Baurecht

Festsetzung einer Bauweise im Bebauungsplan

Aktenzeichen  9 CS 17.1987

Datum:
8.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NVwZ-RR – 2018, 300
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 22 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Die Bauweise ist im Bebauungsplan grundstücksbezogen auf den Baugrundstücken festzusetzen und nicht entlang einer im Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans bestehenden (oder geplanten) Grundstücksgrenze, an die nach den Vorstellungen der Gemeinde angebaut werden soll. Für das alleinige Anknüpfen der bauplanerischen Festsetzung zur Bauweise an die im Bebauungsplan eingetragenen „geplanten oder vorhandenen Grenzen“ fehlt es deshalb an einer Rechtsgrundlage in § 22 Abs. 2 BauNVO 1968. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Errichtung eines Doppelhauses oder einer Hausgruppe ist nur möglich, wenn sich die betroffenen Grundstückseigentümer über eine solche Bebauung einigen, denn ein einseitiger Grenzanbau ist in der offenen Bauweise unzulässig (im Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 43173 mwN). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 17.963 2017-09-08 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Unter Aufhebung der Nr. I und Nr. II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 8. September 2017 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 29. Juni 2017 gegen die Baugenehmigung vom 29. Mai 2017 angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die den Beigeladenen vom Landratsamt S… erteilte bauaufsichtliche Genehmigung vom 29. Mai 2017 für die „Errichtung eines Einfamilienhauses“ auf dem Grundstück Fl.Nr. … Gemarkung S… (Baugrundstück).
Nach den mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen soll das zweigeschossige Wohngebäude der Beigeladenen mit seiner nördlichen, öffnungslosen Giebelwand/Brandwand an der gemeinsamen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks und des Grundstück des Antragstellers Fl.Nr. … (Nachbargrundstück) errichtet werden. Das Nachbargrundstück ist ebenfalls mit einem Wohngebäude bebaut, das aber zu allen Grundstücksgrenzen hin Abstände wahrt.
Das Baugrundstück und das Nachbargrundstück liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans für das Gebiet „A…“ der Gemeinde S…, der am 4. Juli 1975 in Kraft trat und seither mehrfach geändert wurde (Bebauungsplan). Für den hier maßgeblichen Bereich ist nach den insoweit unverändert gebliebenen Festsetzungen des Bebauungsplans die offene Bauweise mit der Maßgabe festgesetzt, „nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig“ (Kleinbuchstabe „o“ innerhalb eines Dreiecks, vgl. Nr. 3.1.1 der Anlage zur PlanZV vom 19.1.1965, BGBl I S. 21). In Lage der fortbestehenden, in West-Ost-Richtung verlaufenden Grundstücksgrenze zwischen dem Bau- und dem Nachbargrundstück ist in der Planzeichnung des Bebauungsplans ein nach Osten weisender Pfeil eingezeichnet. Nach Nr. 3.3 Satz 1 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans müssen bei den mit Pfeilen gekennzeichneten, geplanten oder vorhandenen Grenzen die Gebäude mit einer Brandmauer an oder einer gemeinsamen Brandmauer auf der Grenze errichtet werden. Solche Pfeile sind in mehreren Bereichen des gesamten Plangebiets eingezeichnet.
Das Wohngebäude des Antragstellers wurde mit Bescheid vom 23. April 2002 unter Erteilung von Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans („Nichteinhaltung der Baugrenzen und der Baulinie“) bauaufsichtlich genehmigt. Im Beiblatt „Technische Nachweise“ zum Baugenehmigungsantrag vom 13. März 2002 heißt es, „in Abweichung des Vorschlags im Bebauungsplan wurde zum Nachbarn J… ein Grenzabstand von 3,40 m gewählt“. Die seinerzeitige Eigentümerin des damals noch unbebauten Baugrundstücks (Anm.: … J…, vgl. Nr. 5 des Bauantragformulars) hatte die Bauvorlagen unter der Überschrift, „Nachbarn gesehen und zugestimmt“, unterschrieben.
Am 30. August 2017 beantragte der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 29. Juni 2017 gegen die Baugenehmigung des Landratsamts vom 29. Mai 2017 anzuordnen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 8. September 2017 in der Sache ab. Die bauplanerische Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 sei zur Bauweise ergangen und ordne in Ergänzung der Festsetzung zur offenen Bauweise („nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig“) an der gemeinsamen Grundstücksgrenze von Antragsteller- und Baugrundstück zwingend eine Bebauung in Gestalt eines Doppelhauses an. Dass der Antragsteller aufgrund der ihm erteilten Baugenehmigung ein Wohnhaus mit Grenzabstand errichtet habe, hindere den einseitigen Grenzanbau durch die Beigeladenen nicht, weil dieser den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche und auch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletze.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, das Vorhaben widerspreche der im Bebauungsplan festgesetzten offenen Bauweise. Diese Festsetzung sei drittschützend. Das Vorhaben verletze auch das Gebot der Rücksichtnahme zu seinen Lasten.
Der Antragsteller beantragt,
in Abänderung der Nr. I und Nr. II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 8. September 2017 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 29. Juni 2017 gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 29. Mai 2017 angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Erstgericht habe richtig entschieden. Auf dessen Beschluss werde verwiesen.
Die Beigeladenen haben im Beschwerdeverfahren Stellung genommen, aber keinen Antrag gestellt. Sie sind der Auffassung, die ihnen erteilte Baugenehmigung sei rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in eigenen Rechten. Im Bebauungsplan sei abweichend von der offenen und geschlossenen Bauweise eine abweichende halboffene Bauweise festgesetzt worden. Nach Nr. 3.3 Satz 1 der weiteren Festsetzung des Bebauungsplans müssten die Gebäude bei der hier mit Pfeilen gekennzeichneten Grenze auf der Grenze errichtet werden. Diese Festsetzung regle keine Vorgaben des Brandschutzes, sondern solche zur Bauweise, denen das Vorhaben entspreche. Das Vorhaben der Beigeladenen sei auch nicht rücksichtslos, insbesondere gehe von ihm keine erdrückende Wirkung aus.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Bauakten des Landratsamts S… verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach summarischer Prüfung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für die Beschwerdeentscheidung in erster Linie maßgebenden Beschwerdevorbringens verstößt die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 29. Mai 2017 voraussichtlich gegen Rechte des Antragstellers schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das in Nr. 3.3 Satz 1 der weiteren textlichen Festsetzung des Bebauungsplans geforderte Anbaugebot an die mit einem Pfeil gekennzeichnete gemeinsame Grenze von Bau- und Nachbargrundstück dürfte unwirksam sein (nachfolgend Nr. 1). Das als einseitiger Grenzanbau geplante Einfamilienhaus der Beigeladenen widerspricht somit wohl den (wirksamen) Festsetzungen des Bebauungsplans zur offenen Bauweise (nachfolgend Nr. 2). Die ohne Befreiung von der Festsetzung zur offenen Bauweise erteilte Baugenehmigung vom 29. Mai 2017 vermittelt dem Antragsteller aller Voraussicht nach einen nachbarlichen Abwehranspruch (nachfolgend Nr. 3).
1. Es spricht Überwiegendes dafür, dass die Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 3.3 Satz 1, wonach Gebäude an den mit Pfeilen gekennzeichneten geplanten oder vorhandenen Grenzen auf der Grenze errichtet werden müssen, mangels einer Rechtsgrundlage unwirksam ist.
a) Wohl zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 die Regelung der Bauweise betrifft und dass nach der Planvorstellung der Gemeinde an der mit einem Pfeil markierten Grenze zwischen dem Bau- und dem Nachbargrundstück zwingend ein Doppelhaus entstehen soll. Aller Voraussicht nach unzutreffend dürfte aber die Annahme des Verwaltungsgerichts sein, für die Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans gebe es eine gesetzliche Grundlage, die aus § 22 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 3 BauNVO folge (hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und § 2 Abs. 10 Nr. 1 Buchst. c BBauG 1960 i.V.m. § 22 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1968).
Durch einen Bebauungsplan bestimmt die Gemeinde Inhalt und Schranken des Eigentums der im Planbereich gelegenen Grundstücke. Hierfür bedarf sie gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Sie findet sich in § 9 BBauG/BauGB und in den ergänzenden Vorschriften der nach § 2 Abs. 5 BauGB (und den ihm entsprechenden früheren Regelungen) erlassenen Baunutzungsverordnung. Durch sie wird der festsetzungsfähige Inhalt eines Bebauungsplans abschließend geregelt. Weicht die Gemeinde bei der Aufstellung von Bebauungsplänen von den Vorgaben des § 9 BBauG/BauGB und der Baunutzungsverordnung ab, so ist die von diesem Fehler betroffene Festsetzung wegen Verstoßes gegen den bauplanungsrechtlichen Typenzwang, durch den die Beachtung des Gesetzesvorbehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet wird, unwirksam, und zwar unabhängig von der Frage, ob das mit ihr verfolgte planerische Ziel materiell-rechtlich zulässig ist und möglicherweise sogar auf andere Weise realisiert werden könnte (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.1995 – 4 NB 48.93 – NVwZ 1995, 696 = juris Rn. 19; vgl. auch BVerwG, U.v. 27.10.2011 – 4 CN 7.10 – NVwZ 2012, 318 = juris Rn. 10, jeweils m.w.N). Soweit es die Bauweise angeht, konkretisiert § 22 BauNVO auf Grundlage der Ermächtigung in § 9 a Nr. 1 Buchst. c BauGB die Festsetzungsbefugnis des § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB zur Bauweise (vgl. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2017, § 22 BauNVO Rn. 1; hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 2 Abs. 10 Nr. 1 Buchst. c BBauG 1960). Daran gemessen hat die Gemeinde mit der textlichen Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans einen nicht festsetzungsfähigen Inhalt geregelt. Dies führt zur Unwirksamkeit dieser Festsetzung.
aa) Maßgeblich für die Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans ist vorliegend wohl die Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.11.1968, die am 1. Januar 1969 in Kraft trat (BGBl I S. 1237). Zwar wird in der Planurkunde auf die Baunutzungsverordnung vom 26. Juni 1962 hingewiesen (vgl. textliche Festsetzung Nr. 2.1 zur Art der baulichen Nutzung). Die Baunutzungsverordnung 1962 ist für den Bebauungsplan allerdings nur dann anwendbar, wenn dieser bei Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung 1968 bereits nach § 2 Abs. 6 BBauG 1960 ausgelegt worden war (vgl. Art. 2 der Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 26.11.1968, BGBl I S. 1233). Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen ergibt sich das aber nicht. Nach dem Verfahrensvermerk auf der Planurkunde wurde der Entwurf des Bebauungsplans vielmehr vom 30. Dezember 1974 bis zum 31. Januar 1975 „gem. § 2 Abs. 6 BBauG“ öffentlich ausgelegt.
bb) Nach § 22 Abs. 1 BauNVO 1968 ist die Bauweise im Bebauungsplan als offene oder geschlossene Bauweise festzusetzen. Hier hat die Gemeinde für den maßgeblichen Bereich im Bebauungsplan durch zeichnerische und textliche Festsetzung die offene Bauweise nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1968 festgesetzt sowie geregelt, dass in diesem Bereich nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind (vgl. Planzeichen Nr. 3.1.1 des Anlage zur PlanZV 1965, BGBl I S. 21 und Nr. 2.3 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans). Die rechtliche Grundlage für die die offene Bauweise i.S.d. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1968 einschränkende Festsetzung ist § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1968. Danach können im Bebauungsplan Flächen festgesetzt werden, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser, nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind.
cc) Die die offene Bauweise mit Einzel- oder Doppelhäusern hier weiter einschränkende textliche Festsetzung in Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans, wonach die Gebäude bei den mit Pfeilen gekennzeichneten Grenzen auf der Grenze errichtet werden müssen, beruht wohl auf keiner gesetzlichen Grundlage. Insbesondere kann diese Festsetzung nicht auf § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1968 gestützt werden.
Durch die Festsetzung der Bauweise nach § 22 BauNVO wird die Maßgeblichkeit eines seitlichen Grenzabstandes festgelegt (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26.15 – BauR 2016, 790 = juris Rn. 3); die Regelung der Bauweise betrifft allein die Anordnung der Gebäude auf einem Baugrundstück im Verhältnis zu den Nachbargrundstücken und dabei insbesondere zu den seitlichen Grundstücksgrenzen (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.1995 – 4 NB 48.93 – NVwZ 1995, 696 = juris Rn. 22 m.w.N.). Da die Grundstücksgrenzen der Baugrundstücke für die Abmessung des Geltungsbereichs bestimmter planerischer Festsetzungen grundsätzlich unerheblich sind (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1991 – 4 NB 24.90 – NVwZ 1991, 877 = juris Rn. 5), für die Festlegung von „geplanten oder vorhandenen“ Grundstücksgrenzen in einer bestimmten Lage durch eine bauplanerische Festsetzung von vornherein jegliche rechtliche Grundlage fehlt und Grundstücksteilungen oder -vereinigungen somit eine geänderte Bebaubarkeit zur Folge haben können, kommt es auf die konkrete Lage einer Grundstücksgrenze (erst) beim Vollzug der Festsetzung zur Bauweise an (vgl. Schilder in Bönker/Bischopnik, BauNVO, 1. Auflage 2014, § 22 Rn. 4). Die Bauweise ist deshalb im Bebauungsplan grundstücksbezogen auf den Baugrundstücken festzusetzen und nicht – wie hier – entlang einer im Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans bestehenden (oder geplanten) Grundstücksgrenze, an die nach den Vorstellungen der Gemeinde angebaut werden soll. Dementsprechend sieht auch die Regelung in § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1968 eine einschränkende Festsetzung wie „nur Doppelhäuser zulässig“ lediglich für „Flächen“ vor. Für das alleinige Anknüpfen der bauplanerischen Festsetzung zur Bauweise in Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans an die im Bebauungsplan eingetragenen „geplanten oder vorhandenen Grenzen“ fehlt es deshalb an einer Rechtsgrundlage in § 22 Abs. 2 BauNVO 1968. Insoweit führt auch die Erwägung des Verwaltungsgerichts nicht weiter, wonach die Gemeinde für Grundstücke speziellere Festsetzungen zur Bauweise treffen könne, denn eine die (flächenhaften) Grundstücke betreffende Festsetzung zur Bauweise hat die Gemeinde mit Nr. 3.3 Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht getroffen.
Aufgrund des Flächenbezugs einer Festsetzung über die Bauweise kann die Bauweise auch nicht anhand einer im Bebauungsplan eingetragenen sonstigen Hilfslinie (hier in Lage der in den Bebauungsplan als Hinweis übernommenen Grundstücksgrenze) festgelegt werden, eben weil es für den Vollzug einer Festsetzung zur Bauweise auf die im Zeitpunkt der Ausführung eines Vorhabens vorhandenen oder ggf. auch geplanten Grundstücksgrenzen ankommt, nicht aber auf sonstige hiervon abweichende Linien.
dd) Auch § 22 Abs. 4 BauNVO 1968 bietet keine Rechtsgrundlage für die Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans.
Nach § 22 Abs. 4 BauNVO 1968 kann im Bebauungsplan eine Bauweise festgesetzt werden, die von der offenen und geschlossenen Bauweise nach § 22 Abs. 1 BauNVO 1968 abweicht. Aufgrund dieser Ermächtigung kann etwa eine Festsetzung zur Bauweise im Hinblick auf die vorderen und rückwärtigen Grundstücksgrenzen oder ggf. eine halboffene Bauweise erfolgen. In jeden Fall muss aber die Bauweise geregelt werden, also die Stellung der baulichen Anlagen in Bezug auf die Nachbargrenzen (vgl. Schilder in Bönker/Bischopnik, BauNVO, 1. Auflage 2014, § 22 Rn. 42 m.w.N.). Daran fehlt es, weil Nr. 3.3 Satz 1 der textlichen Festsetzung des Bebauungsplans nicht die Anordnung der Gebäude auf einem Baugrundstück im Verhältnis zu den Nachbargrundstücken regelt, sondern im Verhältnis zu einer im Bebauungsplan dargestellten Linie, die sich hier lediglich mit dem nicht festsetzungsfähigen Verlauf einer (im Zeitpunkt der Planaufstellung bestehenden und noch vorhandenen) Grundstücksgrenze deckt.
b) Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob mit der Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 ausschließlich oder zumindest auch die Errichtung einer Brandmauer auf der Grundstücksgrenze geregelt werden sollte, bedarf keiner Klärung. Fest steht jedenfalls, dass aus der ggf. bauordnungsrechtlich gebotenen Errichtung einer Brandmauer zwischen aneinandergereihten Gebäuden (vgl. Art. 31 Abs. 2 Nr. 2 BayBO 1974, s. aber Art. 6 Abs. 1 DVBayBO, vom 26.1.1972, GVBl. S. 33) keine irgendwie geartete Verpflichtung zum Grenzanbau folgt.
2. Von Vorstehendem ausgehend widerspricht das mit Bescheid vom 29. Mai 2017 genehmigte Bauvorhaben der Beigeladenen den (wirksamen) Festsetzungen des Bebauungsplans über die offene Bauweise (§ 30 Abs. 1 BauGB).
a) Die Unwirksamkeit der textlichen Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans führt aller Voraussicht nach nicht zur Unwirksamkeit der Festsetzung des Bebauungsplans über die offene Bauweise insgesamt. Insbesondere bewirkt die Festsetzung der offenen Bauweise auch für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB und es ist davon auszugehen, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts, also ohne zwingende Doppelhausbebauung u.a. entlang der gemeinsamen Grenze von Bau- und Nachbargrundstück, beschlossen hätte (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, U.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – NVwZ 2015, 301 = juris Rn. 26 m.w.N.).
Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Gemeinde, hätte sie den Mangel der Festsetzung in Nr. 3.3 Satz 1 der textlichen Festsetzungen erkannt, im maßgeblichen Bereich nur eine Doppelhausbebauung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1968 zugelassen hätte. Diese etwaige Planungsabsicht kann allerdings nicht im Sinn einer dementsprechenden Auslegung der tatsächlich getroffenen Festsetzung über die Bauweise berücksichtigt werden, weil die Unwirksamkeit der textlichen Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans wegen Verstoßes gegen den bauplanungsrechtlichen Typenzwang unabhängig von der Frage zu bejahen ist, ob das mit dieser Festsetzung verfolgte planerische Ziel materiell-rechtlich zulässig ist und möglicherweise sogar auf andere Weise realisiert werden könnte (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.1995 – 4 NB 48.93 – NVwZ 1995, 696 = juris Rn. 19). An der Festsetzung der offenen Bauweise im Übrigen hätte die Gemeinde aber aller Voraussicht nach festgehalten, weil zwar in erster Linie die Zulassung von Hausgruppen, fakultativ aber auch von Einzelhäusern ersichtlich gewollt war (vgl. Nr. 4.25 der Begründung zum Bebauungsplan sowie die – unverbindlichen – Gebäudedarstellungen im Bebauungsplan).
b) Unter Außerachtlassung der voraussichtlich unwirksamen textlichen Festsetzung Nr. 3.3 Satz 1 des Bebauungsplans dürfen die Gebäude aufgrund der Festsetzungen des Bebauungsplans zur offenen Bauweise im maßgeblichen Bereich demnach nur als „Einzel- und Doppelhäuser“ mit seitlichem Grenzabstand errichtet werden (§ 22 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BauNVO 1968). Dem widerspricht die Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen an der Grenze zum Nachbargrundstück.
aa) Als „Einzelhaus“ widerspricht das Vorhaben der Festsetzung des Bebauungsplans über die offene Bauweise, weil es zur seitlichen Grundstücksgrenze hin keinen Abstand einhält.
bb) Als „Doppelhaus“-hälfte ist das Vorhaben an der Grundstücksgrenze planungsrechtlich unzulässig, weil sich die Beigeladenen und der Antragsteller nicht über die Errichtung eines Doppelhauses geeinigt haben. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Denn in dem System der offenen Bauweise, das durch seitliche Grenzabstände zu den benachbarten Grundstücken gekennzeichnet ist, ordnet sich ein aus zwei Gebäuden zusammengefügter Baukörper nur ein und kann somit als Doppelhaus gelten, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Ein einseitiger Grenzanbau ist in der offenen Bauweise unzulässig. Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus setzt daher in Gebieten der offenen Bauweise den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein: Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der (häufig schmalen) Grundstücke erhöht. Das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, „erkauft“. Diese enge Wechselbeziehung, die jeden Grundeigentümer zugleich begünstigt und belastet, ist Ausdruck einer planungsrechtlichen Konzeption. Sie ist aus städtebaulichen Gründen (Steuerung der Bebauungsdichte, Gestaltung des Orts- oder Stadtbildes) gewollt und begründet ein nachbarliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355 = juris Rn. 21). Die Errichtung eines Doppelhauses oder einer Hausgruppe i.S.v. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist deshalb nur möglich, wenn sich die betroffenen Grundstückseigentümer über eine solche Bebauung einigen, denn ein einseitiger Grenzanbau ist in der offenen Bauweise unzulässig (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26.15 – BauR 2016, 790 = juris Rn. 3 m.w.N.). An einer solchen Einigung fehlt es (vgl. auch Unterschrift der vormaligen Eigentümerin des Baugrundstücks auf den Bauvorlagen zur Genehmigung des mit seitlichem Grenzabstand geplanten und errichteten Wohngebäudes auf dem Nachbargrundstück).
cc) Hieran ändert auch die Bauraumfestsetzung im Bebauungsplan der Gemeinde, die sich möglicherweise am Verlauf der gemeinsamen Grundstücksgrenze von Bau- und Nachbargrundstück orientiert hat, nichts. Denn die Maßgeblichkeit eines seitlichen Grenzabstands wird allein durch die Festsetzung der Bauweise nach § 22 BauNVO festgelegt. Nur diese hat den seitlichen Grenzabstand im Blick. Fehlt es deshalb – wie hier – an einer Einigung der betroffenen Grundstückseigentümer, sind die Bauräume nur unter Einhaltung eines seitlichen Grenzabstands ausnutzbar (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26.15 – BauR 2016, 790 = juris Rn. 3 m.w.N.)
3. Die der Festsetzung über die offene Bauweise widersprechende Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen ist nicht nur voraussichtlich objektiv rechtswidrig, sie dürfte den Antragsteller auch in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Da das Vorhaben der Beigeladenen der im Bebauungsplan festgesetzten offenen Bauweise widerspricht, hätte es für seine Zulassung im Baugenehmigungsverfahren der Erteilung einer (rechtmäßigen) Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bedurft. Wird die Baugenehmigung ohne die erforderliche Befreiung erteilt, wie hier von den Festsetzungen zur offenen Bauweise, verletzt diese stets Rechte des Nachbarn, wenn das Vorhaben von einer nachbarschützenden Festsetzung abweicht. Denn bei nachbarschützenden Festsetzungen führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 783 m.w.N.). So liegt es voraussichtlich hier.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung dürfte geklärt sein, dass die Doppelhaus-Festsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO nachbarschützend ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355 = juris Rn. 27). (Auch) im beplanten Gebiet hängt es also nicht vom Willen der Gemeinde ab, ob Festsetzungen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO hinsichtlich der Nachbarn von Doppelhäusern dem Schutz des Nachbarn dienen (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 = juris Rn. 22 f.). Jedenfalls ist geklärt, dass die Doppelhaus-Festsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO insoweit nachbarschützend ist, als die ein Doppelhaus bildenden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden müssen (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 a.a.O. Leitsatz Nr. 2). Entsteht durch einen einseitigen Grenzanbau – wie hier – schon kein Doppelhaus, weil der Nachbar bereits von der ihm durch § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ein Einzelhaus mit seitlichen Grenzabständen zu errichten und liegt deshalb kein wechselseitiger Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze vor, dürfte dies erst Recht gelten. Denn zwei Gebäude, die sich nicht berühren, bilden ebenso wenig ein Doppelhaus wie Gebäude, die so stark versetzt sind, dass sie den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreiten.
Ob das Vorhaben der Beigeladenen zugleich das im Rahmen einer Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans unter „Würdigung der nachbarlichen Interessen“ entsprechend § 15 Abs. 1 BauNVO zu beachtende Rücksichtnahmegebot verletzt, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Klärung. Einer etwaigen Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans über die offene Bauweise für die Errichtung eines einseitigen Grenzanbaus dürften hier aber wohl schon die Grundzüge der Planung entgegenstehen (vgl. OVG RhPf, B.v. 27.6.2016 – 8 B 10519/16 – juris Rn. 10 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keinen eigenen Sachantrag gestellt haben, konnten ihnen Kosten nicht auferlegt werden, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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