Verwaltungsrecht

Zur Bewertung der Erfolgsaussichten eines Prozesskostenhilfeantrags

Aktenzeichen  12 C 16.1693

Datum:
30.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII SGB VIII § 34, § 35a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 41 Abs. 1
VwGO VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag und einen Eilrechtsschutzantrag können in einem einheitlichen Beschluss ergehen (ebenso BVerfG BeckRS 2016,49758). (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht ein auf das Begründungserfordernis hinsichtlich der Prozesskostenhilfeentscheidung durchschlagender Unterschied zwischen der sog. ex-ante Perspektive im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags und der ex-post-Perspektive nach rechtlicher Würdigung des Antragsvorbringens, ist bei der Bewertung der Erfolgsaussichten des Prozesskostenhilfeantrags allein auf die ex-ante-Perspektive abzustellen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 3 E 16.1082 2016-08-05 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Bevollmächtigte des Antragstellers wendet sich mit ihrer Beschwerde unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2016 (2 BvR 2231/13 – juris) gegen Ziffer III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. August 2016, mit dem dem Antragsteller für seinen Antrag, im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Fortsetzung seiner stationären Unterbringung in der therapeutisch-heilpädagogischen Wohngruppe „K.“ für weitere vier Monate anzuordnen, die Gewähr von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung wegen mangelnder Erfolgsaussichten versagt worden ist.
Die zulässige Beschwerde hat indes keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch gemessen an den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Maßstäben zu Recht abgelehnt.
1. Mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 13) ist zunächst davon auszugehen, dass es dem Grunde nach zulässig ist, dass die Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag und einen Eilrechtsschutzantrag in einem einheitlichen Beschluss ergehen. Dabei ist es von Verfassungs wegen auch nicht generell ausgeschlossen, dass die Begründung zur Ablehnung von Prozesskostenhilfe lediglich auf die Ausführungen zur Begründetheit des Eilrechtsschutzantrags Bezug nimmt. Nach den Umständen des Einzelfalls kann sich allerdings – ausgehend von unterschiedlichen Erfolgsmaßstäben im Prozesskostenhilfe- und im Eilrechtsschutzverfahren – die Notwendigkeit einer eigenständigen Begründung der Ablehnung von Prozesskostenhilfe ergeben.
2. Insoweit lag, was die Bevollmächtigte des Antragstellers indes in der Beschwerdebegründung unberücksichtigt lässt, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Fallkonstellation zugrunde, bei der wohl die Mehrzahl der publizierten Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte die sich in der Sache stellende Frage in einem für den Beschwerdeführer positiven Sinne entschieden hatte, während das Verwaltungsgericht einer anderen Auffassung gefolgt war und den Eilantrag abgelehnt hatte. Erst dieser Umstand führt dazu, dass ein auf das Begründungserfordernis hinsichtlich der Prozesskostenhilfeentscheidung durchschlagender relevanter Unterschied zwischen der sog. ex-ante-Perspektive im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags und der ex-post-Perspektive nach rechtlicher Würdigung des Antragsvorbringens entsteht. In einem solchen Fall muss daher bei der Bewertung der Erfolgsaussichten des Antrags im Prozesskostenhilfeverfahren allein auf die ex-ante-Perspektive abgestellt werden und die Prozesskostenhilfeentscheidung eigens und ggf. abweichend von der Entscheidung über den Eilantrag begründet werden.
Im vorliegenden Fall zeigt die Bevollmächtigte des Antragstellers indes ein Auseinanderfallen von ex-ante- und ex-post-Perspektive bei der Entscheidung über den Eilantrag nicht auf. Denn auch aus der ex-ante-Perspektive, d.h. abstellend auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, besaß das Begehren des Antragstellers, seine stationäre Unterbringung in der Einrichtung „K“ im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung um vier Monate zu verlängern, keine Erfolgsaussichten.
3. So setzt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, die beantragte Bewilligung einer Eingliederungshilfemaßnahme für junge Volljährige nach § 41 Abs. 1, 2, § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) das Bestehen einer Teilhabebeeinträchtigung voraus, die das Jugendamt des Antragsgegners feststellen muss. Es werden jedoch weder im Eilrechtsschutzantrag Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung glaubhaft gemacht noch ergeben sich diese aus dem Akteninhalt. Auch hat der Antragsgegner die stationäre Unterbringung des Antragstellers in der Einrichtung „K.“ gerade nicht auf § 41 in Verbindung mit § 35a SGB VIII, sondern vielmehr auf § 34 SGB VIII gestützt. Mit der Beschwerde werden ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine stationäre Unterbringung als Eingliederungshilfemaßnahme nach § 35a SGB VIII vorgetragen. Weder aus ex-antenoch aus ex-post-Sicht liegen daher die Voraussetzungen für die Bewilligung von Eingliederungshilfe vor. Das Verwaltungsgericht hat dem auf § 35a SGB VIII gegründeten Antrag daher zu Recht keine Erfolgsaussichten beigemessen.
4. Dies gilt gleichermaßen für einen aus § 41 Abs. 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 34 SGB VIII abgeleiteten Anspruch auf Weiterführung der stationären Unterbringung in der Einrichtung „K“. Insoweit geht das Verwaltungsgericht zutreffend davon aus, dass der Antragsgegner einen Anspruch des Antragstellers nach § 41 Abs. 1 SGB VIII dem Grunde nach bejaht hat, d.h. dass beim volljährigen Antragsteller ein Bedarf nach Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenständigen Lebensführung besteht. Bei der Festlegung der im Einzelfall geeigneten und notwendigen Hilfe kommt dem Antragsgegner indes ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Der Jugendhilfeträger muss die Entscheidung über die konkrete Maßnahme im Rahmen eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung von Fachkräften sowie des Hilfeempfängers treffen, wobei diese Entscheidung nicht dem Anspruch objektiver Richtigkeit unterliegt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die ihrerseits fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. Maßstab der „sozialpädagogischen Fachlichkeit“, ständige Rechtsprechung vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2016 – 12 ZB 15.1641 – juris Rn. 26).
Will ein Hilfeempfänger im vorläufigen Rechtsschutzverfahren durch Erlass einer einstweiligen Anordnung den Jugendhilfeträger zu einer bestimmten Jugendhilfemaßnahme verpflichten, folgt aus dem vorstehend Ausgeführten – auch unter dem Aspekt der Vorwegnahme der Hauptsache – seine Verpflichtung aufzuzeigen, dass es sich bei der beanspruchten Maßnahme nach dem Maßstab der sozialpädagogischen Fachlichkeit um die einzig mögliche Maßnahme zur Beseitigung der festgestellten Belastungssituation handelt (vgl. mit weiteren Nachweisen BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 31). Darlegungen dahingehend, dass im vorliegenden Fall die Unterbringung des Antragstellers in einer Gemeinschaftsunterkunft verbunden mit der Bewilligung einer Erziehungsbeistandschaft im Umfang von 8 Fachleistungswochenstunden bei Fortführung bzw. Neubeginn einer ambulanten Psychotherapie eine fachlich ungeeignete Maßnahme darstellt und dass sich allein die Fortführung der stationären Unterbringung in der Einrichtung „K.“ als geeignete Maßnahme erweist, enthält weder die Antragsnoch die Beschwerdebegründung der Bevollmächtigten des Antragstellers. Auch aus dem Akteninhalt, insb. unter Berücksichtigung der letzten Hilfeplanfortschreibung, lässt sich die Ungeeignetheit der vom Antragsgegner bewilligten Hilfemaßnahme nicht entnehmen. Mithin fehlten dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags die Erfolgsaussichten, sodass das Verwaltungsgericht auch diesbezüglich die Gewähr von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt hat. Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.
5. Einer Kostenentscheidung bedurfte es vorliegend nicht, da Gerichtskosten in Angelegenheiten der Jugendhilfe nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben und Kosten im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Dr. Mayer Kurzidem Abel


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