Verwaltungsrecht

Zweckentfremdung von Wohnraum – Zwangsmittelandrohung

Aktenzeichen  M 9 S 16.4422

Datum:
25.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 135295
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG  Art. 37 Abs. 1
VwZVG Art. 29 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, Art. 34, Art. 36 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Zwangsmittelandrohung zur Durchsetzung eines Verwaltungsaktes, in dem zwei Pflichten miteinander verbunden sind, genügt dem Bestimmtheitserfordernis nicht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Beendigung der Nutzung einer Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung und damit vor allem zur Aufgabe des bisherigen Nutzungskonzepts ist die Androhung unmittelbaren Zwangs ungeeignet, zumal wenn sie – wie auch die Androhung der grundsätzlich geeigneten Versiegelung – unter Fristsetzung von sechs Wochen erfolgt, weil die fristgerechte Erfüllung durch den Verpflichteten nicht in dessen Sphäre liegt. (Rn. 16 und 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der am 19. September 2016 erhobenen Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 17. August 2016 wird angeordnet, soweit sie sich gegen Ziffer 3. richtet.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Antragsgegnerin hat von den Kosten des Verfahrens 2/3 zu tragen, der Antragsteller 1/3.
IV. Der Streitwert wird auf € 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. August 2016 gerichteten Klage.
Mit Bescheid vom 17. August 2016 – dem Antragsteller persönlich gegen Postzustellungsurkunde zugestellt am 20. August 2016 – gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, die Nutzung der im Betreff genannten Wohneinheit zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich und dauerhaft zu beenden und die in der Wohneinheit befindlichen Personen sowie deren persönliche Habe zu entfernen (Ziffer 1.). Mit Ziffer 2. wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 1. des Bescheides angeordnet. In Ziffer 3. des Bescheides drohte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Fall, dass er der in Ziffer 1. aufgegebenen Verpflichtung nicht innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung des Bescheids Folge leiste, an, diese im Zeitraum zwischen dem 10. Oktober 2016 und dem 30. November 2016 mittels unmittelbaren Zwangs zu vollstrecken. Dazu würden die sich in der Wohneinheit befindlichen Personen und ihre persönliche Habe entfernt und die Räumlichkeiten bis zum Nachweis der beabsichtigten dauerhaften Nutzung zu Wohnzwecken versiegelt.
Wegen der Begründung des Bescheids wird auf diesen verwiesen (Bl. 5ff. des Gerichtsakts), § 117 Abs. 3 VwGO.
Der Antragsteller persönlich hat mit Schriftsatz vom 16. September 2016, bei Gericht am 19. September 2016 eingegangen, Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Sein für das Eilverfahren bestellter Bevollmächtigter beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. September 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. August 2016 wiederherzustellen.
Ziffer 1., 1. Halbsatz des Bescheides sei rechtswidrig, weil eine Fremdenbeherbergung offensichtlich nicht vorliege. Die mietweise Überlassung von selbstständigen Wohnungen stelle keine Beherbergung dar. Nebenleistungen wie z.B. Bereitstellung von Bettwäsche erfolgten nicht. Ziffer 1., 2. Halbsatz des Bescheides sei rechtswidrig, weil er etwas subjektiv rechtlich Unmögliches vom Antragsteller verlange. Nur ein staatliches Organ könne die von ihm verlangte Räumung gegen den Willen der derzeitigen Mieter durchführen. Der Mietvertrag mit diesen sei wirksam, ein für eine Kündigung notwendiger Kündigungsgrund fehle. Ziffer 3. sei insgesamt rechtswidrig, weil Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung eines Verwaltungsakts, der etwas Unmögliches verlange, unzulässig seien. Ziffer 3., Buchstabe a, richte sich gegen den falschen Adressaten. Nur der Antragsteller könne das vermutete Nutzungskonzept der Fremdenbeherbergung ändern, nicht aber seine Mieter. Die zwangsweise Räumung sei zudem unverhältnismäßig. Die in Ziffer 3., Buchstabe b, angedrohte Versiegelung unterbinde auch zulässige Wohnnutzungen und sei damit rechtswidrig. Dies auch deshalb, weil unklar sei, wie der Antragsteller den geforderten Nachweis erbringen könne, worin ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot liege.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. August 2016 (…) abzulehnen.
Die nicht belegte Behauptung, eine Fremdenbeherbergung liege nicht vor, könne die Erkenntnisse aus den Ortsermittlungen der Antragsgegnerin nicht erschüttern. Die Erbringung von zusätzlichen Serviceleistungen wie Bereitstellung von Bettwäsche sei zum einen nur ein Indiz für die Nutzung zur Fremdenbeherbergung, zum anderen sei anhand der vorgelegten Fotos nicht plausibel, dass solche Leistungen nicht gegeben seien. Gegenüber den derzeitigen Nutzern sei eine Duldungsanordnung erlassen worden, die Kündigung des Mietvertrags sei zudem möglich. Ziffer 3., Buchstabe a, sei notwendig, um eine dauerhafte Vermietung zu Wohnzwecken zu ermöglichen. Die Anordnung unmittelbaren Zwangs sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorrangig vor der in diesem Fall einzig möglichen Alternative Haft. Die derzeitigen Nutzer seien im Rahmen der Duldungsanordnung früh vorgewarnt worden und hätten ausreichend Zeit für die Suche nach einer alternativen Unterkunft. Die Androhung der Versiegelung solle nur temporär erfolgen und gerade nicht auch zulässige Wohnnutzungen verhindern. Der Bescheid nehme auf S. 12 ausführlich Stellung zu Nachweismöglichkeiten, eine Unbestimmtheit sei nicht gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Antrag ist nach Auslegung gemäß § 122 Abs. 1, § 86 Abs. 1 Satz 2, § 88 VwGO darauf gerichtet, sowohl gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2. des Bescheids vorzugehen als auch darauf, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Hinblick auf Ziffer 3. des Bescheids zu erreichen. Zwar hat der Antragsteller ausdrücklich nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beantragt, er wendet sich aber gegen den Bescheid im Gesamten.
Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Anfechtungsklagen grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt nur ausnahmsweise u.a. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, wenn der Entfall der aufschiebenden Wirkung durch Bundes- oder Landesrecht – hier: Art. 21a Satz 1 VwZVG – vorgeschrieben ist. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag im Fall des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn es im Wege einer eigenen Ermessensentscheidung zum Ergebnis kommt, dass das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Nichtvollzug das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung hat sich dabei an den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu orientieren, die das Gericht summarisch überprüft.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2. des Bescheids gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration, hat als zuständige Ausgangsbehörde, ohne dass es zuvor einer Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG bedurft hätte, nicht nur formelhaft, sondern unter ausführlicher Begründung des öffentlichen Vollzugsinteresses die Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügt.
In materieller Hinsicht aber überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse teilweise, weil die Anfechtungsklage gegen Ziffer 3. des Bescheides voraussichtlich Erfolg haben wird. Insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog (BeckOK VwGO/Gersdorf § 80 Rn. 189).
Ziffer 3. des Bescheids ist nach Ansicht der Kammer bereits deshalb nach summarischer Prüfung rechtswidrig, weil sie unbestimmt ist (1.). Weiter ist der in Ziffer 3. des Bescheids im Hinblick auf Ziffer 1. des Bescheids nach Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, Art. 34, Art. 36 Abs. 1, Abs. 2 VwZVG angedrohte unmittelbare Zwang nicht das zur Durchsetzung dieser Verpflichtung geeignete Zwangsmittel (2.).
1. Die Androhung eines Zwangsmittels ist ein Verwaltungsakt und als solcher unterliegt sie den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Vorliegend genügt Ziffer 3. diesem Bestimmtheitserfordernis nicht. Durch die Verbindung zweier Pflichten in Ziffer 1. ist für den Bescheidadressaten nicht klar erkennbar, ob auch für den Fall, dass er fristgerecht beispielsweise nur der in Ziffer 1., Halbs. 2 ausgesprochenen Verpflichtung (Entfernung der derzeitigen Mieter) nachkommt, weiter mit unmittelbarem Zwang – Räumung und Vollstreckung – gegen ihn vorgegangen werden wird bzw. kann. Davon abgesehen würde die Vollstreckung durch Räumung für diesen Fall (Ziffer 3., Buchst. a des Bescheids) ohnehin ins Leere gehen und die Versiegelung (Ziffer 3., Buchst. b des Bescheids) wäre unverhältnismäßig, weil die dann leerstehende Wohnung hypothetisch – auch wenn der Antragsteller sein Nutzungskonzept der Zweckentfremdung weiterverfolgt – zu Wohnzwecken genutzt werden könnte.
2. Hinsichtlich Ziffer 1. des Bescheides ist der in Ziffer 3., Buchst. a, angedrohte unmittelbare Zwang kein geeignetes Zwangsmittel. Wie die Kammer mit Urteil vom 29. Juli 2015 – M 9 K 14.5596 – juris, bestätigt durch BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 12 ZB 15.2287 – juris, und mit Urteil vom 24. Februar 2016 – M 9 K 15.3083 -, S. 8, ausgeführt hat, beinhaltet die Verpflichtung zur Beendigung der Nutzung einer Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung vor allem die Verpflichtung, das bis dato verfolgte Nutzungskonzept aufzugeben und nicht lediglich die Räumung der Wohneinheit (BayVGH, B.v. 9.5.2016 – 12 CS 16.889 – Rn. 4 des Entscheidungsabdrucks) – wobei es in der Sache keinen Unterschied macht, ob man die Räumung wie hier als Entfernung der in der Wohneinheit befindlichen Personen sowie ihrer persönlichen Habe oder schlicht als Räumung bezeichnet. Der Adressat soll davon abrücken, regelmäßig wechselnden Untermietern, die sich lediglich aus Anlass einer medizinischen Behandlung in den besagten Räumen aufhalten und ihren Lebensmittelpunkt nicht durch Aufgabe ihres angestammten Wohnsitzes nach München verlagern, eine flexible, vorübergehende Unterkunft zu bieten und ihnen damit die Wohnung nicht als Grundlage für eine „auf Dauer“ angelegte Häuslichkeit zur Verfügung zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 9.5.2016 – 12 CS 16.899 – juris) steht dem Antragsteller ein Wahlrecht zu, wie er dieser Verpflichtung nachzukommen gedenkt. Die Kündigung und nachfolgend die Erwirkung eines Räumungstitels – nicht: die Räumung selbst – ist eine Option, die aber binnen sechs Wochen möglicherweise nicht umzusetzen ist. Wenn aber ein Zwangsmittel angedroht wird, obwohl die fristgerechte Erfüllung durch den dazu Verpflichteten nicht in dessen Sphäre liegt, ist es untauglich. Im Übrigen bestehen erhebliche rechtliche Bedenken bezüglich der Verhältnismäßigkeit von Zwangsmaßnahmen dieser Art gegen Dritte, die nicht Störer sind.
Hinsichtlich der vorgebrachten Erfolgslosigkeit von Zwangsgeldern wird in diesem Zusammenhang zunächst auf Art. 26 VwZVG hingewiesen. Im Übrigen wird auf Art. 33 VwZVG hingewiesen.
Gegen Ziffer 3., Buchst. b, bestehen zwar grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken, da die Versiegelung der Räumlichkeiten geeignet und im Hinblick auf die Fortführung der zweckwidrigen Nutzung durch den Antragsteller auch grundsätzlich erforderlich und angemessen ist, um diese Nutzung sofort zu unterbinden und eine Neuvermietung an Medizintouristen zu verhindern (VG Düsseldorf, U.v. 14.1.2011 – 25 K 2745/10 – juris). Sie ist auch nicht unverhältnismäßig, weil die Verwendung der Wohneinheit zu Wohnzwecken nach wie vor möglich ist (vgl. dazu BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.649 – juris). Nach Ansicht der Kammer wird dies durch die Konstruktion, die Versiegelung nur temporär bis zum Nachweis der beabsichtigten dauerhaften Wohnnutzung zu versiegeln, sichergestellt. Die Koppelung mit der aus Sicht der Kammer zu kurz gewählten Sechs-Wochen-Frist aber führt auch diesbezüglich zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Ziffer 1. des Bescheides ist nach summarischer Prüfung hingegen rechtmäßig, der Antrag insoweit abzulehnen. Auf die umfangreiche Rechtsprechung zur Zweckentfremdung bei Vermietung an sog. Medizintouristen wird hingewiesen (vgl. u.a. VG München, U.v. 29.7.2015 – M 9 K 14.5596 – juris, bestätigt durch BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 12 ZB 15.2287 – juris). Die Anordnung, die dort momentan wohnenden Personen und deren Habe zu entfernen, dient der Konkretisierung der Nutzungsuntersagung und berücksichtigt, dass dem Antragsteller freisteht, wie er die Verpflichtung zur Aufgabe des Nutzungskonzeptes umsetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 1.7.2 Streitwertkatalog.


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