Arbeitsrecht

Elterngeldanspruch für Angehörige des Europäischen Wirtschaftsraums

Aktenzeichen  L 9 EG 32/18

Datum:
12.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40643
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BEEG § 1
EWR-Abkommen Art. 7, Art. 29, Art. 98
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 1 lit. a, Art. 7, Art. 11, Art. 67, Art. 68, Art. 90
WissZeitVG § 2

 

Leitsatz

1. Unter dem Reglement der Verodnung (EG) Nr. 883/2004 gilt die so genannte Aufhebung der Wohnortklauseln auch bei Familienleistungen. (Rn. 33)
2. Trotz Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt weiterhin, dass Elternzeit, Karenz o.ä. die Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 grundsätzlich nicht unterbrechen. (Rn. 40 – 41)
3. Zur Frage, ob bei befristeten Arbeitsverträgen von wissenschaftlichen Mitarbeitern an Universitäten eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses rechtsmissbräuchlich sein kann, weil die Verlängerung möglicherweise primär zwecks Erlangung von Elterngeld eingegangen worden ist. (Rn. 48 – 50)
Bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung im Sinne des Art. 1 lit. a Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vorliegt, ist eine europarechtliche Perspektive einzunehmen; es wäre methodisch falsch, auf den Beschäftigungsbegriff des nationalen Rechts abzustellen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 9 EG 1/17 2018-05-08 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Mai 2018 abgeändert und der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 23. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2016 verurteilt, der Klägerin auch für den Zeitraum April bis einschließlich Dezember 2016 dem Grunde nach Elterngeld für ihren Sohn H. ohne Anrechnung des norwegischen Kindergeldes zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu 80 v.H.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist erfolgreich. Sie ist zulässig und, soweit der Streitgegenstand noch reicht, voll begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage insoweit abgewiesen.
Der Streitgegenstand hat sich im Vergleich zur ersten Instanz geändert. Vor dem Sozialgericht hatte die Klägerin beantragt, Elterngeld für den ersten bis 12. Lebensmonat von H. zu gewähren. Im Berufungsverfahren hat sie sich, angefangen mit dem Schriftsatz vom 16.11.2018, dagegen darauf beschränkt, Leistungen bis lediglich 31.12.2016 einzufordern. Darin liegt eine teilweise Klagerücknahme. Die Klägerin hat zulässiger Weise lediglich eine Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach beantragt. Der Senat interpretiert deren Antrag dahin, dass allein die Berechnung der Leistungshöhe im Sinn von §§ 2 ff. BEEG ausgespart bleiben soll, ansonsten aber möglichst viele Anspruchselemente für den Beklagten durch rechtskräftige Entscheidung verfestigt werden sollen. Daher geht der Senat davon aus, dass auch die in Art. 68 VO 883 geregelte Leistungsrangfolge zur gerichtlichen Entscheidung gestellt worden ist.
Im Hinblick auf den so definierten Streitgegenstand ist die Berufung in vollem Umfang begründet. Denn der Klägerin steht ein Anspruch auf Elterngeld dem Grunde nach auch für den Zeitraum April bis einschließlich Dezember 2016 zu (dazu unten 1.) und das Elterngeld tritt nicht hinter norwegische Familienleistungen zurück (dazu unten 2.).
1. Der Anspruch dem Grunde nach ist in § 1 BEEG geregelt. Dieser lautet:
(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer
1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
2…
(2) Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,
1.nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2.Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V., des Deutschen katholischen Missionsrates oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3.die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
2. Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen.
(3) – (6) …
(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
b) nach § 18 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,
c) nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
d) nach § 104a des Aufenthaltsgesetzes erteilt oder
3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.
(8) 1Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach § 2 Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250.000 Euro erzielt hat. 2Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens beider Personen mehr als 500.000 Euro beträgt.
Bei der Klägerin fehlt es an der Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BEEG. Denn diese hatte ab dem 01.04.2016 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mehr in Deutschland. Sie erfüllte auch keinen der Tatbestände des Absatzes 2.
Allerdings weicht das Erfordernis des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BEEG wegen Art. 7 VO 883 zurück. Diese europarechtliche Vorschrift lautet:
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
Art. 7 VO 883 findet im vorliegenden Fall Anwendung, obwohl Norwegen kein Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ist. Allerdings gehört Norwegen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Das am 02.05.1992 unterzeichnete und für Norwegen am 01.01.1994 in Kraft getretene Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) hat Norwegen als Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) am Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft beteiligt. Das EWR-Abkommen gewährleistet unter anderem die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Maßgabe der Art. 28 bis 30 in vergleichbarer Weise wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union innerhalb derselben. Innerhalb des EWR findet auch eine Koordinierung des Sozialrechts statt, indem in der EU geltendes Sekundärrecht für den EWR übernommen wird. Das geschieht dadurch, dass auf der Grundlage von Art. 7 und 29 des EWR-Abkommens in Anhang VI auf diejenigen Rechtsakte der EU, die auch im EWR gelten sollen, „Bezug genommen“ wird.
In der ursprünglichen Fassung von Anhang VI war auf die Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie auf die entsprechende Durchführungsverordnung Bezug genommen worden. Mit dem Inkrafttreten der VO 883 hat diese noch nicht unmittelbar auch für den EWR die Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 abgelöst (vgl. Art. 90 Abs. 1 Buchstabe c VO 883). Vielmehr ist die Einbeziehung der VO 883 in das Regelwerk des EWR erst zum 01.06.2012 erfolgt: Der Gemeinsame EWR-Ausschuss hat auf der Grundlage von Art. 98 des EWR-Abkommens mit seinem Beschluss Nr. 76/2011 (genauer: Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 76/2011 vom 1. Juli 2011 zur Änderung von Anhang VI (Soziale Sicherheit) und von Protokoll 37 zum EWR-Abkommen – ABl. L 262/33 vom 6.10.2011) eine entsprechende Anpassung bewirkt.
Damit ist nicht mehr die Vorgängerregelung des Art. 10 der Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 relevant, sondern Art. 7 VO 883 findet auf den Fall der Klägerin Anwendung. Das ist insofern von großer Bedeutung, als Art. 10 der Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 die Aufhebung der Wohnortklauseln nicht für Familienleistungen vorgesehen hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.1998, C-275/96 „Kuusijärvi“, Rn. 72). Während jene Norm diejenigen Geldleistungen, für die die Aufhebung der Wohnortklauseln galt, noch enumerativ aufgezählt hatte – ohne Familienleistungen zu erwähnen -, umfasst Art. 7 VO 883 Geldleistungen jeder Art. Nur soweit die VO 883 Gegenteiliges ausdrücklich vorsieht, sollen Wohnortklauseln zulässig sein. Eine solche Ausnahme existiert zum Beispiel in Art. 70 Abs. 3 VO 883 für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, nicht aber in Kapitel 8 für Familienleistungen, zu denen das Elterngeld zählt (vgl. EuGH, Urteil vom 08.05.2014, C-347/12 „Wiering“, Rn. 71). Für Familienleistungen enthält die VO 883 als besondere Bestimmungen die Art. 67 bis 69. Diese treffen gegenüber Art. 7 VO 883 keine speziellen Regelungen, die der allgemeinen Norm vorgehen würden. Insbesondere Art. 67 VO 883 verkörpert keine vorrangig einschlägige Bestimmung. Art. 67 VO 883 stellt vielmehr eine Sonderregelung zu Art. 5 VO 883 (Sachverhaltsgleichstellung) dar; denn er betrifft nicht den Wohnsitz oder Aufenthalt des Leistungsberechtigten – hier also der Klägerin -, sondern der Kinder. Art. 67 VO 883 regelt den Fall, dass ein Gastarbeiter in Deutschland lebt, seine Familie samt Kinder sich aber im Ausland – zumeist im Heimatstaat des Gastarbeiters – aufhält.
Dass das deutsche Elterngeldrecht den Vorrang von Art. 7 VO 883 nicht ausdrücklich rezipiert, tut der unmittelbaren Wirkung dieser europarechtlichen Bestimmung keinen Abbruch. Denn unmittelbar geltendes europäisches Recht, wie es Art. 7 VO 883 darstellt, genießt gegenüber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang. Eine Öffnungsklausel zugunsten des europäischen Rechts im BEEG ist vor diesem Hintergrund überflüssig.
Die grundlegende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 7 VO 883, dass während des Zeitraums 01.04. bis 31.12.2016 für die Klägerin deutsches Recht galt, ist erfüllt. Denn die Bundesrepublik Deutschland ist nach EU-Recht zuständiger Mitgliedstaat und unterliegt daher den Koordinierungsregelungen der VO 883. In dieser Frage der Zuständigkeit liegt das zentrale Problem des Falls.
Über Titel II VO 883 wird das Sozialstatut bestimmt und eine Zuordnung zur Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats getroffen. Titel II VO 883 gibt als vor die Klammer gezogenes, allgemeines Normenwerk sektorenübergreifend Antworten auf die Frage nach dem einschlägigen nationalen Recht und damit nach der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit (Kollisionsrecht). Nach Art. 11 Abs. 1 Satz 1 VO 883 gelten die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Das Kollisionsrecht stellt im Wesentlichen zwei grundlegende Anknüpfungsprinzipien für die Auffindung des zuständigen Mitgliedstaats zur Verfügung: Das primäre Kriterium ist der Ort der Beschäftigung beziehungsweise der selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 – Beschäftigungslandprinzip). Eine Auffangfunktion kommt dem Wohnlandprinzip des Art. 11 Abs. 3 Buchstabe e VO 883 zu (vgl. EuGH, Urteil vom 03.05.2001, C-347/98 „Kommission ./. Belgien“, Rn. 29); dieses greift nur dann, wenn kein anderer in Art. 11 Abs. 3 VO 883 genannter Anknüpfungstatbestand einschlägig ist. Eine Dispositionsbefugnis der Mitgliedstaaten bezüglich des anzuwendenden Rechts existiert nicht: Diese dürfen grundsätzlich zwar das Recht der sozialen Sicherheit nach ihrem Ermessen gestalten (stRspr des EuGH; vgl. nur EuGH, Urteil vom 18.12.2014, C-523/13 „Larcher“, Rn. 48). Sie dürfen aber keine Regelungen erlassen, welche die Zuordnung der Art. 11 ff. VO 883 unterminieren (vgl. EuGH, Urteil vom 03.05.1990, C-2/89 „Kits van Heijningen“, Rn. 21; EuGH, Urteil vom 18.04.2013, C-548/11 „Mulders“, Rn. 40 bis 44; zuletzt EuGH, Urteil vom 14.06.2016, C-308/14 „Kommission ./. Vereinigtes Königreich“, Rn. 69).
Art. 11 VO 883 lautet:
(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:
a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;
c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.
(4) …
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten bestand während des streitgegenständlichen Zeitraums April bis einschließlich Dezember 2016 eine Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 fort, nämlich das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der L.. Dies führt letztlich dazu, dass Deutschland als Beschäftigungsstaat für die Klägerin zuständig war und nicht der Wohnsitzstaat Norwegen.
Kein rechtliches Hindernis verkörpert, dass etwa die Zurücklegung einer Elternzeit, also eine erziehungsspezifische Beurlaubung unter Fortfall der Bezüge, generell nicht als Beschäftigung angesehen werden könnte. Diesbezüglich hatte der Beklagte nie Bedenken. Er hat von Anfang an die – letzten Endes richtige – Auffassung vertreten, allein der Umstand einer Elternzeit lasse die Beschäftigung nicht entfallen. Anders der Senat. Angesichts der EuGH-Entscheidung „Kuusijärvi“ ist er zunächst davon ausgegangen, vor Inkrafttreten der VO 883 habe der EuGH proklamiert, eine Elternzeit, ein Erziehungsurlaub, eine Karenz oder Ähnliches könne nicht mehr der Beschäftigung zugerechnet werden. Bei der Frage, ob die VO 883 etwas daran geändert haben könnte, hat er Art. 11 Abs. 2 VO 883 entscheidende Bedeutung beigemessen. So hat der Senat in einem Hinweisschreiben gegenüber der Klägerin zunächst folgende Meinung vertreten:
„Art. 11 Abs. 2 VO 883 stellt klar, dass eine Beschäftigung im rechtlichen Sinn nur dann besteht, wenn sie auch ausgeübt wird. Nur unter bestimmten Voraussetzungen, die wiederum in Art. 11 Abs. 2 VO 883 geregelt sind, wird ausnahmsweise das Fortbestehen der Beschäftigung fingiert. Danach müssten Frau Dr. A. während des gewünschten Elterngeldbezugszeitraums eine Geldleistung „infolge der Beschäftigung“ bezogen haben, damit das Rechtsverhältnis mit der L. rechtlich als fortdauernde Beschäftigung zu behandeln wäre. Für Frau Dr. A. bedeutet das, dass das deutsche Recht für sie nur solange gegolten hat, wie der Freistaat Bayern die Bezüge nach der Geburt, konkret den Arbeitgeberzuschuss nach § 14 MuSchG, fortgezahlt hat – später allerdings nicht mehr.
Ich möchte unterstreichen, dass seit dem Inkrafttreten von Art. 11 Abs. 2 VO 883 keine rechtliche Möglichkeit mehr besteht, jenseits dieser Vorschrift das Beschäftigungsverhältnis als fortbestehend zu fingieren. Da es somit nach Ablauf des Mutterschutzes keinen Beschäftigungsstaat mehr gibt, liegt die Zuständigkeit beim Wohnstaat, also bei Norwegen.“
Der Senat hat diese Ansicht im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens verworfen. Denn signifikant ist im EuGH-Fall „Kuusijärvi“, dass die Betroffene schon vor der Geburt arbeitslos war. Die Konstellation einer erziehungsbedingten Beurlaubung ohne Bezüge lag dort nicht vor. Dagegen lässt sich dem EuGH-Urteil „Dodl und Oberhollenzer“ (Urteil vom 07.06.2005, C-543/03) eindeutig entnehmen, dass während einer erziehungsbedingten Beurlaubung ohne Bezüge die Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 fortbesteht. Der Sachverhalt war bei „Dodl und Oberhollenzer“ folgender: Der deutsche Ehemann arbeitete in Deutschland, die österreichische Ehefrau in Österreich; sie nahm unbezahlten Urlaub für Kindererziehung in Anspruch (so genannte Karenz), die Familie lebte in Deutschland. In Streit standen Familienleistungen aus Österreich für die Ehefrau. Der EuGH hat in der Entscheidung „Dodl und Oberhollenzer“ angenommen, dem Ehepaar stünde auch ein Anspruch auf Familienleistungen nach österreichischem Recht zu. Zu diesem Ergebnis konnte er aber nur kommen, wenn die Beschäftigung der Ehefrau das österreichische Recht vermittelte; die Annahme eines Leistungsanspruchs nach österreichischem Recht durch den EuGH setzt unabdingbar das Fortbestehen der Beschäftigung voraus. Es gibt nämlich keinen Anhaltspunkt, dass das österreichische Recht von sich aus – also ohne Befehl des Europarechts und überobligatorisch – den Anspruch gewährte (dieses stellte allein auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich ab). Es musste also zwangsläufig die Beschäftigung als fortbestehend betrachtet worden sein. Bestätigt wird diese Auslegung des europäischen Kollisionsrechts durch die neuere EuGH-Entscheidung „Franzen, Giesen, van den Berg“ (Urteil vom 23.04.2015, C-382/13). Der EuGH hat in Rn. 52 des Urteils – allerdings in etwas anderem Zusammenhang – verdeutlicht, er nehme eine Beschäftigung im Sinn von Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 (= Vorgängerregelung zu Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883) so lange an, wie das Arbeitsverhältnis fortbestehe.
Als Konsequenz daraus misst der Senat nunmehr auch Art. 11 Abs. 2 VO 883 einen anderen Regelungsgehalt bei. Vorzugswürdig erscheint die Ansicht, dass der europäische Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 11 Abs. 2 VO 883 das Beschäftigungslandprinzip nicht derart einschränken wollte, dass während einer Elternzeit, Karenz etc. der Beschäftigungsstaat aus seiner Verantwortung entlassen werden könnte. Denn das brächte erhebliche Nachteile für die Betroffenen mit sich, indem Ansprüche verlorengingen. Wäre eine solche Einschränkung des Beschäftigungslandprinzips gewollt gewesen, hätte dies wohl Niederschlag in den Erwägungsgründen zur VO 883 gefunden; die Erwägungsgründe schweigen jedoch dazu. Vielmehr dürfte es dem europäischen Gesetzgeber mit Art. 11 Abs. 2 VO 883 eher darum gegangen sein, das Beschäftigungslandprinzip zu erweitern. Zusammenfassend darf aus Art. 11 Abs. 2 VO 883 nicht der Schluss gezogen werden, während einer erziehungsbedingten Beurlaubung ohne Bezüge liege keine Beschäftigung mehr vor.
Unabhängig davon, dass Art. 11 Abs. 2 VO 883 also für Elternzeit, Karenz etc. von vornherein nicht gilt, wären im Fall der Klägerin die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt. Denn der Senat würde den Bezug einer Geldleistung im Sinn von Art. 11 Abs. 2 VO 883 bejahen (Arbeitgeberzuschuss, Weihnachtsgeld, Entgelt für die zweite Februarhälfte 2017). Für die Fiktionswirkung des Art. 11 Abs. 2 VO 883 dürfte nicht erforderlich sein, dass die „Geldleistung“ stetig gezahlt wird.
b) Bei Anwendung dieser geläuterten Rechtsauffassung vermag der Senat das Ergebnis, zu dem der Beklagte und das Sozialgericht gekommen sind, nicht zu teilen. Das Vorliegen einer Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 scheitert nicht aus dem Grund, dass das am 23.07.2015 für den Zeitraum Januar bis einschließlich Dezember 2016 vereinbarte Folgearbeitsverhältnis als rechtlich irrelevant anzusehen wäre. Vielmehr liegt auch nach dem 31.12.2015 die Ausübung einer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland vor.
Art. 1 Buchstabe a VO 883 definiert „Beschäftigung“ wie folgt:
„Beschäftigung“ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;
Bei der Rechtsfindung kommt es allein auf eine europarechtliche Perspektive an. Die in Art. 1 Buchstabe a VO 883 enthaltene Definition darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb des europäischen Zuständigkeitsrechts EUweit eine einheitliche Auslegung praktiziert werden muss. Denn nur mit einer einheitlichen europarechtlichen Beurteilung kann der zuständige Mitgliedstaat im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 zuverlässig und eindeutig gefunden werden. Daher ist die Handhabung, maßgebend auf den Beschäftigungsbegriff des deutschen Rechts abzustellen, methodisch falsch. Es steht gerade nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten, „Beschäftigung“ nach Belieben zu interpretieren. Die Begriffsbestimmung des Art. 1 Buchstabe a VO 883, welche die Handhabung in den Mitgliedstaaten als Maßstab suggeriert, passt auf die Koordinierungsregeln der VO 883 im engeren Sinn (z.B. Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten), für das Kollisionsrecht des Art. 11 VO 883 führt sie dagegen in die falsche Richtung.
Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 orientiert sich vielmehr eng am Arbeitnehmerbegriff des europäischen Rechts. Nach der EuGH-Rechtsprechung kann als Arbeitnehmer nur angesehen werden, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl. Urteil vom 23.03.1982, Rs. 53/81 „Levin“, Rn. 17; Urteil vom 08.06.1999, C-337/97 „Meeusen“, Rn. 13; Urteil vom 06.11.2003, C-413/01 „Ninni-Orasche“, Rn. 26). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung muss sich das vorlegende Gericht auf objektive Kriterien stützen und in einer Gesamtbetrachtung alle Umstände würdigen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und die des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen (Urteil vom 06.11.2003, C-413/01 „Ninni-Orasche“, Rn. 27).
Der Senat hat keine Zweifel, dass die Klägerin auch während des gesamten Jahres 2016 in diesem Sinn Arbeitnehmerin war und damit eine Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 vorlag.
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2015 hinaus dürfte man nur dann ignorieren, wenn sie rechtsmissbräuchlich gewesen wäre. Der EuGH stellt an die Bejahung eines Rechtsmissbrauchs jedoch hohe Anforderungen (vgl. Urteil vom 23.09.2003, C-109/01 „Akrich“). Auch der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch sehr streng definiert. Im Urteil vom 25.06.2009 – B 10 EG 3/08 R (SozR 4-7837 § 2 Nr. 1; BSGE 103, 284-290) hat das BSG ausgeführt, ein Recht auf eine Sozialleistung könne nicht geltend gemacht werden, wenn dies sozial unangemessen geschehe und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspreche. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiere sich am Schutzbereich der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen sei, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlichen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen könne. Der Schutzbereich der Norm, Sinn und Zweck des Rechts und damit auch seine rechtsethische Funktion würden in erster Linie durch den Gesetzgeber selbst bestimmt. Bei gesetzlich begründeten Ansprüchen auf Sozialleistungen bleibe es nicht den rechtsethischen Anschauungen des Rechtsanwenders überlassen festzulegen, wann ein Missbrauch vorliege. Ein Missbrauchseinwand komme daher in erster Linie dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten übersehen habe, die sich erst bei der späteren Anwendung des Gesetzes zeigten, und er diese nach seiner sonstigen Zielsetzung mit Sicherheit unterbunden hätte. Hingegen könnten Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber den Bürgern „sehenden Auges“ überlassen habe, nicht im Nachhinein von den Rechtsanwendern aus Gründen einer angenommenen „rechtsethischen Funktion des Rechts“ begrenzt werden. Nach diesen Maßstäben ist man im vorliegenden Fall von einem Rechtsmissbrauch weit entfernt.
Der Beklagte begeht den Fehler, bei der Beurteilung, ob Deutschland Beschäftigungsstaat ist und ob Rechtsmissbrauch vorliegt, eine Perspektive einzunehmen, die spezifisch das deutsche Elterngeldrecht als Angelpunkt nimmt. Jedoch handelt es sich, wie erwähnt, bei der Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 um einen Begriff des Europarechts. Auch der Rechtsmissbrauch muss aus Sicht des Europarechts interpretiert werden. Es erscheint nicht zulässig, wie der Beklagte die Interpretation auf dem Weg einer hochsubjektiven Auslegung nationalen Fachrechts vorzunehmen.
Bei der Beurteilung des Rechtsmissbrauchs muss eine Ex-ante-Betrachtung angelegt werden. Maßgebend ist, was die Vertragsparteien bei Abschluss des Rechtsverhältnisses beabsichtigt haben, nicht aber, wie sich das Arbeitsverhältnis in der Folgezeit tatsächlich entwickelt hat. So gesehen wäre es im vorliegenden Fall falsch, darauf abzustellen, die Klägerin habe nach dem 04.01.2016 tatsächlich keinen Tag mehr gearbeitet. Vielmehr kommt es darauf an, wie sich die Verhältnisse am 23.07.2015, dem Tag des Abschlusses des Arbeitsvertrags, dargestellt haben. Noch weniger darf ins Gewicht fallen, dass sich die dritte Verlängerung des Arbeitsverhältnisses am 14.01.2016 vermutlich stark an der Dauer der Elternzeit orientiert hat.
Vor allem darf der Zeitraum 01.01. bis 31.12.2016 nicht isoliert betrachtet werden. In den Blick muss vielmehr die Gesamttätigkeit der Klägerin bei der L. genommen werden. Wenn die Klägerin unmittelbar vorher mehrere Jahre bei der L. gearbeitet hat, dann darf die Arbeitnehmereigenschaft während der einjährigen Verlängerung nicht kurzerhand mit dem Argument abgelehnt werden, sie habe während dieser Teilphase keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Vielmehr liegt bei ihr die ganz normale Biografie einer Arbeitnehmerin vor mit einer offenbar intensiven Arbeitsphase, aber auch mit Mutterschaft und Elternzeit. Diese Biografie muss in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden, die Ausklammerung der Arbeitsphase erscheint unangemessen. Und bei Anlegung dieser Perspektive kann nicht bestritten werden, dass die Klägerin tatsächlich Arbeitsleistung erbrachte.
Niemand dürfte ernsthaft vertreten, die arbeitsvertragliche Regelung eines Arbeitsverhältnisses vom 01.01. bis 31.12.2016 sei nach den Maßstäben des deutschen Zivilrechts nichtig gewesen. Ein Arbeitsverhältnis im Sinn des deutschen Arbeitsrechts hat bestanden. Dann kann man aber bei bestehendem Arbeitsverhältnis eine Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 kaum verneinen. Denn im Urteil „Franzen, Giesen, van den Berg“ (Urteil vom 23.04.2015, C-382/13) hat der EuGH in Randnummer 52 zum Ausdruck gebracht, dass er in erster Linie das Bestehen des Arbeitsverhältnisses als konstitutiv für die Beschäftigung in diesem Sinn ansieht (so auch EuGH, Urteil vom 08.05.2014, C-347/12 „Wiering“, Rn. 48, im Hinblick auf Beamte).
Die tatsächlichen Umstände waren keineswegs so gelagert, dass man der Klägerin zwangsläufig rechtsmissbräuchliche Motive unterstellen darf. Zunächst entspricht es schon nicht den rechtlichen Gegebenheiten, wie der Beklagte zu proklamieren, die Klägerin habe den Arbeitsvertrag nicht erfüllt beziehungsweise nicht erfüllen können. Sie ist ihrem Arbeitgeber nichts schuldig geblieben und nicht vertragsbrüchig geworden. Mit der Schwangerschaft und der Mutterschaft sind ihre vertraglichen Arbeitspflichten vielmehr kraft Gesetzes (in Verbindung mit der Gewährung von Elternzeit) ausgesetzt worden. Es bleiben keine Anteile zu Unrecht nicht erbrachter Arbeitsleistung zurück.
Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Planungen und Absichten der Klägerin im Wesentlichen oder sogar allein auf Elternzeit und Elterngeld zentriert waren. Dafür spricht aber nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit, geschweige denn eine hinreichende Sicherheit. Vielmehr muss man der Klägerin konzedieren, dass ihr die Arbeit als solche überaus am Herzen lag. Sie nahm es allem Anschein nach auf sich, im Jahr 2013 ihre – intakte – Familie hintanzustellen und zusammen mit ihrer Tochter nach Deutschland überzusiedeln, um am der L. arbeiten zu können. Dies bedeutete für die Klägerin ohne Zweifel ein erhebliches Opfer. Dafür, dass O. mit nach Deutschland kam, spricht, dass im Einkommensteuerbescheid 2013 ein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende enthalten ist. Aber auch wenn O. in Norwegen geblieben wäre, wäre das Opfer der Klägerin ganz beträchtlich gewesen: Sie hätte, bei einer intakten Familie, nicht nur den Ehemann in Norwegen zurücklassen müssen, sondern auch ihr zweijähriges Kind. Aus alldem schließt der Senat, dass die Klägerin die Arbeit am in B-Stadt als sehr große Chance begriffen hat. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Arbeit als solche stets wichtiges Motiv bei allen Entscheidungen war. Damit harmoniert, dass es sich bei der Klägerin augenscheinlich um eine sehr qualifizierte Wissenschaftlerin handelte; andernfalls wären laut Aussage des Prof. Dr. H. für ihr Forschungsprojekt keine Drittmittel zur Verfügung gestellt worden. Der Senat glaubt der Klägerin, dass sie ihr Projekt irgendwann weiter betreiben und zu Ende bringen wollte. Prof. Dr. H. hat bestätigt, dass sie jederzeit die Möglichkeit dazu gehabt hat und immer noch hat. Ein einseitiges Schielen der Klägerin auf den sozialen Vorteil des Elterngelds hält der Senat nach alldem für unrealistisch.
Auch vor dem Hintergrund der schieren Chronologie erscheint es lebensfremd anzunehmen, die Vereinbarung vom 23.07.2015 sei getroffen worden, gerade um die Klägerin in den Genuss von Elterngeld kommen zu lassen. Nicht einmal drei Wochen vorher hatte die Klägerin überhaupt erst erfahren, dass sie schwanger war. Übertrieben dürfte die Mutmaßung sein, die Klägerin habe damals bereits ganz konkrete Pläne in Bezug auf Elternzeit und Elterngeldbezug gehabt. Daher liegt es auch eher fern anzunehmen, das Elterngeld sei bei der Vertragsverlängerung am 23.07.2015 dominierendes Motiv gewesen. Die sinngemäße Einlassung der Klägerin, sie habe erst im Herbst 2015 aufgrund der Auskunft des ZBFS das Benefizium des Elterngelds konkret eingeplant, hält der Senat für glaubhaft. Dann aber kann man ihr nicht unterstellen, sie habe schon am 23.07.2015 mit der ersten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses primär dieses Ziel verfolgt. Maßgeblich zum Tragen gekommen ist das Bemühen um Elterngeld erst bei der zweiten Verlängerung im Januar 2016; das hat die Klägerin aber auch offen zugegeben und deshalb konsequent auf Leistungen für die Monate Januar und Februar 2017 verzichtet. Ein kollusives Zusammenwirken der L. und der Klägerin „zum Schaden“ des Elterngeldträgers hält der Senat für ausgeschlossen. Bei Abschluss des Arbeitsvertrags vom 23.07.2015 wusste die L. noch nichts von der Schwangerschaft; dass Prof. Dr. H. bereits voll informiert gewesen sei könnte, ist Spekulation. Der Senat glaubt der Klägerin auch, dass sie die Schwangerschaft nicht deshalb mit Verzögerung angezeigt hat, um sich eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erschleichen, sondern weil sie tatsächlich das Ersttrimester-Screening abwarten wollte; sie hat nachgewiesen, dass H.’ Onkel väterlicherseits an einem Down-Syndrom leidet.
Unabhängig davon, dass die tatsächlichen Umstände kein gezieltes Hinwirken der Klägerin auf Elterngeld offenbaren, darf generell ein solches Hinwirken nicht in dem Maß negativ bewertet werden, wie es der Beklagte und das Sozialgericht getan haben. Denn eine solche Haltung erzeugt nicht hinnehmbare Wertungswidersprüche mit dem andernorts festzustellenden Bemühen des Gesetzgebers, über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz die von befristeten Arbeitsverhältnissen betroffenen Wissenschaftler zu schützen.
Bei einem von vornherein länger befristeten Arbeitsverhältnis würde der Beklagte sicherlich nicht in Erwägung ziehen, für die Mutterschaft und die Beurlaubung ohne Entgelt die Arbeitnehmer- oder Beschäftigteneigenschaft in Frage zu stellen. Die Klägerin wird nur deswegen „Opfer“ solcher Überlegungen, weil sie das Pech hatte, dass ihr erstes Arbeitsverhältnis zum 31.12.2015 endete, wenige Tage vor Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes. Die Vorgehensweise des Beklagten fügt der Klägerin gerade die Art von Nachteil zu, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – wenn auch bei anderen, jedoch vergleichbaren Personengruppen – verhindern will. § 2 WissZeitVG lautet:
(1) Die Befristung von Arbeitsverträgen des in § 1 Absatz 1 Satz 1 genannten Personals, das nicht promoviert ist, ist bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt. 2Nach abgeschlossener Promotion ist eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren, im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren, zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt; die zulässige Befristungsdauer verlängert sich in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben. 3Die vereinbarte Befristungsdauer ist jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist. 4Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind. 5Satz 4 gilt auch, wenn hinsichtlich des Kindes die Voraussetzungen des § 15 Absatz 1 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorliegen. 6Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich bei Vorliegen einer Behinderung nach § 2 Absatz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung um zwei Jahre. 7Innerhalb der jeweils zulässigen Befristungsdauer sind auch Verlängerungen eines befristeten Arbeitsvertrages möglich.
(2) Die Befristung von Arbeitsverträgen des in § 1 Abs. 1 Satz 1 genannten Personals ist auch zulässig, wenn die Beschäftigung überwiegend aus Mitteln Dritter finanziert wird, die Finanzierung für eine bestimmte Aufgabe und Zeitdauer bewilligt ist und die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter überwiegend der Zweckbestimmung dieser Mittel entsprechend beschäftigt wird; die vereinbarte Befristungsdauer soll dem bewilligten Projektzeitraum entsprechen.
(3) …
(4) …
(5) 1Die jeweilige Dauer eines befristeten Arbeitsvertrages nach Absatz 1 verlängert sich im Einverständnis mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter um
1.Zeiten einer Beurlaubung oder einer Ermäßigung der Arbeitszeit um mindestens ein Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit, die für die Betreuung oder Pflege eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren, auch wenn hinsichtlich des Kindes die Voraussetzungen des § 15 Absatz 1 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorliegen, oder pflegebedürftiger sonstiger Angehöriger gewährt worden sind,
2.Zeiten einer Beurlaubung für eine wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeit oder eine außerhalb des Hochschulbereichs oder im Ausland durchgeführte wissenschaftliche, künstlerische oder berufliche Aus-, Fort- oder Weiterbildung,
3.Zeiten einer Inanspruchnahme von Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz und Zeiten eines Beschäftigungsverbots nach den §§ 3 bis 6, 10 Absatz 3, § 13 Absatz 1 Nummer 3 und § 16 des Mutterschutzgesetzes in dem Umfang, in dem eine Erwerbstätigkeit nicht erfolgt ist,
4.Zeiten des Grundwehr- und Zivildienstes,
5.Zeiten einer Freistellung im Umfang von mindestens einem Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit zur Wahrnehmung von Aufgaben in einer Personal- oder Schwerbehindertenvertretung, von Aufgaben eines oder einer Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten oder zur Ausübung eines mit dem Arbeitsverhältnis zu vereinbarenden Mandats und
6.Zeiten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, in denen ein gesetzlicher oder tarifvertraglicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht besteht.
2. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1, 2 und 5 soll die Verlängerung die Dauer von jeweils zwei Jahren nicht überschreiten. 3Zeiten nach Satz 1 Nummer 1 bis 6 werden in dem Umfang, in dem sie zu einer Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages führen können, nicht auf die nach Absatz 1 zulässige Befristungsdauer angerechnet.
Der Senat verkennt nicht, dass die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der L. aufgrund von § 2 Abs. 2 WissZeitVG zulässig ist. Für diese Arbeitsverhältnisse gilt § 2 Abs. 5 WissZeitVG, wie der Beklagte im juristischen Vermerk vom 06.09.2016 zutreffend festgestellt hat, aber gerade nicht. Unmittelbare Rechtfertigung erfährt die Klägerin durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz also nicht. Allerdings lässt sich § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WissZeitVG eine allgemeine gesetzgeberische Wertung entnehmen, die es ausschließt, bei der Klägerin rechtsmissbräuchliches Verhalten zu bejahen. Denn nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WissZeitVG soll eine Elternzeit zur Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses führen. Ganz offenkundig sieht der Gesetzgeber generell die Notwendigkeit, wissenschaftlichen Mitarbeitern gerade in ihrer Eigenschaft als Eltern zu helfen. Dieser Wertung steht die Haltung des Beklagten und des Sozialgerichts diametral entgegen, der Klägerin nicht einmal das Recht zuzugestehen, ein Anschlussarbeitsverhältnis zu begründen, nur weil dieses weitgehend durch Beschäftigungsverbote und Elternzeit ausgefüllt ist. Seitens des Beklagten und des Sozialgerichts wird es für inakzeptabel gehalten, dass die L. der Klägerin möglicherweise – wirklich erwiesen ist es nicht – mit der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um ein Jahr einen den gesetzlichen Regelungen vergleichbaren Nachteilsausgleich gewährt hat. Die Wertung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes steht einer derart restriktiven Betrachtung entgegen. Man darf es nicht als „anrüchig“ betrachten, wenn die wissenschaftliche Einrichtung ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern in gewisser Weise Nachteile der Elternschaft ersparen möchte; entsprechende Schutzgedanken sind mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz sogar in Gesetzesform gegossen worden. Ohne die Schwangerschaft wäre die Klägerin ohne jeden Zweifel über den 31.12.2015 hinaus für zwei weitere Jahre beschäftigt worden. Hätte die L. von jeder Weiterbeschäftigung gerade wegen der Schwangerschaft abgesehen, hätte darin eine bedenkliche Benachteiligung der Klägerin just aufgrund der Mutterschaft gelegen.
c) Die weiteren Voraussetzungen dem Grunde nach hat die Klägerin zweifellos erfüllt. Sie lebte im Zeitraum April bis einschließlich Dezember 2016 mit H. in einem Haushalt, betreute und erzog ihn selbst und übte während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt unter 500.000 EUR blieb. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor.
2. Der somit dem Grunde nach gegebene Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für den Zeitraum April bis einschließlich Dezember 2016 tritt nicht hinter einen Anspruch auf Familienleistungen nach norwegischem Recht zurück. Denn während des genannten Zeitraums (bis einschließlich 31.12.2016) ist für H. lediglich norwegisches Kindergeld gezahlt worden. Unabhängig davon, dass zwischen dem deutschen Elterngeld und dem norwegischen Kindergeld schon die Gleichartigkeit beziehungsweise Ähnlichkeit fehlen dürfte, die für eine Anrechnung erforderlich ist, ist das deutsche Elterngeld nach Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a VO 883 vorrangig. Denn dieses muss aufgrund einer Beschäftigung der Klägerin gezahlt werden (auch wenn das deutsche Elterngeldrecht eine Beschäftigung nicht als Leistungsvoraussetzung vorsieht), während das norwegische Kindergeld nur aufgrund des Wohnsitzes in Norwegen geleistet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere sieht der Senat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Vor dem Hintergrund, dass nach der europarechtlichen Rechtslage vor Einführung von Art. 11 Abs. 2 VO 883 die Elternzeit sehr wohl als Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 beurteilt worden wäre, kann kein nennenswerter Zweifel bestehen, dass im neuen Recht Art. 11 Abs. 2 VO 883 dies nicht davon abhängig machen will, dass während der Elternzeit tatsächlich Bezüge, welcher Art auch immer, zufließen. Dass vielmehr Art. 11 Abs. 2 VO 883 die Rechtsposition der Eltern gegenüber dem alten Recht nicht hat verschlechtern wollen, liegt derart auf der Hand, dass nicht von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage gesprochen werden kann. Der Beklagte hat dies ja auch immer so vertreten. Zudem wirkt sich diese Rechtsfrage im vorliegenden Fall nicht auf das Ergebnis aus. Sollte nämlich Art. 11 Abs. 2 VO 883 entgegen aller Erwartung doch einschlägig sein, würde die Klägerin, wie oben ausgeführt, dessen Voraussetzungen für die Fingierung einer Beschäftigung (Bezug von Entgelt, Leistungen) erfüllen.


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