Arbeitsrecht

Rückforderung überzahlter Altersrente des für tot erklärten Vaters

Aktenzeichen  S 9 R 1125/16

Datum:
11.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55963
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 118 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger) als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 wird abgeändert wie folgt:
Vom Rückforderungsbetrag in Höhe von 183.324,91 €
werden abgezogen 22.725,81 €

so dass resultieren 160.599,10 €
Weiter wird berücksichtigt,
dass der Kläger bereits gezahlt hat 131.091,44 €
und eine Kostenerstattung der Beklagten
berücksichtigt wird in Höhe von 1.002,46 €

so dass nur noch vom Kläger zu zahlen sind: 28.505,20 €
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger trägt 7/8 der Kosten des Verfahrens, die Beklagte trägt 1/8 der Kosten des Verfahrens, wobei die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt wird.
IV. Der Streitwert wird auf 183.324,91 € festgesetzt.

Gründe

Die zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage ist zulässig, §§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 57 Abs. 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz), jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016, soweit er über das Teilanerkenntnis hinausgeht.
Denn die Beklagte hat einen Rückforderungsanspruch gem. § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI gegen den Kläger.
§ 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI lautet:
Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger) als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet.
Hier erfolgten Überweisungen bzw. Abhebungen zu Lasten des Kontos Nr. … bei der E. lautend auf A.:
– am 28.08.2006 über 53.559,64 €
– am 13.08.2007 über 5.200,00 €
– am 02.01.2008 über 10.000,00 €
– am 17.03.2008 über 6.000,00 €
– am 23.06.2008 über 3.000,00 €
– am 15.07.2008 über 6.105,00 €
– am 29.09.2008 über 5.580,62 €
– am 23.02.2009 über 5.105,00 €
– am 30.12.2013 über 162.848,49 €
– am 05.02.2014 über 1.468,82 €
– am 17.03.2014 über 1.468,82 €
– am 15.04.2014 über 1.468,82 €
– am 15.05.2014 über 1.468,82 €
– am 16.06.2014 über 1.468,82 €.
Verfügender im Sinn von § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI ist, wer als Verfügungsberechtigter über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen hat. In Betracht kommt insofern jeder berechtigte Dritte, der den Kontostand unter den Betrag der überzahlten Geldleistung gesenkt hat, sodass im Zeitpunkt der Rückforderung des Rentenversicherungsträgers kein ausreichendes Guthaben vorhanden war, vgl. Körner, Kasseler Kommentar 101. Erg. Lfg. September 2018, Rn. 28 zu § 118 SGB VI. Verfügende sind danach in der Regel der Kontoinhaber (Inhaber einer Kontovollmacht bzw. der Erbe) und sein Vertreter, vgl. Schlegel/Voelzke, juris-PK, 2. Aufl. 2013, Rn. 146 zu § 118 SGB VI.
Der Kläger hatte eine Vollmacht, denn die Generalvollmacht des A. für D. A. wurde weitergeben an den Kläger als Untervollmacht. Er konnte daher über das Konto verfügen und ist somit Verfügender. Hierzu wird auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.03.2017, L 16/3 U 58/14, verwiesen, das zu der Parallelvorschrift des § 96 Abs. 4 Satz 1 SGB VII ergangen ist. In diesem Fall hatte die kontoverfügungsberechtigte Tochter, die eine Generalvollmacht hatte, das Rentenzahlkonto aufgelöst. Ebenso hat auch das SG Karlsruhe in seinem Urteil vom 22.04.2015, S 16 R 1372/14, Rn. 28, ausgeführt, dass der Sohn der für tot erklärten Mutter, der auch als Pfleger gem. § 1911 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) bestellt war, als Verfügender Adressat eines Erstattungsanspruches ist.
Die Rechtsansicht des Klägers, der Kläger sei nicht Verfügender, kann das Gericht nicht teilen. Denn in dem vom Kläger zitierten Fall (BSG Beschluss vom 12.12.2002, B 4 RA 44/02 R) hatte ein Nachlasspfleger eine Verfügung über das Konto getroffen. Hierbei handelt es sich aber um eine Person, die in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes eine Verfügung vorgenommen hat, so dass daher in der Regel keine Haftung in Betracht kommt. Nur im Ausnahmefall, wenn diese Person etwa gelegentlich der Amtsausübung ein ihr selbst zuzurechnendes Eigengeschäft getätigt hätte, käme eine persönliche Haftung in Betracht, vgl. BSG Beschluss vom 12.12.2002, B 4 RA 44/02 R und Schlegel/Voelzke, juris-PK, 2. Aufl. 2013, Rn. 150 zu § 118 SGB VI. In dem anderen vom Kläger zitierten Urteil des BSG vom 14.12.2016, B 13 R 9/16 R, hat ein Betreuer verfügt und das BSG hat dann eine spezielle Haftungsfreistellung für den gutgläubig handelnden Betreuer festgestellt, BSG, aaO Rn. 23.
Im Übrigen ist auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 118 Abs. 4 SGB VI der Begriff des Verfügenden erfüllt, denn der Erstattungsanspruch trägt dem öffentlichen Interesse Rechnung, dass Rentenzahlungen, die von Dritten zu Unrecht empfangen oder über die Dritte gegenüber dem Rentenversicherungsträger zu Unrecht verfügt haben, von dem Empfänger oder Verfügenden zurückerstattet werden, vgl. Pflüger in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 118 SGB VI Rn. 39. Aus diesen Gründen kann der Rechtsansicht des Kommentars von Kreikebohm nicht gefolgt werden.
Der Begriff des Verfügenden ist vielmehr sehr weit zu fassen und umfasst auch solche Personen, denen eine Vollmacht zum Zugriff auf das Empfängerkonto erteilt wurde (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.03.2017, L 16/3 U 58/14, Rn. 35. Der Kläger ist somit Verfügender iSd § 118 IV SGB VI.
Der Rückforderungsbetrag ist auch korrekt von der Beklagten errechnet worden, da für die Zeit vom 1/2005 – 9/2005 13.132,32 €
10/2005 – 1/2014 140.876,84 €
2/2014 – 6/2014 7.344,10 €
Zinsen 21.971,65 €

183.324,91 €
gezahlt worden sind.
Der Bescheid vom 02.11.2015 ist ferner auch in der mündlichen Verhandlung noch um die weiteren Verfügungen von Februar bis Juni 2014 ergänzt worden. Diese weitere Begründung ist zulässig, da sich bloße Begründungsmängel nicht auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auswirken, da sie noch im Gerichtsverfahren nachgeholt werden können; gem. § 41 Abs. 2 SGB X können sie bis zur letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden, dass bedeutet eine erweiterte Nachholbarkeit, da der Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes nicht verändert wird, vgl. von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 35 Rn.22, § 41 Rn 19, 20.
Im Rahmen des § 118 Abs. 4 SGB VI ist weder eine Vertrauensschutzregelung gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X iVm §§ 45 ff SGB X zu beachten noch kann sich der Verpflichtete auf § 818 BGB berufen, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.03.2017, L 16/3 U 58/14, Rn. 42.
Die Forderung der Beklagten ist auch nicht verjährt, da gem. § 118 Abs. 4a SGB VI sie erst nach 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Träger der Rentenversicherung Kenntnis von der Überzahlung erlangt hat. Hier wurde erst durch Beschluss des OLG N. vom 15.12.2014 rechtskräftig festgestellt, dass der Vater des Klägers zum 31.12.2004 für tot erklärt wurde.
Schließlich stellt das Gericht fest, dass kein Rechtsmissbrauch seitens der Beklagten vorliegt, wenn sie die überzahlte Rente zurückfordert, aber eine Rentenzahlung an die Witwe des A. verweigert hat. Denn die Beklagte hat ihre Rechte im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten ausgeübt, wozu sie der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten gegenüber verpflichtet ist.
Da von der Beklagten ein Teilanerkenntnis abgegeben wurde, das nicht vom Kläger angenommen wurde, war im Tenor unter Ziffer I gem. dem Teilanerkenntnis im Sinne eines Teilanerkenntnisurteils zu tenorieren. Denn bei einem nicht angenommenen Anerkenntnis handelt es sich um eine einseitige, nicht zustimmungsbedürftige Erklärung im Sinne einer Prozesserklärung, so dass insoweit ein Anerkenntnisurteil zu ergehen hat, vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 13 R 16/09 R, Rn. 21. Hier wurde der vorrangig bestehende Rückforderungsanspruch gegenüber der S. gem. § 118 Abs. 3 SGB VI durch das Teilanerkenntnis beachtet.
Nach alldem ist der reduzierte Rückforderungsbetrag gem. dem Teilanerkenntnis zu Recht von der Beklagten geltend gemacht worden, der Bescheid vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 sowie dem Teilanerkenntnis stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Hilfsantrag des Klägers war nicht zu entscheiden, da der Bescheid vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 bereits für die Tenorierung von Punkt II geprüft wurde (siehe oben).
Die Klage war daher im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 3, 40, 52 Abs. 3 GKG (Gerichtskostengesetz), da die Klage auf Aufhebung einer bescheidmäßig festgestellten Geldforderung in Höhe von 183.324,91 € gerichtet war.


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