Aktenzeichen 24 U 3917/18
Leitsatz
Keine freie Widerruflichkeit des befristeten Verzichts auf die Einrede der Verjährung nach dem seit dem 01.01.2002 geltenden Verjährungsrecht. (Rn. 25 – 26)
Verfahrensgang
33 O 1927/16 2018-10-08 Urt LGKEMPTEN LG Kempten
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.10.2018, Az. 33 O 1927/16, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.12.2016 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und sämtliche künftigen immateriellen Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 12.10.2012 in M., Kreuzungsbereich B 472/N. Straße, zu ersetzen, soweit diese Ersatzansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von einem gegen sie gerichteten Anspruch ihres Prozessbevollmächtigten auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 46%, die Beklagte 54%.
IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin macht gegen die beklagte Haftpflichtversicherung Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Das Landgericht hat die der Beklagten am 09.12.2016 zugestellte Klage mit dem angegriffenen Endurteil vom 08.10.2018 (Bl. 120/126 d. A.), dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 12.10.2018, vollumfänglich abgewiesen. Das Landgericht hielt die geltend gemachten Ansprüche für verjährt, nachdem die Beklagte zwar zunächst mit Schreiben vom 17.12.2015 (Anlage K 5) befristet bis zum 31.12.2016 dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin gegenüber auf die Einrede der Verjährung verzichtet hatte, jedoch mit Schreiben vom 28.04.2016 (Anlage BLD 2) erklärt hat, diesen Verzicht zu widerrufen.
Mit ihrer am 09.11.2018 eingelegten und nach Fristverlängerung bis zum 14.01.2019 mit am 07.01.2019 eingegangenem Schriftsatz (Bl. 143/147 d. A.) begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Sie ist insbesondere der Auffassung, der Verzicht auf die Einrede der Verjährung habe durch die Beklagte nicht frei widerrufen werden können. Im Übrigen wird hinsichtlich des Berufungsvortrags der Klägerin auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.01.2019 (Bl. 143/147 d. A.), vom 24.05.2019 (Bl. 157 f. d. A.), vom 09.07.2019 (Bl. 169 d. A.) und vom 20.08.2019 (Bl. 179 f. d. A.) sowie auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 25.06.2019 (Bl. 161/167 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
1.Das Endurteil des Landgerichts Kempten vom 08.10.2018, Aktenzeichen 33 O 1927/16 wird aufgehoben.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das freie Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3.Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 12.10.2012 in M., Kreuzungsbereich B 472/N. Straße zu ersetzen, soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind.
4.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskos24 U 3917/18 – Seite 4 ten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
In der Berufungsverhandlung (Seite 3 des Protokolls, Bl. 163 d. A.) hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin klargestellt, dass sich der Feststellungsantrag hinsichtlich immaterieller Schäden nur auf künftige Schäden beziehen solle und Klageantrag Nr. 4 mit der Maßgabe gestellt werde, dass eine Freistellung der Klägerin von den Rechtsanwaltskosten begehrt werde.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Sie ist insbesondere der Ansicht, aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergebe sich, dass sie den Verzicht auf die Einrede der Verjährung frei habe widerrufen können. Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.02.2019 (Bl. 150/152 d. A.), vom 11.06.2019 (Bl. 159 f. d. A.), vom 26.07.2019 (Bl. 172 f. d. A.) und vom 29.08.2019 (Bl. 181 f. d. A.) sowie auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 25.06.2019 (Bl. 161/167 d. A.) verwiesen.
Der Senat hat mit den Parteien am 25.06.2019 mündlich verhandelt und den Sachverständigen Dr. H. zur Erläuterung seines Gutachtens vom 15.02.2018 (Bl. 62/90 d. A.) einvernommen. Insoweit wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung (Bl. 161/167 d. A.) verwiesen.
Mit Schriftsätzen vom 17.07.2019 (Bl. 171 d. A.) bzw. vom 26.07.2019 (Bl. 172 f. d. A.) haben die Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt, in welchem gemäß Beschluss vom 30.07.2019 (Bl. 174 f. d. A.) entschieden wird.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 519 f. ZPO eingelegt und begründet worden. Sie hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch in der Sache Erfolg.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.000,00 € aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 bis 3 StVG sowie § 253 Abs. 2 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG und § 1 PflVG.
a) Aufgrund des unstreitigen Unfallhergangs (vgl. Seite 3 der Klageschrift) ist die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Halters des an dem Unfall beteiligten Betonmischers grundsätzlich verpflichtet, den der Klägerin durch diesen Unfall entstandenen Schaden vollumfänglich zu ersetzen (§ 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 bis 3 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG und § 1 PflVG). Die Beklagte stellt ihre grundsätzliche vollständige Einstandspflicht auch ebenso wenig in Abrede wie sie die Unvermeidbarkeit des Unfalls für die Klägerin bestreitet.
b) Der streitgegenständliche Unfall hat zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin zu einer Verletzung der Gesundheit (§ 7 Abs. 1 StVG, § 253 Abs. 2 BGB) geführt.
aa) Sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 15.02.2018 (vgl. v. a. Seiten 21 bis 25 sowie 28 f. [Bl. 82/86 und 89 f. d. A.]) als auch in der Berufungsverhandlung vom 25.06.2019 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 164 d. A.) hat der Sachverständige nach ausführlicher Darlegung und Diskussion der für ihn relevanten tatsächlichen Gegebenheiten ausgeführt, dass die Klägerin zwar nicht an dem Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung, wohl aber an einer leichten psychischen (Anpassungs-)Störung mit Angst- und depressiver Störung gemischt gemäß Klassifikationsschlüssel F 43.2 des ICD-10 leidet. Der Senat sieht keinen Anlass, an dieser vom Sachverständigen sowohl aufgrund der Aktenlage als auch aufgrund seiner persönlichen Untersuchung der Klägerin am 16.10.2017 gestellten Diagnose zu zweifeln. Auch die Beklagte greift diese Diagnose als solche nicht an. Damit hat das psychische Leiden der Klägerin Krankheitswert und kann daher – seine Verursachung durch den Unfall vorausgesetzt – selbst haftungsbegründend wirken; dass es (haftungsausfüllende) Folge einer körperlichen Primärverletzung infolge des Unfalls ist, ist hingegen nicht erforderlich (vgl. BGH vom 30.04.1996 – VI ZR 55/95 – juris Rn. 14 f.).
bb) Der Senat ist nach dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO davon überzeugt, dass dieses Leiden der Klägerin auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen ist. Erforderlich, aber auch hinreichend für diese richterliche Überzeugungsbildung ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. zuletzt Urteil vom 13.09.2018 – III ZR 294/16 – juris Rn. 34 m. w. N.).
(1) Für die Unfallursächlichkeit der psychischen Beschwerden der Klägerin spricht zunächst, dass sie in enger zeitlicher Folge zum Unfall aufgetreten sind, auch wenn die Klägerin am Wochenende nach dem Unfall vom 12.10.2012 zunächst versucht hat, ihrer Arbeit als Busfahrerin weiter nachzugehen und diesbezüglich erst seit dem 05.12.2012 dauernd arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Der Sachverständige hat zwar nachvollziehbar kritisch diskutiert, ob der Unfall unmittelbar allein geeignet sein könne, die psychischen Leiden der Klägerin hervorzurufen (vgl. Seiten 25 f. des Gutachtens, Bl. 86 f. d. A., und Seite 4 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 164 d. A.). Wie seine Ausführungen zeigen, stellte er damit allerdings nicht (in einer ihm nicht zukommenden rechtlichen Wertung) eine adäquatkausale Verursachung der klägerischen Leiden durch den streitgegenständlichen Unfall infrage. Vielmehr führte er aus, dass sich eine Eskalation der Symptomatik (erst) durch die Klägerin belastende Ereignisse im zeitlichen Gefolge des Unfalls (Beschuldigungen, gegen sie gerichtetes Ermittlungsverfahren) ergeben habe. Diese Ausführungen sprechen aber nicht gegen, sondern gerade für die Annahme, dass die psychischen Probleme der Klägerin adäquatkausal auf den Unfall zurückzuführen sind. Ohne den Unfall wäre es nämlich nicht zu einem Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin gekommen; dass ein solches infolge des Unfalls eingeleitet wurde, liegt auch nicht dermaßen außerhalb des erwartbaren Geschehensablaufs, dass man eine Zurechnung dieses Ereignisses an den Schädiger unter wertenden Gesichtspunkten (Adäquanz) verneinen müsste. Der Sachverständige hat in der Berufungsverhandlung auf Frage des Senats ausdrücklich erklärt, „dass bei der Klägerin sowohl das Unfallerlebnis als solches als auch die nachfolgende rechtliche Situation (Ermittlungsverfahren) zusammengespielt und zu der Unfähigkeit geführt haben, den Beruf als Busfahrerin auszuüben“ (Seite 5 des Protokolls, Bl. 165 d. A.). Für eine (in diesem Sinne verstandene) Unfallkausalität spricht auch der vom Sachverständigen herausgestellte Umstand, dass die von der Klägerin beschriebenen Symptome sehr eng an die Tätigkeit bzw. das Thema des Busfahrens gebunden sind (Seite 24 des Gutachens, Bl. 85 d. A.).
(2) Die Beklagte hat die Unfallursächlichkeit der psychischen Leiden der Klägerin mit Blick auf eine massive psychische Belastung der Klägerin bereits in ihrer Kindheit und während ihrer Ehe (vgl. dazu Seiten 5 f. und 26 f. des Gutachtens, Bl. 66 f. und 87 f. d. A.) in Abrede gestellt. Damit dringt sie jedoch nicht durch.
(a) Dafür, dass die Klägerin schon vor dem streitgegenständlichen Unfall an den diskutierten psychischen Beschwerden gelitten haben soll, trägt die Beklagte nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und erforderlichenfalls die Beweislast. Ob es der Klägerin insoweit nach den Regeln der sekundären Darlegungslast (vgl. dazu etwa Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 Rn. 34 ff.) oblag, ein Vorerkrankungs- bzw. Vorbehandlungsverzeichnis vorzulegen, um der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten entsprechenden Vortrag überhaupt erst zu ermöglichen, kann dahinstehen, da die Klägerin ein Vorbehandlungsverzeichnis für den Zeitraum vom 12.10.2002 bis zum 12.10.2012 mit Schriftsatz vom 09.07.2019 (Bl. 169 d. A.) vorgelegt hat. Aus diesem ergeben sich keine mit Blick auf die hier inmitten stehenden Leiden relevanten Vorbehandlungen. Soweit die Beklagte in Reaktion darauf mit Schriftsatz vom 26.07.2018 (Bl. 172 f. d. A.) ausführt, gleichwohl sei nicht nachgewiesen, „dass die Klägerin vor dem streitgegenständlichen Unfall nicht ambulant psychiatrisch schon behandelt wurde“, und fordert, die Klägerin müsse über das Vorbehandlungsverzeichnis hinaus zumindest eine Bescheinigung ihres Hausarztes vorlegen, „aus der hervorgeht, ob der Hausarzt die Klägerin an einen Facharzt für Psychiatrie/Neurologie oder aber einen Psychiater überwiesen hat“, überspannt sie die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast. Es erscheint fernliegend, die Klägerin könne sich einer (kostspieligen) psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung unterzogen haben, ohne ihre Krankenversicherung davon in Kenntnis zu setzen. Gleichwohl hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.08.2019 (Bl. 179 f. d. A.) eine solche hausärztliche Bescheinigung beigebracht, der zufol24 U 3917/18 – Seite 8 ge eine Überweisung der Klägerin in psychiatrische oder neurologische Behandlung nicht erfolgt ist.
Zu sehen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Klägerin vor dem Unfall ihrer Arbeit als Busfahrerin bereits 19 Jahre lang nachgegangen war und ihr dies erst im Gefolge des streitgegenständlichen Unfalls nicht mehr möglich war. Dies spricht (unabhängig davon, dass die Beklagte der insoweit ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast schon nicht nachgekommen ist,) dagegen, dass die Klägerin bereits vor dem Unfall unter den Beschwerden gelitten hat, die zur Aufgabe ihrer Tätigkeit führten.
Soweit die Beklagte mit – nicht nachgelassenem – Schriftsatz vom 29.08.2019 (Bl. 181 f. d. A.) auch die zusätzlich zum Vorbehandlungsverzeichnis von der Klägerin vorgelegten Atteste als unzureichend ansieht, erschließt sich dies dem Senat nicht. Erstens war es die Beklagte, die zuvor selbst die Vorlage solcher Bescheinigungen – nach Auffassung des Senats zu Unrecht – zusätzlich zum Vorbehandlungsverzeichnis verlangt hatte. Zweitens ist es, wie ausgeführt, nicht Aufgabe der Klägerin zu beweisen, dass sie in keinerlei Praxis in Behandlung war, sondern Aufgabe der Beklagten, zu beweisen, dass die Klägerin sich schon vor dem Unfall in Behandlung befunden habe, auch wenn der Klägerin insoweit womöglich eine sekundäre Darlegungslast obliegt, der sie aber jedenfalls mit Vorlage des Vorbehandlungsverzeichnisses nachgekommen wäre. Drittens hätte das Vorbehandlungsverzeichnis gegebenenfalls eine Behandlung in einer anderen Praxis (als derjenigen der Hausärztin der Klägerin oder des Psychotheerapeuten R. nach dem Unfall) ergeben.
(b) Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist es allerdings nicht ausgeschlossen, dass erst die psychische Vorbelastung der Klägerin dazu geführt hat, dass diese durch den Unfall schwerer beeinträchtigt wurde, als dies bei anderen zu er24 U 3917/18 – Seite 9 warten gewesen wäre (vgl. Seiten 26 f. des Gutachtens, Bl. 87 f. d. A., und Seite 5 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 165 d. A.). Selbst wenn man unterstellt, es wäre ohne die psychische Konstitution der Klägerin vor dem Unfall nicht zum Eintritt ihres psychischen Leidens durch den Unfall gekommen, änderte dies nichts daran, dass der Unfall nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die dargelegte psychische Beeinträchtigung entfiele. Damit bleibt der Unfall kausal für das bei der Klägerin eingetretene Leiden. Wer einen Kranken oder Geschwächten verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als habe er einen Gesunden verletzt (BGH vom 30.04.1996 – VI ZR 55/95 – juris Rn. 17; vom 10.07.2012 – VI ZR 127/11 – juris Rn. 8). Dies gilt auch, wenn eine seelische Reaktion des Verletzten (wie hier unterstellt) durch eine psychische Labilität wesentlich mitbestimmt wird (BGH vom 29.02.1956 – VI ZR 352/54 – juris Rn. 11; vom 30.04.1996 – VI ZR 55/95 – juris Rn. 18).
c) Anders als die Beklagte meint (Seite 3 des Schriftsatzes vom 11.04.2018, Bl. 100 d. A.), fällt der Klägerin auch kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 BGB) zur Last, der zur Kürzung ihrer Schadensersatzansprüche führen könnte. Die Beklagte wirft der Klägerin insoweit vor, sich erst ein knappes Dreivierteljahr nach dem streitgegenständlichen Unfall in ärztliche Behandlung begeben zu haben. Es ist der Klägerin jedoch nicht vorzuwerfen, dass sie zunächst versucht hat, ihre Situation ohne Inanspruchnahme psychiatrischer oder psychotherapeutischer Hilfe in den Griff zu bekommen. Nachdem dies nicht gelang, hat sich die Klägerin nach ihren von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben gegenüber dem Sachverständigen (vgl. Seiten 4, 16 und 28 des Gutachtens, Bl. 65, 77 und 89 d. A.) im Juli 2013 bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Dr. L.) vorgestellt und von diesem nach drei Terminen eine Liste mit möglichen Therapeuten erhalten, die jedoch Wartezeiten von fünf Monaten hatten. Der Versuch, eine Psychotherapie bei der Hausärztin (Frau K.) zu machen, ist von der Krankenversicherung nicht akzeptiert worden, und zwei probatorische Sitzungen bei Frau Dr. W. im November 2013 führten zu keinem Vertrauensverhältnis zwischen dieser und der Klägerin. Unter diesen Umständen ist für den Senat nicht ersichtlich, weshalb der Klägerin vorgeworfen werden könnte, sich nicht rechtzeitig oder nicht hinreichend um psychiatrische Hilfe bemüht zuhaben.
d) Unter den gegebenen Umständen – leichte psychische Störung in Form einer Anpassungsstörung mit Angst- und depressiver Störung gemischt, die eine psychiatrische Behandlung aber nicht imperativ erfordert hat – hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 € für angemessen und verweist insoweit vergleichend auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 03.06.2015 – 17 U 216/14 – (lfd. Nr. 37.1855 bei Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 37. Aufl. 2019) sowie auf das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22.07.2016 – 6 U 30/16 – (lfd. Nr. 37.1846 bei Hacks/Wellner/Häcker, a. a. O.). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich ausweislich ihrer Angaben gegenüber dem Sachverständigen bereits vor dem Unfall aufgrund ihres schwierigen Verhältnisses zu ihrer Mutter „immer mehr zurückgezogen“ hat (vgl. Seiten 6 und 26 des Gutachtens, Bl. 67 und 87 d. A.), so dass bereits vor dem Unfall ein deutlicher Verlust an Lebensfreude festzustellen ist.
e) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist der Schmerzensgeldanspruch nicht verjährt.
aa) Soweit die Beklagte Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (vom 12.12.1978 – VI ZR 159/77 – juris; vom 08.05.1984 – VI ZR 143/82 – juris; vom 04.11.1997 – VI ZR 375/96 – juris) entnehmen will, der vor Verjährungseintritt erklärte Verzicht auf die Einrede der Verjährung sei frei widerruflich, sofern nur dem Gläubiger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben eine kurze Frist zur Klageerhebung nach erfolgtem Widerruf bleibt, scheint sie zu verkennen, dass diese Entscheidungen zu § 225 Satz 1 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung ergangen sind. Nach dieser Vorschrift konnte die Verjährung durch Rechtsgeschäft weder ausgeschlossen noch erschwert werden, woraus geschlossen wurde, dass ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung vor deren Eintritt nicht rechtswirksam möglich war (BGH vom 12.12.1978 – VI ZR 159/77 – juris Rn. 10; vom 08.05.1984 – VI ZR 143/82 – juris Rn. 12; vom 04.11.1997 – VI ZR 375/96 – juris Rn. 14). Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten, der Verjährungsverzicht könne – obwohl er von Anfang an unwirksam war – nicht in beliebigem Umfang frei widerrufen werden; in gewissen Grenzen könne dem Widerruf vielmehr die Arglisteinrede entgegengehalten werden (vgl. BGH vom 04.11.1997 – VI ZR 375/96 – juris Rn. 18). Der eigentliche Gehalt dieser Entscheidungen bestand also nicht darin, dass der Verzicht auf die Einrede der Verjährung vor deren Eintritt frei widerruflich sei, sondern darin, dass die unmittelbar dem Gesetz (§ 225 Satz 1 BGB a. F.) entnommene Unwirksamkeit des Verzichts, die für dessen beliebige Widerrufbarkeit spricht, nach den Grundsätzen von Treu und Glauben eingeschränkt wurde.
bb) Seit der Novellierung des Verjährungsrechts zum 01.01.2002 ist jedoch ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung auch schon vor deren Eintritt in den Grenzen des § 202 BGB möglich (vgl. BGH vom 18.09.2007 – XI ZR 447/06 – juris Rn. 16), so dass die Grundlage für die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfallen ist. Ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung stellt damit eine rechtswirksame und verbindliche Erklärung dar, an die der Erklärende gebunden ist. Wenn er sich von ihr lösen will, ist dies nur nach allgemeinen Regeln (z. B. Vorbehalt des Widerrufs, Anfechtung) möglich.
Auch der Bundesgerichtshof geht offenbar davon aus, dass der in den Grenzen des § 202 BGB mögliche Verzicht auf die Einrede der Verjährung nicht frei widerruflich ist. In der zuletzt genannten Entscheidung hat er (juris Rn. 16) ausgeführt, (auch) ein unbefristeter Verzicht auf die Einrede der Verjährung sei nicht (wegen der zeitlichen Begrenzung des § 202 Abs. 2 BGB) unwirksam, sondern regelmäßig dahingehend zu verstehen, dass er die zeitliche Grenze des § 202 Abs. 2 BGB (30 Jahre) einhält. Diese Annahme wäre überflüssig, wenn man einen Verjährungsverzicht für frei widerruflich hielte. In weiteren Entscheidungen (vom 16.03.2009 – II ZR 32/08 – juris Rn. 22; vom 07.05.2014 – XII ZB 141/13 – juris Rn. 18; vom 17.12.2015 – IX ZR 61/14 – juris Rn. 43) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, der Schuldner verliere für die Dauer des befristeten Verzichts seine Befugnis, die Einrede der Verjährung zu erheben; dass dieser Verlust unter dem Vorbehalt eines frei möglichen Widerrufs stünde, hat der Bundesgerichtshof in diesen Entscheidungen nicht ausgeführt.
cc) Dem Senat ist auch im Übrigen keine Rechtsprechung zum neuen Verjährungsrecht ersichtlich, die eine freie Widerruflichkeit des Verjährungsverzichts annehmen würde, wohingegen das Thüringer Oberlandesgericht (Urt. vom 05.12.2005 – 5 U 1011/05 – juris Rn. 29) den Verjährungsverzicht nach neuer Rechtslage ausdrücklich für nicht frei widerruflich erachtet. Auch in der Literatur wird diese Auffassung jedenfalls ganz überwiegend geteilt (vgl. Windorfer, NJW 2015, 3329/3330; Bach in BeckOGK, Stand: 01.10.2018, § 214 BGB Rn. 73; Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 202 Rn. 15 und § 214 Rn. 8). Widersprüchlich erscheint die Position von Peters/Jacoby. Diese vertreten zum einen – ausdrücklich entgegen dem Bundesgerichtshof (Urt. vom 18.09.2007 – XI ZR 447/06 – juris) -, § 202 BGB ermögliche keinen einseitigen Verzicht auf die Einrede der Verjährung, weshalb ein solcher (im Unterschied zu einer entsprechenden Vereinbarung, häufig unter Anwendung des § 151 BGB) frei widerruflich sei (Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 202 Rn. 5 und § 214 Rn. 20); andererseits führen sie aus, auch den (einseitigen) Verzicht auf die Einrede der Verjährung werde man „jedenfalls nicht für frei widerruflich halten können“ (a. a. O., § 214 Rn. 35).
2. Auch die von der Klägerin begehrte Feststellung war auszusprechen.
a) Da eine weitere Schadensentwicklung nicht ausgeschlossen ist, steht es der Zulässigkeit des Feststellungsantrags (vgl. § 256 Abs. 1 ZPO) nicht entgegen, dass es der Klägerin möglich wäre, einen Teil des von ihr geltend gemachten materiellen Schadens bereits zu beziffern (vgl. BGH vom 19.04.2016 – VI ZR 506/14 – juris Rn. 6).
b) Aus den obigen Ausführungen zu Nr. 1 ergibt sich bereits, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ihren materiellen Schaden und den künftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der noch nicht vom zugesprochenen Schmerzensgeld umfasst ist (§ 249 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB).
3. Die von der Klägerin geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind als Schadensposition (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 249 Rn. 56 f.) insoweit zu ersetzen, als der Anspruch zugesprochen wurde (vgl. BGH vom 08.01.2005 – VI ZR 73/04 – juris Rn. 8; vom 12.12.2017 – VI ZR 611/16 – juris Rn. 4 f.). Die Klägerin obsiegt in Höhe von 7.000,00 € (4.000,00 € Schmerzensgeld sowie mit 3.000,00 € bewerteter Feststellungsantrag), so dass die 1,3 Geschäftsgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 2300 VV-RVG aus diesem Betrag zu bemessen ist. Zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG und Umsatzsteuer ergeben sich damit 650,34 €. In dieser Höhe hat die Beklagte die Klägerin von deren Verbindlichkeit gegenüber ihrem Bevollmächtigten freizustellen. Da Freistellung (und nicht Erstattung) von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beantragt war, konnte eine Verzinsung dieses Betrages nicht beansprucht werden (vgl. Grüneberg, a. a. O., § 288 Rn. 6).
Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin vorgerichtlich bereits vor dem späteren Prozessbevollmächtigten einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt hatte, dessen Vergütung bereits von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin bezahlt wurde (Aussage des Prozessbevollmächtigten in der Berufungsverhandlung vom 25.06.2019; vgl. Seite 3 des Protokolls, Bl. 163 d. A.). Da die Beklagte aber nicht vorgetragen und dargetan hat, die Klägerin habe mit diesem Anwaltswechsel gegen ihre Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 BGB verstoßen, steht dies einem Freistellungsanspruch nicht entgegen.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) liegen nicht vor. Wie oben zu Nr. II. 1. Buchst. e) dargelegt, ergibt sich die Verneinung der Verjährung durch den Senat bereits aus Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wie auch des Oberlandesgerichts Thüringen zum neuen Verjährungsrecht. Gegenteilige Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, so dass insbesondere kein Anlass bestand, die Revision zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zuzulassen.