Verwaltungsrecht

zur Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Wahlberichtigungsbescheids

Aktenzeichen  4 CS 20.3144

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4228
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1
BayGLKrWG Art. 50 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6, Art. 59 S. 1
BayGO Art. 110 S. 1

 

Leitsatz

1. Erklärungen sind auch dann „vorgeschrieben“ im Sinne von Art. 59 Satz 1 GLKrWG, wenn mit ihrer freiwilligen Abgabe bestimmte Rechtsfolgen verbunden sind, sie also als Tatbestandsmerkmale „vorgeschrieben“ wurden. (Rn. 24 – 25)
2. Die sofortige Vollziehbarkeit eines Wahlberichtigungsbescheids kommt entgegen der amtlichen Vollzugsbekanntmachung (GLKrWBek) nicht nur in Ausnahmefällen in Betracht. (Rn. 31)

Verfahrensgang

RO 3 S 20.2627 2020-12-17 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 17. Dezember 2020 wird die sofortige Vollziehung der Nr. 1 Buchst. b des Wahlberichtigungsbescheids des Landratsamts … vom 15. Juli 2020 angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines von der Rechtsaufsichtsbehörde erlassenen Wahlberichtigungsbescheids, wonach er und ein weiterer Kandidat seiner Wählergruppe zu Mitgliedern des Stadtrats gewählt worden seien.
Laut dem am 30. März 2020 verkündeten Ergebnis der Gemeinderatswahl vom 15. März 2020 erhielt die Wählergruppe, auf deren Liste der Antragsteller kandidiert hatte, zwei Stadtratssitze. Diese standen nach dem persönlichen Stimmenergebnis dem Beigeladenen zu 3 und dem Antragsteller zu, die Beigeladenen zu 1 und 2 waren danach die ersten Listennachfolger.
Mit einer an den Wahlleiter gerichteten E-Mail vom 9. April 2020 teilte der Antragsteller, der schon Mitglied des bisherigen Stadtrats war, unter Hinweis auf eine entsprechende Pressemitteilung mit, dass er sein Amt „niederlegen“ und zum Ende der Wahlperiode aus dem Stadtrat ausscheiden werde. Es werde gebeten, den Stadtrat von dem Ausscheiden zu informieren und den notwendigen Beschluss zu fassen. Sollte eine Unterschrift des Antragstellers benötigt werden, werde um Mitteilung gebeten.
Der daraufhin erneut einberufene Wahlausschuss stellte am 21. April 2020 fest, dass der Antragsteller sowie der Beigeladene zu 3, der ebenfalls per E-Mail die Nichtannahme des Stadtratsmandats erklärt hatte, die Wahl wirksam abgelehnt hätten, so dass die Beigeladenen zu 1 und zu 2 als Mitglieder des Stadtrats gewählt seien.
Mit Schreiben vom 30. April 2020 teilte der Antragsteller dem Wahlleiter mit, dass er seinen Antrag auf Entlassung aus dem Ehrenamt als Gemeinderatsmitglied zurücknehme. Das Landratsamt … berichtigte daraufhin in seiner Funktion als Rechtsaufsichtsbehörde mit Bescheid vom 15. Juli 2020 das vom Wahlausschuss am 21. April 2020 festgestellte Ergebnis der Gemeinderatswahl dahingehend, dass der Beigeladene zu 3 und der Antragsteller als die Bewerber mit den meisten Stimmen für den Wahlvorschlag ihrer Wählergruppe Stadtratsmitglieder und die Beigeladenen zu 1 und 2 Listennachfolger seien. In der Begründung des Bescheids wurde ausgeführt, eine lediglich per E-Mail an den Wahlleiter übermittelte Amtsniederlegung entspreche nicht dem Schriftformerfordernis nach Art. 59 GLKrWG. Das Landratsamt habe als Rechtsaufsichtsbehörde gemäß Art. 50 Abs. 1 und 2 GLKrWG, Art. 110 Satz 1 GO im Rahmen der amtlichen Prüfung das Wahlergebnis zu berichtigen, wenn ohne die Verletzung von Wahlvorschriften die Sitzverteilung anders ausgefallen wäre oder andere Personen das Amt erhalten hätten.
Gegen den Wahlberichtigungsbescheid ließen die Beigeladenen zu 1 und 2 jeweils am 14. August 2020 Klage erheben, über die noch nicht entschieden worden ist. Sie trugen u. a. vor, dem mit der Schriftform verfolgten Zweck, den Erklärenden vor Übereilung zu schützen und ihm die Bindungswirkung der Erklärung vor Augen zu führen, sei hier eindeutig Rechnung getragen, da der Antragsteller seine Amtsniederlegung und deren Hintergründe sogar mittels einer Presseerklärung und per Facebook der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe. Zudem sei ihm als Rechtsanwalt grundsätzlich zu unterstellen, wirksame Erklärungen abgeben zu wollen. Da die E-Mail ihn eindeutig als Verfasser ausweise, sei auch die Klarstellungs- und Beweisfunktion erfüllt.
Mit Schreiben vom 27. Juli 2020 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt … den Sofortvollzug des Wahlberichtigungsbescheids. Es sei nicht hinnehmbar, dass der gegenwärtige rechtswidrige Zustand – die Mitwirkung von zwei nicht gewählten Stadträten an Beschlüssen im Stadtrat – noch länger aufrechterhalten bleibe.
Mit Bescheid vom 20. August 2020 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Sofortvollzug ab. Für die sofortige Vollziehung eines solchen Bescheids sei ein besonderes Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgehe, das die Wahlberichtigung selbst rechtfertige. Ein Interesse am Sofortvollzug könne bestehen, wenn die Wahl von Amtsträgern auf offensichtlichen und groben Manipulationen beruhe, was eine sofortige Unterbindung der Amtsführung gebiete. Ein solches Verhalten liege hier nicht vor. Da die bisherigen Beschlüsse des Stadtrats nach Art. 50 Abs. 6 GLKrWG auch im Falle der Bestandskraft des Berichtigungsbescheids ihre Gültigkeit behielten, sei der Stadtrat auch in seiner Funktionsfähigkeit nicht eingeschränkt. Der Begünstigte des Bescheids habe einen Rechtsanspruch auf Sofortvollzug, wenn sein Interesse an der Vollziehbarkeit das Suspensivinteresse des Belasteten überwiege. Insoweit seien auch die Umstände zu berücksichtigen, die zur Berichtigung der Wahl Anlass gegeben hätten. Der Antragsteller sei von den zuständigen Wahlorganen nicht abgehalten worden, seine Erklärung über die Amtsniederlegung persönlich und handschriftlich unterzeichnet abzugeben. Ein Missbrauch des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung durch die in den Stadtrat aufgerückten Listennachfolger liege nicht vor.
Den vom Antragsteller daraufhin gestellten Antrag auf gerichtliche Anordnung des Sofortvollzugs des Wahlberichtigungsbescheids lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 ab. Der Antrag sei mangels eigener Rechtsbetroffenheit unzulässig, soweit er sich auf die Feststellung des Wahlergebnisses hinsichtlich der Beigeladenen beziehe. Hinsichtlich der Feststellung zur Ratsmitgliedschaft des Antragstellers sei der Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthaft, aber unbegründet. Bei der erforderlichen Interessenabwägung sei zunächst zu klären, ob ein das Beteiligteninteresse überwiegendes besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug vorliege; anderenfalls ergebe sich der Maßstab für die verwaltungsgerichtliche Entscheidung aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 VwGO, wobei maßgeblich auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache abzustellen sei. Hiernach sei der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung abzulehnen. Ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug sei nicht erkennbar. Die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Stadtrats sei wegen Art. 50 Abs. 6 GLKrWG unabhängig vom Ausgang der Hauptsacheverfahren der Beigeladenen zu 1 und 2 nicht beeinträchtigt. Auch wenn die unter deren Mitwirkung erfolgte Wahl des Stellvertreters des ersten Bürgermeisters an Mängeln leiden sollte, führe dies nach Art. 11 Abs. 7 KWBG nicht zur Unwirksamkeit der von dem Gewählten vorgenommenen Amtshandlungen; zudem könne die Wahl eines weiteren Bürgermeisters grundsätzlich nur innerhalb von vier Monaten seit ihrer Vornahme rechtsaufsichtlich beanstandet oder vom Dienstherrn von Amts wegen aufgehoben werden. Ein besonderes öffentliches Interesse lasse sich auch nicht damit begründen, dass die demokratische Legitimität des Gemeinderats gewährleistet und der Wählerwille umgesetzt werden müsse, da die objektiv richtige Zusammensetzung des Stadtrats aus den nachfolgend genannten Gründen noch nicht abschließend beurteilt werden könne. Die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklagen der Beigeladenen zu 1 und 2 seien bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen; der Wahlberichtigungsbescheid sei zumindest nicht offensichtlich rechtmäßig. Die missverständlich formulierte Erklärung des Antragstellers, sein Amt als Stadtrat zum 30. April 2020 „niederlegen“ zu wollen, sei so zu verstehen, dass er noch vor Beginn der neuen Amtszeit am 1. Mai 2020 die Amtsübernahme für die neue Wahlperiode im Sinne von Art. 48 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 Alt. 1 GLKrWG habe ablehnen wollen. Da die Ablehnung lediglich per E-Mail erklärt worden sei, spreche einiges für eine Verletzung des Schriftformerfordernisses nach Art. 59 Satz 1 GLKrWG. Ob hier, wie von den Beigeladenen zu 1 und 2 vorgetragen, eine teleologische Reduktion der Vorschrift aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls in Betracht komme, könne im Rahmen der im Verfahren des Eilrechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend beurteilt werden; insoweit seien die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklagen als offen zu bewerten. Es könne insbesondere nicht abschließend beurteilt werden, ob der mit dem Schriftformerfordernis verfolgte Zweck, den Erklärenden vor Übereilung zu schützen und ihm die besondere Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung vor Augen zu führen, gewahrt worden sei. Der Hinweis des Antragstellers in seiner E-Mail, er bitte um Mitteilung, falls seine Unterschrift benötigt werde, spreche durchaus dafür, dass er selbst daran gezweifelt haben könnte, ob die Ablehnung der Amtsübernahme per E-Mail bereits rechtlich bindende Wirkungen habe entfalten können. Bei der gebotenen Abwägung ergebe sich, dass überwiegende Gründe, die eine sofortige Amtsführung seitens des Antragstellers erforderten, nicht vorlägen. Mit der Erklärung, sein Amt „niederlegen“ zu wollen, habe er selbst die Ursache gesetzt, die zur Feststellung der Beigeladenen zu 1 und 2 als Gemeinderatsmitglieder geführt habe. Es erscheine hiernach nicht unzumutbar, dass er die vom Gesetz vorgesehene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklagen hinnehmen müsse. Nach der ministeriellen Bekanntmachung zum Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz sei nur in Ausnahmefällen eine sofortige Vollziehung der Berichtigung einer Gemeinderats- oder Kreistagswahl anzuordnen (Nr. 87.4 GLKrWBek).
Mit der gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 17. Dezember 2020 die sofortige Vollziehung des Wahlberichtigungsbescheids des Landratsamts … vom 15. Juli 2020 anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er noch während seiner Amtszeit am 30. April 2020 von seinem Recht zum „Rücktritt vom Rücktritt“ Gebrauch gemacht habe. Er bleibe damit gewählter und amtierender Stadtrat, was ihm per se ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Wahlberichtigungsbescheids verleihe. Die Beigeladenen zu 1 und 2 seien dagegen lediglich Nachrücker, deren Interesse sich allein aus ihrer rechtswidrig erfolgten Vereidigung ergebe und daher jedenfalls nachrangig sei. Es bestehe ein berechtigtes und überwiegendes öffentliches Interesse der Stadt und ihrer Bürger, dass der Stadtrat mit gewählten Mitgliedern besetzt sei.
Der Antragsgegner und die Beigeladenen zu 1 und 2 treten dem Zulassungsantrag entgegen und beantragen jeweils,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 17. Dezember 2020 gerichtete Beschwerde, bei der nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe geprüft werden, hat teilweise Erfolg. Der Antragsteller kann nach § 80a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO die gerichtliche Anordnung der sofortigen Vollziehung zwar nicht hinsichtlich der die Beigeladenen betreffenden Regelungen des Wahlberichtigungsbescheids vom 15. Juli 2020 verlangen (a), jedoch hinsichtlich der ihn begünstigenden Regelung in Nr. 1 Buchst. b des Bescheids (b).
a) Soweit das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung angenommen hat, der Antrag sei hinsichtlich der Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 des Wahlberichtigungsbescheids mangels eigener Rechtsbetroffenheit des Antragstellers bereits unzulässig, fehlt es im Beschwerdeverfahren schon an der Darlegung von Gründen, die diese rechtliche Bewertung in Frage stellen könnten. Es kann im Übrigen nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den von der Aufsichtsbehörde getroffenen Feststellungen, der Beigeladene zu 3 sei als Bewerber mit den meisten Stimmen im Wahlvorschlag Stadtratsmitglied geworden (Nr. 1 Buchst. a des Wahlberichtigungsbescheids) und die Beigeladenen zu 1 und 2 seien erster bzw. zweiter Listennachfolger (Nr. 2 des Wahlberichtigungsbescheids), nicht im Sinne von § 80a Abs. 1 VwGO um an den Antragsteller gerichtete und ihn begünstigende Verwaltungsakte handelt, deren sofortige Vollziehung er gegebenenfalls verlangen könnte.
b) Hinsichtlich der den Antragsteller persönlich betreffenden Feststellung in Nr. 1 Buchst. b des Wahlberichtigungsbescheids, wonach er als Bewerber mit den zweitmeisten Stimmen im Wahlvorschlag Stadtratsmitglied geworden ist, hat die Beschwerde Erfolg.
Der Beschwerdebegründung lässt sich insoweit mit hinreichender Klarheit entnehmen, dass der Antragsteller den streitgegenständlichen Bescheid – entgegen der vorläufigen Einschätzung des Verwaltungsgerichts – für eindeutig rechtmäßig hält und daher sowohl ein überwiegendes eigenes Interesse als auch ein erhebliches öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung annimmt. Dieser rechtlichen Bewertung ist im Ergebnis zu folgen.
Wie das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend dargelegt hat, kommt es bei der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung in den mehrpoligen Rechtsverhältnissen nach § 80 Abs. 1 Satz 2, § 80a VwGO maßgeblich auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie auf die jeweilige Interessenlage der Beteiligten an (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80a Rn. 6 f., 23; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80a Rn. 26). Fehlt es an einem auf den Einzelfallumständen beruhenden öffentlichen Vollzugsinteresse, so hat der durch den angefochtenen Verwaltungsakt Begünstigte selbst bei zu erwartender Erfolglosigkeit des von dem Dritten eingelegten Rechtsbehelfs nicht zwingend einen Anspruch auf Anordnung der sofortigen Vollziehung, sondern nur dann, wenn er wie in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 VwGO ein besonderes Interesse gerade am Sofortvollzug des Verwaltungsakts vorweisen kann (Puttler, a.a.O., Rn. 29 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen war die sofortige Vollziehung der Nr. 1 Buchst. b des Wahlberichtigungsbescheids vom 15. Juli 2020 anzuordnen. Der Bescheid erweist sich insoweit schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig (aa). Der Antragsteller hat an der gerichtlichen Anordnung des Sofortvollzugs auch ein besonderes persönliches Interesse (bb).
aa) Die vom Landratsamt … als der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde (Art. 110 Satz 1 GO) im Rahmen der amtlichen Wahlprüfung (Art. 50 Abs. 1 GLKrWG) vorgenommene Berichtigung des vom Wahlausschuss am 21. April 2020 festgestellten Wahlergebnisses bezüglich des Antragstellers war nach Art. 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GLKrWG rechtlich geboten. In der Annahme des Wahlausschusses, die E-Mail vom 9. April 2020 sei als wirksame Ablehnung der Amtsübernahme anzusehen, lag eine Verletzung einer zwingenden Wahlvorschrift, wodurch eine andere als die gewählte Person das Amt erhielt. Die lediglich auf elektronischem Weg übermittelte Erklärung des Antragstellers über die „Niederlegung“ seines Mandats genügte nicht dem in Art. 59 Satz 1 GLKrWG normierten besonderen Schriftformerfordernis und konnte daher nicht zum Verlust des ihm nach dem Wahlergebnis zustehenden Sitzes im Stadtrat führen.
Da die genannte E-Mail erst am 9. April 2020 und damit zehn Tage nach Bekanntgabe des abschließenden Ergebnisses der Wahl beim Wahlleiter einging, konnte sie nicht als Ablehnung der Wahl verstanden werden; diese hätte nach der speziellen Vorschrift des Art. 47 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG binnen einer Woche nach der (vorläufigen) Verkündung des Wahlergebnisses schriftlich oder zur Niederschrift bei der Gemeindeverwaltung erklärt werden müssen. Die noch vor Beginn der Amtsperiode (1.5.2020) abgegebene Erklärung des Antragstellers stellte, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, entgegen ihrem Wortlaut auch keine Niederlegung des Amtes als Stadtrat nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 Alt. 2 GLKrWG dar, da dieser Schritt schon begrifflich ein vorheriges Innehaben des Amtes voraussetzt. Wird in dem Zeitraum zwischen der Annahme der Wahl (Art. 47 Abs. 1 und 2 GLKrWG) und dem Beginn der Wahlzeit (Art. 23 Abs. 1 GLKrWG) auf das errungene Mandat verzichtet, so kann es sich nach dem erkennbaren Willen des Erklärenden (vgl. § 50 Abs. 3 GLKrWO) nur um eine Ablehnung der Übernahme des Amtes im Sinne von Art. 48 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 Alt. 1 GLKrWG handeln (vgl. LT-Drs. 16/9081 S. 15; Büchner, Kommunalwahlrecht in Bayern, Stand 1.2.2020, Anm. 3 zu Art. 48 GLKrWG).
Die nachträgliche Ablehnung der Amtsübernahme durch die gewählte Person führt aber nur dann zum Amtsverlust und damit zum Nachrücken des Listennachfolgers nach Art. 48 Abs. 1 Satz 3 GLKrWG, wenn die allgemeine Formvorschrift des Art. 59 Satz 1 GLKrWG eingehalten wurde. Danach müssen – vorbehaltlich abweichender wahlrechtlicher Bestimmungen – vorgeschriebene Erklärungen persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein und bei dem zuständigen Wahlorgan oder der zuständigen Stelle der Wahlorganisation im Original vorliegen. Bei der Mitteilung des Gewählten, das Amt als Stadtratsmitglied nicht über das Ende der laufenden Wahlperiode hinaus ausüben, die neue Amtsperiode also nicht antreten zu wollen, handelt es sich in diesem Sinne um eine „vorgeschriebene Erklärung“ (1). Da die dafür geforderte Form vom Antragsteller nicht eingehalten wurde, war die Erklärung unwirksam (2).
(1) Die abweichend von Art. 19 GO ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässige Ablehnung der Amtsübernahme bzw. Niederlegung des Amtes nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 GLKrWG setzt – im Unterschied zu den in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG aufgeführten Amtshindernissen und Amtsverlusttatbeständen – eine dahingehende Willensäußerung voraus. Die gewählte Person muss also eine entsprechende „Erklärung“ abgeben (vgl. Nr. 83.3 Satz 2 GLKrWBek, Bek. v. 7.5.2019, BayMBl Nr. 188), auch wenn dieser Terminus hier anders als in Art. 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 GLKrWG nicht ausdrücklich verwendet wird. Die Ablehnung bzw. Niederlegung des Amtes nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GLKrWG stellt auch eine „vorgeschriebene“ Erklärung dar. Gemeint sind damit nach dem Sinn und Zweck des Art. 59 GLKrWG nicht nur die (vor allem die Gültigkeit von Wahlvorschlägen betreffenden) Erklärungen, die von Rechts wegen zwingend gefordert sind (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 und 6 GLKrWO), sondern auch solche, mit deren freiwilliger Abgabe bestimmte Rechtsfolgen verbunden sind, d. h. die vom Normgeber als Tatbestandsmerkmale „vorgeschrieben“ worden sind. Dies ist bei den zum Amtsverlust führenden Verzichtserklärungen nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GLKrWG der Fall.
(2) Die Erklärung des Antragstellers vom 9. April 2020, das am 1. Mai 2020 beginnende Amt als Mitglied des Stadtrats nicht antreten zu wollen, wurde dem Wahlleiter lediglich im Wege einer einfachen E-Mail übermittelt; sie war daher weder handschriftlich unterzeichnet noch lag sie der zuständigen Stelle im Original vor. Damit entsprach sie nicht den in Art. 59 Satz 1 GLKrWG normierten Formerfordernissen, von denen auch die Gemeinde- und Landkreiswahlordnung keine Abweichungen gemäß Art. 59 Satz 2 GLKrWG zulässt.
Auf die Einhaltung dieser gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzung konnte hier entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1 und 2 nicht verzichtet werden. Mit der im Jahr 2002 neu aufgenommenen Vorschrift des Art. 59 GLKrWG wollte der Gesetzgeber die Anforderungen an das Schriftformerfordernis im Wahlrecht dahingehend klarstellen, dass die elektronische Form nicht mit der Schriftform gleichzusetzen ist (vgl. LT-Drs. 14/9960 S. 15). Dieser unmissverständlichen Regelungsabsicht würde es zuwiderlaufen, wenn eine als E-Mail-Nachricht versandte und nur in ausgedruckter Form ohne Unterschrift zu den Wahlunterlagen gelangte Mitteilung als gleichermaßen rechtswirksam behandelt würde. Die Formbedürftigkeit der wahlrechtlich vorgeschriebenen Erklärungen nach Art. 59 Satz 1 GLKrWG bildet eine strikt einzuhaltende Regel und nicht lediglich ein Prinzip, von dem ausnahmsweise abgewichen werden könnte, wenn die mit der handschriftlichen Unterzeichnung verbundene Warn- und Beweisfunktion auf andere Weise erfüllt ist.
Die Unabdingbarkeit der Schriftform stellt ein Wesensmerkmal des Wahlvorgangs auch auf der kommunalen Ebene dar. Das Verfahren, mit dem die personelle Zusammensetzung der örtlichen Volksvertretung bestimmt wird, ist schon wegen des darin liegenden Missbrauchs- und Konfliktpotenzials durch eine besondere Formstrenge gekennzeichnet. Dies betrifft nicht nur den Vorgang der Stimmabgabe, sondern ebenso die Feststellung des Wahlergebnisses und die nachfolgende Annahme und Innehabung des Amtes. Es muss zu jedem Zeitpunkt möglichst eindeutig feststellbar sein, wer an den Sitzungen der kommunalen Vertretungskörperschaft als stimmberechtigtes Mitglied teilnehmen darf. Daher kann ein gewählter Mandatsträger den ihm zustehenden Sitz nicht schon durch schlüssiges Verhalten oder eine sonstige beliebige Willensbekundung aufgeben, sondern nur durch einen Formalakt, mit dem die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit seines Entschlusses dokumentiert wird. Auf das Kommunalmandat kann – ebenso wie auf die Mitgliedschaft im Bundestag (§ 46 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 BWahlG) und im Bayerischen Landtag (Art. 56 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 LWG) – nur durch eine eigenhändig unterzeichnete schriftliche Erklärung verzichtet werden, über deren Rechtsfolgen der Wahlausschuss bzw. der Gemeinderat oder Kreistag zu entscheiden hat (Art. 48 Abs. 3 Satz 1 und 2 GLKrWG). Wird diese in Art. 59 Satz 1 GLKrWG zwingend vorgeschriebene Form wie hier nicht gewahrt, so ist die Verzichtserklärung von vornherein unbeachtlich, so dass es bei der bisherigen Ratsmitgliedschaft bleibt und ein Nachrücken des Listennachfolgers nach Art. 48 Abs. 1 Satz 3 GLKrWG nicht stattfindet. Die hinsichtlich des Antragstellers getroffene Feststellung in Nr. 1 Buchst. b des Wahlberichtigungsbescheids vom 15. Juli 2020 war somit rechtmäßig; sie wird aller Voraussicht nach in den noch anhängigen Hauptsacheverfahren Bestand haben.
bb) An der Anordnung des Sofortvollzugs dieses Teils des Bescheids der Rechtsaufsichtsbehörde hat der Antragsteller ein besonderes persönliches Interesse, das eine stattgebende Entscheidung nach § 80a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO rechtfertigt.
Wie der Senat im Beschluss vom 12. Juli 1984 (Az. 4 CS 84 A.1341 – BayVBl 1984, 723 f.) ausgeführt hat, können gegen eine Sofortvollzugsanordnung bei einem Wahlberichtigungsbescheid allenfalls dann prinzipielle Bedenken bestehen, wenn die Berichtigung des Wahlergebnisses auf eine – gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG erst nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zulässige – Festsetzung eines Nachwahltermins abzielt (vgl. dazu Bauer/Sebald, Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz mit Wahlordnung und Wahlbekanntmachung Bayern, 19. Aufl. 2013, Art. 50 Anm. 4.6; OVG RhPf, B.v. 14.3.1991 – 7 B 10325/91 – NVwZ-RR 1991, 502). Dies ist hier nicht der Fall, da der festgestellte Wahlrechtsverstoß nach Art. 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GLKrWG lediglich die zu Unrecht angenommene Wirksamkeit des vom Antragsteller erklärten Amtsverzichts mit der Folge eines Nachrückens des Listennachfolgers betraf und nicht nach Art. 50 Abs. 3 GLKrWG eine Ungültigerklärung der Wahl nach sich zog.
Dass auch in solchen (Dreiecks-)Konstellationen die – in Art. 50 Abs. 6 GLKrWG ausdrücklich genannte – sofortige Vollziehbarkeit des Berichtigungsbescheids nur ausnahmsweise in Betracht käme, folgt entgegen der amtlichen Vollzugsbekanntmachung (Nr. 87.4 Satz 1 GLKrWBek) nicht aus dem oben genannten älteren Senatsbeschluss und lässt sich auch in der Sache nicht begründen. Bestehen an der Rechtmäßigkeit der Berichtigungsentscheidung keine Zweifel, so wird vielmehr regelmäßig die sofortige Vollziehung des betreffenden Bescheids anzuordnen sein (ebenso Büchner, a.a.O., Anm. 3 zu Art. 50 GLKrWG m.w.N.).
Das für den Sofortvollzug erforderliche besondere Interesse des Begünstigten ergibt sich hier in der Regel aus dem legitimen Wunsch, so bald wie möglich und nicht erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens das Amt als gewähltes Mitglied der kommunalen Vertretungskörperschaft wahrnehmen zu können, um nicht für einen erheblichen Teil der Wahlperiode von der Mitwirkung an den ratsinternen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sein. Letzteres droht aber dem Antragsteller aufgrund der nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GLKrWG ergangenen Entscheidung des Wahlausschusses, die hinsichtlich der Mitgliedschaft im Stadtrat konstitutive Bedeutung besitzt (vgl. Büchner, a.a.O., Anm. 6 zu Art. 48 GLKrWG). Die darin getroffene Feststellung des Amtsverlusts hindert ihn fortlaufend an einer Ausübung seines aus dem Mitgliedschaftsrecht folgenden Anwesenheits-, Rede-, Antrags- und Stimmrechts und begründet insoweit die für die Gewährung von Eilrechtsschutz notwendige besondere Dringlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2018 – 4 CE 17.2450 – BayVBl 2018, 776 Rn. 18).
Das Interesse des Antragstellers an einem sofortigen Wirksamwerden des ihn begünstigenden Wahlberichtigungsbescheids wird nicht durch den Umstand gemindert, dass er mit seiner ursprünglichen Bekundung, das Amt als Stadtratsmitglied aufgeben zu wollen, selbst eine Ursache für die unzutreffende Feststellung des Mandatsverlusts gesetzt hat. Solange er die betreffende Erklärung nicht nach Art. 59 Satz 1 GLKrWG formgerecht abgegeben hatte, konnte er den Entschluss zum Ausscheiden aus dem Stadtrat jederzeit revidieren, ohne dass ihm daraus Nachteile (etwa prozessualer Art) hätten erwachsen dürfen. Er hat sein Recht auf ungeschmälerte Wahrnehmung der organschaftlichen Mitwirkungsbefugnisse auch durch die öffentliche Bekanntgabe des Mandatsverzichts nicht verwirkt. Umgekehrt kann sich der zu Unrecht als Nachrücker berufene Listennachfolger nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den zumindest vorläufigen Fortbestand seines Stadtratsmandats berufen.
An der Anordnung des Sofortvollzugs besteht zudem ein erhebliches öffentliches Interesse, das zu dem persönlichen Interesse des Antragstellers verstärkend hinzutritt (vgl. Guckelberger, a.a.O., § 80a Rn. 28). Durch die fehlerhafte Zusammensetzung des Stadtrats wird zwar dessen Handlungs- und Funktionsfähigkeit nicht in Frage gestellt, da die bis zur Bestandskraft des Wahlberichtigungsbescheids gefassten Beschlüsse und vorgenommenen Amtshandlungen gemäß Art. 50 Abs. 6 GLKrWG und Art. 11 Abs. 7 KWBG in jedem Fall wirksam bleiben. Unabhängig davon entspricht es aber allgemeinen demokratischen Grundsätzen (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV), dem in der letzten Kommunalwahl geäußerten Wählerwillen in Bezug auf die Besetzung der örtlichen Volksvertretung möglichst zeitnah Geltung zu verschaffen, was in der vorliegenden prozessualen Konstellation nur durch die beantragte Sofortvollzugsanordnung gesehen kann (vgl. Büchner, a.a.O.).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.5 und Nr. 22.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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