Verwaltungsrecht

Zur einheitlichen Stimmabgabe nach § 15 Abs. 2 Satz 4 GKG Bbg a.F.

Aktenzeichen  9 BN 4/19

Datum:
24.1.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:240120B9BN4.19.0
Normen:
§ 15 Abs 2 S 4 KomGArbG BB vom 16.05.2013
Art 28 Abs 2 GG
Spruchkörper:
9. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 3. April 2019, Az: OVG 9 A 4.14, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. April 2019 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

I
1
Der Antragsgegner – ein Wasser- und Abwasserzweckverband – erließ im Jahr 2009 eine Beitrags-, Kostenerstattungs- und Gebührensatzung. Die Verbandsversammlung des Antragsgegners stimmte in ihrer Sitzung am 30. April 2014 über eine Satzung zur Neufassung der beitragsrechtlichen Regelungen dieser Satzung ab. Für die vier Verbandsmitglieder waren insgesamt 14 (von 17 berechtigten) Vertretern anwesend, so dass die Versammlung beschlussfähig war. Nur eines der vier Verbandsmitglieder gab allerdings – wie in § 15 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg vom 28. Mai 1999 (GVBl. I S. 194 – GKG Bbg -) in der damaligen Fassung vom 16. Mai 2013 (GVBl. I S. 17, künftig GKG Bbg a.F.) vorgeschrieben – seine Stimme einheitlich (mit Ja) ab, während die drei übrigen ihre Stimmen entweder auf Ja/Nein oder auf Nein/Enthaltung verteilten. Der Vorsitzende der Verbandsversammlung sah lediglich die einheitlich abgegebene (Ja)-Stimme als gültig und damit die nach der Verbandssatzung für Satzungsbeschlüsse erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für erreicht an.
2
Die Antragstellerin ist Mitglied des Zweckverbandes und eine der drei Gemeinden, die nicht einheitlich abgestimmt haben. Sie ist der Auffassung, der Satzungsbeschluss sei nicht wirksam zustande gekommen. Ihr Normenkontrollantrag blieb erfolglos.
II
3
1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
4
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
5
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) verletzt ist, wenn eine landesrechtliche Regelung über die kommunale Gemeinschaftsarbeit bestimmt, dass mehrere Stimmen eines gemeindlichen Verbandsmitglieds nur einheitlich abgegeben werden können und diese Regelung den Verbandsmitgliedern zur Sicherung der zwingend vorgeschriebenen einheitlichen Stimmabgabe lediglich ein Weisungsrecht gegenüber ihren Vertretern einräumt,
zielt auf die Verfassungsmäßigkeit der in der fraglichen Verbandsversammlung am 30. April 2014 zur Anwendung gekommenen Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 4 GKG Bbg a.F., die lautet: “Die Stimmen eines Verbandsmitgliedes können nur einheitlich abgegeben werden.” Das in der Frage erwähnte Weisungsrecht ergibt sich aus § 15 Abs. 4 Satz 6 GKG Bbg a.F. (“Die Verbandsmitglieder können ihren Vertretern Weisungen erteilen.”).
6
a) Der grundsätzlichen Bedeutung steht nicht bereits entgegen, dass die genannten Regelungen zwischenzeitlich durch die Neufassung des Gesetzes vom 10. Juli 2014 abgelöst wurden (GVBl. I S. 9). Denn die Neufassung enthält inhaltlich vergleichbare Bestimmungen (in § 19 Abs. 2 Satz 3 GKG Bbg n.F. “Die Stimmen eines Verbandsmitgliedes sind einheitlich abzugeben; eine uneinheitliche Stimmabgabe ist ungültig.” bzw. § 19 Abs. 7 Satz 1 GKG Bbg n.F. “Die Vertretungskörperschaft eines kommunalen Verbandsmitgliedes kann den Vertretungspersonen des Verbandsmitgliedes Richtlinien und Weisungen erteilen.”). Auch wenn die Neufassung nunmehr weitere Einzelheiten in Bezug auf die Stimmabgabe regelt (vgl. § 19 Abs. 2 Sätze 4 und 5 sowie Abs. 7 Satz 2 zur Bestimmung von Stimmführern), bleibt es damit bei der von der Antragstellerin in den Mittelpunkt ihrer Beschwerde gerückten und für verfassungswidrig gehaltenen Pflicht zur einheitlichen Stimmabgabe; dass eine uneinheitliche Stimmabgabe ungültig ist, wird in der Neufassung lediglich klargestellt (vgl. LT-Drs. 5/8411 S. 23). Die mit der Grundsatzfrage aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verpflichtung zur einheitlichen Stimmabgabe ist damit durch die Neufassung nicht überholt worden.
7
b) Diese Frage rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision. Denn sie lässt sich ohne Weiteres im Sinne des angegriffenen Urteils beantworten.
8
Das Oberverwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Landesgesetzgeber angesichts der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 97 Abs. 1 Satz 1 VerfBbg) einen angemessenen Rahmen dafür schaffen muss, dass auch kleinere Gemeinden ihre Zuständigkeiten unter möglichst eigenverantwortlicher Wahrung ihrer Interessen effektiv wahrnehmen können. (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 20. Januar 2017 – 61/15 – juris Rn. 71 f.). Dem habe der Landesgesetzgeber durch § 15 Abs. 2 Satz 3 GKG a.F. ausreichend Rechnung getragen, denn die Gemeinden könnten nicht nur mit unterschiedlichen Stimmzahlen in der Verbandsversammlung vertreten sein, sondern sie könnten zudem mehrere Vertreter in die Verbandsversammlung entsenden, um hierdurch ihre Position in den Beratungen der Verbandsversammlung zu stärken. Ihrer effektiven Interessenwahrnehmung diene auch die Regelung zur einheitlichen Abgabe der Mehrfachstimmen. Diese sei von dem Gedanken getragen, dass sich die Gemeinde zunächst eine Meinung zum Verhalten in der Verbandsversammlung bilden und diese Meinung sodann mit dem gesamten Stimm- und Überzeugungsgewicht ihrer Vertreter zur Geltung bringen solle, ohne dass es insoweit zur Zersplitterung und zu gemeindeübergreifenden Koalitionen etwa nach Parteizugehörigkeit komme. Dies werde durch das Weisungsrecht des § 15 Abs. 4 Satz 6 GKG Bbg a.F. unterstrichen. Im Übrigen könne die Gemeindevertretung Verbandsvertreter ablösen, die solche Weisungen nicht befolgten. Ein Regelungsdefizit sei nicht erkennbar. Zwar könne es – wie hier geschehen – zu einer uneinheitlichen Stimmabgabe und damit zur Ungültigkeit der Stimmen kommen; allein die Gefahr entfalte jedoch schon eine gewisse disziplinierende Wirkung. Hinzu kämen das Weisungsrecht und die Möglichkeit der Abberufung von Vertretern. Der Gesetzgeber müsse nicht für jede Eventualität Vorsorge schaffen; er könne vielmehr davon ausgehen, dass die handelnden Personen ihre Aufgaben verantwortungsbewusst und im Geiste der getroffenen Regelungen wahrnehmen. Die spätere Einführung einer Stimmführerschaft durch § 19 Abs. 2 Satz 4 ff. GKG Bbg n.F. belege nicht, dass sich die ursprüngliche Regelung als defizitär erwiesen habe. Schließlich zeige auch der vorliegende Fall kein Regelungsdefizit auf. Die Antragstellerin habe nicht einmal behauptet, dass sie auch nur versucht hätte, ein entsprechendes Abstimmungsverhalten ihrer Vertreter durch eine Weisung zu bewirken. Auch habe sie nicht behauptet, geschweige denn Näheres dafür dargelegt, dass eine entsprechende Weisung unterlaufen worden wäre.
9
Mit dieser eingehenden Begründung setzt sich die Beschwerde nicht näher auseinander. Sie macht lediglich allgemein geltend, die Regelung verstoße gegen das Demokratieprinzip, weil sie eine einheitliche und damit gültige Stimmabgabe nicht verlässlich gewährleiste. Als Begründung führt sie insoweit aber nur an, dass die Möglichkeit der Abberufung eines Verbandsvertreters bei Verstoß gegen eine Weisung nicht wirksam sei, da ein Verstoß erst im Nachhinein festgestellt werden könne. Dies trifft zwar für sich genommen zu, denn ein Weisungsverstoß betrifft nur das Innenverhältnis des Verbandsmitglieds und nicht das Außenverhältnis der Verbandsversammlung, so dass auch eine weisungswidrige Abstimmung wirksam ist (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 17. Juli 2012 – 4 A 174/11 – juris Rn. 7 m.w.N. zur vergleichbaren Rechtslage in Sachsen). Die Beschwerde übergeht aber die weiteren Argumente des Oberverwaltungsgerichts, das maßgeblich darauf abstellt, der Gesetzgeber dürfe darauf vertrauen, dass Weisungen typischerweise befolgt werden, eine solche Weisung hier aber gerade nicht vorgelegen hat.
10
Zudem setzt sie sich auch nicht mit den vom Gericht angeführten Gründen für eine einheitliche Stimmabgabe auseinander (insbesondere zur Vermeidung einer Zersplitterung und gemeindeübergreifender Koalitionen etwa nach Parteizugehörigkeit). Aus ähnlichen Erwägungen hat der Gesetzgeber im Übrigen auch in anderen Regelungszusammenhängen eine einheitliche Stimmausübung für sachgerecht gehalten. So soll die einheitliche Stimmabgabe der Wohnungseigentümer nach § 25 Abs. 2 Satz 2 WEG die anderen Wohnungseigentümer vor divergierenden Stimmabgaben schützen und im Interesse der Rechtsklarheit ein problemloser Versammlungsablauf gewährleistet werden (KG Berlin, Beschluss vom 16. Januar 2018 – 1 W 204/17 – juris Rn. 7 m.w.N.). Zu verweisen ist des Weiteren auf die einheitliche Stimmabgabe der Länder im Bundesrat nach Art. 51 Abs. 3 GG. Mögen auch bestimmte Einzelfragen der Stimmabgabe der Länder nicht auf die Zweckverbände übertragbar sein (vgl. genauer VG Dresden, Urteil vom 25. Januar 2011 – 7 K 1224/10 – juris Rn. 21), so liegt aber auch dieser Regelung der Gedanke zugrunde, dass das den einzelnen Ländern zugemessene Stimmgewicht vollständig zum Einsatz kommen und nicht etwa durch unterschiedliche Voten reduziert oder ganz aufgehoben werden soll (von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 51 Rn. 17 m.w.N.).
11
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.


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