Verwaltungsrecht

Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils

Aktenzeichen  9 ZB 21.2366

Datum:
30.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41359
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils fordert eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. VGH München BeckRS 2021, 9532 Rn. 9 mwN). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 19.774 2021-07-08 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Nutzungsuntersagung betreffend Wohnraum in 51 Wohneinheiten des Gebäudes G… straße … in W…, FlNr. … Gemarkung W…
Anlässlich einer bauaufsichtlichen Kontrolle am 20. Dezember 2016 stellte die Beklagte fest, dass statt der mit Bescheiden der Beklagten vom 14. April 2011, 31. Juli 2012 und 30. Januar 2013 dem Kläger genehmigten 26 Wohnungen insgesamt 75 Wohneinheiten auf dem Baugrundstück, nämlich abweichend von den bestehenden Baugenehmigungen im Kellergeschoss 15 Wohneinheiten, im Rampengeschoss/Rampengeschoss Galerie 23 Wohneinheiten, im Erdgeschoss 15 Wohneinheiten und im Dachgeschoss 13 Wohneinheiten geschaffen worden waren. Mit Bescheid vom 23. Juni 2017 untersagte die Beklagte dem Kläger die Nutzung der Kellergeschossräume zum Zweck des Wohnens. Dem leistete der Kläger Folge.
Mit Bauantrag vom 6. Oktober 2017 beantragte der Kläger im Hinblick auf den baulichen Zustand und die Nutzung im Rampengeschoss, im Erdsowie im Dachgeschoss die Erteilung einer Baugenehmigung für die sogenannte 3. Planänderung (23 Einzimmerapartments im Rampengeschoss, vier WG-Wohnungen mit je zwei Zimmern sowie acht Einzimmerappartements im Erdgeschoss und zwei WG-Wohnungen mit vier bzw. neun Zimmern im Dachgeschoss). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. August 2018 verpflichtete die Beklagte den Kläger, die Bescheinigung Brandschutz I als Nachweis eines Prüfsachverständigen über die Prüfung des Brandschutznachweises, welcher die planabweichende, bislang nicht genehmigte Bauausführung der 3. Planänderung abbildet, und eine schriftliche Erklärung eines Prüfsachverständigen für Brandschutz in Form einer vorläufigen Bescheinigung zur brandschutztechnischen Unbedenklichkeit der vorzeitig aufgenommenen Nutzung vorzulegen. Dem kam der Kläger nicht nach. Die Beklagte versagte die Baugenehmigung für die 3. Planänderung mit Bescheid vom 24. Mai 2019 wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses aufgrund unzureichenden Brandschutzes. Zudem fehle es am Nachweis der Barrierefreiheit der Wohnungen einer Etage und ein Großteil der Apartments im Rampen- und Erdgeschoss erfülle nicht die Anforderungen an Aufenthaltsräume. Es sei auch kein prüffähiger Stellplatznachweis vorgelegt worden. Die auf die Erteilung der Baugenehmigung für die 3. Planänderung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Juli 2021 (Az. W 5 K 19.784) abgewiesen. Den betreffenden Antrag auf Zulassung der Berufung (Az. 9 ZB 21.2368) hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 29. November 2021 abgelehnt.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 untersagte die Beklagte dem Kläger, die Räume im Rampengeschoss/Rampengeschoss Galerie, im Erdgeschoss und im 4. Obergeschoss (Dachgeschoss) im Gebäude G… straße … in W…, FlNr. … Gemarkung W… nach Ablauf von vier Monaten ab Zustellung des Bescheids zum Zweck des Wohnens selbst zu nutzen oder durch Dritte nutzen zu lassen (Nr. I). Nr. II des Bescheids enthält eine Duldungsanordnung zulasten der Miteigentümer. Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. III) und jeweils ein Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung innerhalb der gesetzten Frist, betreffend die Verpflichtung unter Nr. I in Höhe von 20.000,00 Euro, betreffend die Verpflichtung unter Nr. II in Höhe von 3.000,00 Euro je Miteigentümer, angedroht (Nr. IV und V).
Die gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Juli 2021 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er kann mangels hinreichender Darlegung nicht auf den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützt werden. Soweit sich der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen sinngemäß auch darauf beruft, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg.
1. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Erforderlich ist die Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage und das Aufzeigen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, sowie weshalb dieser Frage eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 24). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Der Kläger formuliert bereits keine entscheidungserhebliche grundsätzlich klärungsbedürftige Frage, sondern führt nur einzelfallbezogen aus, warum er die angegriffene Nutzungsuntersagung, mit der schwerwiegende Folgen für die Bewohner verbunden seien, als unverhältnismäßig erachtet.
2. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
Der Kläger weist auf eine aus seiner Sicht genehmigungsfähige Planung hin, die er mit seinem Bauantrag vom 28. Dezember 2020 (4. Planänderung) vorgelegt habe. Obgleich steter Austausch zwischen den Parteien zum Bauvorhaben stattgefunden habe, gehe die Beklagte, die u.a. noch Unterlagen zum Brandschutznachweis gefordert habe, ausweislich ihres Schreibens vom 8. Juli 2021 vom Eintritt der Rücknahmefiktion aus. Zudem habe er der Beklagten, wie vom Verwaltungsgericht angeraten, um Wohnungsräumungen zu vermeiden, am 2. August 2021 einen genehmigungsfähigen Bauantrag zur 5. Planänderung vorgelegt. Der Brandschutz solle danach bauaufsichtlich geprüft und umgesetzt werden. Damit setze sich die Beklagte nicht auseinander, sondern betreibe medienwirksam die Durchsetzung der Nutzungsuntersagung. Die Begehung des Klägers mit dem Brandschutzsachverständigen … habe keine Gefahr für Leib und Leben der Hausbewohner ergeben, die eine Räumung rechtfertigen würde. Nach Einreichung einer genehmigungsfähigen Planung sei die Nutzungsuntersagung rechtswidrig. Bei einer ermessensfehlerfreien Interessenabwägung seien zudem die drohende Obdachlosigkeit der Bewohner und der Zeitablauf von zweieinhalb Jahren zu berücksichtigen.
Mit alldem genügt der Kläger dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht. Zu fordern ist eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2021 – 9 ZB 20.874 – juris Rn. 9 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Das Verwaltungsgericht hat die untersagte ungenehmigte Nutzung nicht nur als formell, sondern auch als materiell rechtswidrig angesehen, weil sie die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an den Brandschutz, an Stellplätze sowie an Wohnungen und Aufenthaltsräume nicht erfülle. Zur Begründung hat es auf seinen Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom 9. August 2019 (Az. W 5 S 19.819) und die hierzu ergangene Beschwerdeentscheidung des erkennenden Senats mit Beschluss vom 5. November 2019 (Az. 9 CS 19.1675) Bezug genommen. Der Kläger habe insbesondere nicht vorgetragen, die danach festgestellten Brandschutzmängel bereinigt zu haben. Er sei auch nicht den Verpflichtungen aus dem bestandskräftigen Bescheid der Beklagten vom 20. August 2018 nachgekommen. Die Nutzungsuntersagungsverfügung sei ermessensfehlerfrei ergangen und verhältnismäßig, zumal brandschutzrechtliche Verstöße bei Baukontrollen der Beklagten tatsächlich festgestellt worden seien, fortbestünden und dementsprechend Gefahr für Leib und Leben der Bewohner bestehe. Hieran ändere sich durch den Zeitablauf seit Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nichts. Die Verhältnismäßigkeit sei hier auch nicht deshalb fraglich, weil eine Legalisierung mit großer Sicherheit bevorstehe. Dies sei angesichts der unterschiedlichen Auffassungen von Kläger und Beklagter zum Stellplatznachweis, zur Barrierefreiheit und zu der brandschutzrechtlichen Problematik nicht der Fall.
Mit alldem setzt sich der Kläger nicht auseinander, sondern wiederholt nur erstinstanzliches Vorbringen oder stellt seine eigene Rechtssauffassung dar (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2019 – 20 ZB 18.2196 – juris Rn. 3). Der Hinweis des Klägers auf eine angebliche Einschätzung eines Brandschutzsachverständigen, wonach keine Gefahr für die Hausbewohner bestehe, ist nicht geeignet, die umfangreichen und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu festgestellten Brandschutzmängeln und der deshalb vorliegenden Gefahrenlage in Zweifel zu ziehen. Soweit der Kläger auf seine Bauanträge zur 4. und 5. Planänderung verweist, erörtert er weder deren Verhältnis zueinander noch zum Bauantrag zur 3. Planänderung, mit der er ursprünglich die Legalisierung des Bauvorhabens herbeiführen wollte. Er legt auch nicht dar, wieso es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagungsverfügung trotz erstinstanzlich festgestellter materieller Rechtswidrigkeit der Nutzung auf diese Bauanträge ankommen könnte. Abgesehen davon, dass auch schon das Verwaltungsgericht dem von der Beklagten als zurückgenommen behandelten Bauantrag zur 4. Planänderung und den ihm vorgelegten Unterlagen zur einem beabsichtigten weiteren Bauantrag des Klägers zu einer 5. Planänderung keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat, ist nicht ersichtlich, dass der Kläger damit einen Antrag gestellt hätte, der den von der Nutzungsuntersagung erfassten Zustand abbildet und genehmigungsfähig wäre. Angesichts der im Zulassungsverfahren vorgelegten Unterlagen zum nunmehr gestellten Bauantrag zur 5. Planänderung spricht vielmehr Einiges dafür, dass der Kläger nur noch einen von der 3. Planänderung erheblich abweichenden Genehmigungsgegenstand verfolgt. So sollen nach der 5. Planänderung im Rampengeschoss wohl nur noch 17 statt 23 Apartments, im Erdgeschoss nur noch acht Apartments statt zusätzlich vier WG-Wohnungen, im 2. bis 3. Obergeschoss vier statt bisher drei Wohnungen und im Dachgeschoss 13 Apartments statt zwei WG-Wohnungen errichtet werden. Der Kläger selbst hatte im Übrigen den Bauantrag zur 5. Planänderung in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. Juli 2021 als Modifikation zur 4. Planänderung angekündigt, der an Stelle der 3. Planänderung einer Genehmigung zugeführt werden solle.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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