Aktenzeichen 3 BV 14.2504
BayBeamtVG Art. 45, 50
BayHeilvfV § 4
GOÄ § 4 Abs. 2a S. 1 u. 2
Leitsatz
Im Rahmen der Rekonstruktion eines Kreuzbandes sind die Entnahme der Semitendinosus- und der Gracilissehen als selbstständige Leistungen von GOÄ Nr. 2064 erfasst und neben GOÄ Nr. 2191 abrechenbar. Die GOÄ Nr. 2083 und 2257 können hingegen nicht abgerechnet werden. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 K 13.3939 2014-09-23 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. September 2014 wird abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 17. Mai 2011 und dessen Widerspruchsbescheid vom 12. September 2011 verpflichtet, dem Kläger Heilbehandlungskosten in Höhe von weiteren 210,57 € zu erstatten und diesen Betrag mit 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt 55%, der Beklagte 45% der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollsteckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, hat aber nur teilweise Erfolg.
Die Klage, mit der der Kläger die Gewährung weiterer Kosten für die Heilbehandlung des Dienstunfalls vom 12. August 2010 in Höhe von 467,21 € begehrt, ist nur teilweise begründet. Die Entnahme der Semitendinosus- sowie der Gracilissehne wird als selbstständige Leistung von GOÄ Nr. 2064 erfasst und ist neben der GOÄ Nr. 2191 abrechenbar. Da diese Leistung ein „Minus“ der mit dem Steigerungsfaktor 2,3 abgerechneten GOÄ Nr. 2083 ist, hat der Kläger bei Zugrundelegung des gleichen Steigerungsfaktors Anspruch auf Gewährung weiterer Heilbehandlungskosten in Höhe von zweimal 123,87 € abzgl. einer Minderung von 15% gemäß § 6a Abs. 1 Satz 2 GOÄ und damit von 210,57 €. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die GOÄ Nrn. 2083 und 2257 können hier nicht separat abgerechnet werden.
1. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Aufwendungen des Klägers für die ärztliche Behandlung sind die Vorschriften über die Dienstunfallfürsorge, vorliegend Art. 45 ff. des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG). Die Unfallfürsorge umfasst nach Art. 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG das Heilverfahren (Art. 50, 51 BayBeamtVG). Gemäß Art. 50 Abs. 1 Nr. 1 BayBeamtVG beinhaltet das Heilverfahren die notwendige ärztliche Behandlung. Das Nähere zu Umfang und Durchführung des Heilverfahrens wird durch die auf der Grundlage des Art. 50 Abs. 4 BayBeamtVG erlassenen Bayerischen Heilverfahrensverordnung (BayHeilvfV) vom 10. Dezember 2010 geregelt. Der Umfang der Dienstunfallfürsorgeleistungen bestimmt sich nach § 4 BayHeilvfV. Nach § 4 Abs. 1 BayHeilvfV werden die angemessenen Kosten medizinisch notwendiger Maßnahmen in vollem Umfang erstattet. § 4 Abs. 1 Satz 2 BayHeilvfV verweist auf die Abschnitte III bis V und auf § 45 der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV) mit den dazugehörigen Anlagen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBhV richtet sich die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die sich danach stellenden Rechtsfragen der Abrechnungsfähigkeit bestimmter ärztlicher Leistungen stellen für die Beihilfegewährung vorgreifliche zivilrechtliche Rechtsfragen des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient dar (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2004 – 2 C 34/03 – ZBR 2005, 169 – juris Rn. 17).
Für die Frage, welche von mehreren gleichzeitig oder im Zusammenhang erbrachten Leistungen selbstständig berechnungsfähig sind, ist neben Berechnungsbestimmungen im Gebührenverzeichnis selbst vor allem § 4 Abs. 2a GOÄ in der Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1861) in den Blick zu nehmen. Nach dieser Bestimmung kann der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies gilt nach § 4 Abs. 2a Satz 2 GOÄ auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte. In den dem Abschnitt L (Chirurgie, Orthopädie) des Gebührenverzeichnisses vorangestellten Allgemeinen Bestimmungen werden Inhalt und Tragweite dieses als Zielleistungsprinzip bezeichneten Grundsatzes näher verdeutlicht, wenn es dort heißt, dass zur Erbringung der in Abschnitt L aufgeführten typischen operativen Leistungen in der Regel mehrere operative Einzelschritte erforderlich sind und dass diese Einzelschritte, soweit sie methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung sind, nicht gesondert berechnet werden können. Der Bestimmung des § 4 Abs. 2a Satz 1 GOÄ, die inhaltlich im Wesentlichen schon in § 4 der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 (BGBl. I S. 89) und in § 4 Abs. 2 Satz 2 der Gebührenordnung für Ärzte vom 12. November 1982 (BGBl. I S. 1522) enthalten war, kommt eine klare abrechnungstechnische Bedeutung zu, die unmittelbar einleuchtet: Der Arzt darf ein und dieselbe Leistung, die zugleich Bestandteil einer von ihm gleichfalls vorgenommenen umfassenderen Leistung ist, nicht zweimal abrechnen. Daraus folgt zugleich die Selbstverständlichkeit, dass Leistungen, die nicht Bestandteil einer anderen abgerechneten Leistung sind, abrechenbar sind, soweit es sich um selbstständige Leistungen handelt (vgl. BGH, U. v. 5.6.2008 – III ZR 239/07 – BGHZ 177, 43 – juris Rn. 6).
Die durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. Dezember 1995 zusätzlich eingefügten Regelungen in § 4 Abs. 2a Satz 2 GOÄ und in den Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts L, die auf eine Anregung des Bundesrates zur „Klarstellung und Verdeutlichung der Anwendung des Ziel- oder Komplexleistungsprinzips auch im operativen Bereich“ zurückgehen (vgl. BR-Drucks. 688/95 S. 4), schließen an diesen Zweck an und formulieren dies für operative Leistungen in der Weise, dass methodisch notwendige operative Einzelschritte nicht besonders zu berechnen sind. Dabei verdeutlicht Absatz 1 Satz 2 der Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts L, dass mit den Einzelschritten Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung gemeint sind. Es geht daher auch bei Anwendung dieser Bestimmungen um die Verhinderung einer Doppelhonorierung von Leistungen. Nur dieser Grund rechtfertigt es, eine erbrachte Leistung, soweit sie selbstständig ist, nicht zu honorieren (vgl. BGH, U. v. 5.6.2008 – III ZR 239/07 – BGHZ 177, 43 – juris Rn. 7).
a. Vielfach gibt die Gebührenordnung selbst Hinweise dafür, wie das Verhältnis ärztlicher Leistungen zueinander zu bestimmen ist, ohne dass hierfür eine aufwändigere Analyse des genauen Inhalts der Gebührenposition notwendig wäre. Dies gilt etwa für die Komplexleistung in GOÄ Nr. 2297, die ausdrücklich auch die Leistungen der Nrn. 2295 und 2296 umfasst oder für eine Komplexleistung GOÄ Nr. 2757 im Verhältnis zu Nr. 2260 (vgl. BGH. U. v. 13.5.2004 – III ZR 344/03 – BGHZ 159, 142 – juris). Dass einem einheitlichen Behandlungsgeschehen auch mehrere Zielleistungen zugrunde liegen können, ist nach der jeweiligen Leistungslegende ebenfalls möglich. Absatz 2 der Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts L belegt, dass auch die Gebührenordnung von einer solchen Möglichkeit ausgeht, indem sie eine Anrechnungsbestimmung bei Eingriffen in die Brust- oder Bauchhöhle nach unterschiedlichen Gebührenpositionen vorsieht, wenn es dabei nur zu einer einmaligen Eröffnung dieser Körperhöhlen gekommen ist. Daran wird deutlich, dass es einer genaueren Betrachtung der Reichweite jeder in Rede stehenden Gebührenposition bedarf und aus dem Umstand, dass nach ärztlicher Kunst verschiedene Leistungen in zeitlichem Zusammenhang zu erbringen sind, nicht ohne weiteres zu schließen ist, es liege nur eine Zielleistung vor, im Verhältnis zu der sich die anderen als unselbstständige Hilfs- oder Begleitverrichtungen darstellten (vgl. BGH, U. v. 5.6.2008 – III ZR 239/07 – BGHZ 177, 43 – juris Rn. 8).
b. Geben unterschiedliche Gebührenpositionen, die ihrer Legende nach durch den Arzt erfüllt worden sind, keine näheren Hinweise über ihr Verhältnis zueinander, ist zu prüfen, ob es sich um jeweils selbstständige Leistungen handelt oder ob eine oder mehrere von ihnen als Zielleistung und die anderen als deren methodisch notwendigen Bestandteile anzusehen sind. Es ist somit bei Anlegung eines abstrakt-generellen Maßstabs wegen des abrechnungstechnischen Zwecks des § 4 Abs. 2a Satz 1 und 2 GOÄ vor allem der Inhalt und systematische Zusammenhang der in Rede stehenden Gebührenpositionen zu beachten und deren Bewertung zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B. v. 12.1.2010 – 14 ZB 09.1304 – juris Rn. 8). Dass der Verordnungsgeber bei der Festlegung und Bewertung der einzelnen Gebührenpositionen von solchen allgemeinen Maßstäben ausgegangen ist, kann nicht zweifelhaft sein. Dies ergibt sich daraus, dass er in Abschnitt L, Absatz 1 Satz 1 der Allgemeinen Bestimmungen von „typischen“ operativen Leistungen spricht und in Satz 2 bezüglich der Einzelschritte die mangelnde Berechenbarkeit davon abhängig macht, dass sie „methodisch“ notwendige Bestandteile der Zielleistung sind. Hieraus sowie aus der sehr differenzierten punktmäßigen Bewertung wird deutlich, dass der Verordnungsgeber bei der Beschreibung der verschiedenen Leistungen ein typisches Bild vor Augen hatte, zu dem nach den Kenntnissen medizinischer Wissenschaft und Praxis („Methode“) ein bestimmter Umfang von Einzelverrichtungen gehört. Es ist zwar so, dass in den verschiedenen Gebührenpositionen die ärztlichen Leistungen eher – als Ziel – plakativ benannt denn beschrieben werden und dass die Art der Ausführung und der verwendeten wissenschaftlichen Methode nicht Bestandteil der Leistungslegende ist. Das Zielleistungsprinzip allein kann aber nicht dafür in Anspruch genommen werden, vom Verordnungsgeber als selbstständig angesehene Leistungen zum Bestandteil einer anderen Leistung zu machen (vgl. BGH, U. v. 5.6.2008 – III ZR 239/07 – BGHZ 177, 43 – juris Rn. 9).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen kommt eine besondere Berechnungsfähigkeit der Leistungen nach der GOÄ Nr. 2083 neben der GOÄ Nr. 2191 nicht in Betracht (a.). Neben der GOÄ Nr. 2191 kann jedoch die Sehnenausschneidung – GOÄ Nr. 2064 – abgerechnet werden (b.), die als „Minus“ in der GOÄ Nr. 2083 enthalten ist.
a. Die Leistungsbeschreibung der GOÄ Nr. 2191 lautet:
„Arthroskopische Operation mit primärer Naht, Reinsertion, Rekonstruktion oder plastischem Ersatz eines Kreuz- oder Seitenbands an einem Kniegelenk – einschließlich Kapselnaht“.
Die Leistungsbeschreibung der GOÄ Nr. 2083 lautet:
„Freie Sehnentransplantation“
Der Sachverständige Dr. G. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, „Rekonstruktion“ bedeute, dass das gerissene Kreuzband ganz oder teilweise entfernt und mit einem anderen Material ersetzt werde. „Plastischer Ersatz“ bedeute praktisch das Gleiche wie Rekonstruktion. Nach Pyrschembel, Klinisches Wörterbuch, 265. Aufl. 2014, bedeutet der Wortteil „plast-“ „gebildet oder geformt (vgl. Stichwort „plast-“). Hier wurden als Ersatz für das gerissene Kreuzband zwei Sehnen der Innenseite des Oberschenkels entnommen und in der sog. Semitendinosus-gracilis Zweibündeltechnik (vgl. Sadoghi, Die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes in der Ligamentum Patellae Einbündeltechnik und Semitendinosus- gracilis Zweibündeltechnik, Ein klinischer Vergleich und eine radiologische Beurteilung der tibialen und femoralen Tunnelposition, Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München, 2012, S. 30 – abrufbar unter https://edoc.ub.uni-muenchen.de/14256/2/Sadoghi_Patrick.pdf, zuletzt besucht am 25.5.2016) als Ersatz für das gerissene Kreuzband in das Knie des Klägers eingesetzt. Mit dieser Technik wurde das Kreuzband mit körpereigenem Material rekonstruiert bzw. aus körpereigenem Material ein Ersatz gebildet. Der Sachverständige erster Instanz hat hierzu ausgeführt, dass die Sehne nach der Entnahme von Muskelgewebe befreit, gegeneinander verfaltet und zur Erreichung der Stabilität zusammengenäht wird. Diese gefaltete und zusammengenähte Sehne wird dann als Ersatz für das gerissene Kreuzband eingesetzt. Der Verordnungsgeber hat mit der Verwendung der Begriffe „Rekonstruktion“ bzw. „plastischer Ersatz“ in der GOÄ Nr. 2291 jedenfalls das Falten und Zusammennähen der zuvor herauspräparierten Sehnen erfasst. Damit ist ein (Groß-)Teil der Leistungsbeschreibung der GOÄ Nr. 2191 mit GOÄ Nr. 2083 identisch ist. Das gegeneinander Verfalten und das Zusammennähen sind methodische Einzelschritte der Rekonstruktion bzw. des plastischen Ersatzes des Kreuzbandes. Aufgrund dieser Teilidentität der Leistungsbeschreibung kann nach § 4 Abs. 2a Satz 1 GOÄ die Gebühr nach GOÄ Nr. 2083 nicht neben der GOÄ Nr. 2191 berechnet werden. Dies gilt nach § 4 Abs. 2a Satz 2 GOÄ auch im operativen Bereich. Die letztgenannte Bestimmung dient der Klarstellung und Verdeutlichung der Anwendung des Ziel- und Komplexleistungsprinzips auch im operativen Bereich (vgl. BR-Drs. 688/95, Seite 4).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil die GOÄ Nr. 2191 mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. Dezember 1995 (BGBl I 1995, 1050) zu einem Zeitpunkt eingeführt worden ist, als die Verwendung körpereigenen Materials beim Kreuzbandersatz nicht üblich war, sondern überwiegend Fremdmaterial Verwendung gefunden hat. § 4 Abs. 2a GOÄ schließt eine gesonderte Abrechnung (auch im Wege einer analogen Abrechnung nach § 6 Abs. 2 GOÄ) grundsätzlich auch dann aus, wenn sich infolge technischer Weiterentwicklung ein methodischer Standard herausgebildet hat, der zum Zeitpunkt der Formulierung der Gebührenposition noch nicht entwickelt war. Solche sich häufig auch auf die Kosten der Leistungserbringung auswirkende Innovationen können gebührenrechtlich nur im Zuge der Weiterentwicklung des Gebührenverzeichnisses durch den Verordnungsgeber Berücksichtigung finden (vgl. BGH, U. v. 13.5.2004 – III ZR 344/03 – BGHZ 159, 142 – juris Rn. 17).
b. Von der Zielleistung der GOÄ Nr. 2191 nicht erfasst ist hingegen die Gewinnung der körpereigenen Sehnen, die für die eingangs geschilderte Rekonstruktion bzw. den plastischem Ersatz eine notwendige Vortätigkeit darstellt. Die „reine“ Sehnenentnahme wird von der GOÄ Nr. 2064 erfasst, deren Leistungsbeschreibung lautet:
„Sehnen-, Faszien- oder Muskelverlängerung oder plastische Ausschneidung“.
Ausschneidung bedeutet die operative Entfernung durch Herausschneiden (vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, abrufbar unter http://www.duden.de/rechtschreibung/Ausschneidung, zuletzt besucht am 25.5.2016).
Die Entnahme der Semitendinosussehne sowie der Gracilissehne ist neben der GOÄ Nr. 2191 selbstständig abrechenbar. Auch im Widerspruchsbescheid des Landesamts vom 12. September 2011 klingt an, dass für die Sehnenentnahmeleistung eine Leistung zur plastischen Ausschneidung zu diskutieren wäre.
Gemessen an den unter 1. dargestellten Grundsätzen ist die Ausschneidung der Sehnen eine selbstständige Leistung. Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht die Kommentierung von Göbel in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 5. Aufl. 2016, Anhang zu § 1 MB/KK, Rn. 51 ff. In der Kommentierung wird unter den Randnummern 61 und 62 unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf (U. v. 11.5.2004 – 24 S 422/93 – nicht veröffentlicht) ausgeführt, es komme auf den „konkreten Erbringungsfall“ an, um eine zutreffende Wertung der Selbstständigkeit der Leistung vornehmen zu können. Als entscheidend für den selbstständigen und mithin vergütungsfähigen Charakter einer Leistung sei die Frage, ob die zu beurteilende Leistung das Leistungsziel oder nur einen Teilschritt auf dem Weg zur Erreichung des Leistungsziels darstelle. Die Landesanwaltschaft schließt daraus, dass die Sehnenausschneidung nur ein unselbstständiger Teilschritt für die Leistung nach der GOÄ Nr. 2191 ist, da alleiniger Grund für die Sehnenentnahme die durchzuführende Kreuzbandplastik war. Die von der Landesanwaltschaft in den Blick genommene Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf ist jedoch durch die vorstehend unter 1. dargestellte – zeitlich nachfolgende – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überholt. Der Bundesgerichtshof hat betont, dass das Zielleistungsprinzip allein nicht dafür in Anspruch genommen werden kann, vom Verordnungsgeber als selbstständig angesehene Leistungen zum Bestandteil einer anderen Leistung zu machen (vgl. BGH, U. v. 5.6.2008 – III ZR 239/07 – BGHZ 177, 43 – juris Rn. 9). Aus dem Absatz 1 Satz 2 der Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts L wird deutlich, dass der Verordnungsgeber mit Einzelschritten Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung meint. Zieht man eine Parallele zu § 4 Abs. 2 Satz 4 der Gebührenordnung für Zahnärzte, wird deutlich, dass eine Leistung nur dann als notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung anzusehen ist, wenn sie von deren Leistungsbeschreibung umfasst ist. Der Verordnungsgeber hat mit dieser Vorschrift, die mit der Ersten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte vom 21. September 2011 ergänzend aufgenommen worden, das Zielleistungsprinzip präziser umschrieben (vgl. BR-Drs. 566/11). Diese Umschreibung präzisiert gleichzeitig auch das Zielleistungsprinzip im Bereich der Gebührenordnung für Ärzte, da insoweit kann anderer Maßstab zugrunde gelegt werden kann. Damit wird deutlich, dass nicht das Ziel der jeweiligen GOÄ Nummer (hier Kreuzbandplastik), sondern die Leistungsbeschreibung des Verordnungsgebers entscheidend für die Bewertung der Selbstständigkeit von Leistungen ist. Der Verordnungsgeber hat mit der GOÄ Nr. 2191 die Sehnenentnahme nicht erfasst, so dass die GOÄ Nr. 2064 daneben anrechenbar ist (im diesem Sinne auch: Hermann/Filler/Roscher, GOÄ, 4. Aufl. 2010, GOÄ Nr. 2191). Auch der Bundesgerichtshof betont in seinem Urteil vom 21. Januar 2010 (III ZR 147/09 – NJW-RR 2010, 1355 – juris Rn. 10), dass für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, nach § 4 Abs. 2a GOÄ eine Gebühr nicht berechnet werden kann. Im Umkehrschluss können Leistungen, die (wie hier) nicht Bestandteil der Leistungsbeschreibung (Kreuzbandplastik) sind, selbstständig abgerechnet werden.
Im Widerspruchsbescheid des Landesamts vom 12. September 2011 klingt an, die GOÄ Nr. 2191 sei bereits durch die GOÄ Nr. 2195 ausgeglichen. Diese Argumentation berücksichtigt nicht, dass die GOÄ Nr. 2195 einen Zuschlag für weitere operative Eingriffe an demselben Gelenk betrifft, nicht jedoch die Entnahme von Sehnen von Muskeln der Innenseite des Oberschenkels (Gracilis-und Semitendinosussehne)
Der Senat schließt sich damit den Urteilen des Landgerichts München I vom 31. März 2010 (9 S 13229/09, nicht veröffentlicht), des Landgerichts München II vom 10. Februar 2010 (8 S 3626/08, nicht veröffentlicht) und des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. Oktober 2013 (AN 1 K 13.00010 – juris) an, wenngleich insoweit einschränkend, als die Sehnenentnahme als nicht methodischer Einzelschritt der GOÄ Nr. 2191 dem Leistungstatbestand GOÄ Nr. 2064 zugeordnet wird.
3. Auch die GOÄ Nr. 2257 kann nicht gesondert berechnet werden, da die vorgenommene Maßnahme bereits mit dem Ansatz der GOÄ Nr. 2195 abgerechnet worden ist. Diese ist gerechtfertigt als
„Zuschlag für weitere operative Eingriffe an demselben Gelenk – zusätzlich zu den Leistungen nach den Nummern 2101, 2104, 2112, 2117, 2119, 2136, 2189 bis 2191 oder 2093“.
Der Sachverständige hat im erstinstanzlichen Verfahren ausgeführt, die Notch-Plastik bezeichne das Ausfräsen des Raumes, im dem das Kreuzband am Oberschenkelknochen verlaufe. Nach dem Einsetzen des Implantats prüfe man, ob das Implantat an dieser Aussparung des Oberschenkelknochens anschlage. Sei dies der Fall, nehme das Implantat wie auch eine natürliche Sehne im Laufe der Zeit Schaden. Daher werde dieser als „Notch“ bezeichnete Raum künstlich durch Ausfräsen erweitert.
Nach diesen Ausführungen ist von einem „operativen Eingriff an demselben Gelenk“ auszugehen. Die Notch-Plastik kann damit, unabhängig davon, ob sie vom Zielleistungsprinzip umfasst ist, nicht mehr gesondert berechnet werden, da die GOÄ Nr. 2195 insoweit entgegensteht (vgl. LG München I, U. v. 31.3.2010 – 9 S 13229/09 – nicht veröffentlicht).
4. Nach alledem war der Berufung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Im Übrigen war sie zurückzuweisen.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Prozesszinsen ergibt sich aus § 291 BGB analog. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Sie ergibt sich aus der Frage, ob die GOÄ Nrn. 2064 bzw. 2083 und 2191 nebeneinander abgerechnet werden können.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 139 VwGO kann die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) eingelegt werden. Die Revision muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig (Postfachanschrift: Postfach 10 08 54, 04008 Leipzig), einzureichen. Die Revisionsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 467,21 € festgesetzt (52 Abs. 1 GKG)