Arbeitsrecht

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines auswärtigen Rechtsanwalts

Aktenzeichen  M 28 M 19.33858

Datum:
7.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 49159
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 162, § 164, § 165

 

Leitsatz

1. Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine steht unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht anzunehmen, dass ein vernünftiger, kostenbewusster, nicht notwendig rechtskundiger Laie allein wegen des Umstands, dass auf dem Bescheid als Ort des Bescheiderlasses Berlin genannt ist, davon ausgeht, er müsse (oder dürfe) einen dort ansässigen Rechtsanwalt beauftragen, um Klage beim Verwaltungsgericht München zu erheben, zumal die weite Entfernung für einen Asylbewerber die Mandatierung und die Besprechung des Mandats wesentlich erschwert. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Auf die Erinnerung der Antragsgegnerin (Erinnerungsführerin) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 29. Januar 2019 im Verfahren M 28 K 17.34861 in Ziffer I aufgehoben, soweit darin ein Betrag der entstandenen notwendigen Aufwendungen von mehr als 954,54 € festgesetzt worden ist.
Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird dem Urkundsbeamten übertragen.
II. Der Erinnerungsgegner (Antragsteller) hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2019 im Verfahren M 28 K 17.34861, mit dem dem Antragsteller entstandene notwendige Auslagen in Höhe von 1.108,82 € als erstattungsfähig festgesetzt wurden, soweit dort Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld in Höhe von 154,28 € festgesetzt sind.
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. November 2018 im Verfahren M 28 K 17.34861 wurde die Antragsgegnerin (Beklagte des Ausgangsverfahrens) verpflichtet, dem Antragsteller (Kläger des Ausgangsverfahrens) unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Verfahrenskosten wurden der Antragsgegnerin auferlegt.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 22. Januar 2019 machte der Antragsteller unter anderem Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld in Höhe von 170,30 € geltend. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten vom 29. Januar 2019 wurden die dem Antragsteller entstandenen notwendigen Aufwendungen auf 1.108,82 € festgesetzt. In der Begründung des Beschlusses heißt es, die geltend gemachten Fahrkosten könnten nur als Nettobeträge geltend gemacht werden, sodass diese auf 84,28 € zu reduzieren seien.
Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2019 erhob die Antragsgegnerin im Kostenfestsetzungsverfahren Einwendungen gegen die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten und beantragte die Entscheidung des Gerichts. Sie ist der Auffassung, Reisekosten und das Abwesenheitsgeld eines Rechtsanwalts seien nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Regel nur erstattungsfähig, wenn dieser seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandanten und dessen Nähe habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Es gebe auch sonst keinen Grund für den Antragsteller, einen nicht ortsansässigen Rechtsanwalt zu mandatieren.
Der Urkundsbeamte half dem Antrag nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 13. Februar 2019 dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Verfahren M 28 K 17.34861 verwiesen.
II.
Die Kostenerinnerung ist zulässig und begründet.
Da das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO ein von der Kostenentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren darstellt, hat das Gericht über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss in der Besetzung zu entscheiden, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2007 – 24 C 06.2426 – juris). Die Kostenentscheidung im Verfahren M 28 K 17.34861 wurde vom Einzelrichter getroffen, so dass dieser auch für die Entscheidung über die Kostenerinnerung zuständig ist.
Nach § 165 Satz 1 VwGO können die Beteiligten die Festsetzung der zu erstattenden Kosten anfechten, wobei nach Satz 2 der genannten Norm § 151 VwGO entsprechend gilt. Nach § 151 Satz 1 VwGO kann gegen die Entscheidungen u.a. des Urkundsbeamten innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
Die nach den genannten Vorschriften statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Erinnerung ist begründet.
Im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 164 VwGO werden auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung nach den §§ 154 ff. VwGO auf Antrag die zu erstattenden Kosten festgesetzt. Erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Beteiligten. Maßstab für die Notwendigkeit der Aufwendungen sind die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes – RVG -.
In der Sache ist vorliegend allein streitig, ob die Fahrtkosten und das Abwesenheitsgeld i.H.v. insgesamt 154,28 € notwenige Aufwendungen darstellen und von dem Urkundsbeamten im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. Januar 2019 zu Recht angesetzt worden sind.
Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind neben den Gerichtskosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig und damit auf Antrag gemäß § 164 VwGO festzusetzen.
Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO stets erstattungsfähig. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig seien, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung (BayVGH, B.v. 24.2.2010 – 11 C 10.81 – juris – m.w.N.).
Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO steht, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss. Der daraus herzuleitende Grundsatz der Kostenminimierung ist bei der Anwaltswahl mit der Folge zu beachten, dass ohne nähere Prüfung Reisekosten eines Rechtsanwalts nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandanten oder in dessen Nähe hat (BayVGH, B.v. 24.2.2010 a.a.O.; B.v. 27.7.2006 – 2 N 04.2476 – juris m.w.N.). Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beauftragte Rechtsanwalt seine Kanzlei weder am Wohnsitz des Mandanten noch am Gerichtssitz hat, sind grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Gründe erstattungsfähig, die aus der Sicht des Antragstellers die Beauftragung des auswärtigen Anwalts nahelegen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der beauftragte Anwalt über Spezialkenntnisse verfügt und der Streitfall Fragen aus dem Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufgeworfen hat, dass ein verständiger Beteiligter die Hinzuziehung eines solchen Anwalts für ratsam erachten konnte. Außerdem wird es überwiegend als unzumutbar angesehen, nur zum Zweck der Kostenersparnis einen Anwaltswechsel zu vollziehen, wenn zwischen dem Mandanten und dem auswärtigen Rechtsanwalt bereits ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (BayVGH, B.v. 24.2.2010 a.a.O. m.w.N.).
Nach vorstehenden Maßgaben hat der Kostenbeamte vorliegend zu Unrecht die durch die Beauftragung eines auswärtigen im Vergleich zur Beauftragung eines ortsnahen Rechtsanwalts entstandenen Mehrkosten als notwendige Auslagen festgesetzt.
Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Antragsteller und seinem Verfahrensbevollmächtigten, etwa aus einer Vertretung in einem vorangegangenen Rechtsstreit, wurde weder behauptet noch nachgewiesen.
Auch ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der den Antragsteller vertretende Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht über für das Verfahren notwendige Spezialkenntnisse verfügt, zumal im Gerichtsbezirk eine Vielzahl von Fachanwälten für Migrationsrecht tätig sind, die etwaiges Spezialwissen für Verfahren dieser Art aufweisen.
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass der Antragsteller als rechtsunkundiger Laie deshalb davon ausgehen durfte, einen Rechtsanwalt in Berlin beauftragen zu müssen oder zu dürfen, weil der angefochtene Bescheid in Berlin erlassen worden ist. Der Antragsteller hatte keinen erkennbaren Bezug zu Berlin. Er war zum damaligen Zeitpunkt einer Unterkunft in Oberbayern zugewiesen. Nach der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:war seine Klage ferner beim hiesigen Verwaltungsgericht zu erheben. Dass ein vernünftiger, kostenbewusster, nicht notwendig rechtskundiger Laie vor diesem Hintergrund allein wegen des Umstands, dass auf dem Bescheid als Ort des Bescheiderlasses Berlin genannt ist, davon ausgeht, er müsse (oder dürfe) einen dort ansässigen Rechtsanwalt beauftragen, um Klage zu Verwaltungsgericht München zu erheben, ist nicht anzunehmen, zumal die weite Entfernung für einen Asylbewerber die Mandatierung und die Besprechung des Mandats wesentlich erschwert (zum Maßstab vgl. BayVGH, B. v. 10.6.2015 – 22 C 14.213, BayVbl. 2016, 63).
Die Übertragung der abschließenden Kostenfestsetzung auf den Urkundsbeamten beruht auf § 173 VwGO, § 573 Abs. 1 Satz 3, § 572 Abs. 3 ZPO (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2014 – 9 M 15.254 – juris Rn. 20). Dieser wird über die Festsetzung fiktiver Reisekosten eines ortsansässigen Rechtsanwalts zu entscheiden haben (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 162 Rn. 52; OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 25.2.2004 – 8 C 10550/03, NVwZ-RR 2004, 711).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar gemäß § 80 AsylG (vgl. VGHBW, B.v. 28.2.2017 – A 2 S 271/17 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 22.5.2013 – 8 C 13.30078 – juris Rn. 6).


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