Bankrecht

Kein ewiges Widerspruchs- oder Rücktrittsrecht trotz unzureichender Belehrung

Aktenzeichen  8 U 3888/20

Datum:
22.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4371
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 346, § 812
VVG aF § 5a, § 8 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Nach der Rspr. des EuGH steht die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG aF der Wirksamkeit eines Widerspruchs gegen eine im Policenmodell geschlossene Lebensversicherung nicht entgegen, wenn der Versicherungsnehmer zwar fehlerhaft belehrt wurde, er aber nicht gehindert war, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (Anschluss an EuGH BeckRS 2019, 337; OLG Hamm BeckRS 2020, 32243). (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Trotz unzureichender Belehrung ist ein Widerspruchsrecht verwirkt, wenn es erst mehr als 17 Jahre nach Vertragsschluss ausgeübt wird und die Rechte und Ansprüche auch auf die Todesfallleistung aus der Versicherung unter Anzeige an den Versicherer an eine Bank zur Sicherheit abgetreten waren. (Rn. 23 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die unter 1 und 2 dargelegten Grundsätze gelten sinngemäß auch für das Rücktrittsrechtnach § 8 VVG aF bei einer im Antragsmodell geschlossenen Lebensversicherung. (Rn. 40 – 50) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 61/19 Ver 2020-11-18 Endurteil LGWEIDEN LG Weiden

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 18.11.2020, Az. 21 O 61/19 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. 2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über den Widerspruch bzw. Rücktritt betreffend zwei in den Jahren 1999 und 2002 abgeschlossene Kapitallebensversicherungsverträge sowie über hieraus folgende Erstattungsansprüche.
Der Kläger schloss mit Versicherungsbeginn zum 11.11.1999 bei der damals unter „Clerical Medical Investment Group Ltd.“ firmierenden Beklagten einen ersten Versicherungsvertrag mit der Produktbezeichnung „Wealthmaster“ ab (Vertrags-Nr. S; Anlagenkonvolut K 6). Dem Vertragsschluss liegt ein am 01.11.1999 unterzeichneter formlarmäßiger Antrag des Klägers zugrunde. Mit Schreiben vom 16.11.1999 übersandte die Beklagte dem Kläger den Versicherungsschein. Der Vertrag sah monatliche Beiträge von 1.000,00 DM und eine Laufzeit von 20 Jahren vor. Die Rechte und Ansprüche aus diesem Vertrag hat der Kläger am 19.11.2003 an die bank abgetreten und die Abtretung mit Schreiben gleichen Datums gegenüber der Beklagten angezeigt (Anlage B 9). Die von der Beklagten zum 11.11.2019 erbrachte Ablaufleistung betrug 147.358,71 € (Anlage B 17).
Mit Versicherungsbeginn zum 01.01.2002 schloss der Kläger bei der Beklagten einen zweiten „Wealthmaster“-Vertrag ab (Vertrags-Nr. G; Anlagenkonvolut K 1). Dem Vertragsschluss liegt ein am 06.11.2001 unterzeichneter formlarmäßiger Antrag des Klägers zugrunde. Der Versicherungsschein wurde dem Kläger mit Schreiben der Beklagten vom 10.01.2002 übersandt. Der Vertrag sieht monatliche Beiträge von 4.000,00 € und eine Laufzeit von 20 Jahren vor. Die Rechte und Ansprüche aus diesem Vertrag hatte der Kläger bereits am 28.11.2001 an die bank abgetreten und die Abtretung mit Schreiben gleichen Datums gegenüber der Beklagten angezeigt (Anlage B 5).
Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.05.2017 ließ der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerspruch gegen den Abschluss beider Versicherungsverträge erklären. Das genannte Schreiben ging der Beklagten am 06.06.2017 zu. Die Beklagte hat die beiden Widersprüche nicht akzeptiert.
Das Landgericht hat die zuletzt auf Zahlung von insgesamt 1.362.414,23 € sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 6.618,66 € gerichtete Klage nach Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der im November 1999 zustande gekommene Versicherungsvertrag (Nr. S) im sog. Policenmodell ab geschlossen worden sei, weil die Beklagte nicht habe nachweisen können, dass der Kläger bei Antragstellung eine vollständige Verbraucherinformation erhalten habe. Über sein damit bestehendes Widerspruchsrecht sei der Kläger nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Den im Antragsformular enthaltenen Belehrungen fehle die notwendige drucktechnische Hervorhebung. Die Belehrung sei auch nicht bei Aushändigung des Versicherungsscheins erfolgt. Jedoch habe der Kläger hinsichtlich dieses Vertrages sein Recht zum Widerspruch verwirkt.
Der im Januar 2002 zustande gekommene Versicherungsvertrag (Nr. G) sei im sog. An tragsmodell abgeschlossen worden. Es sei unstreitig, dass der Kläger bei Antragstellung eine Durchschrift seines Antrags, die Verbraucherinformation und die Versicherungsbedingungen erhalten habe. Sein danach bestehendes Rücktrittsrecht habe der Kläger nicht fristgemäß ausgeübt. Ob die im Antragsformular enthaltene Belehrung formell ausreichend gewesen sei, könne offen bleiben. Denn jedenfalls sei die in Ziffer 14 der Policenbedingungen enthaltene Belehrung über das Rücktrittsrecht nicht zu beanstanden. Zumindest stehe auch dem Rücktrittrecht bezüglich dieses Vertrages der Einwand der Verwirkung entgegen.
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.
II.
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht Ansprüche des Klägers aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB bzw. aus § 346 Abs. 1 BGB verneint. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
1.
Der Senat stellt sich aufdrängende Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsmittels derzeit zurück. Die Berufungsbegründung beschränkt sich in weiten Teilen auf die bloße Aneinanderreihung von Rechtsprechungszitaten, ohne auf den individuellen Sachverhalt einzugehen und sich mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinanderzusetzen. Der Schriftsatz kann daher nur bei sehr wohlwollender Sichtweise als den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 ZPO genügend bewertet werden.
2. Vertrag Nr. S – „S-Police“
a)
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme festgestellt, dass dieser Vertrag im sog. Policenmodell abgeschlossen worden ist (LGU 6/7). Dies greift die Berufung nicht an und es begegnet auch keinen Bedenken.
b)
Im Ergebnis zutreffend hat die Vorinstanz ferner entschieden, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Erklärung vom 16.05.2017 nicht mehr berechtigt war, dem Abschluss des Versicherungsvertrages gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. (hier und im Folgenden: in der vom 29.07.1994 bis 31.07.2001 geltenden Fassung) zu widersprechen. Die Widerspruchsfrist von 14 Tagen war zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichen.
aa)
Zwar begann diese Frist nicht mit der Vorlage der notwendigen Unterlagen zu laufen. Denn der Kläger ist bei Aushändigung des Versicherungsscheins nicht ausreichend über sein Widerspruchsrecht belehrt worden (§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.). Der Versicherungsschein und das Policenbegleitschreiben vom 16.11.1999 enthielten keine Belehrung. Auf die im Antragsformular unter den Abschnitten N und O enthaltenen Hinweise kommt es in diesem Zusammenhang von vornherein nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 01.06.2016 – IV ZR 343/15, juris Rn. 18), abgesehen davon, dass es dem jeweiligen Text – wie schon das Landgericht festgestellt hat (LGU 8) – an einer drucktechnisch deutlichen Form gefehlt hat.
bb)
Das Widerspruchsrecht des Klägers ist jedoch trotz unzureichender Belehrung ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen (§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.). Die erste Prämie wurde am 18.11.1999 vom Konto des Klägers abgebucht (Anlagenkonvolut K 6). Die Widerspruchsfrist ist demnach am 18.11.2000 erloschen.
(1)
§ 5a VVG a.F. ist im Lichte des Art. 15 Abs. 1 der RL 90/619/EWG vom 08.11.1990 (Zweite Richtlinie Lebensversicherung; ABl. L 330, S. 50) und des Art. 31 der RL 92/96/EWG vom 10.11.1992 (Dritte Richtlinie Lebensversicherung; ABl. L 360, S. 1) zu sehen, welche durch Art. 35 und 36 der RL 2002/83/EG vom 05.11.2002 (ABl. L 345 S. 1) kodifiziert worden sind. Danach haben die Mitgliedstaaten Regelungen zu schaffen, nach denen der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrages binnen einer Frist von 14 bis 30 Tagen ab Inkenntnissetzung vom Vertragsschluss von dem Vertrag zurücktreten kann. Vor Abschluss bzw. Wirksamwerden des Vertrages sind dem Versicherungsnehmer u.a. Informationen über die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und des Rücktrittsrechts mitzuteilen.
(2)
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 5a Abs. 2 Satz 4 a.F. richtlinienkonform einschränkend auszulegen und im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung nicht anzuwenden. Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und/oder die Versicherungsbedingungen oder eine Verbraucherinformation nicht erhalten hat, besteht im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung demgemäß grundsätzlich fort (vgl. BGH, Urteile vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 16 ff. und vom 07.09.2016 – IV ZR 306/14, r+s 2016, 607 Rn. 12 f.).
(3)
Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung geboten, die sich an der Tragweite des Belehrungsmangels sowie am Zweck der gesetzlichen Belehrungsund Informationspflicht orientiert.
Zu Recht hat daher der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19.12.2019 entschieden, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab Inkenntnissetzung vom Vertragsschluss zu laufen beginnt, wenn in den mitgeteilten Informationen nicht angegeben worden ist, dass die Rücktrittserklärung nach dem maßgeblichen nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf oder wenn eine Form verlangt wird, die nach dem maßgeblichen Recht nicht vorgeschrieben ist, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Bei der Prüfung, ob dem so ist, muss im Wege einer Gesamtwürdigung insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden. Ist die Belehrung danach derart fehlerhaft, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, beginnt die Rücktrittsfrist selbst dann nicht zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Wege von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19.12.2019 – C-355/18 u.a., NJW 2020, 667 Rn. 79 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung ist somit auch zu prüfen, ob § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. weiterhin Gültigkeit beansprucht (vgl. OLG Hamm, VersR 2021, 166, 167; Lange, VersR 2020, 341, 352; Zegowitz/Haferkorn, VersR 2020, 1005, 1013 ff.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie steht dem grundlegenden Ziel der einschlägigen Richtlinien zur Lebensversicherung und damit deren praktischer Wirksamkeit nur dann zwingend entgegen, wenn der Versicherungsnehmer überhaupt nicht belehrt wurde. Die Jahresfrist steht der praktischen Wirksamkeit jedoch nicht entgegen, wenn der Versicherungsnehmer zwar fehlerhaft belehrt wurde, er aber nicht gehindert war, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
Letzteres ist im Streitfall zu bejahen. Denn dem Kläger lagen bereits bei Antragstellung die Policenbedingungen vor, welche laut Schreiben vom 16.11.1999 nochmals an den Kläger übersandt worden sind. Dem Bedingungswerk ist eine übersichtliche Inhaltsübersicht vorangestellt, in der u.a. das Rücktrittsrecht angesprochen worden ist. Die Policenbedingungen sind klar gegliedert und überschaubar gestaltet. Die einzelnen Regelungen sind deutlich voneinander abgegrenzt. Dies gilt auch für Klausel Nr. 14, die mit einer in blauer Farbe fett gedruckten und in Großbuchstaben gesetzten Überschrift versehen ist und die unmissverständlich auf das „Rücktrittsrecht“ aufmerksam macht. Die Klausel befasst sich auch ausschließlich mit dem Rücktrittsrecht. Dass hier vom „Rücktrittsrecht“ und nicht vom Widerspruch i.S.d. § 5a Abs. 1 VVG a.F. die Rede ist, schadet nach Ansicht des Senats nicht (vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 23.11.2018 – 4 U 1333/18, juris Rn. 6). Denn für einen juristischen Laien ist es unerheblich, wie das Gestaltungsrecht präzise zu bezeichnen ist. Er verbindet mit den unterschiedlichen Begriffen keinerlei unterschiedliche Rechtsfolgen. Entscheidend ist vielmehr, dass ihm die Möglichkeit, sich binnen einer bestimmten Frist vom Vertragsschluss lösen zu können, klar vor Augen geführt wird. Dies ist im Streitfall zu bejahen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, der sich hierüber informieren wollte, vermochte die Belehrung ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu finden.
Inhaltlich weist die Belehrung zutreffend auf die Dauer der Frist und die für eine Fristwahrung ausreichende rechtzeitige Absendung der Erklärung hin. Es fehlt indessen ein Hinweis auf die notwendige Schriftform und auf die für den Fristbeginn – neben der Belehrung – erforderlichen Unterlagen. Hierdurch ist dem Kläger jedoch nicht die Möglichkeit genommen worden, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Die Hinweise in Ziffer 14 der Policebedingungen haben dem Kläger insbesondere keine zusätzlichen, gesetzlich nicht vorgesehenen Voraussetzungen abverlangt oder ihn in die Irre geführt. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer konnte und musste erkennen, dass die 14-tägige Frist mit dem Abschluss des Vertrages beginnt, dass für den Fristbeginn im Übrigen der Erhalt der Belehrung maßgeblich ist und dass die Widerspruchserklärung rechtzeitig abgesandt – also auf den Weg gebracht – werden muss. Dies wäre auch bei insgesamt zutreffender Widerspruchsbelehrung zu beachten gewesen.
c)
Ginge man stattdessen von einem nicht verfristeten Widerspruchsrecht des Klägers aus, so steht der Erklärung vom 16.05.2017 jedenfalls der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen (§ 242 BGB). Dies hat das Landgericht zutreffend entschieden (LGU 8/9).
aa)
Eine Verwirkung des Widerspruchsrechts des Versicherungsnehmers kommt in Fällen der nicht ordnungsgemäßen Belehrung nur in Ausnahmekonstellationen in Betracht, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer in der Regel nicht für sich in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Belehrung erteilt hat.
Verwirkung ist namentlich denkbar, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, unabhängig von einem etwaigen Lösungsrecht unbedingt an dem Vertrag festhalten zu wollen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.01.2016 – IV ZR 117/15, juris Rn. 5 und vom 27.01.2016 – IV ZR 130/15, juris Rn. 16). Allgemein gültige Maßstäbe können hierzu allerdings nicht aufgestellt werden; es ist vielmehr jeweils der Einzelfall zu betrachten.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf insofern eine Wechselwirkung besteht, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2005 – XII ZR 224/03, juris Rn. 23 m.w.N.). Stets muss es sich jedoch um gravierende Umstände handeln (vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2020 – IV ZR 272/19, juris).
bb)
Das erforderliche Zeitmoment ist zweifelsfrei gegeben, nachdem zwischen Vertragsschluss und Widerruf ca. 17 ½ Jahre vergangen sind.
cc)
Auch die besonderen Umstände in dem vorbenannten Sinne sind hier gegeben:
Zum einen hat der Kläger ca. zwei Jahre nach Abschluss des hier zu prüfenden Vertrages einen weiteren Kapitallebensversicherungsvertrag „Wealthmaster“ bei der Beklagten zu im Wesentlichen vergleichbaren Bedingungen abgeschlossen. Dies begründet zwar noch kein allein ausschlaggebendes Umstandsmoment (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2019, 1439 Rn. 29 f.), ist aber in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Denn der Kläger hat durch den weiteren Vertragsabschluss gegenüber der Beklagten deutlich zu erkennen gegeben, dass er mit dem Versicherungsprodukt grundsätzlich zufrieden ist.
Vor allem hat der Kläger am 19.11.2003 die Rechte und Ansprüche aus der Versicherung zeitlich unbegrenzt und in voller Höhe an die bank abgetreten und dies ge genüber der Beklagten angezeigt (Anlage B 9). Die Abtretung betraf den Anspruch auf die Todesfallleistung, was zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrages voraussetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – IV ZR 130/15, juris Rn. 16) und den Willen des Klägers zur Durchführung dieses Versicherungsvertrages sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 15.11.2018 – 4 U 1386/18, juris Rn. 11). Anderenfalls wäre auch aus Sicht des Klägers der Sicherungszweck der Abtretung gefährdet gewesen.
Der Kläger hat den Versicherungsvertrag zur Sicherung der ihm gegenüber bestehenden laufenden Forderungen der Bank eingesetzt und es dabei bis zum – durch den Widerspruch vom 16.05.2017 unberührt gebliebenen – planmäßigen Ablauf des Vertrages belassen. Die am 11.11.2019 ausgewiesene Ablaufsumme (Erlebensfallleistung) in Höhe von 147.358,71 € ist vollständig auf ein von der Zessionarin bestimmtes Konto überwiesen worden (LGU 4; Anlagen B 16 und B 17). Durch diese Abtretung ist erkennbar ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages begründet worden. Gerade, wenn der Versicherungsvertrag zunächst durch Zahlung der Prämien einige Zeit durchgeführt und erst dann als Sicherungsmittel eingesetzt wird, gibt der Versicherungsnehmer deutlich zu erkennen, dass er den Vertrag weithin uneingeschränkt durchführen will – zunächst durch die Prämienzahlungen und alsdann zusätzlich durch die dem Versicherer bekannt gemachten Finanzierungs- und Sicherungsabreden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.12.2017 – I-20 U 185/17, juris Rn. 4; KG, Urteil vom 31.01.2017 – 6 U 30/16, juris Rn. 25).
dd)
In der erforderlichen Gesamtschau durfte die Beklagte angesichts der vorliegenden Umstände somit darauf vertrauen, dass der Kläger den Bestand des Vertrags nicht mehr in Abrede stellen und sein Widerspruchsrecht – unterstellt, es sei am 16.05.2017 noch nicht verfristet gewesen – nicht mehr in Anspruch nehmen wird.
ee)
Die in der Berufungsbegründung (Seite 3) erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.07.2018 – IV ZR 68/17) befasst sich nicht mit Fragen der Verwirkung und gibt daher für den vorliegenden Fall nichts her.
3. Vertrag Nr. G – „G-Police“
a)
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist dieser Vertrag im sog. Antragsmodell geschlossen worden (LGU 9/10). Dies greift die Berufung nur unzureichend an. Soweit sie einen Hinweis auf die Antragsbindungsfrist (Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f der Anlage D zu § 10a VAG a.F.) vermisst, hat die Vorinstanz zu Recht ausgeführt, dass ein solcher Hinweis auch im Antragsformular enthalten sein kann (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.05.2019 – 7 U 169/18, juris Rn. 64; OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.01.2020 – 5 U 36/19, Anlage BB 6). Einen derartigen Hinweis hat das Landgericht unter Abschnitt M des Antragsformulars identifiziert, ohne dass die Berufung dies in Frage stellt.
b)
Somit bestand zwar ein Rücktrittsrecht des Klägers gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. (hier und im Folgenden: in der vom 29.07.1994 bis 07.12.2004 geltenden Fassung).
Die Frist von 14 Tagen war jedoch im Zeitpunkt der Erklärung vom 16.05.2017 seit langem verstrichen. Denn der Kläger ist ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrt worden und er hat die Belehrung durch Unterschrift bestätigt (§ 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F.).
aa)
Die Belehrung findet sich in Ziffer 14 der Policenbedingungen. Diese lagen dem Kläger nach den unangegriffenen Feststellungen bereits bei Antragstellung vor.
Das Gesetz selbst enthielt in § 8 Abs. 5 VVG a.F. keine konkreten, an die Belehrung zu stellenden formellen und inhaltlichen Anforderungen. Es verlangte insbesondere keine „drucktechnische Hervorhebung“. Jedoch ist anerkannt, dass auch eine Belehrung über das Rücktrittsrecht zur Erreichung ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein musste. Das erforderte eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trug und darauf angelegt war, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 29.06.2016 – IV ZR 24/14, r+s 2016, 556 Rn. 14 und vom 25.01.2017 – IV ZR 173/15, NJW-RR 2017, 485 Rn. 18 jeweils m.w.N.). Eine unauffällige Anordnung an versteckter Stelle erfüllt den Belehrungszweck demgemäß nicht (vgl. OLG Jena, Urteil vom 07.08.2020 – 4 U 1075/19, juris Rn. 61).
Die Belehrung war hier zwar in einer Reihe anderer Hinweise enthalten. Den Policenbedingungen war jedoch eine übersichtliche und verständliche Inhaltsangabe vorangestellt, welche u.a. das Rücktrittsrecht umfasste. Das Bedingungswerk ist klar gegliedert und überschaubar gestaltet. Die einzelnen Regelungen sind deutlich voneinander abgegrenzt. Klausel Nr. 14 ist mit einer in blauer Farbe fett gedruckten und in Großbuchstaben gesetzten Überschrift versehen, welche unmissverständlich auf das Rücktrittsrecht aufmerksam macht. Die Klausel befasst sich auch ausschließlich mit dem Rücktrittsrecht. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, der sich darüber informieren wollte, ob und auf welche Weise er sich vom Vertrag lösen kann, vermochte die Belehrung ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu finden.
bb)
Wie das Landgericht zu Recht entschieden hat, verlangte § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. keine gesondert auf die Rücktrittsbelehrung bezogene Unterschrift des Versicherungsnehmers. Es genügte die auf dem Antragsformular geleistete Unterschrift des Klägers, welche gemäß dem in Fettdruck unmittelbar vor der Unterschriftenzeile stehenden Hinweis auch die Schlusserklärung des Antragstellers umfasste. Diese in Abschnitt M des Antrags enthaltene Erklärung hat in der erforderlichen Weise auf die Policenbedingungen Bezug genommen.
c)
Wollte man abweichend hiervon eine unzureichende Rücktrittsbelehrung annehmen, so wäre das Rücktrittsrecht des Klägers jedenfalls gemäß § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erloschen. Die erste Prämie ist nach klägerischem Vortrag am 01.01.2002 gezahlt worden.
aa)
Auch die bisherige Rechtsprechung, wonach § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. im Wege richtlinienkonformer einschränkender Auslegung bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung des Versicherungsnehmers nicht anzuwenden sei (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2014 – IV ZR 260/11, NJW 2015, 1023 Rn. 20 ff.), bedarf der differenzierten Handhabung unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.12.2019 (C-355/18 u.a., NJW 2020, 667).
bb)
Danach ist im Streitfall festzustellen, dass die unter Ziffer 14 der Policenbedigungen abgedruckte Belehrung den Kläger nicht daran gehindert hat, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Die Belehrung weist dem Wortlaut des § 8 Abs. 5 Satz 1 und 2 VVG a.F. entsprechend darauf hin, dass der Rücktritt innerhalb von 14 Tagen nach Abschluss des Vertrages zu erklären ist und dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung der Erklärung ausreichend ist. Eine Belehrung über die Form der Rücktrittserklärung war von Gesetzes wegen nicht vorgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 24/14, r+s 2016, 556 Rn. 15 m.w.N.). Dies verkennt der Kläger (Berufungsbegründung, Seite 6). Hinsichtlich des Beginns der Frist wird nur auf die Belehrung hingewiesen, nicht auch auf die Bestätigung der Belehrung durch Unterschrift (§ 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F.). Hierdurch ist der Kläger jedoch nicht in die Irre geführt worden. Es sind auch keine zusätzlichen, mit den gesetzlichen Regelungen nicht in Einklang stehenden Rücktrittsvoraussetzungen geschaffen worden und gegenüber dem Kläger wurde auch nicht der Eindruck solcher zusätzlichen Voraussetzungen erweckt.
d)
Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass dem am 16.05.2017 erklärten Rücktritt zumindest der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegensteht. Auch insoweit folgt der Senat der zutreffenden Ansicht des Landgerichts (LGU 11/12).
Unterstellt, das Rücktrittsrecht sei noch nicht verfristet gewesen, so lägen im konkreten Einzelfall auch hinsichtlich des Vertrages Nr. G die notwendigen besonders gravierenden Umstän de vor (vgl. zu den Anforderungen oben Ziffer 2. c aa).
aa)
Das erforderliche Zeitmoment ist unzweifelhaft gegeben, nachdem zwischen Vertragsschluss und Rücktritt mehr als 15 Jahre vergangen sind.
bb)
Darüber hinaus hat der Kläger ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den Bestand des Vertrages begründet:
Er hat noch vor dem wirksamen Zustandekommen des Versicherungsvertrages alle Rechte und Ansprüche aus dem Vertrag zeitlich unbefristet bis zu einem Betrag von 1.200.000,00 DM an die bank abgetreten und dies gegenüber der Beklagten mit Datum vom 28.11.2001 angezeigt (Anlage B 5). Diese Abtretung diente der Sicherung der Ansprüche der Bank gegenüber dem Kläger aus einem ebenfalls am 28.11.2001 geschlossenen Darlehensvertrag.
Noch während der Versicherungsantrag des Klägers vom 06.11.2001 bei der Beklagten in Bearbeitung war, hat der Kläger durch seinen Versicherungsmakler das Zustandekom men des Vertrages forciert und bei der Beklagten auf eine möglichst schnelle Annahme des Antrags gedrängt, weil der Kläger dies zur Freigabe des Darlehens benötige (Anlage B 6).
Die Abtretung betraf auch den Anspruch auf die Todesfallleistung, was zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrages voraussetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – IV ZR 130/15, juris Rn. 16) und den Willen des Klägers zur Durchführung dieses Versicherungsvertrages sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 15.11.2018 – 4 U 1386/18, juris Rn. 11). Der Abschluss des Versicherungsvertrages diente darüber hinaus gezielt dem Zweck, den Vertrag sogleich als Kreditsicherheit zu nutzen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der noch vor Zustandekommen des Vertrages erfolgten Abtretung, dem zeitlichen Zusammenfallen von Abtretung und Darlehensvertrag sowie dem als Anlage B 6 vorliegenden Schreiben vom 19.12.2001. Diese Abtretung setzte, um den Sicherungszweck erfüllen zu können und damit die Gewährung des Darlehens nicht zu gefährden, die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages voraus (vgl. OLG Hamm, VersR 2020, 1370). Zugleich hat der Kläger für die Beklagte erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass er den Bestand des Vertrages nicht in Frage stellt.
cc)
In der erforderlichen Gesamtschau durfte sich die Beklagte aufgrund des Verhaltens des Klägers darauf einrichten, dass der Kläger an dem Versicherungsvertrag unbedingt festhalten wird. Das Interesse des Klägers, mehr als 15 Jahre nach Abschluss des Vertrages den Rücktritt erklären zu dürfen, tritt dahinter zurück.
4.
Mangels bestehender Hauptforderung schuldet die Beklagte schließlich keinen Ersatz vorgerichtlicher Rechtanwaltskosten. Auf Fragen des Verzuges und der gewillkürten Prozessstandschaft kommt es daher nicht an.
III.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).


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