Arbeitsrecht

Antragstellung als Voraussetzung für die Einbeziehung in eine freiwillige Altersversorgung im Beitrittsgebiet – fiktiver Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage

Aktenzeichen  B 5 RS 1/18 R

Datum:
14.3.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2019:140319UB5RS118R0
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 AAÜG
§ 1 Abs 1 S 2 AAÜG
§ 5 Abs 1 AAÜG
§ 8 AAÜG
Anl 1 Nr 19 AAÜG
§ 2 Abs 2 ZAVStMO
Art 3 Abs 1 GG
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

1. Die für die Einbeziehung in eine freiwillige zusätzliche Altersversorgung im Beitrittsgebiet notwendige Antragstellung ist auch Voraussetzung für die Begründung eines fiktiven Anspruchs auf Erteilung einer Versorgungszusage.
2. Während § 1 Abs 1 AAÜG die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit nennt, regelt § 5 AAÜG daran anknüpfend die Gleichstellung der dort genannten Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten.

Verfahrensgang

vorgehend SG Gießen, 11. März 2014, Az: S 17 R 939/11, Urteilvorgehend Hessisches Landessozialgericht, 9. März 2018, Az: L 5 R 76/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. März 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten als Versorgungsträger, den Monat Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (FZASt) sowie das in dieser Zeit erzielte Arbeitsentgelt anzuerkennen.
2
Der am 1949 geborene Kläger arbeitete nach einer Tätigkeit vom 3.3.1980 bis 31.5.1990 als Gruppenleiter für Rationalisierung im VEB S. Fleischkombinat S., Fachbereich Wissenschaft und Technik, ab dem 1.6.1990 als Inspektor bei der Staatlichen Versicherung der DDR, Kreisdirektion M.
3
Mit Bescheid vom 20.3.2007 und Widerspruchsbescheid vom 28.6.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab, weil dieses Gesetz auf ihn nicht anwendbar sei. Der Kläger habe am 30.6.1990 keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Er sei zu diesem Stichtag nicht in einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens tätig gewesen. Eine nachträgliche Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz komme daher nicht in Betracht.
4
Vor dem SG Gießen hat der Kläger beantragt, die Verwaltungsentscheidung aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Versorgungsberechtigung zum 1.8.1991 und damit die Anwendung des AAÜG sowie den Monat Juni 1990 als Beschäftigungszeit zum Zusatzversorgungssystem gemäß Anlage 1 Nr 19 des AAÜG sowie das dabei erzielte Arbeitsentgelt festzustellen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.3.2014).
5
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es habe keine Versorgungsberechtigung des Klägers in der FZASt bestanden. Dahinstehen könne, ob die Tätigkeit des Klägers zum Stichtag als die eines Mitarbeiters im Staatsapparat eingestuft werden könne. Jedenfalls fehle es an der notwendigen Beitrittserklärung. Diese sei für den Erwerb einer fiktiven Anwartschaft zwingend notwendig gewesen. Das ergebe sich aus der Auslegung der maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG. Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der “Zugehörigkeit” iS von § 5 AAÜG berufe, verkenne er die unterschiedliche Zielsetzung beider Vorschriften. Juristisch ungenau sei die Verkürzung der entscheidungserheblichen Frage auf die reine Definition des Begriffs der Zugehörigkeit. Für die Prüfung des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG komme es nicht wie bei § 5 AAÜG nur auf die Frage der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem an, sondern darüber hinaus auf das Bestehen eines Anspruchs oder einer Anwartschaft. Daran fehle es vorliegend, unabhängig davon, ob eine “Zugehörigkeit” bestehe. Der Geltungsbereich des § 5 AAÜG gehe weit über den des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG hinaus. §§ 5 bis 7 AAÜG seien nur zu prüfen und anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AAÜG erfüllt seien, wenn zum 1.8.1991 ein Versorgungsanspruch oder eine Versorgungsanwartschaft vorgelegen habe oder fingiert werde. Eine Anwartschaft iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG, dh eine Position, bei der nur noch der Versorgungsfall eintreten musste, damit sie zum Vollrecht erstarkte, habe nicht bestanden. Der Kläger sei nicht dem System der FZASt beigetreten. Eine Pflichtmitgliedschaft sei gerade nicht vorgesehen gewesen. Es sei nicht Aufgabe des Bundesrechts, in der DDR nicht vollzogene Beitritte von Beschäftigten zu diesem Versorgungssystem nachzuholen und damit Neueinbeziehungen zu konstituieren (Urteil vom 9.3.2018).
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von §§ 1, 5 und 8 AAÜG. Er ist der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf Überführung von Anwartschaften aus dem Zusatzversorgungssystem der Nr 19 der Anlage 1 des AAÜG zu, weil er am 30.6.1990 als Inspektor bei der Staatlichen Versicherung der DDR, Kreisdirektion M., beschäftigt gewesen sei. Aufgrund dieser Tätigkeit hätte ihm zwingend eine Versorgungszusage erteilt werden müssen. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG sei für die Prüfung eines fiktiven Anwartschaftsrechts nicht auf die Bestimmungen der in der DDR geltenden Versorgungsordnungen abzustellen, wenn diese eine Beitrittserklärung erforderten, jedenfalls soweit diese Versorgungsordnungen einen zwingenden Einbeziehungsanspruch vermittelten. Ziel des AAÜG sei eine vollständige Erfassung, Überführung und Bewertung im Wege der Eingliederung in die gesetzliche Rentenversicherung gewesen und zwar in erheblichem Maße zunächst zu Lasten der Betroffenen, nämlich durch eine Begrenzung durch Sichtung und Reinigung. Das vom LSG herangezogene Verständnis des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG führe dann zu einer Besserstellung der nach den Bestimmungen der Versorgungsordnungen nicht beigetretenen Versicherten gegenüber den von den Versorgungsordnungen erfassten Versicherten, in denen Beitrittserklärungen nicht vorgesehen waren. Es verstoße gegen Verfassungsrecht, jemanden nach dem AAÜG anders zu behandeln, nur weil er seinerzeit einen Beitritt erklärt oder (bewusst) darauf verzichtet habe. Das BSG habe stets betont, dass die Erfassung des AAÜG im “Guten wie im Schlechten” hinzunehmen sei. Dem vom LSG zugrunde gelegten Verständnis des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG stehe ein Wertungswiderspruch entgegen, wenn zugleich davon ausgegangen werde, dass es auf eine etwaige Beitragsleistung nach den Bestimmungen der einschlägigen Versorgungsordnung nicht ankomme, obwohl dies zwingend vorgesehen gewesen sei.
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Der Kläger beantragt,
        
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. März 2018 und des Sozialgerichts Gießen vom 11. März 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Monat Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates sowie das in dieser Zeit erzielte Arbeitsentgelt festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
        
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, das angefochtene Urteil entspreche der Sach- und Rechtslage. Der Kläger gehöre nicht zum Kreis der vom Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG erfassten Personen. Die FZASt habe auf Freiwilligkeit und “einer Art von Vertragsverhältnis” beruht. Die Annahme, eine Beitrittserklärung gehöre nicht zum versorgungsrechtlich relevanten Regelwerk dieses Systems und zähle nicht zu sekundärem Bundesrecht, sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht plausibel. Die Abgabe einer schriftlichen Beitrittserklärung des Mitarbeiters gegenüber dem Staatsorgan sei nach den Regelungen der FZASt eine versorgungsrechtliche Vorgabe gewesen. Da dieses – auch nach Bundesrecht – konstitutive materiell-rechtliche Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt sei, hätte dem Kläger im Rahmen gebundener Verwaltung keine Versorgungsanwartschaft durch Einzelfallregelung zuerkannt werden können und müssen. Wäre der Versorgungsfall zum 1.7.1990 eingetreten, hätte der Kläger keine Leistungen aus der FZASt beanspruchen können, weil er sich nicht für eine ergänzende Absicherung seiner Altersvorsorge aus diesem Versorgungssystem entschieden hatte, obwohl er es freiwillig hätte tun können.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen.
11
A. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die Klage zulässig ist. Es spricht viel dafür, dass die Beklagte im Verwaltungsverfahren nicht über eine Zugehörigkeit des Klägers zur FZASt nach Anlage 1 Nr 19 zum AAÜG entschieden hat.
12
Die Zulässigkeit der Klage ist als Prozessvoraussetzung auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Bei einer zulässigen Revision ist vor der Entscheidung über die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des streitigen Anspruchs zu klären, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Insbesondere sind solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen unverzichtbarer Prozessvoraussetzungen ergeben, unabhängig davon, ob der Mangel nur das Revisionsverfahren oder schon das Klage- und Berufungsverfahren betrifft, da anderenfalls das Revisionsverfahren einer entscheidenden Grundlage entbehrt (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-1300 § 84 Nr 1 RdNr 22 mwN).
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Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 und 3 SGG) setzt voraus, dass die Behörde durch ablehnenden Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger über dessen Begehren entschieden hat (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 21). Nur so besteht die Möglichkeit der Verletzung des Klägers in eigenen Rechten. Es spricht viel dafür, dass die Auslegung eines Verwaltungsakts stets (auch) Aufgabe des Revisionsgerichts ist (BSG Urteil vom 13.12.2018 – B 5 RE 1/18 R – für BSGE und SozR 4 vorgesehen, RdNr 37 ff mwN). Dabei hat die Auslegung ausgehend vom Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 BGB ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern den wirklichen Willen der Behörde bzw des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die den Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (bereits BSG SozR 4-2600 § 6 Nr 16 RdNr 27).
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Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist das Begehren des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 20.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.6.2007 zu verpflichten, den Monat Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur FZASt sowie das in dieser Zeit erzielte Arbeitsentgelt festzustellen. Eine darüber hinausgehende Feststellung einer Versorgungsberechtigung auch aus anderen Gründen, insbesondere aufgrund einer Zugehörigkeit zu einem anderen Versorgungssystem iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG, enthält das klägerische Begehren nicht. Der Kläger trägt in seiner Revisionsbegründung ausschließlich dazu vor, dass er am 30.6.1990 Inhaber einer fiktiven Versorgungsanwartschaft gewesen sei, weil vom 1.6.1990 bis 30.6.1990 die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur FZASt (Anlage 1 Nr 19 zum AAÜG) vorgelegen hätten. Bereits das SG und auch das LSG haben über diesen Streitgegenstand entschieden.
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Entgegen dem zunächst weit gefassten Verfügungssatz des Bescheids vom 20.3.2007: “Sie hatten bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 01.08.1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes.” betrafen alle Ausführungen der Beklagten zur Begründung dafür, dass der Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG nicht eröffnet sei, ausschließlich die Voraussetzungen der Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) (Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG). Die Beklagte verneinte die betrieblichen Voraussetzungen zum Stichtag am 30.6.1990, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem diesem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Ausführungen zur Prüfung der Zugehörigkeit des Klägers in der FZASt finden sich weder im Bescheid vom 20.3.2007 noch im Widerspruchsbescheid vom 28.6.2007. Dafür, dass die Beklagte nicht auch über eine Zugehörigkeit des Klägers nach Anlage 1 Nr 19 zum AAÜG mitentschieden hat, spricht auch die Antragsbezogenheit des Bescheids (vgl dazu bereits BSG SozR 4-2600 § 6 Nr 16 RdNr 39). Der Kläger hatte in seinem “Antrag auf Kontenklärung” vom 19.12.2006 (eingegangen bei der Beklagten am 21.12.2006) unter Ziffer 4.4. “Haben Sie einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehört bzw. eine Beschäftigung ausgeübt, für die ein Versorgungssystem bestanden hat?” angegeben: “vom 15.08.1974 bis 31.05.1990” und als Versorgungssystem nur die “Zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz” angeführt. Letztlich bedarf es hierzu keiner Entscheidung.
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B. Ungeachtet dessen ist das Urteil des LSG in der Sache jedenfalls nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung des Monats Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur FZASt sowie des dabei erzielten Arbeitsentgelts. Der Anwendungsbereich von § 1 Abs 1 AAÜG ist nicht eröffnet.
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Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrten Feststellungen ist § 8 Abs 2, Abs 3 S 1 und Abs 4 Nr 1 AAÜG. Nach § 8 Abs 3 S 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 bis 27 (§ 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG) dem Berechtigten durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach Abs 2 aaO bekannt zu geben. Allerdings hat der Versorgungsträger die entsprechenden Daten nur festzustellen, wenn das AAÜG anwendbar ist (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 10, Nr 6 S 37 und Nr 7 S 54). Den Anwendungsbereich des AAÜG, das am 1.8.1991 in Kraft trat (Art 42 Abs 8 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung vom 25.7.1991, BGBl I 1606), regelt dessen seither unveränderter § 1 Abs 1. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme iS der Anlage 1 und 2) im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs 3 SGB IV) erworben worden sind (S 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (S 2), so dass das AAÜG auch in diesen Fällen Geltung beansprucht (BSG Urteil vom 20.3.2013 – B 5 RS 27/12 R – Juris RdNr 11).
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Der Kläger wird vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst. Er hat weder einen “Anspruch” (dazu I.) noch eine “aufgrund der Zugehörigkeit” zur FZASt “erworbene” Anwartschaft iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG (dazu II.) noch eine fiktive Anwartschaft gemäß S 2 aaO (dazu III.) inne.
19
I. Der Kläger hat keinen Anspruch aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem im Beitrittsgebiet erworben. Der Ausdruck “Anspruch” umfasst in seiner bundesrechtlichen Bedeutung das (Voll-)Recht, wie die in § 194 BGB umschriebene Berechtigung, an die auch § 40 SGB I anknüpft, vom Versorgungsträger (wiederkehrend) Leistungen, nämlich die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu verlangen (BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 13). Ein solcher Anspruch scheidet hier schon deshalb aus, weil, wie das LSG für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, der Versorgungsfall (Alter, Invalidität) beim Kläger bis zum Inkrafttreten des AAÜG am 1.8.1991 nicht eingetreten war.
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II. Der Kläger hat auch keine aufgrund einer Zugehörigkeit zur FZASt erworbene Anwartschaft iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG erworben. “Anwartschaft” in diesem Sinne umfasst entsprechend dem bundesdeutschen Rechtsverständnis eine Rechtsposition unterhalb der Vollrechtsebene, in der alle Voraussetzungen für den Anspruchserwerb bis auf den Eintritt des Versicherungs- bzw Leistungsfalls (Versorgungsfall) erfüllt sind (BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 13).
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Der Kläger war zum Stichtag am 30.6.1990 nicht der FZASt “zugehörig” iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG. Er war weder in die FZASt konkret einbezogen gewesen (dazu 1.) noch hatte er einen fiktiven Anspruch am 1.8.1991 auf Erteilung einer Versorgungszusage (dazu 2.).
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1. Der Kläger hat keine Anwartschaft iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG erworben, weil er zum Stichtag am 30.6.1990 in die FZASt nicht konkret einbezogen war. Er hat nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zu keinem Zeitpunkt in der DDR eine Versorgungszusage (Art 19 S 1 EinigVtr) erhalten und hatte auch nicht aufgrund einer sonstigen Einzelentscheidung oder eines Einzelvertrags die konkrete Aussicht, bei Eintritt des Versorgungsfalls Leistungen zu erhalten (vgl BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 17 ff).
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2. Der Kläger hatte auch nicht aufgrund eines erweiternden Verständnisses des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG aufgrund einer “Zugehörigkeit” zur FZASt einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1.8.1991. Die Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach § 1 Abs 1 S 1 AAÜG ist nach den dafür maßgeblichen, am 30.6.1990 geltenden, leistungsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Versorgungssystems zu bestimmen. Nach den hier einschlägigen Regelungen der FZASt waren – abgesehen vom Versorgungsfall – nicht alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zusatzversorgungsrente gegeben (dazu a). Aus der Rechtsprechung des Senats zum Begriff der “Zugehörigkeit” iS von § 5 AAÜG folgt nichts anderes (dazu b). Ein – wie vom Kläger geltend gemachter – Gleichheitsverstoß ist nicht zu erkennen (dazu c).
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a) Anwartschaften können auch dann als durch “Zugehörigkeit” erworben angesehen werden, wenn nach der am 1.8.1991 (Inkrafttreten des AAÜG) gegebenen bundesrechtlichen Rechtslage ein “Anspruch auf Versorgungszusage” bestanden hätte (vgl BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 22 unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung des 4. Senats in BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 12 f, Nr 3 S 20, Nr 4 S 26 f, Nr 5 S 32, Nr 6 S 39, Nr 7 S 58 f sowie Nr 8 S 73).
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Dieser fiktive “Anspruch” besteht nach Bundesrecht unabhängig von einer gesicherten Rechtsposition in der DDR, wenn nach den leistungsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Versorgungssystems – mit Ausnahme des Versorgungsfalls – alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zusatzversorgungsrente gegeben waren (BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 22). Den abstrakt-generellen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme kommt dabei eine rechtsmaßstäbliche Bedeutung zu (vgl
bereits
BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 56). Zu prüfen ist, ob der Kläger nach den Regelungen des Versorgungssystems “obligatorisch” im Sinne einer “gebundenen Verwaltung” in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen, weil die abstrakt-generellen Voraussetzungen hierfür insoweit am 30.6.1990 (und deswegen am 1.8.1991) erfüllt waren (zur Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft nach Ermessensentscheidung vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 9 S 82). Die Zugehörigkeit iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG bestimmt sich deshalb nach den leistungsrechtlichen Regelungen des einschlägigen Versorgungssystems. Entscheidend ist also, ob aus der Sicht des bei Inkrafttreten des AAÜG am 1.8.1991 geltenden Bundesrechts nach der in tatbestandlicher Rückanknüpfung maßgeblichen Sachlage am Stichtag 30.6.1990 aufgrund der zu Bundesrecht gewordenen zwingenden Bestimmungen der Versorgungssysteme ein Anspruch auf Einbeziehung/Versorgungszusage bestanden hätte (vgl zuletzt zur AVItech BSGE 125, 1 = SozR 4-8570 § 1 Nr 21, RdNr 13 mwN). Setzt die Einbeziehung in ein Versorgungssystem einen Antrag des Berechtigten voraus, muss ein solcher Antrag auch zur Begründung eines am 30.6.1990 bestandenen Anspruchs auf Erteilung einer Versorgungszusage vorliegen. Schließlich soll durch die ausdehnende verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG (vgl dazu bereits BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 12 f) eine Gleichstellung mit den tatsächlich in das Versorgungssystem Einbezogenen sowie dem von § 1 Abs 1 S 2 AAÜG begünstigten Personenkreis erreicht werden (vgl
BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 59). Eine Besserstellung durch einen Verzicht auf konstitutive Tatbestandsvoraussetzungen ist dagegen nicht Sinn und Zweck dieser Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG.
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Für die Einbeziehung in die FZASt galt in der DDR die Ordnung über die freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates nach dem Beschluss des Ministerrates vom 29.1.1971 (ZVAStO). Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger am 30.6.1990 als Mitarbeiter des Staatsapparates beschäftigt war. Das LSG hat dazu keine Feststellungen (§ 163 SGG) getroffen, sondern diese Frage ausdrücklich dahingestellt gelassen. Jedenfalls fehlte es am Stichtag 30.6.1990 deshalb an einer aus bundesrechtlicher Sicht erworbenen Versorgungsanwartschaft des Klägers, weil er den für eine Zugehörigkeit iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG erforderlichen Beitritt nicht erklärt hat. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger eine solche Beitrittserklärung nicht abgegeben.
27
Nach dem Wortlaut in § 1 Abs 1 ZVAStO handelte es sich jedenfalls bei der FZASt um eine “freiwillige” zusätzliche Altersversorgung. Sofern alle weiteren Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 ZVAStO für einen Beitritt vorlagen, entschied der jeweilige Mitarbeiter, ob er von der Möglichkeit dieser Zusatzversorgung Gebrauch machte oder nicht. Der Beitritt zur FZASt setzte die Tätigkeit als Mitarbeiter des Staatsapparates und eine Mindestzeit der Tätigkeit ab ihrer Aufnahme bis zum Rentenalter voraus (§ 2 Abs 1 ZVAStO). Nach § 2 Abs 2 S 1 ZVAStO erfolgte der Beitritt zur Versorgung “durch Abgabe einer schriftlichen Beitrittserklärung des Mitarbeiters gegenüber dem Staatsorgan.” Der Mitarbeiter erhielt vom Staatsorgan einen Nachweis über den Beitritt (§ 2 Abs 2 S 2 ZVAStO). Als Zeitpunkt für den Beitritt war der Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit im Staatsapparat bestimmt (§ 2 Abs 3 Buchst b ZVAStO).
28
Eine Korrektur dieser Vorschriften dahingehend vorzunehmen, dass – wie vom Kläger begehrt – eine Einbeziehung in die FZASt auch ohne Beitrittserklärung möglich war, verbietet sich. Der Senat hat die zitierten Regelungen der ZVAStO in dem hier zugrunde gelegten Verständnis schon aufgrund der Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art 20 Abs 3 GG) anzuwenden. Dies gilt selbst bei willkürlichen abstrakt-generellen Regelungen von Versorgungsordnungen (vgl BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 22). Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Rentenüberleitung an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen anknüpfen durfte, wie sie am 2.10.1990 vorgelegen haben (vgl
BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 9 S 82 f unter Hinweis auf BVerfGE 100, 138, 193 f). Darf nach dieser Rechtsprechung selbst eine Ermessensentscheidung als Voraussetzung für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem mangels sachlich objektivierbarer, bundesrechtlich nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden (zur Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft nach Ermessensentscheidung vgl
BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 9), muss dies erst recht gelten für eine nach der einschlägigen Versorgungsordnung erforderliche Beitrittserklärung. Das Bestehen eines fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung in Zusatzversorgungssysteme vom Wortlaut der jeweiligen Versorgungsordnung abhängig zu machen, ist auch vom BVerfG als verfassungsrechtlich unbedenklich anerkannt worden (vgl BVerfG SozR 4-8560 § 22 Nr 1 RdNr 43).
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Soweit der Kläger geltend macht, Ziel des AAÜG sei eine vollständige Erfassung, Überführung und Bewertung im Wege der Eingliederung in die gesetzliche Rentenversicherung gewesen und “zwar in erheblichem Maße zunächst zu Lasten der davon Betroffenen, nämlich durch eine Begrenzung durch ‘Sichtung und Reinigung'”, erging die Rechtsprechung – wie die Beklagte zu Recht entgegenhält – in einem völlig anderen Kontext. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bedarf es nach der Wertung des Bundesrechts bei Zugehörigkeit zu einem Zusatz- und Sonderversorgungssystem einer besonderen “Sichtung und Reinigung”, um den vielfältigen Unsicherheiten in diesem Bereich Rechnung zu tragen und insbesondere Entgelte erst nach Aussonderung eventuell unabhängig von Arbeit und Leistung aufgrund sachfremder politischer Begünstigung erworbener Bestandteile in die bundesdeutsche Bewertung einzustellen (vgl zuletzt BSGE 125, 1 = SozR 4-8570 § 1 Nr 21, RdNr 23 mwN; zur Aussonderung unabhängig von Arbeit und Leistung aufgrund sachfremder politischer Begünstigung erworbener überhöhter Entgeltbestandteile bezogen auf die Formulierung “Sichtung und Reinigung” vgl auch Berchtold, Das Renten-Überführungsrecht und der 4. Senat des BSG, SGb 2018, 7, 11). Anspruchselemente auszusondern, die nicht auf volkswirtschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern auf sachfremder politischer Begünstigung durch das Regime beruhen, ist Hauptziel der §§ 5 bis 8 AAÜG (BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 4 S 16). Hier ist dagegen allein über den Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG zu entscheiden.
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b) Aus der Rechtsprechung des Senats zum Begriff der “Zugehörigkeit” iS von § 5 AAÜG folgt nichts anderes. Daraus kann nicht – wie vom Kläger vorgetragen – abgeleitet werden, dass für die Prüfung eines (fiktiven) Anwartschaftsrechts nach § 1 Abs 1 S 1 AAÜG nicht auf die Be-stimmungen der einschlägigen Versorgungsordnungen abzustellen ist.
31
Der Kläger stützt seine Auffassung, es komme auf eine in der Versorgungsordnung geforderte Beitrittserklärung nicht an, wenn die Versorgungsordnung einen zwingenden Einbeziehungsanspruch vermittle, auf ein Urteil des Senats vom 19.7.2011 (B 5 RS 7/09 R). Der Hinweis auf diese Rechtsprechung geht schon deshalb fehl, weil Gegenstand der dortigen Prüfung allein § 5 AAÜG war und § 1 Abs 1 AAÜG und § 5 Abs 1 AAÜG unterschiedliche Regelungsinhalte haben. § 1 Abs 1 AAÜG formuliert die allgemeinen Voraussetzungen für die Eröffnung des Geltungsbereichs des AAÜG und damit für die Anwendbarkeit der nachfolgenden Vorschriften. Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung des BSG verweist, wonach die Erfassung des AAÜG sowohl im “Guten wie im Schlechten” hinzunehmen sei, ergingen die von ihm zitierten Entscheidungen des BSG ebenfalls zu § 5 Abs 1 AAÜG und nicht zum Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG (vgl BSG Urteil vom 30.6.1998 – B 4 RA 11/98 R – Juris RdNr 16; BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 6 S 38; BSG Urteil vom 19.7.2011 – B 5 RS 7/09 R – Juris RdNr 16). Nur und immer wenn die Frage der Anwendbarkeit des AAÜG positiv beantwortet ist, finden die Vorschriften der §§ 2 ff und insbesondere die §§ 5 bis 8 AAÜG “im Guten wie im Bösen” Anwendung und ist die hiervon gesonderte bundesrechtliche Rentenwertfeststellung vorzunehmen (Berchtold, Das Renten-Überführungsrecht und der 4. Senat des BSG, SGb 2018, 7, 9). Die §§ 5 bis 7 AAÜG enthalten ein gegenüber dem SGB VI spezielles Rentenversicherungsrecht (BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 36). § 5 AAÜG ordnet die Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung (“gelten als”) für Zeiten an, in denen der (zum 1.8.1991) “Versorgungsberechtigte” eine (entgeltliche) Beschäftigung oder Tätigkeit zu irgendeinem Zeitpunkt (notwendig vor dem 1.7.1990) ausgeübt hat, die ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist (BSG SozR 4-8570 § 5 Nr 1 RdNr 29). Bei § 5 AAÜG geht es also nur um die Frage, ob ein iS von § 1 AAÜG Versorgungsberechtigter früher entgeltliche Beschäftigungen oder selbstständige Tätigkeiten verrichtet hat, die ihrer Art nach (also nach abstrakt-generellen Merkmalen) von einem (grundsätzlich) am 30.6.1990 in der DDR bestehenden Versorgungssystem erfasst waren (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 57). Für die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem wird eine entsprechende Pflichtbeitragszeit iS des SGB VI fingiert und der Ermittlung der sog Entgeltpunkte für diese Zeiten zwingend der Verdienst zugrunde gelegt (§ 259b Abs 1 S 1 SGB VI), der nach §§ 6, 7 AAÜG (iVm den Anlagen hierzu) als versichertes Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen gilt (vgl BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 5 S 25). In diesem Kontext regelt § 5 Abs 1 AAÜG die Berücksichtigung von Zugehörigkeitszeiten als Pflichtbeitragszeiten. § 5 Abs 1 AAÜG setzt also die Anwendbarkeit des AAÜG nach § 1 AAÜG voraus (vgl BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 36; BVerfG SozR 4-8560 § 22 Nr 1 RdNr 34).
32
Dem Senat war in dem vom Kläger zitierten Urteil vom 19.7.2011 (B 5 RS 7/09 R) die Anwendbarkeit des AAÜG bereits vorgegeben. Es lag eine bindend gewordene Verwaltungsentscheidung vor mit dem gesonderten Entscheidungssatz: “… das AAÜG ist nach dessen § 1 Abs. 1 für Sie anwendbar.” Aufgrund der Tatbestands(Drittbindungs-)wirkung dieses Verwaltungsakts auch im gerichtlichen Verfahren konnte und durfte der Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG vom Senat nicht geprüft werden. Gegenstand der Entscheidung waren deshalb ausschließlich “Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem” als Pflichtbeitragszeiten iS von § 5 Abs 1 S 1 AAÜG (vgl BSG Urteil vom 19.7.2011 – B 5 RS 7/09 R – Juris RdNr 13). Anders als bei der Prüfung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG kommt den abstrakt-generellen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme bei der rentenversicherungsrechtlichen Prüfung der Voraussetzungen gleichgestellter Pflichtbeitragszeiten nach § 5 AAÜG dementsprechend auch keine rechtsmaßstäbliche Bedeutung zu (vgl BSG Urteil vom 19.7.2011 – B 5 RS 7/09 R – Juris RdNr 17).
33
Der Senat vermag deshalb auch keinen Wertungswiderspruch bei der höchstrichterlichen Auslegung von § 1 und § 5 AAÜG zu erkennen. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs erfolgt nach den Rechtsmaßstäben der jeweiligen Versorgungsordnung. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zu § 1 Abs 1 S 2 AAÜG hat die Rechtsprechung eine fiktive Anwartschaft ausreichen lassen (s oben). Ist der Anwendungsbereich des AAÜG eröffnet, wird zur Wahrung rechtseinheitlicher Maßstäbe auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt (BSG, aaO). Eine in der ehemaligen DDR im Wege einer Instrumentalisierung von Versorgungszusagen zu politischen Zwecken praktizierte Willkür soll nicht über die Wiedervereinigung hinaus Bestand haben (vgl BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 3 S 10).
34
c) Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) ist nicht erkennbar. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfGE 136, 152, 180 RdNr 66). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfGE 132, 72, 81 RdNr 21). Dabei verwehrt Art 3 Abs 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl BVerfGE 136, 152, 180 RdNr 66). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 132, 72, 81 RdNr 21).
35
Die unterschiedliche Behandlung von Personen, die alle weiteren Voraussetzungen für die Einbeziehung in die FZASt erfüllen, je nachdem ob eine Beitrittserklärung abgegeben worden ist oder nicht, ist sachlich gerechtfertigt, weil es sich bei der FZASt um eine freiwillige Zusatzversorgung handelte. Mit der Beitrittserklärung brachte der Versicherte seinen Willen zum Ausdruck, in die Zusatzversorgung einbezogen zu werden. Nach den Vorschriften der einschlägigen Versorgungsordnung war die Beitrittserklärung – wie bereits ausgeführt – Voraussetzung für die Einbeziehung in die FZASt. Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie den historischen Fakten, aus denen sich etwa die hier vorliegenden Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie “rückwirkend” zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen (BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 4 RdNr 21).
36
Soweit der Kläger geltend macht, nach den Bestimmungen der Versorgungsordnungen nicht beigetretene Versicherte würden besser gestellt als von Versorgungsordnungen erfasste Versicherte, in denen Beitrittserklärungen nicht vorgesehen waren, erschließt sich dem Senat schon nicht, worin sich der zum FZASt nicht beigetretene Kläger nach seinem eigenen Vorbringen beschwert sieht. Dies gilt auch hinsichtlich seines weiteren Vortrags, es sei als Verfassungsverstoß zu betrachten, Personen nach dem AAÜG anders zu behandeln, nachdem sie einen Beitritt erklärt hätten, mit der Folge, dass eine besondere Beitragsbemessungsgrenze, zB nach § 7 AAÜG gelte, während die Beitragsbemessungsgrenze nicht begrenzt werde, wenn jemand (bewusst) auf den Beitritt verzichtet habe. Unabhängig davon, ob dies der Rechtslage entspricht, ist schon nicht erkennbar, worin sich der Kläger danach belastet sieht.
37
III. Der Anwendungsbereich des AAÜG ist auch nicht nach § 1 Abs 1 S 2 AAÜG eröffnet. Nach dieser Vorschrift besteht hier keine (gesetzlich) fingierte Versorgungsanwartschaft ab dem 1.8.1991, weil der Kläger nach den für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG in der DDR nie konkret in ein Versorgungssystem einbezogen worden war und diese Rechtsposition deshalb später auch nicht wieder verlieren konnte (vgl BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 14 unter Hinweis auf BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 15 und Nr 3 S 20 f, SozR 4-8570 § 1 Nr 4 RdNr 8 f).
38
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.


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