Zivil- und Zivilprozessrecht

Beschwerde, Zwangsvollstreckung, Einstellung, Aufhebung, Zustellung, Widerspruch, Sicherheitsleistung, Zahlung, Anspruch, Kostenentscheidung, Schriftsatz, Vertretung, Rechtskraft, Partei, Einstellung der Zwangsvollstreckung, einstweilige Einstellung, sofortigen Beschwerde

Aktenzeichen  33 T 642/20

Datum:
24.3.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48633
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Amberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 749/20 2020-06-15 Bes AGSCHWANDORF AG Schwandorf

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwandorf vom 15.06.2020, Az. M 749/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Gläubigerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Beschwerdewert wird auf 12.158,40 € festgesetzt.

Gründe

I.
Auf Antrag der Beschwerdeführerin erging gegen den Beschwerdegegner durch das AG Coburg – zentrales Mahngericht – am 17.12.2019 ein Mahnbescheid hinsichtlich einer Hauptforderung von 12.158,40 €. Die Zustellung an den Beschwerdegegner erfolgte am 21.12.2019.
Mit Fax vom 23.12.2019 legte der Beschwerdegegner über seine Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. An einer Stelle in dem Schriftsatz war das Aktenzeichen falsch angegeben, an anderer Stelle dagegen richtig.
Trotz Vorliegens eines Widerspruchs erging am 29.01.2020 auf Antrag der Beschwerdeführerin ein Vollstreckungsbescheid, der am 01.02.2020 an den Beschwerdegegner zugestellt wurde. Mit dem Schreiben des Beschwerdegegners über seine Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2020 wurde beim AG Coburg – Zentrales Mahngericht – Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid vom 29.01.2020 eingelegt und zugleich beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid ohne – hilfsweise gegen – Sicherheitsleistung einzustellen. Ferner wurde beantragt, die Sache wegen des Einstellungsantrages unverzüglich an das Streitgericht abzugeben. Vorgetragen wurde, dass der Vollstreckungsbescheid nicht hätte erlassen werden dürfen, nachdem mit Fax vom 23.12.2019 gegen den Mahnbescheid vom 17.12.2019 Widerspruch eingelegt worden sei.
Die Akten gingen am 18.02.2020 beim Landgericht Amberg ein. Seitens des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle würde die Klägerseite mit Verfügung vom 19.02.2020 aufgefordert, binnen zwei Wochen nach Zustellung den Anspruch zu begründen. Die Zustellung erfolgte am 24.02.2020. Fristende war damit der 09.03.2020. Am 05.03.2020 verfügte die für die Vertretung zuständige Richterin eine Terminsvereinbarung. Am 04.03.2020, eingegangen am 06.03.2020, beantragte die Klagepartei Fristverlängerung bis 23.03.2020, welche vom zuständigen Richter am 11.03.2020 bewilligt wurde. Die Anspruchsbegründung ging am 23.03.2020 bei Gericht ein und wurde gemäß richterlicher Verfügung vom 27.03.2020 am 01.04.2020 an die beklagte Partei hinausgegeben. Hierauf erwiderte die beklagte Partei mit Schriftsatz vom 17.04.2020. Auch dieser Schriftsatz wurde der Klägerseite zugeleitet mit einer Stellungnahmefrist von 3 Wochen, welche am 27.05.2020 ablief. Fristverlängerung wurde bis 10.06.2020 beantragt.
Mit Verfügung vom 27.05.2020 bestimmte der zuständige Richter Termin zur Güteverhandlung und Haupttermin auf 27.10.2020.
Am 09.06.2020 erfolgte dann die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung.
Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde nach Aktenlage nie an die Klagepartei hinausgegeben.
Parallel zum Hauptsacheverfahren beantragte die Beschwerdeführerin am 25.03.2020, eingegangen am 26.03.2020, aufgrund des vorliegenden Vollstreckungsbescheides vom 29.01.2020 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der am 26.05.2020 durch das Amtsgericht Schwandorf ergangen ist. Gepfändet wurden die Forderungen des Beschwerdeführers gegenüber der VBk Rbk R.-Sch., M.platz 4, S., nämlich die Ansprüche auf Zahlung der zugunsten des Schuldners bestehenden Guthaben sämtlicher Girokonten bei diesem Kreditinstitut einschließlich der Ansprüche auf Gutschrift der eingehenden Beträge.
Mit Schriftsatz vom 10.06.2020 legte der Beschwerdegegner Erinnerung ein und beantragte die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Es wurde vorgetragen, dass der Beschwerdegegner am 08.06.2020 von dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss durch seine Bank erfahren habe. Gepfändet seien alle Konten des Schuldners, insbesondere auch das einzige Geschäftskonto des Beschwerdegegners. Über den im Rahmen des Einspruchs gestellten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung sei aufgrund eines Gerichtsversehens nicht entschieden worden, was im Rahmen telefonischer Nachfrage am 09.06.2020 in Erfahrung gebracht worden sei. Der Einstellungsbeschluss sei dann noch am selben Tag ergangen. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei mithin nur deshalb erlassen worden, weil es seitens des Landgerichts Amberg verabsäumt worden sei, über den Einstellungsantrag zu entscheiden. Dies könne jedoch nicht zu Lasten des Schuldners gehen. Hätte es das Gerichtsversehen nicht gegeben, hätte das Vollstreckungsgericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erlassen, da dem nunmehr der erst am 09.06.2020 erlassene Beschluss entgegengestanden hätte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 10.06.2020 Bezug genommen.
Nach Anhörung der Beschwerdeführerin hob das Amtsgericht Schwandorf mit Beschluss vom 15.06.2020 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 26.05.2020 auf und stellte bis zur Rechtskraft die Pfändung und Überweisung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 26.05.2020 einstweilen ein.
Gegen diesen der Beschwerdeführerin am 23.06.2020 zugestellten Beschluss legte diese mit Schriftsatz vom 07.07.2020 sofortige Beschwerde ein. Es wurde ausgeführt, dass ein vorläufig vollstreckbarer Vollstreckungsbescheid vorlag. Die erfolgte Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses sei unrechtmäßig, da die Voraussetzungen des § 776 ZPO nicht vorlägen und daher nur die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 775 ZPO in Betracht komme. Die Vollstreckungsmaßnahme bleibe aber bestehen.
Das Amtsgericht Schwandorf half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 17.07.2020 nicht ab.
Zwischenzeitlich wurden mit Beschluss des Landgerichts Amberg vom 09.07.2020 die Vollstreckungsmaßregeln aus dem Vollstreckungsbescheid vom 29.01.2020 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags aufgehoben. Die Sicherheit wurde bisher nicht geleistet.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung der Rechtspflegerin am Amtsgericht Schwandorf auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 26.05.2020 erweist sich im Ergebnis als zutreffend.
Zwar ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 26.05.2020 rechtmäßig ergangen, da ein vorläufig vollstreckbarer Titel, nämlich der Vollstreckungsbescheid vorlag. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung erfolgte durch das Prozessgericht am 09.06.2020, sodass durch das Vollstreckungsgericht nach § 775 Nr. 2 ZPO grundsätzlich nur die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung erfolgen kann. Nach § 776 ZPO bleiben die getroffenen Vollstreckungsmaßregeln im Falle des § 775 Nr. 2 ZPO, wozu auch ein Pfändungs- und Überweisungbeschluss zählt, einstweilen bestehen, sofern nicht durch die Entscheidung auch die Aufhebung der bisherigen Vollstreckungshandlungen angeordnet ist. Dies lag hier nicht vor. Durch die Einstellungsentscheidung des Prozessgerichts vom 09.06.2020 wurde keine Entscheidung über die Aufhebung der bisherigen Vollstreckungshandlungen getroffen. Dies geschah erst mit Beschluss vom 09.07.2020. Zum anderen wurde aber auch die angeordnete Sicherheit noch nicht geleistet, sodass die Bedingung für die Aufhebung noch nicht eingetreten ist.
Der vorliegende Fall ist aber anders zu behandeln. Das Prozessgericht hat über Monate hinweg nicht über den gestellten Einstellungsantrag entschieden, obwohl dem jeweils zuständigen Richter vor Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 26.05.2020 die Verfahrensakte mehrfach zu Bearbeitung vorlag. Dies erweist sich als grob verfahrensfehlerhaft und kann nicht zu Lasten des Schuldners gehen, mit der Folge, dass infolge des ergangenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sämtliche Konten des Beschwerdegegners gepfändet sind. Denn auch im Falle der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung bleibt die Pfändung bestehen. Ist eine Forderung gepfändet und überwiesen, darf der Drittschuldner nur an den Gläubiger und Schuldner gemeinsam leisten oder für beide hinterlegen (Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 775 ZPO Rn. 5). Damit hat der Schuldner weiterhin keinen alleinigen Zugriff auf die gepfändeten Forderungen.
Die Kammer sieht es daher vorliegend als sachgerecht an, die Wirkungen des Einstellungsbeschlusses vom 09.06.2020 nicht erst mit dessen Erlass eintreten zu lassen. Vielmehr ist in einem Fall, in dem das Prozessgericht grob verfahrensfehlerhaft nicht zeitnah über einen Antrag auf einstweilige Zwangsvollstreckung entscheidet, von einer Rückwirkung des Einstellungsbeschlusses auszugehen. Das Landgericht Amberg hätte über den Einstellungsantrag bereits weit vor Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses am 26.05.2020 entscheiden können und müssen. Dies ist nicht geschehen. Hätte das Landgericht Amberg zeitnah über den gestellten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung entschieden, wäre der Pfändungs- und Überweisungbeschluss nicht ergangen, da es an einer Vollstreckungsvoraussetzung gefehlt hätte. Nach Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Prozessgericht verbietet sich jede Vollstreckungstätigkeit; eine Zwangsvollstreckung darf daher auch nicht mehr (neu) beginnen oder sonst fortgesetzt, ein Pfändungsbeschluss deshalb nicht mehr zugestellt werden. Eine Zwangsvollstreckung, die das Vollstreckungsgericht nach Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Prozessgericht (in Kenntnis oder Unkenntnis dieser Entscheidung) gleichwohl noch vornimmt, ist als fehlerhafter Vollstreckungsakt zwar wirksam, aber anfechtbar und aufzuheben (vgl. Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 775 ZPO Rn. 13; vgl. auch BGH, Urteil vom 27.6.1957 – III ZR 51/56 am Ende). Wäre damit trotz einer zeitgerechten Einstellung der Zwangsvollstreckung ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ergangen, wäre dieser aufzuheben gewesen. Der vorliegende Fall kann nicht anders behandelt werden, nur weil das Prozessgericht es versäumt hat, rechtzeitig über den Einstellungsantrag zu entscheiden.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Vollstreckungsbescheid vorliegend auch in nicht gesetzlicher Weise ergangen ist, da gegen den Mahnbescheid form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt wurde. Ein Vollstreckungsbescheid hätte daher nicht erlassen werden dürfen. Nur aufgrund dieses Versehens lag ein vorläufig vollstreckbarer Titel, der Grundlage für die Zwangsvollstreckung ist, vor.
Die aufgezeigten Umstände zeigen, dass der Beschwerdegegner als Schuldner hier schützenswürdiger ist als der Gläubiger.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Der Streitwert der Beschwerde richtet sich nach dem Wert der zugrundeliegenden Forderung.
IV.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3, Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage insbesondere dann, wenn sie vom BGH bisher nicht entschieden worden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder wenn dazu in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden.
So liegt der Fall hier. Die hier aufgeworfene Frage der Rückwirkung eines Einstellungsbeschlusses bei grob verfahrensfehlerhafter verzögerter Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich entschieden.


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