Medizinrecht

Krankenversicherung – Krankenhausvergütung – kein Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung – Unterschied zu Erfordernis der Übermittlung von ärztlicher Verordnung und Arztnummer – Annahme des Nichtbestehens einer Notfallaufnahme als Prüffrist in Gang setzendes Ereignis – gerichtliche Prüfung anhand vorgelegter Patientendokumentation – keine Pflicht zur Vorlage vollständiger Patientenunterlagen

Aktenzeichen  S 34 KR 619/15

Datum:
25.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG Magdeburg 34. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:SGMAGDE:2022:0425.S34KR619.15.00
Normen:
§ 301 SGB 5
§ 275 Abs 1c SGB 5
§ 39 SGB 5
§ 39 Abs 1 S 2 SGB 5
§ 109 Abs 4 S 3 SGB 5
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Der Anspruch auf Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung setzt eine vertragsärztliche Verordnung nicht voraus (so BSG vom 18.6.2018 – B 1 KR 26/17 R = BSGE 126, 79 = SozR 4-2500 § 39 Nr 30). (Rn.32)


2. Davon zu unterscheiden ist das Erfordernis der Übermittlung einer ärztlichen Verordnung und die Arztnummer des einweisenden Arztes nach § 301 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB V. Für die vollständige Datenübermittlung ist – soweit keine andere Alternative des § 301 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB V vorliegt – die Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung erforderlich. (Rn.35)


3. Nimmt die Krankenkasse entgegen der Klägerin an, eine Notfallaufnahme im Sinne des § 301 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB V liege nicht vor, überschreitet sie im Prüfverfahren das “Ob” der vollständigen Datenübermittlung hin zum “wie” des Behandlungsfalles, so dass die Prüffrist nach § 275 Abs 1c SGB V in Gang gesetzt wird. (Rn.37)


4. Dem Gericht war die Prüfung der vorgetragenen primären und (hilfsweise) sekundären Fehlbelegung nur anhand der bereits vorgelegten Patientendokumentation möglich (vgl BSG 21.6.2021 – B 1 KR 25/20 B). (Rn.41)
Zur Vorlage der vollständigen Patientenunterlagen war die Klägerin nicht verpflichtet. (Rn.43)

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.420,50 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozent seit dem 23. Juni 2015 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Der Streitwert wird auf 3.420,50 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin ist ein bei der Beklagten nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V) zugelassenes Krankenhaus. In der Zeit vom 28. November bis zum 2. Dezember 2014 behandelte sie den bei der beklagten Krankenkasse versicherten, 1985 geborenen B. (nachfolgend: Versicherter) stationär wegen einer Verletzung am Schultergelenk (Klavikula). Der Versicherte war in leicht alkoholisiertem Zustand zuvor am 23. November 2014 in der Notfallambulanz wegen einer dislozierten lateralen Klavikula-Fraktur behandelt worden. Für den 24. November 2014 war eine Wiedervorstellung des Versicherten in der Unfallsprechstunde vorgesehen. Nach vorstationärer Untersuchung am 25. November 2014 verordnete die Unfallklinik der Klägerin dem Versicherten eine Krankenhausbehandlung wegen der dislozierter lateraler Klavikula-Fraktur. Laut dem von der Klägerin vorgelegten Entlassungsbrief vom 2. Dezember 2014 wurde bei dem Versicherten am 28. November 2014 eine offene Reposition und indirekte Retention über ein Twin-Tail-Tightrope-System der Klavikula rechts durchgeführt. Der Versicherte verblieb in stationärer Behandlung bis zum 2. Dezember 2014.
Ihre Leistungen forderte die Klägerin von der Beklagten schließlich mit korrigierter Rechnung vom 22. Juni 2015 in Höhe von insgesamt 3.420,50 Euro vergütet. Diese kodierte sie mit einer DRG (Diagnosis Related Group-Vergütungssystem) „I29B“ – komplexe Eingriffe am Schultergelenk oder bestimmte Osteosynthesen an der Klavikula, ohne komplizierte Diagnose oder ohne Eingriff an mehreren Lokalisationen. Die Abrechnungsdaten übermittelte die Klägerin der Beklagten zunächst am 1. Dezember 2014 (Aufnahmeanzeige), am 15. Dezember 2014 (Entlassungsanzeige) und zuletzt am 22. Juni 2015.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Kostenübernahme nicht erteilt werden könne. Laut übermittelter Daten sei die Krankenhausbehandlung nicht entsprechend von einem niedergelassenen Vertragsarzt bzw. ermächtigten Krankenhausarzt verordnet worden (Einweiser 9999999). Es handele sich auch nicht um einen Notfall.
Mit Schreiben vom 4. März 2015 wendete sich die Beklagte erneut an die Klägerin: „…Sie legen uns die Rechnung für o.g. Versicherten vor. Abgerechnet wird die DRG O64C. Als Aufnahmeanlass wurde Normalfall kodiert, jedoch der einweisende Arzt nicht übermittelt. Nach Ablehnung der Kostenübernahme am 16.12.2014 wurde der Aufnahmeanlass am 14.02.2015 in Notfall geändert…“. Die Beklagte teilte der Klägerin sodann mit, dass es sich nach den ihr vorliegenden Unterlagen nicht um eine Notfallaufnahme handele. Die Verordnung einer Krankenhausbehandlung sowie die Arztnummer des einweisenden Arztes seien unverzichtbare Leistungsvoraussetzungen. Diese sei nicht übermittelt worden. Die vorliegende Verordnung sei von der zur Klägerin gehörenden Klinik für Unfallchirurgie ausgestellt worden. Daher liege eine sogenannte Selbsteinweisung vor. Die Klägerin solle eine entsprechende Korrektur der Abrechnungsunterlagen bis zum 18. März 2015 vornehmen.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2015 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass wegen der nicht übermittelten Arztnummer die Rechnung nicht ausgeglichen werden könne. Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 5. August 2015 mit, es habe sich bei der Behandlung des Versicherten um einen medizinischen Notfall gehandelt. Der aufnehmende Arzt habe entschieden, den Patienten stationär zu behandeln. Die Beklagte wiederholte ihre Auffassung mit Schreiben vom 13. August 2015. Sie führte weiter aus: „…Die formalen Voraussetzungen liegen somit nicht vor, so dass die Rechnung nicht fällig ist. Eine Rechnungsbegleichung kann somit nicht erfolgen…“. Darauf reagierte die Klägerin mit Schreiben vom 28. August 2015. Ihrer Auffassung nach sei die vollstationäre Behandlung auch ohne Verordnung eines niedergelassenen Arztes zulässig.
Ein Prüfverfahren leitete die Beklagte nicht ein. Ebenso wenig beglich die Beklagte die in Rechnung gestellte Leistung.
Die Klägerin hat am 19. Dezember 2018 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben.
Sie macht die Vergütung ihrer stationären Leistung in Höhe Klageforderung geltend. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass eine Verordnung nicht hätte vorgelegt werden müssen. Diese sei nicht Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch. Es handele sich um eine Auffälligkeitsprüfung. Die Beklagte habe ein Prüfverfahren einleiten müssen. Hierfür sei nunmehr die Frist abgelaufen. Die Klägerin reiche daher im Klageverfahren keine Patientendokumentation ein. Sie beruft sich im Hinblick auf die Prüfung der Rechnung auf den Einwendungsausschluss.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.420,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent p.a. seit dem 23. Juni 2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Zahlungsanspruch stehe der Klägerin nicht zu. Unerlässliches Erfordernis für einen Vergütungsanspruch sei das Vorliegen einer ordnungsgemäßen und persönlich durch einen hierzu ermächtigten Vertragsarzt ausgestellten vertragsärztlichen Verordnung. Die Beklagte beruft sich auf die Krankenhausbehandlungsrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen bzw. auf die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenhausbehandlungen (Krankenhauseinweisungsrichtlinie). Die beschlossenen Richtlinien seien verbindlich. Bei der vollstationären Behandlung des Versicherten habe es sich nicht um eine Notfallbehandlung gehandelt, sondern um eine geplante Aufnahme. Die vorgelegte Verordnung sei von der Klinik für Unfallchirurgie ausgestellt worden. Hilfsweise macht die Beklagte geltend, dass allenfalls ein Behandlungstag notwendig gewesen sei. Der Versicherte sei unter dem 23. November 2014 wieder „nach Hause geschickt“ worden. Gegebenenfalls hätte im Hinblick auf das Lebensalter des Versicherten die Behandlung ambulant durchgeführt werden können. Die Klägerin könne sich auf einen Einwendungsausschluss nicht berufen. Das Gericht habe eine Sachverhaltsaufklärung und eine Sachverhaltsprüfung durchzuführen.
In der mündlichen Verhandlung am 25. April 2022 haben die Klägerin klargestellt, dass sie die erbrachten Leistungen stets als DRG „I29B“ geltend gemacht habe. Eine DRG „O64C“ ist der Beklagten zu keiner Zeit übermittelt worden. Zudem hat die Klägerin dargestellt, dass der Hinweis (Schriftsatz vom 29. Juni 2021) sich auf eine nicht vergleichbare und damit nicht abrechenbare AOP-Leistung (Vertrag zum ambulanten Operieren – AOP) beschränke. Eine Änderung der Rechnung auf einen anderen OPS-Kode sei nicht bewirkt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
Die zulässige Klage ist begründet.
1.
Die Klägerin hat ihren Vergütungsanspruch zulässig im Wege der Leistungsklage, § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Gleichordnungsverhältnis geltend gemacht (ständige Rechtsprechung, vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 57/12 R; Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KN 1/07 KR R, BSGE 102, 172; Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 24/08 R, BSGE 104, 15). Die Klägerin ist als Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses klagebefugt. Die Klage ist rechtzeitig erhoben worden, da der Anspruch zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht verjährt war § 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil – SGB I).
2.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Vergütung ihrer Leistung in Höhe der Klageforderung.
a) Die Anspruchsgrundlage für die Vergütung der erbrachten Leistung ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und der Anlage 1 Teil a Fallpauschalenkatalog der jeweils anwendbaren G-DRG-Version sowie dem einschlägigen Krankenhausbehandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Land Sachsen-Anhalt.
Die Vergütung für die Krankenhausbehandlung von Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Dieser Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen [FPV]) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als “Vertragsparteien auf Bundesebene” mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG.
b) Die Voraussetzungen für eine Vergütung der in Rechnung gestellten Leistungen liegen vor.
aa) Für den in Streit stehenden Behandlungszeitraum vom 28. November 2013 bis zum 2. Dezember 2014 haben die Beteiligten keine Regelungen zur Durchführung einer Prüfung (Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV) getroffen. Die PrüfvV (2014) gilt erst für Behandlungsfälle ab dem 1. Januar 2015. Die Rechtsprechung des BSG hat eine gestufte Sachverhaltserhebung anhand von § 275 SGB V entwickelt (dreistufiges Prüfschema). Zwischenzeitlich ist es mit dem neuen System quartalsbezogener Prüfquoten überholt (Siechert/Seifert in Becker/Kingreen, SGB V, 7. Auflage 2020, § 275, Rn. 8). Auf den zu entscheidenden Fall findet das Prüfschema noch Anwendung.
bb) Im Verhältnis zwischen Krankenhäusern, Krankenkassen und dem MD bestanden Auskunfts- und Prüfpflichten auf drei Ebenen (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 3 KR 14/11 R; Urteil vom 16. Mai 2012 – B 3 KR 12/11 R; Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 14/12 R; Seifert in Becker/Kingreen, SGB V, 6. Auflage 2017 [Vorauflage], § 275, Rn. 8, 21 ff; Gerlach in Hauck/Noftz, 13. Ergänzungslieferung 2021, § 275, Rn. 53 ff.): Auf der ersten Stufe der Sachverhaltserhebung hat das Krankenhaus zunächst alle Angaben nach § 301 Abs. 1 SGB V zu machen, und zwar zutreffend und vollständig. Erschließen sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder weitere Abrechnungsvoraussetzungen den Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen der Krankenkasse aufgrund der gebotenen Angaben nach § 301 SGB V oder eines etwaigen Kurzberichts nicht selbst, ist auf der zweiten Stufe der Sachverhaltserhebung ein Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V einzuleiten. Danach ist bei dem MD eine gutachterliche Stellungnahme einzuholen, wenn die vom Krankenhaus erteilten und ansonsten zur Verfügung stehenden Informationen zur Prüfung, insbesondere von Voraussetzung, Art und Umfang der Krankenhausbehandlung, nicht ausreichen. Dazu hat die Krankenkasse dem MD gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 SGB V alle in ihrem Verfügungsbereich befindlichen und zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Im Rahmen einer nach diesen Voraussetzungen ordnungsgemäß eingeleiteten Prüfung hat das Krankenhaus schließlich auf der dritten Stufe der Sachverhaltserhebung – wenn sich also unter Auswertung der auf der ersten und zweiten Stufe verfügbaren Sozialdaten kein abschließendes Ergebnis finden lässt – nach § 276 Abs. 2 Satz 1, Halbsatz 2 SGB V dem MD auch über die Daten nach § 301 SGB V und einen etwaigen Kurzbericht hinaus alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse benötigt werden. MD-Prüfungen nach § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V, die sich auf von den Krankenhäusern zur Verfügung gestellte Sozialdaten der Versicherten stützen sollen, betreffen nur diese dritte Stufe (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 14/12 R; zur Möglichkeit der gezielten Abrechnungsprüfung durch den MD(K) wegen Auffälligkeiten vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 24/11 R)
cc) Nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte die erste Stufe bereits überschritten.
(1) Die Klägerin hat die Daten zu der in Rechnung gestellten Vergütung ordnungsgemäß nach § 301 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung übermittelt.
Voraussetzung für die Fälligkeit des Anspruchs auf Vergütung ist eine ordnungsgemäße, ggf. ordnungsgemäß korrigierte, Abrechnung (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 14/12 R; Urteil vom 18. Mai 2021 – B 1 KR 34/20 R). Diese liegt nur vor, wenn die betreffenden Daten nach § 301 SGB V rechtmäßig noch übermittelt werden durften (BSG, Urteil vom 18. Mai 2021 – B 1 KR 34/20 R). Dagegen kann der Vergütungsanspruch, insbesondere auch eine Nachforderung, weiterhin mit anderen, nicht von der materiellen Präklusion erfassten Daten innerhalb der Grenzen von Verwirkung und Verjährung erfolgreich durchgesetzt werden. Insoweit müssen die rechtmäßig übermittelten Daten jedoch zutreffend sein; unzutreffende Daten können grundsätzlich keinen Vergütungsanspruch begründen. Soweit der nicht mehr veränderbare Teil des Datensatzes unzutreffende Daten enthält, kann das Krankenhaus hierauf regelmäßig keinen durchsetzbaren Vergütungsanspruch stützen. Unzutreffende, nicht mehr änderbare Daten fallen als Berechnungselemente grundsätzlich ersatzlos weg. Dies gilt allerdings nicht, wenn es “nur” um quantitative Angaben geht (z.B. Dauer der Beatmungsstunden, Geburtsgewicht, OPS-Kodes mit quantitativen Unterscheidungen), also nicht ein Aliud, sondern ein Minus oder ein Maius zutreffend hätte kodiert werden müssen.
Nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung sind die Krankenhäuser verpflichtet, den Krankenkassen bei Krankenhausbehandlung folgende Angaben im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern unter anderem zu übermitteln: die Angaben nach § 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 SGB V sowie das krankenhausinterne Kennzeichen des Versicherten (Nr. 1), das Institutionskennzeichen des Krankenhauses und der Krankenkasse (Nr. 2), den Tag, die Uhrzeit und den Grund der Aufnahme sowie die Einweisungsdiagnose, die Aufnahmediagnose, bei einer Änderung der Aufnahmediagnose die nachfolgenden Diagnosen, die voraussichtliche Dauer der Krankenhausbehandlung sowie, falls diese überschritten wird, auf Verlangen der Krankenkasse die medizinischen Begründung (Nr. 3), bei ärztlicher Verordnung von Krankenhausbehandlung die Arztnummer des einweisenden Arztes, bei Verlegung das Institutskennzeichen des veranlassenden Krankenhauses, bei Notfallaufnahme die die Aufnahme veranlassende Stelle (Nr. 4).
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Frage der vollständigen Übermittlung der Daten nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V. Die Klägerin hat in Erfüllung der Anforderung nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 2. Alternative SGB V (Notfallaufnahme) die Überweisung der veranlassenden Stelle, hier der Unfallklinik der Klägerin, wirksam übermittelt.
(2) Grundsätzlich ist für die Durchsetzung des Vergütungsanspruchs eine Verordnung nicht erforderlich.
Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und sie im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rspr. vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R; Urteil vom 19. April 2016 – B 1 KR 34/15 R; Urteil vom 19. Juni 2018 – B 1 KR 32/17 R; Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 36/17 R).
Mit diesem Grundsatz steht in Einklang, dass auch für die Vergütung der Leistungen die Vorlage einer Verordnung nicht zwingend ist. Der Vergütungsanspruch setzt voraus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer teilstationären Behandlung erfüllt sind und die Behandlung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist. Eine vertragsärztliche Verordnung ist hingegen nicht Voraussetzung des Vergütungsanspruchs; ihr kommt allenfalls eine Ordnungsfunktion zu (BSG, Urteil vom 18. Juni 2018 – B 1 KR 26/17 R). Entscheidend für einen Vergütungsanspruch ist vielmehr, dass Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit besteht. Das folgt aus dem Wortlaut, dem Regelungssystem sowie dem Sinn und Zweck des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung, § 39 SGB V (BSG, Urteil vom 18. Juni 2018 – B 1 KR 26/17 R).
(3) Hiervon ist die Erfüllung der Anforderung nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V, mithin, zu unterscheiden.
Zu der Rechtsfrage, ob das Nichtvorliegen einer vertragsärztlichen Verordnung die Voraussetzungen nach § 301 SGB V erfüllt und damit die Fälligkeit der Rechnung bewirken kann, hat sich das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 18. Juni 2018 (B 1 KR 26/17 R) nicht verhalten und ausdrücklich offen gelassen für die Übermittlung einer angezweifelten bzw. unzutreffende Hauptdiagnose: (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2021 – B 1 KR 34/20 R).
Die vom BSG zuerkannte Ordnungsfunktion der vertragsärztlichen Verordnung entfaltet gerade für § 301 SGB V ihre verfahrensrechtliche Wirkung. Nur bei ordnungsgemäßer Datenübermittlung, unter anderem nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V, wird die Prüffrist nach § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V auf der oben beschriebenen zweiten Stufe in Gang gesetzt. Nur dann kann sich die Klägerin wirksam auf die Folgen eines Fristablaufs nach § 275 Abs. 1c SGB V berufen.
Soweit die Beklagte vorträgt, es habe sich nicht um eine Notfallbehandlung gehandelt, steht diese Auffassung einer ordnungsgemäßen Datenübermittlung nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V nicht entgegen.
Sobald die Krankenkasse in ihrer Einschätzung auf der ersten Stufe über die Prüfung des „Ob“ auf die Frage des „Wie“ wechselt, liegt eine inhaltliche Prüfung vor, die nicht mehr nur die Frage der rechtmäßigen und vollständigen Vorlage der Daten nach § 301 SGB V betrifft, sondern vielmehr in einer inhaltlichen Fragestellung die Richtigkeit der zur Vergütung gestellten Leistung auf der zweiten Stufe beschreibt. Damit war ab der letzten Datenübermittlung am 22. Juni 2015 ein Prüfverfahren innerhalb der Sechs-Wochen-Frist einzuleiten.
dd) Die Beklagte hat ein Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V nicht eingeleitet. Die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung kann nur noch auf Basis der bisher übermittelten Unterlage entschieden werden (BSG, Beschluss vom 21. Juni 2021 – B 1 KR 25/20 B; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2021 – L 11 KR 2846/19 – rechtshängig bei BSG – B 1 KR 19/21 R).
(1) Der ungenutzte Ablauf der Sechs-Wochen-Frist nach § 275 Abs. 1 c SGB V bewirkt zunächst keinen Einwendungsausschluss, wenn das Prüfungsverfahren nicht eingeleitet worden war (BSG, Beschluss vom 21. Juni 2021 – B 1 KR 25/20 B; BSG vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R; BSG vom 19. April 2016 – B 1 KR 33/15 R).
Bei Behandlungsfällen, die vor dem 1. Januar 2016 begonnen hatten – wie hier –, hat das BSG bis zu einer Gesetzesänderung zwischen sogenannten Auffälligkeitsprüfungen einerseits und Prüfungen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit andererseits unterschieden (hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2021 – L 11 KR 2846/19). Danach gelte bei Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit die Vorschrift des § 275 Abs. 1c SGB V nicht (BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13; BSG, Urteil vom 25. Oktober 2016 – B 1 KR 18/16 R). Dies wurde in der Literatur und auch von den erstinstanzlichen Gerichten sehr kritisch bewertet (vgl. Gerlach in Hauck/Noftz, 13. Ergänzungslieferung 2021, § 275, Rn. 40). Dies kann hier offenbleiben, da die Beklagte eine Auffälligkeitsprüfung nicht bestritten hat. Während die Klägerin aus diesem Grund zurecht davon ausgeht, die Beklagte habe ein Prüfverfahren einleiten müssen, hält die Beklagte daran fest, dass die Daten nicht vollständig übermittelt worden seien.
(2) Gleichwohl dringt die Klägerin mit der Verweigerung der Vorlage der Patientenunterlagen im Sinne einer Präklusion durch. Die Einwendungen der Beklagten, es habe sich nicht um eine Notfallbehandlung gehandelt bzw. hilfsweise, die stationäre Behandlung habe nur einen Belegungstag in Anspruch genommen, mithin die medizinischen Voraussetzungen nach § 39 SGB V, kann das Gericht jedoch nur noch anhand der vorliegenden Unterlagen überprüfen (BSG, Beschluss vom 21. Juni 2021 – B 1 KR 25/20 B).
Die von der Beklagten vorgetragene primäre und (hilfsweise) sekundäre Fehlbelegung ist nicht mehr durchsetzbar. Führt die Krankenkasse eine Abrechnungsprüfung (nicht fristgerecht) durch, ist sie mit einem (weiteren) Bestreiten ausgeschlossen. Das beklagte Krankenhaus trägt die objektive Beweislast für die Erforderlichkeit der Krankenkasse nur im Rahmen einer fristgerecht eingeleiteten Abrechnungsprüfung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2021 – L 11 KR 2846/19; Anm. Bockholdt, NZS 2021, 606).
Die Klägerin hat weder der Beklagten noch dem Gericht die Patientenunterlagen vorgelegt. Eine Verpflichtung bestand nach Fristablauf der Sechs-Wochen-Frist im Sinne von § 275 Abs. 1c SGB V nicht mehr.
(3) Nach den hier vorgelegten Unterlagen, bleibt der Vortrag der Beklagten im Hinblick auf die primäre Fehlbelegung unschlüssig. Unterlagen für ein wirksames Bestreiten liegen nicht vor. Das Gericht konnte anhand der vorliegenden Unterlagen über die stationäre Behandlung des Versicherten davon ausgehen, dass die durchgeführte offene Reposition und indirekte Retention über ein Twin-Tail-Tightrope-System der Klavikula rechts einschließlich der Behandlungsdauer erforderlich war und dem Stand der Wissenschaft entsprach und nach der DRG „I29B“ korrekt kodiert worden ist. Eine DRG „O64C“ hat die Klägerin zur Überzeugung der Kammer zu keiner Zeit in Rechnung gestellt. Die Beklagte dürfte in ihrem Schreiben vom 4. März 2015 insoweit fehlerhaft eine andere DRG genannt haben.
3.
Die Klage ist auch im Hinblick auf den geltend gemachten Zinsanspruch begründet. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 291 und § 288 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Krankenhäusern gelten die Zinsvorschriften des BGB entsprechend, soweit nicht in Verträgen etwas Anderes geregelt ist (st. Rspr; vgl. BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 6/19 R). Der Zinsanspruch folgt hier aus der zwischen den Beteiligten geschlossenen, einschlägigen Behandlungs- und Entgeltvereinbarung. Die Beklagte ist mit der Zahlung der Vergütung in Höhe der Klageforderung spätestens seit dem 23. Juni 2015 in Verzug.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
III.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Die geltend gemachten Zinsen sind als Nebenforderung nach § 43 Abs. 1 GKG nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Juni 2021 – L 6 KR 47/17).


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