Arbeitsrecht

Kostenerstattung durch den Bund für das vom zugelassenen kommunalen Träger eingesetzte Personal

Aktenzeichen  L 7 AS 707/19 KL

Datum:
1.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35248
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 6, § 6a, § 6b, § 46
GG Art. 28, Art. 91e, Art. 104a, Art. 106

 

Leitsatz

Wenn eine Optionskommune Personal für die Erledigung von Vollzugsaufgaben des Bundes im Bereich des SGB II einsetzt, das die Kommune nicht selbst bezahlen muss (wie zB einen der Kommune überlassenen Staatsbeamten), hat der Bund der Optionskommune die Kosten zu erstatten, die der Kommune in dieser Zeit entstanden sind für vergleichbare kommunale Bedienstete, die alternativ für die Vollzugsaufgaben hätten eingesetzt werden können. (Rn. 65)
1. Ob und in welcher Höhe ein Anspruch des zugelassenen kommunalen Trägers gegenüber dem Bund aufgrund des Vollzugs von Aufgaben des Bundes besteht, ergibt sich aus § 6b Abs. 2 S. 1 SGB II. Die KoA-VV als Verwaltungsvorschrift ist nicht geeignet, einen gesetzlich bestehenden Zahlungsanspruch des zugelassenen Trägers gegenüber dem Bund einzuschränken oder gar auszuschließen- (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Bund hat auch dann Personalkosten zu erstatten, wenn der zugelassene Träger für die Erledigung von Vollzugsaufgaben im Bereich des SGB II Personal einsetzt, das die Kommune nicht selbst bezahlen muss (wie zB einen der Kommune überlassenen Staatsbeamten). Es sind dann die Kosten zu erstatten, die der Kommune für vergleichbare kommunale Bedienstete entstanden sind, die alternativ für die Vollzugsaufgaben hätten eingesetzt werden können. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 176.467,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für einen Teilbetrag in Höhe von 44.767,96 Euro ab dem 05. November 2019 und für einen Teilbetrag in Höhe von 131.899,52 Euro ab dem 09.Oktober 2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf 177.854,96.

Gründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 176.467,48 Euro verlangen.
Streitgegenstand ist vorliegend jeweils die Erstattung der jeweiligen Personalkosten für das vom Kläger zum Vollzug des SGB II in den Jahren 2016, 2017 und 2018 eingesetzte Personal.
1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage i.S. des § 54 Abs. 5 SGG statthaft (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 40) und auch im Übrigen zulässig.
Das LSG ist erstinstanzlich nach § 29 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig; danach entscheiden die Landessozialgerichte über Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b SGB II.
Die örtliche Zuständigkeit des LSG Bayern folgt aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG.
2. Die Klage ist bezüglich der vom Kläger geltend gemachten Erstattungsforderung iHv 177.854,96 Euro zum Großteil, nämlich iHv 176.467,48 Euro, begründet.
Der Klägerin hat insoweit einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte aus § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II iVm § 46 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II. Bei den geltend gemachten Personalkosten iHv 176.467,48 Euro handelt es sich um „Aufwendungen“ iSd § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II.
a) Nach § 6b Abs. 2 SGB II (seit 27.07.2010 erfolgt auch mit dem durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 91e – vom 21.07.2010 – BGBl I 944 eingeführten Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG eine entsprechende Regelung), der die einfachgesetzliche Rechtsgrundlage zur finanzverfassungsrechtlichen in Art. 106 Abs. 8 GG darstellt, trägt der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Die Klägerin ist ein zugelassener kommunale Träger iSv Art. 91e Abs. 2 Satz 1 GG (gültig ab 01.01.2011) iVm § 6a SGB II sowie § 1 und der zugehörigen Anlage (Bayern Nr. 2) der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung – KomtrZV) vom 24.09.2004 (BGBl I 2349) und war damit im streitgegenständlichen Zeitraum an Stelle der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit (auch) Träger der Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB mit Ausnahme der sich aus den §§ 44b, 50, 51a, 51b, 53, 55, und 65d SGB II (bis 31.12.2010) bzw aus den §§ 44b, 48b, 50, 51a, 51b, 53, 55, 56 Absatz 2, §§ 64 und 65d SGB II ergebenden Aufgaben.
Damit waren dem Kläger ua die Verwaltungskosten von der Beklagten zu erstatten, soweit es sich nicht um die Aufwendungen im Zusammenhang mit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II handelt, für die auch im Rahmen eines nicht zugelassen kommunalen Trägers keine Zuständigkeit des Bundes, sondern eine kommunale Trägerschaft besteht. Zu erstatten sind vom Bund insoweit die Verwaltungskosten eines zugelassenen kommunalen Trägers, die nicht seinen Leistungsbereich nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II betreffen. Insofern ergibt sich aus § 6b Abs. 2 Satz 2 iVm § 46 Abs. 3 Satz 1 SGB II eine Pflicht zur Kostenerstattung durch den Bund im Umfang von 84,8% in Bezug auf die Gesamtverwaltungskosten.
Die Ermittlung der von der Beklagten zu erstattenden Verwaltungskosten richtet sich im Detail nach der von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages beschlossenen KoA-VV, die die zwischen den Beteiligten bestehende Finanzbeziehung konkretisiert und eine Verordnung nach Art. 84 Abs. 2 GG bzw ab 01.01.2011 nach § 48 Abs. 3 SGB II (danach ist nunmehr das BMAS mit Zustimmung des Bundesrates befugt, entsprechende Verwaltungsvorschriften zu erlassen) darstellt. Damit soll Einheitlichkeit, Transparenz und Rechtssicherheit bei der Abrechnung von Aufwendungen und der Bewirtschaftung von Bundesmitteln im HKR-Verfahren geschaffen, der Verwaltungsaufwand reduziert, das Abrechnungsverfahren vereinfacht und Doppelabrechnungen durch weitgehende Pauschalierung von Verwaltungskosten vermieden, ein verbindliches Verfahren bei der Berechnung und Bewirtschaftung des kommunalen Finanzierungsanteils an den Verwaltungskosten erreicht und eine Gleichbehandlung der zugelassenen kommunalen Träger mit anderen Organisationsformen sichergestellt werden (vgl dazu Begründung zur KoA-VV: BR-Drs 180/08, Seite 2).
Die Vorschriften der KoA-VV sind grundsätzlich geeignet, diese Ziele zu verwirklichen (BayLSG Urteil vom 20.12.2017, L 11 AS 391/14 KL). Es wurde damit ein Ausgleich zwischen einer notwendigen weitgehenden Vereinheitlichung der Abrechnungsvorgänge und der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie iSv Art. 28 Abs. 2 GG hergestellt (so auch BR-Drs 180/08 Seite 92). Der Bundesrechnungshof sieht die Vorschriften der KoA-VV als geeignet an, die für Zeiträume vor deren Einführung von ihm festgestellten Mängel bei der Bemessung der vom Bund zu tragenden Verwaltungskosten zu beheben und die Einheitlichkeit der Abrechnung der Aufwendungen der zugelassenen kommunalen Träger sicherzustellen (vgl Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof vom 08.12.2008 – BT-Drs 16/11000 Seite 154).
Allerdings ist die KoA-VV als Verwaltungsvorschrift nicht geeignet, einen gesetzlich aufgrund von § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II bestehenden Zahlungsanspruch eines kommunalen zugelassenen Trägers gegenüber dem Bund einzuschränken oder sogar auszuschließen. Ob und ggf in welcher Höhe ein Anspruch gegenüber dem Bund aufgrund des Vollzugs von Aufgaben des Bundes durch einen zugelassen Träger besteht, ergibt sich allein aus § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II. Soweit Kläger und Beklagte sich deshalb auf die Regelungen des KoA-VV beziehen und hieraus einen Anspruch herleiten bzw verneinen wollen, führt dies nicht weiter. In der KoA-VV ist die Fallgestaltung, dass ein bayerischer Staatsbeamter, den der Freistaat Bayern dem kommunalen zugelassenen Träger kostenfrei überlassen hat, Vollzugsaufgaben des Bundes erledigt, nicht geregelt.
b) § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II verpflichtet die Beklagte zur Erstattung von „Aufwendungen“, die dem Kläger beim Vollzug des SGB II entstanden sind. Was erstattungsfähige „Aufwendungen“ iSd § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II sind, ist ausgehend von den verfassungsrechtlichen Vorgaben festzustellen.
Zu Recht geht die Beklagte zunächst davon aus, dass Ausgangspunkt für die Auslegung von § 6 Abs. 2 SGB II die grundgesetzliche Vorgabe des Art. 91e GG sein muss. § 6b Abs. 2 SGB II setzt auf einfachgesetzlicher Ebene insoweit Art. 91e Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes um, wonach der Bund die „notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungskosten“ des kommunalen Trägers trägt, „soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen“ durch eine kommunale Einrichtung „vom Bund wahrzunehmen sind“. Ebenfalls zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass zum Verständnis, was unter „notwendigen Ausgaben“ iS von Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG zu verstehen ist, andere Normen, insbesondere Art. 104a GG und Art. 106 GG, grundsätzlich nicht außer Betracht bleiben dürfen.
aa) Die konkreten Kosten des bayerischen Staatsbeamten kann der Kläger aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht verlangen.
Art. 104a GG regelt die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Land und schließt Zahlungen an eine Kommune durch den Bund aus. Der Bund erstattet einem Land dessen „Ausgaben“, soweit diese dem Bund zurechenbar sind. Aus dieser Finanzregelung ergibt sich, dass der Kläger als Kommune keine Ausgaben des Freistaates Bayern vom Bund einfordern kann, auch nicht stellvertretend für den Freistaat Bayern oder als eigene Ausgaben irgendwelcher Art für den Vollzug des SGB II.
Art. 104a GG verbietet, § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II so auszulegen, dass eine Kommune Ausgaben vom Bund einfordern kann, die auf Landesebene und gerade nicht auf kommunaler Ebene entstanden sind. Die strikte Trennung von Bundes- und Länderhoheit setzt sich im Bereich der Finanzverfassung fort (vgl. Art. 104a Abs. 1, Art. 109 Abs. 1 GG) und wird mit Blick auf die Kommunen in Art. 106 Abs. 9 GG noch einmal ausdrücklich bestätigt (vgl BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 92). Im zweistufigen Bundesstaat des Grundgesetzes sind die Kommunen – unbeschadet ihrer finanzverfassungsrechtlichen Absicherung durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3, Art. 106 Abs. 5 bis Abs. 8 GG – grundsätzlich Teil der Länder (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 90).
bb) Allerdings ergibt sich ein Anspruch des Klägers aus § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für einen vergleichbaren kommunalen Bediensteten, der für den im Vollzug des SGB II eingesetzten Staatsbeamten hätte eingesetzt werde können.
§ 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II ist im Lichte der verfassungsrechtlichen Sonderregelung des Art. 91e Abs. 2 Satz 2 und den Vorgaben aus Art. 28 Abs. 2 GG betreffend das kommunale Selbstverwaltungsrecht in diesem Sinne auszulegen.
aaa) In seiner Grundsatzentscheidung zu Art. 91e GG hat das BVerfG das Zusammenspiel von Art. 91e GG und Art. 28 Abs. 2 GG ausführlich dargestellt und dabei die Bedeutung von Art. 28 Abs. 2 GG für die Optionskommunen im Zusammenhang mit dem Vollzug von Aufgaben des Bundes im Bereich des SGB II besonders betont (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11).
Die Regelung über die Kostentragung in Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG, wonach der Bund bei einer Aufgabenwahrnehmung durch Optionskommunen die Kosten trägt, soweit er dies auch im Regelfall des Art. 91e Abs. 1 GG täte, bedeutet in der Sache eine direkte Finanzierung kommunalen Verwaltungshandelns durch den Bund. Dies ermöglicht es, die Verteilung der Finanzierungslasten zwischen Bund und Ländern im Übrigen unangetastet zu lassen, in der Sache jedoch eine punktuelle Abweichung von den Grundsätzen des Art. 104a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 GG vorzunehmen, wobei Art. 91e GG den allgemeinen Regelungen der Finanzverfassung vorgeht (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 88). Indem Art. 91e Abs. 2 GG unmittelbare Verwaltungs- und Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen herstellt, durchbricht er, wenn auch nur punktuell, die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus der Bunderepublik Deutschland (BVerfG aaO Rz 89).
Zusammen mit der Finanzierungsbefugnis hat der verfassungsändernde Gesetzgeber dem Bund auch die Möglichkeit einer Finanzkontrolle eröffnet. Ohne eine solche Finanzkontrolle bestünde die Gefahr, dass Vollzugs- und Finanzierungsverantwortung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende auseinanderfallen und keine Anreize für ein wirtschaftliches und sparsames Verwaltungshandeln der Optionskommunen bestehen (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 92). Angesichts dieser verfassungsrechtlich ungewöhnlichen Konstellation hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die Finanzbeziehungen in diesem eng abgegrenzten Bereich neu geordnet und dem Bund nicht nur die Finanzierungslast zugewiesen, sondern ihm auch die Befugnis wirksamer Finanzkontrolle eingeräumt (BVerfG aaO Rz 92).
Die (Rechts- und Fach-)Aufsicht über die Optionskommunen ist hingegen nicht Regelungsgegenstand von Art. 91e GG (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 98). Die Aufsicht über Gemeinden und Gemeindeverbände bleibt insoweit Sache der Länder. Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Chance darauf ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als sogenannte Optionskommune alleinverantwortlich wahrzunehmen (BVerfG aaO Rz 113). Hat der Gesetzgeber Kreisen und Gemeinden Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen, fällt deren Erledigung grundsätzlich in den Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG (BVerfG aaO Rz 115).
Eine Regelung gemeindlicher Angelegenheiten in eigener Verantwortung, wie sie Art. 28 Abs. 2 GG garantiert, ist ohne eine gewisse Selbstständigkeit bei der Organisation der Aufgabenwahrnehmung nicht vorstellbar (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 117). Eine umfassende staatliche Steuerung der kommunalen Organisation widerspräche der vom Verfassungsgeber vorgefundenen und in Art. 28 Abs. 2 GG niedergelegten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Zu der von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden garantierten Eigenverantwortlichkeit gehört daher auch die Organisationshoheit. Sie gewährleistet den Gemeinden das grundsätzliche Recht, die Wahrnehmung der eigenen Aufgaben, Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im Einzelnen festzulegen und damit auch über Gewichtung, Qualität und Inhalt der Entscheidungen zu befinden. Die Organisationshoheit von Gemeinden und Gemeindeverbänden verbietet Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen ersticken würden. Zu ihr rechnet ferner die Möglichkeit, für die Wahrnehmung einzelner Verwaltungsaufgaben aus mehreren vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Organisationsformen auswählen zu können (BVerfG aaO Rz 117).
Die Organisationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände erfasst sowohl den eigenen als auch den übertragenen Wirkungskreis (vgl BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 118).
Der Gesetzgeber muss der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung tragen und ihnen bei der Ausgestaltung ihrer internen Organisation eine hinreichende (Mit-)Verantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben lassen (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 119). Daraus folgt nicht nur, dass den Gemeinden insgesamt nennenswerte organisatorische Befugnisse verbleiben müssen, sondern auch, dass ihnen ein hinreichender organisatorischer Spielraum bei der Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabenbereiche offengehalten wird. Unterschiede zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises mögen dabei eine Rolle spielen; in keinem Fall darf jedoch ausgeschlossen werden, dass die Gemeinden im Bereich ihrer inneren Organisation individuell auf die besonderen Anforderungen vor Ort durch eigene organisatorische Maßnahmen reagieren können (BVerfGE aaO Rz 119).
Die durch Art. 28 Abs. 2 GG verbürgte Organisationshoheit gestattet es den Kommunen, über ihre interne Organisation und Willensbildung grundsätzlich selbst zu entscheiden. Sie umfasst das Recht zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte und gewährleistet insoweit eine grundsätzliche Freiheit von staatlicher Reglementierung in Bezug auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung (vgl BVerfGE Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 128). Art. 28 Abs. 2 GG verbürgt auch die Befugnis der Gemeinden und Gemeindeverbände, über „Ob“, „Wann“ und „Wie“ bei der Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Aufgaben im Rahmen der Gesetze grundsätzlich eigenverantwortlich zu entscheiden.
bbb) Diese vom BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung zu Art. 91e GG in anderem Zusammenhang dargestellten Grundsätze sind für die Auslegung von § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II gleichermaßen gültig und anzuwenden.
Konkret bedeutet dies, dass es einem zugelassenen kommunalen Träger freigestellt ist, wie er intern den Vollzug des SGB II ausgestaltet. Eine Optionskommune muss frei von Finanzierungsüberlegungen den Vollzug des SGB II organisieren und gerade auch Personal ohne Vorgaben durch den Bund auswählen und einsetzen dürfen. Nur so ist gewährleistet, dass die Kommune ihre gesamten Aufgaben bestmöglich erledigen kann und vor allem auch intern die für die jeweilige Aufgabe am besten geeignete Person mit dem Vollzug dieser Aufgaben betrauen kann.
Würde eine Optionskommune durch ihre interne Organisation der Aufgabenerfüllung der Gefahr ausgesetzt, vom Bund die für den Vollzug des SGB II anfallenden Kosten nicht erstattet zu bekommen, würde dies einen nicht hinnehmbaren Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht bedeuten.
Wenn der Kläger einen kommunalen Bediensteten mit dem Vollzug des SGB II betraut hätte, hätte der Beklagte die Personalkosten für den kommunalen Bediensteten ohne Weiteres getragen. Diese Personalkosten für einen solchen kommunalen Bediensteten sind beim Kläger auch nach der Organisationsentscheidung, (gewissermaßen an dessen Stelle) einen bayerischen Staatsbeamten einzusetzen, entstanden und dem Vollzug des SGB II für den Bund ursächlich zuordenbar. Zur Beurteilung, ob bestimmte Mittelverwendungen oder Ausgaben des zugelassenen kommunalen Trägers „Aufwendungen“ sind, ist darauf abzustellen, ob die Mittelverwendungen sich im Rahmen der dem SGB II zugrundeliegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegen (vgl Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 05/21, § 6b SGB II Rz 6).
Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der konkret mit dem Vollzug des SGB II betraute Staatsbeamte dem Kläger vom Freistaat Bayern kostenfrei zur Verfügung stand. Der Freistaat Bayern hatte der Kommune den Staatsbeamten nicht zum Vollzug von Bundesaufgaben kostenfrei überlassen, sondern zur Erfüllung von Landesaufgaben, ohne dass der Freistaat allerdings bei der Überlassung des Staatsbeamten Vorgaben für dessen Einsatz in der Kommune gemacht hatte, also unter Wahrung des Selbstverwaltungsrechts der Kommune.
Für den kommunalen Bediensteten sind dem Kläger wegen der internen Aufgabenverteilung mittelbar „Aufwendungen“ iSv § 6b Abs. 2 Satz SGB II schon deshalb entstanden, weil der Vollzug des SGB II ohne Personal nicht möglich ist. Als mittelbare Aufwendungen sind diese nach § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II vom Bund zu erstatten, nachdem diese Aufwendungen „ursächlich“ auf den Vollzug des SGB II zurückzuführen sind (vgl Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, 05/21, § 46 SGB II Rz 44).
Der Auslegung des Begriffs „Aufwendungen“ in § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II dahingehend, dass auch mittelbare Aufwendungen davon umfasst sind, steht der in Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG verwendete Begriff der „Ausgaben“ nicht entgegen. Auch wenn der Begriff der „Ausgaben“ im Rahmen des Art. 104a GG, der ebenfalls von „Ausgaben“ spricht, möglicherweise als ein realer Zahlungsfluss zum Zwecke der konkreten Aufgabenerfüllung verstanden werden muss, ist der in Art. 91e GG enthaltene Begriff der „Ausgaben“ unabhängig von Art. 104a GG in einem weiten Sinne von „Aufwendungen“, die auch mittelbar entstehen können, zu verstehen.
Art. 91e GG ist nach der Rechtsprechung eine spezielle Vorschrift, die deshalb auch für sich genommen verstanden werden muss. Art. 91e GG ist zum 27.07.2010 in Kraft getreten, wobei der Gesetzgeber beabsichtigte, dass aufgrund von Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG einem zugelassenen kommunalen Träger sämtliche entstehenden Aufwendungen ersetzt werden, wie es früher bereits in den bis dahin geltenden Fassungen des § 6b SGB II, die allesamt von „Aufwendungen“ sprachen, vorgesehen war. Art. 91e Abs. 2 Satz 2 SGB II sollte durch Verwendung des Begriffes „Ausgaben“ nicht einschränkend wirken im Hinblick auf „Aufwendungen“, die vor Einführung von Art. 91e GG nach § 6b Abs. 2 SGB II insbesondere in der vom 01.01.2007 bis 31.12.2010 geltenden Fassung des § 6b Abs. 2 SGB II vom 22.12.2006 zu erstatten gewesen wären.
cc) Im Ergebnis kann der Kläger aufgrund von § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II verlangen, was ihn der Einsatz eines vergleichbaren kommunalen Bediensteten anstelle des Staatsbeamten gekostet hätte, also die bei ihm real entstandenen mittelbaren „Aufwendungen“ für den Vollzug des SGB II.
Der Kläger hat für die in Streit stehenden Jahre nachvollziehbar Kosten von kommunalen Bediensteten belegt, die anstelle der Staatsbeamten jeweils hätten eingesetzt werden können bzw die beim Vollzug staatlicher Aufgaben tatsächlich eingesetzt wurden, weil der Kläger in Ausübung seines kommunalen Selbstverwaltungsrechts den bzw die Staatsbeamten beim Vollzug des SGB II anderweitig eingesetzt hat.
Im Jahr 2016 hätten nach den vorgelegten Unterlagen die Kosten für den günstigsten kommunalen Bediensteten (84,8% von 57.595,18 Euro=) 48.864,07 Euro betragen, im Jahr 2017 (84,8% von 52.792,41 Euro=) 44.767,96 und im Jahr 2018 für einen ganzjährig Beschäftigten (84,8% von 62.979,57 Euro=) 53.406,67 Euro, für den neun Monate Beschäftigten (84,8% von 65.322,78 Euro=55.393,72 Euro, davon wiederum drei Viertel von 12 Monaten=) 41.545,24 Euro.
Die eingesetzten Staatsbeamten waren nach diesen Berechnungen in den Jahren 2016 und 2018 durchwegs kostengünstiger als vergleichbare kommunale Bedienstete, so dass der Kläger in diesen Jahren auch summenmäßig voll obsiegt.
Soweit der Kläger für das Jahr 2017 für den eingesetzten Staatsbeamten 46.177,28 Euro verlangt, sind diesem nur die Kosten für einen vergleichbaren kommunalen Bediensteten iHv 44.767,96 Euro zuzusprechen, mithin 1.387,48 Euro weniger als geltend gemacht, und die Klage ist im Ergebnis insoweit iHv 1.387,48 Euro abzuweisen.
3. Dem Kläger steht ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung (§ 94 SGG) auch ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zu (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 90ff, vgl auch BSG Urteil vom 12. November 2015, B 14 AS 50/14 R Rz 33).
Nach § 291 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Zinspflicht beginnt dabei wegen § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 90), hier bezüglich der zunächst für das Jahr 2017 mit Klageerhebung am 04.11.2019 geltend gemachten Forderung iHv 46.155,44 Euro, bei der der Kläger mit einem Teilbetrag iHv 44.767,96 Euro erfolgreich war, also ab 05.11.2019, und bezüglich der für die Jahre 2016 und 2018 mit Fax vom 08.10.2020 im Wege der Klageerweiterung geltend gemachten Forderung iHv insgesamt 131.899,52 Euro ab 09.10.2020.
Der Zinssatz beträgt danach für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dass der Zinssatz mit einer bestimmten Anzahl von Prozentpunkten „über“ dem Basiszinssatz definiert ist, bedeutet nicht, dass Anspruch auf eine Mindestverzinsung in Höhe der Festzahl besteht (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 90; vgl auch BSG Urteil vom 25. Oktober 2018, B 7 AY 2/18 R, Rz 22f).
Der Zinssatz ist nicht etwa auf die Höhe des Verzugszinssatzes nach § 6b Abs. 5 Satz 3 SGB II, der für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt, zu begrenzen (LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 91).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nachdem der Kläger nur mit einem geringen Teil der geltend gemachten Forderung unterlegen ist, erscheint es nicht unbillig, der Beklagten die gesamten Kosten aufzuerlegen.
5. Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
6. Der Streitwert war gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz – GKG, da die Klage für die einzelnen Jahre und Personen bezifferte Geldleistungen betrifft, in Höhe der insgesamt in Streit stehenden Geldleistung festzusetzen.


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