Bankrecht

Anspruch auf Gewährung von Ausbildungsförderung

Aktenzeichen  M 15 K 18.2513

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19490
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 11 Abs. 2 S. 1, § 28 Abs. 3 S. 1
BAföG §§ 26 ff.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum …2018 bis …2018 unter Anerkennung von Schulden der Klägerin gegenüber ihren Eltern in Höhe von 5.900,- Euro zu bewilligen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da sie einen Anspruch auf Gewährung von Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum …2018 bis …2018 unter Anerkennung von Schulden gegenüber ihren Eltern in Höhe von 5.900,- Euro hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 27. Juni 2017 bestanden Schulden der Klägerin in Höhe von 5.900,- Euro, die gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG vom Vermögen der Klägerin abzuziehen waren.
1.1 Für die Frage, ob ein behauptetes Darlehen als bestehende Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG anzuerkennen ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: U.v. 4.9.2008 – 5 C 30.07 – juris Rn. 24 ff.) maßgeblich, ob ein Darlehensvertrag zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden auch nachgewiesen werden kann. Die Darlehensgewähr muss dabei klar und eindeutig auch anhand der tatsächlichen Durchführung aufgrund objektiver Anhaltspunkte von einer Unterhaltsgewährung oder einer verschleierten Schenkung abgrenzbar sein (BayVGH, B.v. 2.8.2006 – 12 C 06.491 – juris Rn. 6). Weil und soweit der für den Auszubildenden förderungsrechtlich günstige Umstand, ob und in welchem Umfang er vermögensmindernde Schulden aus einem mit einem nahen Angehörigen geschlossenen Darlehensvertrag hat, seine Sphäre betrifft, hat dieser bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2010 – 5 C 2/10 – juris Rn. 14; U.v. 4.9.2008 – 5 C 30.07 – juris Rn. 24; U.v. 4.9.2008 – 5 C 12/08 – juris Rn. 19; ebenso BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 12 ZB 16.2557 – juris Rn. 9; VG München, U.v. 10.12.2015 – M 15 K 14.1073 – juris Rn. 27; U.v. 4.12.2014 – M 15 K 13.2799 – juris Rn. 27; VG Augsburg, U.v. 15.12.2015 – Au 3 K 15.345 – juris Rn. 47). Um der Gefahr des Missbrauchs entgegenzuwirken, ist es geboten, an den Nachweis des Abschlusses und der Ernsthaftigkeit der Verträge strenge Anforderungen zu stellen. Zur Klärung der Frage, ob ein wirksamer Vertrag geschlossen worden ist und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat, sind alle Umstände des Einzelfalles sorgsam zu ermitteln und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung umfassend zu würdigen. Soweit die relevanten Umstände in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es gerechtfertigt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen (vgl. BVerfG, B.v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90 – BB 1995, 2624/2625 m.w.N.).
Eine Vereinbarung unter Angehörigen muss nicht zwingend einem strikten Fremdvergleich in dem Sinne standhalten, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkte dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen zu entsprechen haben (zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vgl. BFH B.v. 25.6.2002 – X B 30/01 – BFH/NV 2002, 1303). Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten kann jedoch als ein Indiz für den Vertragsschluss gewertet werden. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werden. Gleiches gilt, wenn ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages nicht genannt werden kann oder der bezeichnete Grund nicht dazu geeignet ist, eine genügende Abgrenzung gegenüber einer Schenkung oder einer freiwilligen Unterstützung bzw. Unterhaltszahlung zu ermöglichen. Zweifel am Vertragsschluss können ferner berechtigt sein oder bestätigt werden, wenn die Durchführung des Darlehensvertrages nicht den Vereinbarungen entspricht und die Abweichung nicht nachvollziehbar begründet werden kann. Ebenso lässt es sich als Indiz gegen einen wirksamen Vertragsschluss werten, wenn der Auszubildende eine etwaige Darlehensverpflichtung nicht von vornherein in seinem Antragsformular bezeichnet, sondern gewissermaßen zum Zwecke der Saldierung erst angegeben hat, nachdem er der Behörde gegenüber nachträglich einräumen musste, anrechenbares Vermögen zu besitzen. Dagegen kann es für das Vorliegen eines beachtlichen Darlehensverhältnisses während eines in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraums sprechen, wenn das Darlehen bereits zu dem Zeitpunkt zurückgezahlt worden war, zu dem es der Auszubildende zum ersten Mal offenlegte und sich damit erstmals die Frage seiner ausbildungsförderungsrechtlichen Anrechnung stellte (BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris Rn. 27; vgl. a. BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 12 ZB 16.2557 – juris Rn. 9).
1.2 Gemessen an diesen von der Rechtsprechung entwickelten hohen Anforderungen wurde nach umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen und der glaubhaften Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung, zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass zwischen der Klägerin und ihren Eltern ein Darlehensvertrag bestand und die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum Schulden in Höhe von 5.900,- Euro hatte.
Zwar spricht gegen das Vorliegen eines wirksamen Darlehensvertrags, dass der ursprüngliche Geldfluss i.H.v. 10.000,- Euro vom Onkel an die Klägerin nicht mit Überweisungsbelegen o.Ä. nachgewiesen werden konnte und die Rechnungen bzw. Auftragsbestätigungen nur zum Teil auf die Klägerin persönlich ausgestellt waren. Letzteres konnte die Zeugin jedoch damit erklären, dass ihr Mann selber tätig geworden sei, um günstige Erwerbungen zu erreichen. Auch waren die Aussagen der Zeugen, ob sie selbst die Klägerin bei der Renovierung im Jahr 2010 finanziell unterstützt hätten, in einzelnen Punkten widersprüchlich, was jedoch aufgrund des lange zurückliegenden Zeitraums erklärlich ist und nicht dazu führt, dass die Aussagen der Zeugen insgesamt als unglaubhaft anzusehen wären.
Im Übrigen wurde der Sachverhalt von den Zeugen in den wesentlichen Gesichtspunkten sicher und widerspruchsfrei und insbesondere von der Zeugin unter detailreicher Erläuterung der Motive und Hintergründe nachvollziehbar vorgetragen. So wurden die Umstände der ursprünglichen darlehensweisen Unterstützung der Klägerin durch ihren Onkel, um den Einzug in eine günstige, aber stark renovierungsbedürftige Genossenschaftswohnung zu ermöglichen, von den Zeugen überzeugend erläutert. Das gleiche gilt für die Schilderung der Hintergründe der Übernahme der Darlehensschuld durch die Eltern, wonach der Onkel nach einer Gehirn-Operation als vorübergehender Vollpflegefall das Geld möglicherweise schnell benötigt hätte – was letztlich doch nicht eingetreten sei – und wozu die in Ausbildung befindliche Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre. Auch die Vereinbarungen zur Sicherung und Rückzahlung, zur zwischenzeitlichen Erhöhung der Darlehenssumme insbesondere aufgrund medizinischer Aufwendungen der Klägerin, was sich auch aus den Angaben in der vorgelegten „Ergänzung zum Darlehensvertrag“ ergibt, und die entsprechende tatsächliche Durchführung des Darlehensvertrages wurden nachvollziehbar und ohne Widersprüche dargelegt. Überdies schilderten die Zeugen übereinstimmend ein vergleichbares Vorgehen in Hinblick auf den Bruder der Klägerin, dem sie ein Darlehen zur Finanzierung einer Küche gewährt hätten, welches derzeit in monatlichen Raten zurückbezahlt werde.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits bei der Antragstellung für den Bewilligungszeitraum …2016 bis …2017 – und nicht erst auf entsprechende Aufforderung des Beklagten nach Feststellung von anzurechnendem Vermögen – angab, Schulden in Höhe von 10.000,- Euro gegenüber ihrem Onkel zu haben und eine entsprechende von der Klägerin und ihrem Onkel unterschriebene Bestätigung vorlegte. Auch bei den Antragstellungen für den Folgebewilligungszeitraum sowie den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum gab die Klägerin die Schulden von nunmehr 5.900,- Euro gegenüber ihren Eltern an und legte einen Darlehensvertrag nebst Ergänzung vor. Hierdurch konnte der zeitliche Ablauf nachvollzogen werden, obwohl die genannten Dokumente nicht mit einem Datum versehen waren. Überdies spricht auch die vor Offenlegung dieses Darlehensvertrags erfolgte – durch entsprechende Kontoauszüge nachgewiesene – Teilrückzahlung der Klägerin an ihre Eltern nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das Vorliegen eines beachtlichen Darlehensverhältnisses.
2. Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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