Bankrecht

Verwirkung des Widerspruchs trotz unzureichender Belehrung bei einer im Policenmodell geschlossenen Lebensversicherung

Aktenzeichen  25 U 2581/16

Datum:
13.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 45167
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 5 a Abs. 1 S.1

 

Leitsatz

Trotz einer wegen unzureichender drucktechnischer Hervorhebung fehlerhaften Widerspruchsbelehrung zu einer im Policenmodell geschlossenen Lebensversicherung stellt sich die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich dar, wenn der Vertrag mehr als 9 Jahre durchgeführt und der Widerspruch erst erklärt wird, nachdem der Versicherungsnehmer erfolglos Leistungen aus der angeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragt hat. (Rn. 4 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

23 O 20731/15 2016-05-17 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17.05.2016, Az. 23 O 20731/15, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.323,26 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
1. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Landgericht davon aus, dass die Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein (Anlage B 1) mangels ausreichender drucktechnischer Hervorhebung den Lauf der Widerrufsfrist gemäß § 5 a Abs. 1 S.1 VVG a.F. nicht in Gang gesetzt hat. Dasselbe gilt für die inhaltlich unzureichende Widerrufsbelehrung im Antragsformular (Anlage B 2). Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung (S. 5 unter Ziff. 1) nimmt der Senat Bezug. Die dagegen vorgebrachten Einwendungen der Berufung überzeugen den Senat nicht. Der Umstand, dass die Belehrung sich unmittelbar vor der Unterschriftenzeile befindet, wäre nur dann geeignet, eine gesteigerte Aufmerksamkeit des Versicherungsnehmers zu erzeugen, wenn, was hier gerade nicht der Fall ist, der Versicherungsnehmer dort eine Unterschrift zu leisten hätte.
2. Den klägerischen, vom Erstgericht zuerkannten Ansprüchen steht allerdings der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann, bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 01.06.2016 – IV ZR 482/14, NJOZ 2016, 1370). Der dargestellte Belehrungsfehler der Beklagten erscheint als nicht so schwerwiegend, dass er der Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers entgegenstehen würde. Es fehlt zwar an der gesetzlich geforderten drucktechnisch hinreichend deutlichen Form der Belehrung, die Beklagte hat offensichtlich eine Belehrung des Klägers angestrebt, auch wenn formal die Hervorhebung der Belehrung nicht ausreichend ist. Inhaltlich ist die Belehrung im Versicherungsschein nicht zu beanstanden. § 5 a VVG a.F. verlangt insoweit nur eine Belehrung über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer. Eine gesonderte Belehrung über den Adressaten des Widerspruchs verlangt das Gesetz nicht.
Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kommt auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung in Betracht (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – Az. IV ZR 130/15; Senat, Urteil vom 21.04.2015 – Az. 25 U 3877/11; OLG Dresden, Urteil vom 26.08.2015 – Az. 7 U 146/15 – VersR 2015,1498; OLG Stuttgart, Urteil vom 06.11.2014 – Az. 7 U 147/10 – VersR 2015, 878 LG Wiesbaden, Urteil vom 12.02.2015 – Az. 9 O 116/14; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.10.2015 – Az. 3 U 49/15; OLG Köln, Urteil vom 26.02.2016 – Az. 20 U 178/15; KG, Urteil vom 12.04.2016 – Az. 6 U 102/15 – rechtskräftig, BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016,375 für die Belehrung nach § 8 VVG a.F.). Das ist beispielweise der Fall
– wenn der Versicherungsnehmer (irgendwie) über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde (im entschiedenen Fall war keine Belehrung über das Schriftformerfordernis erfolgt) und der Versicherungsnehmer seinen Anspruch (incl. Anspruch auf die Todesfallleistung) 2 Monate nach Erhalt des Versicherungsscheins als Sicherheit für ein Darlehn abgetreten hat über mehr als 8 Jahre Prämien bezahlt hat dann den Anspruch (incl. Anspruch auf die Todesfallleistung) nochmals als Sicherheit für ein Darlehn abgetreten hat und der Versicherer über die Abtretung in Kenntnis gesetzt wurde (BGH, Beschlüsse vom 27.01.2016 und vom 22.03.2016 – Az. IV ZR 130/15).
– wenn der Versicherungsnehmer die Police als Kreditsicherungsmittel genutzt hat und während der Dauer der Versicherung sämtliche Rechte an das Kreditinstitut abgetreten hat, sowie nach einer durch das Kreditinstitut erklärten Kündigung anwaltlich beraten den Widerruf erklärt hat, daraufhin aber die vom Kreditinstitut ausgesprochene Kündigung bestätigt hat und Beitragsfreistellung bis zur Wirksamkeit der Kündigung beantragt hat (OLG Dresden, Urteil vom 26.08.2015 – Az. 7 U 146/15 – VersR 2015,1498),
– wenn der Versicherungsnehmer nach Kündigung den Vertrag dann doch (beitragsfrei) fortgeführt hat (OLG Köln, Urteil vom 26.02.2016 – Az. 20 U 178/15),
– bei einem Rücktrittsrecht nach § 8 VVG, wenn der Versicherungsnehmer durch Wiederinkraftsetzen des Vertrages den Eindruck erweckt hat, dass er an diesem unbedingt festhalten will BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016,375).
Im vorliegenden Fall stellt sich das klägerische Verlangen als rechtsmissbräuchlich dar. Der Kläger hat über 9 Jahre seit Vertragsbeginn bis zur Erklärung seines Widerspruchs verstreichen lassen. Mit Schreiben vom 07.07.2011 und vom 27.07.2011 hat der Kläger Leistungen aus der angeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragt, was zwingend einen wirksamen Hauptvertrag samt Zusatzvertrag voraussetzt. Dies hat die Beklagte veranlasst, in eine Leistungsprüfung einzutreten, welche zu einer ablehnenden Entscheidung gemäß Schreiben vom 23.08.2011 führte. Erst im Anschluss hat der Kläger den Widerspruch erklärt. Die Geltendmachung von Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ist nach Auffassung des Senats in noch stärkeren Maß als eine Abtretung der Ansprüche aus der Hauptversicherung samt Todesfallleistung geeignet, bei dem Versicherer den Eindruck zu erwecken, der Versicherungsnehmer wolle in jedem Fall an dem Vertrag festhalten. Dies gilt besonders im vorliegenden Fall, nachdem die Parteien im Falle der Berufsunfähigkeit auch die Beitragsbefreiung für die Hauptversicherung sowie die eingeschlossene Zusatzversicherung vereinbart hatten (vgl. S. 3 des Versicherungsscheins vom 10.09.2003; Anlage K 4), denn der Leistungsantrag des Klägers zielte auch auf die beitragsfreie Fortführung des Vertrages zu Lasten der Versichertengemeinschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. Der Streitwert wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt.


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