Verwaltungsrecht

Zum Ausweisungsinteresse bezogen auf einen spielsüchtigen Straftäter

Aktenzeichen  10 ZB 19.723

Datum:
14.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13886
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4, § 86 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG $ 53 Abs. 1, § 25 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Fehlt es am Abschluss einer erfolgreich abgeschlossener Therapie kann nach wie vor vom Fortbestehen einer Spielsucht und damit einer Wiederholungsgefahr für Straftaten gegen das Eigentum anderer ausgegangen werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus einer Straffreiheit seit Entlassung aus der Haftentlassung kann nicht zwangsläufig auf das Entfallen der Wiederholungsgefahr geschlossen werden, wenn sie – unter Berücksichtigung der bisherigen Delinquenz und der Rückfallgefahr – nicht über einen längeren Zeitraum erfolgt und zudem Führungsaufsicht angeordnet ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 17.4793 2019-03-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. September 2017, mit dem er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und auf Verpflichtung der Beklagten auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier in Bezug auf die Ausweisung des Klägers und die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht der Fall.
Die Ausweisung betreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger weiterhin Straftaten begehen werde. Er sei nach Aktenlage und nach den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung weiterhin spielsüchtig. Nach seinen Angaben habe er die Spielsucht zwar „überwunden“, eine erfolgreich absolvierte Therapie habe er aber nicht nachgewiesen. Laut Beschluss der Strafvollstreckungskammer sei der Kläger ein Bewährungsversager mit hoher Rückfallgeschwindigkeit; seine Taten seien letztlich auf Geldmangel wegen einer ungelösten Spielsuchtproblematik zurückzuführen. Diesem Beschluss komme indizielle Bedeutung zu. Es sei auch nicht erkennbar geworden, dass sich an der grundlegenden Einstellung des Klägers zur Rechtsordnung etwas geändert hätte. Er habe nach wie vor keine Versuche unternommen, sich legale Einkommensquellen zu erschließen. Dass er seit der Haftentlassung straffrei geblieben sei, ändere daran nichts. Auch könne der Kläger keine Integrationsfaktoren vorweisen, die dafür sprächen, dass er über die Zeit der Führungsaufsicht hinaus ein straffreies Leben werde führen können. Sein Vater oder sein Bruder, bei dem er die überwiegende Zeit gelebt habe, hätten ihm auch in der Vergangenheit nicht die nötige Stabilität vermitteln können.
In Bezug auf die Verpflichtungsklage auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis führt das Gericht aus, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG an § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und 4 AufenthG und § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG scheitere.
Der Einwand des Klägers, die Argumentation des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen der Wiederholungsgefahr sei in sich nicht schlüssig, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag konnte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass beim Kläger nach wie vor eine Spielsucht bzw. eine problematische Einstellung zum Glücksspiel besteht. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 8. September 2017 bezogen, in dem dem Kläger aufgegeben wird, sich zur Aufarbeitung der Spielsuchtproblematik einer ambulanten Suchtentwöhnungsbehandlung zu unterziehen. Der Kläger habe angegeben, dass er vor seiner Inhaftierung fünf Jahre lang ca. 20.000 Euro an Spielautomaten verspielt habe. Eine derartige mehrjährige Problematik bedürfe der therapeutischen Aufarbeitung, da der Kläger seine Straftaten primär aus Geldmangel begangen habe und die ungelöste Spielsuchtproblematik weitere einschlägige Taten befürchten lasse. Im Bericht vom 12. September 2018 weist seine Bewährungshelferin darauf hin, dass auch die Psychiaterin (die die psychiatrische Erkrankung behandelt) dringend zusätzlich zur ambulanten Suchtentwöhnungsbehandlung eine psychotherapeutische Unterstützung im Einzelsetting empfehle. Die tatsächlichen Feststellungen zur Spielsucht des Klägers beruhen also nicht, wie im Zulassungsverfahren vorgebracht, auf den Angaben des Klägers gegenüber der Betreuerin. Die von der Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 8. September 2017 angeordnete ambulante Suchtentwöhnungsbehandlung hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung wegen Problemen mit der Gruppe bereits nach zwei Monaten abgebrochen. Daher konnte das Verwaltungsgericht auch davon ausgehen, dass mangels erfolgreich abgeschlossener Therapie nach wie vor vom Bestehen der Spielsucht und damit einer Wiederholungsgefahr für Straftaten gegen das Eigentum anderer auszugehen ist.
Ebenso zutreffend ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass aus der Straffreiheit des Klägers seit der Haftentlassung nicht zwangsläufig auf das Entfallen der Wiederholungsgefahr geschlossen werden könne. Der Zeitraum von eineinhalb Jahren ist angesichts der bisherigen Delinquenz, der hohen Rückfallgeschwindigkeit und der angeordneten Höchstdauer der Führungsaufsicht nicht geeignet, eine für den Kläger günstige Gefahrenprognose zu begründen. Zunächst erzeugt bereits das laufende Ausweisungsverfahren einen „Legalbewährungsdruck“ (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 15). Zudem muss der Kläger den Auflagen und Weisungen des Führungsaufsichtsbeschlusses nachkommen, so dass sein Verhalten einer Kontrolle unterliegt (BayVGH, a.a.O.; B.v. 1.3.2019 – 10 ZB 18.2494 – juris Rn. 10 m.w.N.). Beim Kläger war vom Entfallen der Führungsaufsicht nach der Haftentlassung nicht abzusehen, weil die von Gesetzes wegen eintretende Führungsaufsicht ermöglichen soll, seine weitere Entwicklung zu beobachten und ihn insbesondere durch die Beiordnung eines Bewährungshelfers in positiver Hinsicht zu stabilisieren (Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 8. September 2017, S. 4).
Ein Widerspruch in der Argumentation des Verwaltungsgerichts, der die Richtigkeit der Gefahrenprognose in Frage stellen würde, ist darin nicht zu sehen. Denn die nicht therapierte Spielsucht des Klägers stellt neben der bisherigen Delinquenz, der Rückfallgeschwindigkeit und des fehlenden stabilen sozialen Empfangsraums nur einen bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigenden Umstand dar (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 9 m.w.N.) und der Führungsaufsicht kommt gerade im Hinblick auf die Spielsucht wegen der Therapieweisung eine besondere Bedeutung als Druckmittel für ein straffreies Verhalten zu.
Bezüglich der Abweisung der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis fehlt es bereits an einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Darlegung eines Zulassungsgrunds.
Soweit der Kläger anführt, das Gericht hätte zur Frage, ob noch eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr besteht, ein Sachverständigengutachten einholen müssen, benennt er schon keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe und erfüllt zudem die Darlegungsvoraussetzungen nicht. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 2 VwGO läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht einen unbedingten Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt hätte und sich hierfür im Prozessrecht keine Stütze finden würde. Der Kläger hat jedoch einen entsprechenden Beweisantrag nicht gestellt. Für die erfolgreiche Geltendmachung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO hätte es der Darlegung bedurft, dass sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob vom Kläger derzeit noch die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ausgeht, hätte aufdrängen müssen. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht jedoch regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 4.1.2019 – 10 ZB 18.2036 – juris Rn. 9 m.w.N.). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers die Prognoseentscheidung nicht ohne Sachverständigengutachten hätte getroffen werden können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 A Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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