Familienrecht

Nichtannahmebeschluss: Regelungsanordnung im (hier: sozialgerichtlichen) Eilverfahren idR nicht für voraussichtliche Dauer des Hauptverfahrens bzw den gesamten Streitgegenstand, sondern lediglich zur Verhinderung vollendeter Tatsachen geboten – hier: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung einer Grundrechtsverletzung in einer Opferentschädigungssache

Aktenzeichen  1 BvR 1182/20

Datum:
9.6.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20200609.1bvr118220
Normen:
Art 19 Abs 4 GG
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG
§ 92 BVerfGG
§ 11 Abs 1 S 1 Nr 11 BVG
§ 1 OEG
§ 86b Abs 2 S 4 SGG
§ 938 ZPO
Spruchkörper:
1. Senat 1. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 28. April 2020, Az: L 10 VE 37/20 B ER RG, Beschlussvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 3. April 2020, Az: L 10 VE 25/20 B ER, Beschlussvorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 13. Februar 2020, Az: S 14 VE 38/19 ER, Beschluss

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Kroll wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Aussicht auf Erfolg ist.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Der Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen wird abgelehnt, weil die Voraussetzungen nach § 34a Absatz 2 oder Absatz 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht vorliegen.

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil kein Grund zur Annahme nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegt. Sie ist bereits unzulässig, weil eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht substantiiert aufgezeigt wird.
2
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung von weiterer ambulanter Psychotherapie im Rahmen anerkannter Schädigungsfolgen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Nachdem die zuständige Behörde während des laufenden Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz eine Teilabhilfe von zehn Therapieeinheiten erlassen hatte, lehnten die Sozialgerichte den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 13. Februar 2020 beziehungsweise am 3. April 2020 ab, weil kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sei. Die medizinischen Einschätzungen zur Frequenz der Therapieeinheiten differierten; der geringste Abstand betrug zwei Wochen.
3
Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ansonsten dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfGE 79, 69 ; 126, 1 ). Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 ; 77, 275 ). Die Beschwerdeführerin hat insbesondere nicht aufgezeigt, dass die Fachgerichte die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes überspannt haben (vgl. BVerfGE 93, 1 ; BVerfGK 16, 233 ). Durch die Teilabhilfe der zuständigen Behörde am 6. Januar 2020 war die ambulante Psychotherapie der Beschwerdeführerin durch zehn weitere Therapieeinheiten gesichert, also auch unter Berücksichtigung eines zweiwöchigen Rhythmus für 20 weitere Wochen. Gegen die Einschätzung im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt, dass keine nicht mehr abänderbaren Nachteile in Gestalt erheblicher Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund eines unmittelbaren Wegfalls der Therapie drohen, ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.
4
Die Beschwerdeführerin hat zudem keine Verpflichtung der Fachgerichte aufgezeigt, eine Regelungsanordnung für die gesamte (voraussichtliche) Dauer des anhängigen Hauptsacheverfahrens beziehungsweise über den gesamten Streitgegenstand von 50 ambulanten Therapieeinheiten zu treffen. Ein solcher Grundsatz kann aus Art. 19 Abs. 4 GG auch nicht abgeleitet werden, weil Regelungsanordnungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorkommen sollen, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfGE 37, 150 ; 65, 1 ). Welche einstweilige Regelung zur Erreichung dieses Zwecks notwendig ist, kann nur im Einzelfall bestimmt werden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Zivilprozessordnung); es handelt sich in der Regel um eine vorläufige Regelung, die sich auf einen begrenzten Zeitraum bezieht, nach dem die Sachlage erneut zu bewerten ist. Dementsprechend kann jederzeit ein neuer Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Abwendung wesentlicher Nachteile gestellt werden. Im Umkehrschluss muss eine Regelungsanordnung nicht grundsätzlich für die voraussichtliche Dauer eines Hauptsacheverfahrens beziehungsweise den gesamten Streitgegenstand getroffen werden. Dies mag im Einzelfall geboten sein. Einen solchen hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht dargelegt.
5
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
6
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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