Verwaltungsrecht

Zum Zulassungsgrund der Divergenz bei einer Asylrechtsstreitigkeit

Aktenzeichen  6 ZB 21.50027

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16426
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Für den Zulassungsgrund der Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist es erforderlich, dass ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechts- oder Tatsachensatz benannt wird, mit dem dieses von einem in der Rechtsprechung des Divergenzgerichts in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 19.40517 2021-03-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 8. März 2021 – B 4 K 19.50417 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Abweichung von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) ist nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
Hierfür ist es erforderlich, dass ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechts- oder Tatsachensatz benannt wird, mit dem dieses von einem in der Rechtsprechung des Divergenzgerichts in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, u.a. BayVGH, 12.12.2019 – 6 ZB 19.1143 – juris Rn. 32; B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 27). Daran fehlt es.
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil u.a. festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin (Kläger im Verfahren 6 ZB 21.50026) von Mai 2011 bis 2019 in Italien gelebt und dort einen Asylantrag gestellt habe. Die Klägerin sei am 1. Juni 2018 im Rahmen der Familienzusammenführung zu ihrem Ehemann nach Italien gekommen. Sie habe für die Einreise ein Visum gehabt, weil ihr Mann sich legal in Italien aufgehalten habe. Am 14. Mai 2019 sei die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland eingereist; beide hätten hier am 27. Mai 2019 einen Asylantrag gestellt. Am 11. September 2019 sei die gemeinsame Tochter P. geboren worden. Das Bundesamt habe den Asylantrag der Klägerin zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG als unzulässig abgelehnt, weil gemäß Art. 12 Abs. 1 Dublin-III-VO Italien für die Prüfung des Antrags der Klägerin auf internationalen Schutz zuständig sei. Der zuständige Mitgliedstaat Italien habe am 27. Juni 2019 der Rücküberstellung der Klägerin zugestimmt. Es gebe keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinn des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich brächten. Das gelte auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der erneut schwangeren Klägerin, ihrem Mann und der am 11. September 2019 geborenen Tochter P. um eine vulnerable Personengruppe handele. Italien habe auf die Rechtsprechung des EGMR vom 4. November 2014 (29217/12) reagiert und die Betreuungsplätze für Familien ausgebaut. Es sei seitens Italien gesichert, dass das Bundesamt vor der Überstellung einer Familie im Fall mangelnder Verfügbarkeit von adäquater Unterbringung rechtzeitig informiert werde. Italien habe mit Schreiben vom 8. Januar 2019 eine allgemeine Zusicherung der adäquaten Unterbringung für alle Personen erteilt, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt würden. Diese schließe Familien mit Kindern unter drei Jahren ein. Bekräftigt werde dies durch das Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 8. Februar 2021, wonach im Rahmen des neuen Systems auch aus Mitgliedstaaten zurücküberstellte Familien mit minderjährigen Kindern aufgenommen würden, um die Familieneinheit zu gewährleisten. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2019 (2 BvR 1380/19 – juris) stehe der Rückführung nicht mehr entgegen. Die Sorge, dass eine Familie nach ihrer Dublin-Rückkehr ungewollt auf der Straße landen könnte, sei nach dem ausführlichen Bericht des Bundesamts zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2. April 2020 mittlerweile unbegründet und eine angemessene Unterbringung, Verpflegung und Versorgung in Aufnahmeeinrichtungen gewährleistet.
Im vorliegenden Fall habe die zuständige italienische Behörde am 27. Juni 2019 der Rücküberstellung der Klägerin auf der Grundlage des Art. 12 Abs. 1 Dublin-III-VO ausdrücklich zugestimmt. Sie solle sich sofort nach der Einreise bei der Grenzpolizei am Flughafen F. melden. Das Bundesamt sei gebeten worden, rechtzeitig vor dem Transfer Informationen über besondere gesundheitliche oder sensible Gegebenheiten, die bei der Ankunft zu bedenken seien, mitzuteilen. Überstellungen durch die deutsche Vollzugsbehörde würden rechtzeitig vor dem Transfer unter Angabe aller sensiblen, insbesondere gesundheitlichen Besonderheiten angekündigt, damit die italienischen Stellen ausreichend Zeit hätten, eine geeignete Unterkunft für die Rückkehrer zur Verfügung zu stellen. Somit bestehe keine Wahrscheinlichkeit, dass sie nach der Überstellung von Obdachlosigkeit bedroht wären.
Dieser ausführlichen Würdigung der Sach- und Rechtslage anhand der Auswertung neuester Erkenntnismittel setzt die Zulassungsbegründung keine widersprechenden Rechts- oder Tatsachenfeststellungen eines Divergenzgerichts im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG entgegen. Sie zitiert zwar u.a. aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Oktober 2020 (- 13a ZB 18.30891 – juris), stellt diesen Zitaten aber keinen hiervon abweichenden Rechts- oder Tatsachensatz des verwaltungsgerichtlichen Urteils gegenüber. Dass der Zulassungsantrag die Ausführungen des Verwaltungsgerichts anders bewertet, betrifft die Ebene der tatrichterlichen Würdigung im konkreten Einzelfall, begründet aber keine Divergenz in Rechts- oder Tatsachensätzen und kann daher nicht zum Erfolg eines darauf gestützten Zulassungsantrags führen. In der Sache rügt die Klägerin vielmehr die – ihrer Meinung nach – fehlerhafte oder unzureichende Anwendung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs durch das Verwaltungsgericht. Dies begründet jedoch keine Divergenz (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BVerwG, B.v. 9.3.2021 – 2 B 6.21 – juris Rn. 7; B.v. 16.6.2020 – 4 BN 54.19 – juris Rn 3; B.v. 24.8.2017 – 4 B 35.17 – juris Rn. 10; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447; BayVGH, B.v. 2.9.2019 – 6 ZB 19.623 – juris Rn. 15; B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 28; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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