Arbeitsrecht

Fehlende Klagebefugnis einer Gemeinde gegen eine fachaufsichtliche Weisung über eine Geschwindigkeitsbeschränkung

Aktenzeichen  M 23 K 16.5497

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151125
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 28 Abs. 2 S. 1
BayGO Art. 109 Abs. 2 S. 2
StVO § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 5, Abs. 9
VwGO § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine fachaufsichtliche Weisung gegenüber einer Gemeinde im Straßenverkehrsrecht ist ausnahmsweise ein für die Gemeinde anfechtbarer belastender Verwaltungsakt, wenn die Rechtswirkung der Weisung unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden materiellen Rechts nicht im staatlichen Innenbereich verbleibt, sondern auf den rechtlich geschützten Bereich der Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten übergreift und damit Außenwirkung erzeugt bzw. eine Rechtsverletzung bedingt (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 39168). (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Straßenverkehrsrecht ist insbesondere dann von der über den staatlichen Innenbereich hinausgehenden Wirkung einer fachaufsichtlichen Weisung auszugehen, wenn die Gemeinde geltend machen kann, sie sei durch die Weisung in ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine angemessene Berücksichtigung und Unterstützung ihrer örtlichen Verkehrsplanung gemäß § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO beeinträchtigt (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 39168). Dies setzt voraus, dass die Gemeinde über ein bestimmten Mindestanforderungen genügendes städtebauliches Verkehrskonzept verfügt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3 Selbst wenn man annimmt, dass die Gemeinde als örtliche Straßenverkehrsbehörde aus Art. 109 Abs. 2 S. 2 BayGO eine wehrfähige Rechtsposition gegen staatliche Aufsichtsmaßnahmen hat, wenn es um eine Ermessensentscheidung als Ergebnis des gemeindlichen Verwaltungshandelns geht (so BayVGH, Beschl. v. 31.10.2984 – 11 B 83 A.2869), besteht das Abwehrrecht einer Gemeinde gegen fachaufsichtliche Maßnahmen nicht immer, wenn sie ihr Handeln ganz generell auf ein Gesetz stützt, das ihr Ermessen einräumt. Vielmehr kommt ein Abwehrrecht nur dann in Betracht, wenn durch die Weisung auch tatsächlich und konkret in dieses ihr zustehende Verwaltungsermessen eingegriffen wird. Hieran fehlt es, wenn sich die Weisung ausschließlich auf den Subsumtionsvorgang hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm richtet.  (Rn. 38 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits mangels Klagebefugnis der Klägerin unzulässig, mindestens jedoch unbegründet ist.
Anfechtungsklagen sind nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss nach dem Vorbringen des Klägers die Verletzung seiner Rechte möglich sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die vom Kläger behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen können. Ob der Kläger nach seinem zu substantiierenden Vorbringen in seinen Rechten verletzt sein kann, ist dabei nach den Vorschriften des materiellen Rechts zu beurteilen (BVerwG, U. v. 20.4.1994 – 11 C 17/93 – juris m. w. N.).
Bereits nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin ist vorliegend auszuschließen, dass sie durch die streitgegenständliche fachaufsichtliche Weisung des Landratsamts vom 14. September 2016 in eigenen Rechten verletzt ist.
Die Aufgaben und Befugnisse der (örtlichen) Straßenverkehrsbehörden zur Regelung des Straßenverkehrs gehören seit jeher zu den an sich staatlichen Aufgaben, nicht zu den Angelegenheiten des gemeindeeigenen, durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 BV geschützten Wirkungskreises. Demgemäß erfüllt eine Gemeinde, wenn sie – wie die Klägerin – als örtliche Straßenverkehrsbehörde nach den §§ 45, 44 Abs. 1 Satz 1 StVO i. V. m. Art. 3 und Art. 6 Satz 1 des Gesetzes über Zuständigkeiten im Verkehrswesen vom 28. Juni 1990 (ZustGVerk) sowie Art. 4 Abs. 1 Satz 3 der Verwaltungsgemeinschaftsordnung für den Freistaat Bayern (VGemO) i.V.m. § 1 Nr. 5 der Verordnung über Aufgaben der Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnet, staatliche Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis.
Daraus folgt, dass die Fachaufsichtsbehörde nicht schon dadurch in das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eingreift, dass sie gegen den Willen der Gemeinde eine angeordnete Geschwindigkeitsreduzierung auf bestimmten Straßen aufhebt (BVerwG, U.v. 20.4.1994 – 11 C 17/93 – juris). Fachaufsichtliche Weisungen im Straßenverkehrsrecht gegenüber einer Gemeinde können von dieser im Allgemeinen nicht angefochten werden, weil ihnen das für die Annahme eines Verwaltungsakts notwendige Merkmal der unmittelbaren Außenwirkung fehlt, jedenfalls aber regelmäßig keine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist. Allerdings kann eine solche fachaufsichtliche Weisung ihrem objektiven Sinngehalt nach auf Außenwirkung gerichtet und damit ein für die Gemeinde anfechtbarer belastender Verwaltungsakt sein, wenn ihre Rechtswirkung unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden materiellen Rechts nicht im staatlichen Innenbereich verbleibt, sondern auf den rechtlich geschützten Bereich der Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten übergreift und damit Außenwirkung erzeugt bzw. eine Rechtsverletzung bedingt (BVerwG, U.v. 20.04.1994 – 11 C 17.93, 14.12.1994 – 11 C 4/94; BayVGH, B.v. 7.4.2000 – 11 ZS 99.2198 und B.v. 21.7.2009 – 11 C 09.712; VG München, U.v. 17.2.2016 – M 23 K 15.178; VG Regensburg, U.v. 5.7.2000 – RO 9 K 99.627 – jeweils juris).
Dementsprechend kann die Klagebefugnis einer Gemeinde insbesondere dann nicht verneint werden, wenn sie geltend machen kann, sie sei durch eine fachaufsichtliche Maßnahme in ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine angemessene Berücksichtigung und Unterstützung ihrer örtlichen Verkehrsplanung gemäß § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO beeinträchtigt (BVerwG, U.v. 14.12.1994, a. a. O.; BayVGH, B.v. 7.4.2000, a. a. O.). Indem diese Bestimmung zu notwendigen Anordnungen für eine geordnete städtebauliche Entwicklung ermächtigt, ermöglicht sie nämlich auch eine Förderung gemeindlicher Verkehrskonzepte und dient damit nicht nur staatlichen Interessen, sondern zugleich den zum Selbstverwaltungsbereich gehörenden Planungs- und Entwicklungsbelangen der Gemeinde (BVerwG, U.v. 20.4.1994; BayVGH, B.v. 7.4.2000; VG München, U.v. 17.12.2016 – jeweils a. a. O.). In diesem Rahmen kann der geschützte Selbstverwaltungsbereich der Gemeinde insbesondere beeinträchtigt sein, wenn die Gemeinde durch Weisungen der Fachaufsichtsbehörde an der Umsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen bzw. an deren Aufrechterhaltung gehindert wird, sofern die betreffenden verkehrsrechtlichen Anordnungen der Gemeinde – zumindest auch – einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen und sie unterstützen (BVerwG, U.v. 14.12.1994, a. a. O.). Dies setzt wiederum aber voraus, dass die Gemeinde über ein bestimmten Mindestanforderungen genügendes städtebauliches Verkehrskonzept verfügt, d. h. ein kommunales Verkehrskonzept vorweisen kann, das hinreichend konkret die verkehrsmäßigen Planungen in einem bestimmten räumlichen Bereich darstellt, das von den für die Willensbildung der Gemeinde zuständigen Organen beschlossen worden ist, das den Erfordernissen einer planerischen Abwägung genügt und das insbesondere Darlegungen enthält, welche bestimmten Straßenzüge entlastet und welche neuen Straßenzüge in für die dortigen Anwohner zumutbarer Weise belastet werden sollen und können (BVerwG, U.v. 20.4.1994; VG Regensburg, U.v. 5.7.2000; VG München, U.v. 17.2.2016 – jeweils a. a. O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend dem Gericht weder dargetan noch wäre es ersichtlich, dass die streitgegenständliche fachaufsichtliche Weisung des Landratsamts in die soeben beschriebene Planungshoheit der Klägerin eingreifen und sie in ihrer Rechtsstellung als Selbstverwaltungskörperschaft berührt sein könnte.
Für das in Rede stehende Gemeindegebiet der Klägerin besteht zweifelsohne kein Verkehrskonzept, nach dem die geordnete städtebauliche Entwicklung durch Einrichtung bestimmter Geschwindigkeitsbeschränkungen unterstützt werden soll und welches durch die fachaufsichtliche Weisung beeinträchtigt sein könnte. Vielmehr wird die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung zur Geschwindigkeitsbegrenzung vom 14. Juli 2016 ausschließlich mit Aspekten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründet, um einer von Klageseite angenommenen örtlichen Gefahrenlage nach § 45 Abs. 9 StVO entgegenzuwirken. Dies geht insbesondere auch aus den Gemeinderatsbeschlüssen vom 23. März 2016 und vom 11. Mai 2016 und dem Vortrag der Klägerin im gerichtlichen Verfahren hervor. Hingegen dient die verkehrsrechtliche Anordnung vorliegend nicht – zumindest auch – der Umsetzung gemeindlicher Entwicklungsplanungen, so dass auszuschließen ist, dass die Klägerin durch das Einschreiten des Landratsamts in ihrem etwaigen Recht auf angemessene Berücksichtigung ihrer örtlichen Verkehrsplanung im Sinne des § 45 Abs. 1b Nr. 5 Alt. 2 StVO betroffen sein könnte.
Zwar sah der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 13. August 2001 auch die sich aus Art. 3 Abs. 1 ZustGVerk ergebende sachliche Zuständigkeit einer Gemeinde für den Erlass verkehrsrechtlicher Anordnungen in ihrem Gemeindegebiet als vom Selbstverwaltungsrecht erfasst an und stützte hierauf deren Klagebefugnis (BayVGH, U.v. 13.08.2001 – 11 B 98.1058 – juris Rn. 18). Ob an dieser Rechtsprechung festgehalten wird, ließ er in einem zeitlich nachfolgenden Urteil allerdings ohnehin offen (BayVGH, U.v. 21.02.2011 – 11 B 09.3032 – juris Rn. 26). Jedenfalls aber ist die im Urteil vom 13. August 2001 vorgenommene rechtliche Bewertung mangels Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden Sachverhalte auf die streitgegenständliche Konstellation nicht übertragbar.
Denn in dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall handelte das Landratsamt nicht im Rahmen der Fachaufsicht, sondern anstelle der Gemeinde, indem es selbst eine verkehrsrechtliche Anordnung erließ. Infolgedessen machte die Gemeinde die Missachtung der ihr als örtlicher Straßenverkehrsbehörde gemäß Art. 3 Abs. 1 ZustGVerk zustehenden Kompetenzen geltend. Nach den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist eine Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts unter diesem Gesichtspunkt nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil es sich nach Art. 6 ZustGVerk bei den von den Gemeinden als örtlichen Straßenverkehrsbehörden nach Art. 2 ZustGVerk wahrzunehmenden Aufgaben um solche des übertragenen Wirkungskreises handelt und die Klägerin als kreisangehörige Gemeinde in ihrer Funktion als örtliche Straßenverkehrsbehörde nach Art. 6 Satz 2 ZustGVerk der Fachaufsicht durch das Landratsamt unterliegt. Zwar sei in den Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises die staatliche Aufsicht stärker ausgebaut als in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises. Dies ändere jedoch nichts daran, dass auch die Auftragsangelegenheiten gemeindliche Angelegenheiten seien, die von der Gemeinde im eigenen Namen besorgt werden. Soweit die Rechtsordnung ihre Erledigung durch die Gemeinden vorschreibe, könne daher die Fachaufsichtsbehörde die Erledigung nicht an sich ziehen. Vielmehr könne der Staat mit Rücksicht auf das Selbstverwaltungsrecht auch im übertragenen Wirkungskreis den Gemeinden Aufgaben nur im Wege der Gesetzgebung entziehen. Dementsprechend werde das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht verletzt, wenn er ohne Rechtsgrundlage anstelle der Gemeinde tätig wird (BayVGH, a.a.O.).
Eine solche Konstellation ist vorliegend aber nicht gegeben. Das Landratsamt bewegt sich mit der fachaufsichtlichen Weisung – unabhängig von der Rechtmäßigkeit derselben – jedenfalls im Rahmen der in Art. 109 ff. GO zum Zwecke des korrigierenden Eingriffs in das gemeindliche Verwaltungsgebaren vorgesehenen Maßnahmen. Weder nimmt es ein Selbsteintrittsrecht für sich in Anspruch, noch wird die originäre Zuständigkeit der Gemeinde zum Erlass straßenverkehrsrechtlicher Anordnungen gemäß Art. 3 Abs. 1 ZustGVerk in sonstiger Weise bestritten.
Von einer Außenwirkung einer fachaufsichtlichen Weisung im Sinne oben genannter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnte weiter auszugehen sein, wenn sie eine Anordnung nach § 45 Abs. 1c StVO zum Gegenstand hat. Hiernach ordnen die Straßenverkehrsbehörden Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an, der insoweit eine klage- und wehrfähige Rechtsposition gegenüber der Straßenverkehrsbehörde zukommt (vgl. BayVGH, U.v. 21.02.11 – 11 B 09.3032 – juris Rn. 27; B.v. 21.7.2009 – 11 C 09.712 – juris Rn. 9). Diesbezüglich fehlt es aber zweifelsohne bereits am Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift, da Gegenstand der gemeindlichen Anordnung keine innerörtliche Tempo-30-Zone ist.
Schließlich lässt sich die Klagebefugnis der Klägerin entgegen ihrer Auffassung im konkreten Fall auch nicht aus Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO selbst ableiten.
Die Klagepartei beruft sich zur Begründung auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach eine Gemeinde auch als örtliche Straßenverkehrsbehörde aus Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO eine wehrfähige Rechtsposition gegen staatliche Aufsichtsmaßnahmen habe, wenn es um eine Ermessensentscheidung als Ergebnis des gemeindlichen Verwaltungshandelns geht (BayVGH, B.v. 31.10.1984 – 11 B 83 A.2869 – BayVBl. 1985, 368 f.).
Dieser Beschluss, der in der Rechtsprechung überwiegend keinen Widerhall gefunden hat (anders aber: VG Augsburg, U.v. 02.12.2014 – Au 3 K 14.1015 – juris Rn. 24 f), dürfte durch spätere anderweitige Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs überholt sein (vgl. BayVGH U.v. 9.11.1993 – 10 B 91.3747 – unveröffentlicht) und ist in seiner Allgemeinheit nach einhelliger Auffassung zumindest einschränkend auszulegen (vgl. Reigl, BayVBl. 1985, 369 f.; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand Dezember 2015, Art. 109 Rn. 9 f., Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Stand 1.7.2002, Art. 109, S. 4ff.). Demnach besteht das Abwehrrecht einer Gemeinde gegen fachaufsichtliche Maßnahmen des Staates nicht schon immer dann, wenn sie ihr Handeln ganz generell auf ein Gesetz stützt, das ihr ein Ermessen einräumt, sondern kommt erst und ausschließlich dann in Betracht, wenn durch die Weisung auch tatsächlich und konkret in dieses ihr zustehende Verwaltungsermessen eingegriffen wird. Dem folgt das erkennende Gericht. Bereits seinem Wortlaut nach schränkt Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO die Befugnis der Fachaufsichtsbehörden, Weisungen zu erteilen, nicht allgemein ein, sondern nur in Bezug auf „Eingriffe in das Verwaltungsermessen“. Auch Systematik und Entstehungsgeschichte des Art. 109 Abs. 2 GO sprechen gegen eine weitergehende Auslegung. Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO, welcher „Eingriffe in das Verwaltungsermessen“ auf bestimmte Fälle beschränkt, ist in Bezug zu Satz 1 zu setzen, welcher die Fachaufsicht – im Gegensatz zur Rechtsaufsicht – „auch“ auf die „Handhabung des gemeindlichen Verwaltungsermessens“ erstreckt. Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass Satz 2 nur die Rechtsfolgenseite, nämlich den Teilbereich des Ermessens, anspricht und als Ausnahme zu Satz 1 zu verstehen ist. Neben dem gesetzgeberischen Willen sprechen schließlich auch teleologische Gesichtspunkte für ein enges Verständnis von Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO, da das dem übertragenen Wirkungskreis eigentümliche Weisungsrecht der Fachaufsichtsbehörden (Art. 83 Abs. 4 Satz 3 BV, Art. 8 Abs. 2 und Art. 116 Abs. 1 S. 2 GO) andernfalls weitgehend leerliefe und ein einheitlicher Verwaltungsvollzug kaum mehr gewährleistet werden könnte. Demnach muss der Schutzumfang der Norm auf die eigentliche Ermessensausübung durch die Gemeinde beschränkt sein. Dies bedeutet, dass, soweit sich die Weisung auf einen sog. „Mischtatbestand“ bezieht, die Gemeinde die konkrete Subsumtion der Aufsichtsbehörde, auch hinsichtlich der Auslegung und Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, gar nicht angreifen kann. Erst und allenfalls wenn sich die Möglichkeit der Ermessensausübung ergibt, nachdem die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm sowohl von der Gemeinde als auch von der Aufsichtsbehörde bejaht wurden, käme eine Berufung auf Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO zur Begründung der Klagebefugnis in Betracht (vgl. Reigl, BayVBl. 1985, 369 f.; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand Dezember 2015, Art. 109 Rn. 9 f.).
Dementsprechend haben Gemeinden einen im Verwaltungsrechtsweg durchsetzbaren Anspruch nur darauf, dass fachaufsichtliche Eingriffe in das Verwaltungsermessen nur zulässig sind, wenn das Wohl der Allgemeinheit eine Weisung erfordert, nicht aber auch darauf, dass die Weisung inhaltlich rechtmäßig ist. Sie müssen einer unter Beachtung von Art. 109 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 GO erteilten Weisung auch dann nachkommen, wenn sie das weisungsgemäße Handeln für rechtswidrig halten; insoweit steht ihnen kein Abwehranspruch zu, der im Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht werden könnte (vgl. BVerwG, B.v. 14.3.1994 – 1 B 25/94 – juris Rn. 4 unter Berufung auf BayVGH U.v. 9.11.1993 – 10 B 91.3747 – unveröffentlicht).
In vorliegendem Fall traf die Klägerin eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO. Diese Vorschrift ermächtigt die Straßenverkehrsbehörde, Anordnungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen – Gründe der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, zwingende Erforderlichkeit, besondere örtliche Verhältnisse, etc. – gegeben sind. Bei dieser Norm handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Die vom Landratsamt erteilte fachaufsichtliche Weisung richtet sich aber ausschließlich auf den Subsumtionsvorgang hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm, nämlich auf die Anwendung und Subsumtion der unbestimmten Rechtsbegriffe der „besonderen örtlichen Verhältnisse“ und der „das allgemeine Risiko erheblich übersteigenden Gefahrenlage“, nicht aber auf die Rechtsfolgenbewertung. Die Weisung des Landratsamts kann daher selbst bei Zugrundelegung einer etwaigen Klagebefugnis aus Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GO nicht als Eingriff in den der Gemeinde zugeordneten Ermessensbereich gewertet werden.
Die Klage ist daher mangels Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig, zumindest unbegründet, da die Klägerin aus den genannten Gründen nicht in eigenen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt sein kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.4.1994, a.a.O.: bejaht die Zulässigkeit, verneint aber die Begründetheit der Klage einer Gemeinde gegen einen Widerspruchsbescheid zur Aufhebung einer angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung bei fehlendem städtebaulichen Konzept im Sinne des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO).
Über die materielle Rechtmäßigkeit der fachaufsichtlichen Weisung des Landratsamts vom 14. September 2016, die verkehrsrechtliche Anordnung zur Geschwindigkeitsreduzierung entlang der Egger Straße zurückzunehmen, war somit vorliegend nicht mehr zu entscheiden.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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