Baurecht

Nutzungsuntersagung, offensichtliche Genehmigungsfähigkeit (verneint), Entscheidungszeitpunkt

Aktenzeichen  9 ZB 21.1850

Datum:
16.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8443
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5
Art. 76 S. 2 BayBO.

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 9 K 19.1098 2021-05-05 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2019, mit dem ihr die Nutzung eines Ladenlokals als Wettbüro untersagt und für den Fall der Nichteinhaltung ein Zwangsgeld angeordnet wurde.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. Mai 2021 abgewiesen. Die Nutzungsänderung sei genehmigungspflichtig, aber nicht genehmigt worden. Fehler bei der Ermessensausübung seien nicht ersichtlich. Das Vorhaben sei vor allem nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Mit ihrem Zulassungsantrag verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte verteidigt das Urteil.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8). Das ist hier nicht der Fall.
1.1 Die Nutzung einer baulichen Anlage kann nach Art. 76 Satz 2 BayBO untersagt werden, wenn sie im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht. Diese Voraussetzung ist grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (BayVGH, B.v. 26.2.2019 – 9 CS 18.2659 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 18). Unter Heranziehung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht die angefochtene Nutzungsuntersagung als rechtmäßig angesehen. Dagegen ist auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Zulassungsverfahren nichts einzuwenden.
1.2 Die Klägerin dringt mit ihrem Vorbringen, die Nutzungsänderung sei offensichtlich genehmigungsfähig, nicht durch. Dies wäre nur der Fall, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung beurteilt werden könnte, ob die geänderte Nutzung zulässig ist (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 45). Die Frage der Genehmigungsfähigkeit war hier aber eingehender zu prüfen, was bereits im streitgegenständlichen Bescheid unter Verweis auf Fragen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens im unbeplanten Innenbereich sowie den erforderlichen Stellplatznachweis dargelegt wurde. Auch die umfangreichen Ausführungen in der Zulassungsbegründung zum Vorliegen einer nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätte (unter Bezugnahme auf BayVGH, U.v. 24.11.2010 – 9 B 10.363 – juris Rn. 30; vgl. dazu auch VGH BW, U.v. 16.12.2020 – 8 S 1784/18 – juris Rn. 35 m.w.N.), zu dem Umstand, dass nicht offensichtlich ist, welchem Baugebiet die nähere Umgebung entspricht, und den sich daran anschließenden bauplanungsrechtlichen Fragen (vgl. § 34 Abs. 1 und 2 BauGB, § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO) sowie zu dem erst einer Prüfung zu unterziehenden Stellplatznachweis (anhand der vorgelegten Unterlagen sowie der Stellplatzsatzung der Beklagten i.d.F. vom 15.12.2016 i.V.m. Nr. 7.1 und 7.3 der Richtzahlenliste) verdeutlichen, dass das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass eine Genehmigung nicht offensichtlich in Betracht kommt. Dies gilt erst recht, soweit sich die Klägerin hilfsweise darauf beruft, die Nutzungsänderung sei ausnahmsweise zuzulassen. Ist ein Vorhaben nur im Weg der Ausnahme nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB, § 6 Abs. 3 BauNVO zulassungsfähig, kann von einer „offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit“ nicht mehr die Rede sein (vgl. BayVGH, B.v. 2.6.2017 – 9 ZB 15.1216 – juris Rn. 11 m.w.N.).
1.3 Ungeachtet dessen hat die Klägerin auch nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage keinen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann insofern auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. September 2021 (AN 9 K 21.170), mit dem ihre Verpflichtungsklage abgewiesen wurde, sowie auf den heutigen Beschluss des Senats im Verfahren 9 ZB 21.3007 verwiesen werden, mit dem ihr Antrag auf Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung abgelehnt wurde. In Fällen der Nutzungsuntersagung ist aufgrund ihrer andauernden Wirkung nicht der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sondern der der gerichtlichen Entscheidung maßgebend (BayVGH, U.v. 14.11.2017 – 9 B 17.271 – juris Rn. 19; B.v. 26.6.2020 – 9 CS 16.2218 – juris Rn. 19, jew. m.w.N.), und die Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist im Zulassungsverfahren danach zu beurteilen, wie das Berufungsgericht voraussichtlich über den Streitgegenstand zu entscheiden hätte (BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 183 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 16.11.2009 – 1 ZB 07.345 – juris Rn. 12; B.v. 19.3.2018 – 1 ZB 15.2574 – juris Rn. 3).
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Verfahrensmängel in Gestalt einer Verletzung der dem Gericht obliegenden Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor. Zur Darlegung eines solchen Verstoßes muss substantiiert ausgeführt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 22.11.2013 – 7 B 16.13 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 22 ZB 13.2608 – juris Rn. 14).
Daran fehlt es hier. Die bereits vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Klägerin hat keinen Beweisantrag gestellt, sondern vielmehr auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Der Einwand, dem Erstgericht hätten sich weitere Aufklärungsmaßnahmen in Form einer Inaugenscheinnahme aufdrängen müssen, überzeugt nicht, weil nicht die Zulässigkeit des Vorhabens, sondern allein die „offensichtliche Genehmigungsfähigkeit“ streitentscheidend war. Wenn sich aber baurechtliche Fragen im Einzelfall erst aufgrund einer eingehenderen Prüfung der Verhältnisse vor Ort klären lassen, fehlt es jedenfalls am Merkmal der Offensichtlichkeit (vgl. oben 1.2).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO)


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