Arbeitsrecht

Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltsgebühren im behördlichen Vorverfahren; umfangreiche oder schwierige Tätigkeit des Rechtsanwaltes

Aktenzeichen  AN 19 K 18.01733, AN 19 K 20.00310

Datum:
2.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4516
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 80
VwGO § 120
RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 14,  § 23
VV RVG Nr. 2300

 

Leitsatz

Die Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Allein die Tatsache, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten von den Beteiligten als notwendig angesehen wird, rechtfertigt eine Gebührenerhöhung nicht. (Rn. 34 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 19 K 18.01733, AN 19 K 20.00310 2020-03-02 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

1. Die Klage wird, soweit sie nicht unter dem Az. AN 19 K 20.00310 abgetrennt und durch Beschluss eingestellt worden ist, hinsichtlich des Klageantrages zu 3 aus der Klageschrift vom 4. September 2018, in Höhe von 47,60 EUR und hinsichtlich des Hilfsantrages in Höhe von 83,54 EUR nebst Zinsen abgewiesen.
2. Von den bis zur Abtrennung des Verfahrens mit dem Az.: AN 19 K 20.00310 angefallenen Verfahrenskosten trägt die Beklagte ¾, der Kläger ¼. Der Kläger trägt die ab der Abtrennung angefallenen Kosten des Verfahrens mit dem Az. AN 19 K 18.01733.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die jeweiligen Beteiligten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte nach zuvor erklärtem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Nach Erlass der abändernden Bescheide der Beklagten vom 17. September 2018 (Bl. 76 f. der Gerichtsakte) und vom 22. Oktober 2018 (Bl. 86 f. der Gerichtsakte) und den daraufhin erklärten Erledigungen durch Schriftsätze des Klägers vom 15. Oktober 2018 hinsichtlich der Klageanträge zu 1 und zu 2 und hinsichtlich des Klageantrages zu 3 über einen Betrag von 92,50 EUR (Bl. 71 ff. der Gerichtsakte) sowie vom 8. November 2018 hinsichtlich des Klageantrages zu 3 über einen Betrag von 158,03 EUR (Bl. 84 f. der Gerichtsakte) ist nunmehr nur noch ein Erstattungsantrag in Höhe von 47,60 EUR streitgegenständlich sowie ein erstmals durch Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 gestellter Hilfsantrag über einen Betrag von 83,54 EUR. Auf den unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 19 K 20.00310 ergangenen Einstellungsbeschluss wird hiermit Bezug genommen.
Die unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 19 K 18.01733 noch anhängige Klage ist in ihrem Hauptantrag zulässig, aber unbegründet (I.). Der Hilfsantrag erweist sich als unbegründet (II.).
I.
Von den ursprünglich begehrten 205,63 EUR sind nach Zusammenschau der Erklärungen des Klägerbevollmächtigten nur noch 47,60 EUR im Hauptantrag anhängig, § 88 VwGO.
Insoweit erweist sich die Klage zwar als zulässig (1.), jedoch unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung einer über 1,3 hinausgehenden Gebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG hat (2.).
1. Die – gemäß § 88 VwGO als Verpflichtungsklage – zu verstehende Klage ist dem Grunde nach statthaft. Denn dem Kläger geht es nach Erlass der Änderungsbescheide durch die Beklagte nach Klageerhebung um die Abänderung einer Kostenfestsetzung gemäß Art. 80 Abs. 3 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 10. Juni 2008. Bei der Kostenfestsetzung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, so dass die Verpflichtungsklage grundsätzlich statthaft ist, § 42 Abs. 1 VwGO. Dem Gerichtsverfahren ist insbesondere ein Verfahren gemäß § 80 Abs. 3 BayVwVfG, also ein Antrag des Erstattungsberechtigten auf Festsetzung des Erstattungsbetrages bei der Behörde, vorgeschaltet gewesen, was zwingende Voraussetzung für die gerichtliche Durchsetzung des Kostenerstattungsanspruchs ist (vgl. Kunze in BeckOK VwVfG Bader/Ronellenfitsch, 46. Edition, Stand: 1.10.2019, § 80, Rn. 102a – beck-online).
2. Dem Kläger steht jedoch ein Erstattungsanspruch in der ursprünglich geltend gemachten Höhe von insgesamt 205,63 EUR nicht zu. Insoweit ist an dieser Stelle aber nur noch über einen Betrag von 47,60 EUR zu entscheiden, weil die Beteiligten den Rechtsstreit über den Betrag in Höhe von 158,03 EUR übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Hinsichtlich der noch anhängigen Klageforderung in Höhe von 47,60 EUR ist die Klage unbegründet und daher abzuweisen.
Zwar hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen, notwendigen Aufwendungen für die Gebühren und Auslagen des bevollmächtigten Rechtsanwaltes, Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG:
Zwingende Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruches sind eine Kostenentscheidung zugunsten des einstigen Widerspruchsführers und eine Erklärung der Behörde, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Beides liegt hier vor: Mit Bescheid vom 6. August 2018 hatte die Beklagte entschieden, dass die Stadt die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen habe (Bl. 48 ff. der Behördenakte). Im – nach Klageerhebung ergangenem – Änderungsbescheid vom 17. September 2018 bestimmte die Beklagte zudem, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren für notwendig erklärt werde (Bl. 58 f. der Behördenakte).
Die Höhe des Erstattungsanspruchs gemäß Art. 80 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 BayVwVfG richtet sich nach den entstandenen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwaltes. Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Vorverfahren bemisst sich nach dem Streitwert, der im Falle eines Klageverfahrens anfiele, § 23 Abs. 1 Satz 3 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juli 2013 (vgl. Kunze, aaO, Rn. 136a) und beträgt nach Auffassung des Gerichts 730,80 EUR, weil der vom Bevollmächtigten ursprünglich erhobene Widerspruch auf die Aufhebung der Steuerfestsetzung von insgesamt 730,80 EUR abzielte (126 EUR für das Jahr 2016 und jeweils 302,40 EUR für die Jahre 2017 und 2018) und die Beklagte die Kosten für das Widerspruchsverfahren komplett sich selbst auferlegt hat. Die Beteiligten sind bei ihren Berechnungen hingegen stets von einem Gegenstandswert von 604,40 EUR ausgegangen. Dies bedarf jedoch keiner weiteren Vertiefung, weil sich eine Erhöhung des Gegenstandswerts erst ab einem Betrag von 1000 EUR auswirkt, vgl. Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG.
Als erstattungsfähig haben die Beteiligten übereinstimmend folgende Positionen angesehen:
0,55 Beratungsgebühr gemäß Nr. 2100 VV RVG 44,00 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 8,80 EUR
1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VVRVG 104 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Abzüglich 0,55 Beratungsgebühr gemäß Nr. 2100 VV RVG 44,00 EUR
Zwischensumme: 132,80 EUR
19% Umsatzsteuer: 25,23 EUR
Summe: 158,03 EUR
Die Frage, ob die Post- und Telekommunikationspauschale tatsächlich doppelt – bei der Beratungsgebühr und bei der Geschäftsgebühr – angesetzt werden darf, kann und muss hier dahinstehen, weil die Streitsache infolge der Erledigung insoweit nicht mehr anhängig ist.
Der Kläger verfolgt mit seiner Klage nunmehr nur noch einen Anteil des Kostenerstattungsanspruches in Höhe von 47,60 EUR beruhend auf der Überlegung, dass eine Geschäftsgebühr von 1,8 für seinen Aufwand gerechtfertigt sei. Dies ist nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht der Fall:
Die Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.
Teubel in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Aufl. 2018, Nr. 2300 VV, Rn. 10-13 führt insoweit aus:
„Bei der Entscheidung der Frage, ob die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, ist zunächst zu berücksichtigen, dass entsprechend der Entstehungsgeschichte des Gesetzes es nicht darauf ankommt, ob die Tätigkeit besonders umfangreich oder besonders schwierig war. (…) Auch wenn keine besonderen Anforderungen an Umfang oder Schwierigkeit zu stellen sind, spricht der Wortlaut dafür, dass die Tätigkeit hinsichtlich Umfang oder Schwierigkeit in irgendeiner Form qualifiziert sein muss. Eine solche Qualifikation der Tätigkeit ist ersichtlich mit der Anmerkung ausgedrückt worden. Man kann schwerlich eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Tätigkeit als umfangreiche oder schwierige Tätigkeit bezeichnen. Das würde letztlich voraussetzen, dass anwaltliche Tätigkeit im Grundsatz umfangreich oder schwierig ist; diese Vorstellung liegt ersichtlich der Anmerkung zu Nr. 2300 VV nicht zugrunde. Demgemäß geht auch der BGH davon aus, dass die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin überdurchschnittlich gewesen sein muss.“
Dieser Auslegung der Gebührenziffer schließt sich das Gericht an, weil der der Wortlaut der Anmerkung eindeutig eine über den Durchschnitt, was Umfang und Schwierigkeitsgrad betrifft, hinausgehende Tätigkeit verlangt, um eine – wenn auch moderate – Gebührenerhöhung zu rechtfertigen.
Der Klägerbevollmächtigte hat selbst vorgetragen, dass die Angelegenheit „durchschnittlich schwierig und durchschnittlich umfangreich“ gewesen sei (vgl. Schriftsatz 15. Oktober 2018 Bl. 74 der Gerichtsakte). Eine durchschnittlich schwierige und durchschnittlich umfangreiche Tätigkeit rechtfertigt jedoch eine Gebührenerhöhung nach Auffassung des Gerichts gerade nicht.
Der Klägervortrag ist, was eine Begründung eines etwa erhöhten Schwierigkeitsgrades angeht, nicht hinreichend konkret und substantiiert und im Hinblick auf die eindeutige Aussage, die Angelegenheit sei durchschnittlich schwierig und umfangreich gewesen, geradezu widersprüchlich.
Nicht ganz klar wird somit, worauf der Klägerbevollmächtigte mit seinen weiteren Ausführungen (Bl. 74 der Gerichtsakte) abzielt. Die für einen Erstattungsanspruch gemäß Art. 80 BayVwVfG erforderliche, von Amts wegen zu ergehende Kostenentscheidung der Behörde ist im Bescheid vom 7. Mai 2018 (Bl. 38 f. der Behördenakte), der als Abhilfebescheid verstanden werden kann, zwar nicht enthalten, wurde aber jedenfalls im Bescheid vom 6. August 2018 nachgeholt. Aus dem gesonderten Kostenantrag des Bevollmächtigten eine besondere Schwierigkeit herzuleiten, erschließt sich dem Gericht nicht.
Auch dass eine Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes von der Beklagten schließlich als notwendig angesehen wurde, impliziert eine Gebührenerhöhung nicht. Bei der Beurteilung, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren als notwendig anzusehen ist, ist ein anderer Maßstab ausschlaggebend als bei der Gebührenerhöhung: Insoweit kommt es nämlich auf die Sicht des „vernünftigen“, aber – in der Regel – gerade nicht rechtskundigen Widerspruchsführers an. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff/Keller, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 80 Rn. 81). Allein die Tatsache, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten von den Beteiligten als notwendig angesehen wird, rechtfertigt eine Gebührenerhöhung nicht.
Nach alledem ist die Klage, soweit sie nach der Einstellung noch anhängig ist, unbegründet und daher abzuweisen.
II.
Der erstmals durch Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 gestellte Hilfsantrag über einen Betrag von 83,54 EUR ist unbegründet.
Bei dem hilfsweise gestellten Antrag auf Zahlung von 83,54 EUR nebst Zinsen handelt es sich – nach der gebotenen Auslegung des Gerichts gemäß § 88 VwGO – um eine Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO, weil der ursprüngliche Streitgegenstand – Kostenerstattungsanspruch im Widerspruchsverfahren gemäß Art. 80 Abs. 2 BayVwVfG – ergänzt wurde um einen weiteren Antrag, nämlich den Antrag auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten, die durch die gemäß § 120 VwGO analog beantragte Ergänzung der fehlenden Kostenentscheidung im Abhilfebescheid der Beklagten vom 7. Mai 2018 entstanden sein sollen.
Die Beklagte hat dieser Klageerweiterung nicht zugestimmt (Schriftsatz vom 21. Dezember 2018, Bl. 103 f. der Gerichtsakte).
Im Hinblick darauf, dass der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt und die Klageänderung dazu beiträgt, dass ein weiterer Prozess vermieden wird, ist Sachdienlichkeit jedoch anzunehmen (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 22. Aufl., § 91, Rn. 19), so dass das Gericht von der Zulässigkeit des Hilfsantrages ausgeht.
Die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten zu dem Hilfsantrag werden dahin gehend ausgelegt, dass mit seinem – aus seiner Sicht kostenauslösenden – Antrag bei der Beklagten wohl ein Antrag auf Erlass einer Entscheidung über die Kosten im Widerspruchsverfahren gemäß Art. 80 Abs. 1 BayVwVfG gemeint ist. Ist eine Kostenentscheidung unterblieben, können die Betroffenen in entsprechender Anwendung von § 120 VwGO eine Ergänzung des Widerspruchsbescheides beantragen (vgl. Kopp/Schenke, aaO, § 73, Rn. 19).
Der so verstandene Hilfsantrag auf Erstattung von Kosten im Verfahren gemäß § 120 VwGO analog ist allerdings unbegründet, weil die Kostenentscheidung zwar einen selbständig einklagbaren bzw. anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt (Kopp/Schenke, aaO), allerdings bereits durch die Verknüpfung des Art. 80 Abs. 1 BayVwVfG („Ist der Widerspruch erfolgreich,…“) deutlich wird, dass dies keinen eigenständigen Gebührenanspruch begründen kann. Auch im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß Art. 80 Abs. 3 BayVwVfG fallen weitere Rechtsanwaltsgebühren nicht an (so unter Verweis auf § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 RVG BeckOK VwVfG/Kunze aaO, § 80, Rn. 118).
Im Übrigen ist der Klägervortrag nicht hinreichend konkret und substantiiert, so dass weitere Ausführungen nicht angezeigt sind.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.


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