Verwaltungsrecht

zur Verwirklichung eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses

Aktenzeichen  10 ZB 19.1903

Datum:
30.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9462
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1a, § 55 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Bei Straftaten, die ihre (Mit-)Ursache in einer Suchtmittelproblematik haben, kann von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange eine entsprechende Therapie nicht abgeschlossen ist und sich der Betreffende nach Therapieende hinreichend bewährt hat.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 K 19.1227 2019-08-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage weiterverfolgt, den Beklagten unter Aufhebung seines (Ausweisungs-) Bescheids vom 12. Februar 2019 (i.d.F. der Änderung vom 8.8.2019) zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten, bleibt ohne Erfolg. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, jedenfalls durch die zuletzt erfolgte Verurteilung durch das Amtsgericht N. vom 25. September 2017 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen habe der Kläger das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG verwirklicht. Die dadurch indizierte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG bestehe auch noch gegenwärtig. Der Kläger sei seit 2002 kontinuierlich mit steigender Tendenz im Hinblick auf die verletzten Rechtsgüter und die verwirklichten Straftatbestände strafrechtlich in Erscheinung getreten. In der letzten Verurteilung vom 25. September 2017 seien vom Gericht eine besondere Gefährlichkeit der Tatausführung und ein hoher Grad an Brutalität verbunden mit völliger Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen für die Geschädigten festgestellt worden. Der Abbruch der Teilnahme am Anti-Gewalt-Training spreche ebenso für die Wiederholungsgefahr wie die bislang nicht erfolgte Aufarbeitung der Suchtproblematik des Klägers in Bezug auf Alkohol und Glücksspiel. Da der Kläger seit 2. Januar 2018 inhaftiert sei, sei der Umstand, dass er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten sei, für die Prognose nicht entscheidend. Bei der gebotenen Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse überwiege im vorliegenden Fall das Ausweisungsinteresse. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG könne der Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen, weil er weder vor seiner Inhaftierung noch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit seinen Töchtern (mit deutscher Staatsangehörigkeit) in familiärer Gemeinschaft gelebt habe bzw. lebe noch für die ältere Tochter das ihm (gemeinsam mit der Kindesmutter) zustehende Personensorgerecht ausgeübt habe oder ausübe. Dass sich der Kläger um ein Umgangsrecht bemühe, führe zu keiner anderen Bewertung. Der Kläger spiele nach der Stellungnahme der Mutter im Alltag, der alltäglichen Erziehung und Versorgung der Kinder keine Rolle und übernehme für diese auch keine Verantwortung.
Demgegenüber wendet der Kläger im Zulassungsverfahren ein, inzwischen hätten sich neue Tatsachen ergeben. Er sei Anfang Oktober 2019 aus der Haft entlassen worden und verhalte sich seither vorbildlich, strebe eine Arbeitsaufnahme an, versuche eine Wohnung zu nehmen und bemühe sich um einen Umgang mit seinen Kindern. Eine Alkohol-, Betäubungsmittelsowie vor allem eine Spielsuchttherapie würden von ihm angestrebt; einzelne diesbezügliche Vorgespräche habe es schon während der Haft gegeben. Er nehme für sich in Anspruch, in der Haft seine Taten überdacht zu haben und zeige eine tiefe Schuldeinsicht und Reue. Er würde sich nach 20 Jahren Abwesenheit im Irak nur schwer zurechtfinden. Er habe sich auch in der Vergangenheit immer bemüht, Kontakt mit den Kindern zu erhalten, den ihm aber die Mutter immer wieder verweigert habe. Die Kinder selbst wünschten sich einen Umgang mit ihm.
Damit hat der Kläger aber weder die Gefahrenprognose noch die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt. Vielmehr hat der Beklagte in seiner Erwiderung vom 25. November 2019 zu Recht darauf verwiesen, dass der Kläger als „neue Tatsachen“ lediglich Bestrebungen und „gute Vorsätze“ geltend mache, aber keinerlei Nachweise über konkrete Maßnahmen und Schritte insbesondere zur Bewältigung seiner Alkohol-, Betäubungsmittelsowie Spielsucht erbracht habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. vom 16.9.2019 – 10 ZB 19.1614 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 6.6.2019 – 10 C 19.801 – juris Rn. 7; U.v. 23.7.2019 – 10 B 18.2464 – juris Rn. 27; B.v. 26.7.2019 – 10 ZB 19.1207 – juris Rn. 25 m.w.N.) kann bei Straftaten, die ihre (Mit-)Ursache in einer Suchtmittelproblematik haben, von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange eine entsprechende Therapie nicht abgeschlossen ist und sich der Betreffende nach Therapieende hinreichend in Freiheit bewährt hat. Das Anti-Gewalt-Training hat der Kläger in der Justizvollzugsanstalt zudem auf eigenen Wunsch hin abgebrochen. Neue Umstände bezüglich der Beziehung zu seinen beiden Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit, die die Bewertung des Bleibeinteresses des Klägers als ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen könnten, wurden im Zulassungsverfahren ebenfalls nicht vorgetragen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, zwischen dem Kläger, der sich im Übrigen nach Auskunft seines Bevollmächtigten und des Beklagten inzwischen (sporadisch) in der ihm zugewiesenen Unterkunft im LandkreisG. – P.aufhält, und seinen Töchtern bestehe keine tatsächlich gelebte Nähebeziehung, begegnet daher keinen durchgreifenden Bedenken.
2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, die die Zulassung der Berufung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen würden, liegen ebenfalls nicht vor.
Solche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 15; B.v. 4.3.2019 – 10 ZB 18.2195 – juris Rn. 17 m.w.N.). Es ist eine Begründung dafür anzugeben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris 18). Hierzu ist mit dem Zulassungsantrag nichts vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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