunfähigkeit des Klägers ausgegangen, weil das maßgeblich zur Begründung herangezogene Gutachten keine ausreichende Prognose erlaube.
Die Amts- und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Frau Medizinaldirektorin Dr. K., kommt in ihrem Gesundheitszeugnis vom 2. März 2018 zur Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers zu folgendem Ergebnis:
„Bei Würdigung der Vorgeschichte und des zwischenzeitlichen Verlaufes besteht nach polizeiärztlichem Dafürhalten gegenwärtig keine Aussicht mehr, dass der seit dem 7.12.2016 durchgehend dienstunfähige Beamte innerhalb der nächsten 6 Monate wieder voll dienstfähig wird (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V. mit Art. 65 Abs. 1 BayBG). Somit kann … [der Kläger] aus gutachterlicher Sicht nunmehr als dauernd dienstunfähig angesehen werden.“
Der vom Kläger erhobene Einwand, seine Ruhestandsversetzung beruhe auf spekulativen Erwägungen des polizeiärztlichen Dienstes, nicht aber auf konkreten Diagnosen und Feststellungen, vermag die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen. Tatsächlich hat die Amtsärztin in ihrem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme vom 23. Juli 2018 davon gesprochen, dass aktuell bei dem Beamten das Vorliegen einer psychischen Gesundheitsstörung sowie auch ein erhöhter Alkoholkonsum nach wie vor nicht ausgeschlossen werden könne. Zugleich begründet sie ihre Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit des Klägers sowohl mit der Vorgeschichte und dem zwischenzeitlichen Verlauf als auch damit, dass der Beamte seit 7. Dezember 2016 durchgehend dienstunfähig ist. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf den konkreten Arbeitsplatz des Beamten, vielmehr auf das abstrakt-funktionelle Amt eines Polizeibeamten, also die Gesamtheit der beim Beklagten in Betracht kommenden Dienstposten in der Wertigkeit des übertragenen Statusamts.
Vor dem Hintergrund der in den Akten geschilderten Umstände konnte das Verwaltungsgericht ohne Rechtsfehler im angefochtenen Urteil (UA Rn. 34) auf der Basis der gutachterlichen Aussage der Amtsärztin davon ausgehen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheides keine Aussicht besteht, dass der Kläger innerhalb von sechs Monaten wieder voll dienstfähig wird. Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Beurteilung zu Recht berücksichtigt, dass nicht nur die Amtsärztin, sondern auch die behandelnden Ärzte während des stationären Aufenthalts des Klägers in einer Fachklinik im April 2017 wie auch der Oberarzt der psychiatrischen Universitätsklinik, bei der sich der Kläger im Jahr 2017 zeitweise in ambulanter Behandlung befand, den Verdacht auf eine anhaltende wahnhafte Störung (F 22.0 der Klassifikation nach der ICD-10) angegeben haben und sich diese Verdachtsdiagnose nur bei weiterer Behandlungsbereitschaft des Klägers bestätigen lasse, der sich aber beharrlich weigere, an seiner Behandlung mitzuwirken. Mit Blick darauf, dass bei dem Kläger innerdienstlich (Verschwörungstheorien, Verfolgungsfantasien) wie außerdienstlich (Eifersuchtund Verfolgungsempfinden, Suizidandrohung) erhebliche Auffälligkeiten beobachtet wurden, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Dienstfähigkeit geführt haben, ist es in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht (UA Rn. 35) inhaltlich für eine Dienstunfähigkeit im Sinne des Art. 65 Abs. 1 letzter Halbsatz BayBG ausreichend, wenn die Amtsärztin (nur) davon spricht, dass sie eine fortbestehende wahnhafte Störung nicht ausschließen könne. Auch vor dem Hintergrund seiner durchgehenden Dienstunfähigkeit seit 7. Dezember 2016 vermag die mehrfach bekundete Absicht des Klägers, seinen Dienst unbedingt wieder dauerhaft versehen zu wollen, zu keinem anderen Ergebnis zu führen; den entsprechenden Bekundungen liegt offenbar eine fehlerhafte Einschätzung der eigenen gesundheitlichen Situation zu Grunde.
Der Kläger rügt, die Polizeiärztin habe, anstatt medizinische Diagnosen zu treffen, lediglich Spekulationen angestellt (vgl. bereits UA Rn. 35). Ihm dürften die bislang nicht durchgeführten notwendigen Therapiemaßnahmen nicht vorgehalten werden, weil seine Terminanfragen bei 13 Therapeuten mangels freier Kapazitäten allesamt abgelehnt worden seien; vielmehr solle ihm der Ärztliche Dienst der Polizei einen Therapeuten vermitteln (UA Rn. 37). Damit vermag der Kläger nicht durchzudringen, da sich sein Zulassungsvorbringen auf die bloße Wiederholung seines bisherigen Vortrags beschränkt, ohne damit einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen. Inwiefern es dem Kläger objektiv oder subjektiv unmöglich gewesen sein sollte, dem Verlangen auf Durchführung einer Therapie nachzukommen, erschließt sich dem Senat nicht; denn der Kläger hat durch die bloße Vorlage einer Liste über (angeblich) konsultierte Therapeuten zu keinem Zeitpunkt schlüssig dargetan, dass er durch fehlende therapeutische Kapazitäten nicht in der Lage gewesen wäre, sich der amtsärztlich für erforderlich gehaltenen Aufnahme und regelmäßigen Durchführung einer ambulanten psychiatrischen Behandlung mit wöchentlich stattfindenden Behandlungsterminen sowie der Durchführung einer konsequenten Psychopharmakotherapie zu unterziehen. Denn geeignete Behandlungsangebote nahm der Kläger nicht wahr. Die in der Privatambulanz der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München im Februar 2017 begonnene Behandlung wurde wegen der fehlenden Krankheitseinsicht, Behandlungsbereitschaft und Medikamenten-Compliance des Klägers, bei dem nach ärztlicher Einschätzung weiterhin von einer wahnhaften Störung ausgegangen werde, eingestellt. Ungeachtet dessen teilten die behandelnden Ärzte des Universitätsklinikums mit, dass die Klinik jederzeit gerne wieder zur Verfügung stehe, sollten sich wesentliche Umstände bei dem Kläger bezüglich Compliance oder Behandlungsbereitschaft ändern (Ärztlicher Bericht Dr. R. vom 29.11.2017).
1.2 Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers nicht dadurch verletzt, dass es den hilfsweise in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung, ob und gegebenenfalls welche Erkrankungen beim Kläger vorliegen bzw. bei deren Fehlen zum Nachweis dafür, dass bei ihm keine behandlungsbedürftigen Erkrankungen gegeben sind, im Urteil (UA Rn. 38 ff.) abgelehnt hat.
Ein Verstoß gegen § 86 Abs. 2 VwGO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil ein hilfsweise gestellter Antrag die Bescheidungspflicht nach § 86 Abs. 2 VwGO nicht auslöst (stRspr, BVerwG, B.v. 12.2.2018 – 2 B 56.17 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Indem das Verwaltungsgericht den Beweisantrag ablehnte, weil es mangels konkreter Begründung für die beantragte Beweiserhebung nicht ersichtlich sei, welche neuen und weiteren Erkenntnisse die beantragte Beweiserhebung erbringen könnte, hat es nicht gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Denn entgegen der Auffassung des Klägers, der meint, das amtsärztliche Gutachten vom 2. März 2018 mit Ergänzung vom 23. Juli 2018 sei wegen einer fehlenden verbindlichen Diagnose einer Erkrankung unzulänglich (dazu s.o.), hätte es einer weiteren Begutachtung nur bedurft, wenn die vorliegenden amtsärztlichen Äußerungen erkennbare Mängel aufweisen, insbesondere von unzutreffenden Tatsachen ausgehen würden, oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen bestünde oder auch wenn es sich um besonders schwierige oder umstrittene medizinische Fragen handelte, zu denen einander widersprechende Gutachten vorliegen würden (stRspr BVerwG, B.v. 10.3.2011 – 2 B 37.10 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 14.7.2014 – 3 ZB 13.775 – juris Rn. 7). Keine dieser Fallgruppen liegt hier vor. Dem Gericht musste sich auch nicht aus sonstigen Gründen aufdrängen, vermeintlichen Mängeln des amtsärztlichen Gutachtens durch Einschaltung einer sachverständigen Person nachzugehen. Insoweit verweist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf, dass eine Diagnose nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nicht erforderlich, im Gesundheitszeugnis nicht vorgesehen (Art. 67 Abs. 1 BayBG) und nach Abschnitt 8 Nr. 1.4.2.5 erster Spiegelstrich Satz 2 VV-BeamtR ausdrücklich unterbleiben soll (UA Rn. 13).
2. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Erstinstanz).
4. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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