Bankrecht

Widerruf eines Darlehensvertrags bei geringfügig fehlerhafter Gesamtbetragsangabe

Aktenzeichen  19 U 205/19

Datum:
8.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44646
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 492 Abs. 2, § 501
EGBGB Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7, Nr. 8

 

Leitsatz

Beträgt die Differenz bei der Gesamtbetragsangabe eines Darlehensvertrags von über EUR 25.000 und einer 4-jährigen Laufzeit 6 Cent (zu Gunsten des Verbrauchers), stellt es eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht zwei Jahre nach Vertragsschluss Gebrauch macht. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

32 O 9568/18 2018-12-03 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.12.2018, Aktenzeichen 32 O 9568/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger verfolgt mit der Berufung seine vermeintlichen Ansprüche auf Rückabwicklung eines Darlehensvertrages mit der Beklagten aus dem Oktober 2015 über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von EUR 23.353,46, abgeschlossen zur Finanzierung des Kaufs eines Fahrzeuges der Marke …, Typ …, weiter, den er mit Schreiben vom 12.10.2017 widerrufen hat. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I, Aktenzeichen 32 O 9568/18, Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Das Landgericht München I hat die Klage mit Urteil vom 03.12.2018, auf das Bezug genommen wird, abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
Das Urteil des LG München I – LG München I, Urteil vom 03.12.2018, Az.: 32 O 9568/18 wird aufgehoben und die Beklagte nach Maßgabe der nachfolgenden Anträge kostenpflichtig verurteilt:
1. Es wird festgestellt, dass aufgrund des wirksam erfolgten Widerrufs das Darlehensverhältnis beendet ist und die Beklagte aus dem Darlehensvertrag 20.10.2015 mit der Darlehensnummer … über ursprünglich € 23.353,46 keine Rechte – insbesondere keinen Anspruch auf Zahlung der Zins- und Tilgungsleistungen – herleiten kann.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von € 11.325,13 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab dem 01.11.2017 binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs … Limousine, Fahrgestellnummer …, zu zahlen.
3. Es wird festgestellt. dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 2) in Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von € 5.847,53 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab dem 18.08.2017 binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs … Limousine, Fahrgestellnummer …, zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von € 2.697,02 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, die zur Sicherung des widerrufenen Darlehensvertrags aus Antrag zu 1) abgetretenen Lohn- und Gehaltsansprüche rückabzutreten sieben Tage nach Rückgabe des Fahrzeugs gemäß Antrag zu 2).
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 15.03.2019 (Bl. 369 / 383 d.A.) wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, seine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 16.04.2019 (Bl. 384/394 d.A.) nahm der Kläger dazu Stellung. Darauf wird jeweils Bezug genommen Im Übrigen und ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.12.2018, Aktenzeichen 32 O 9568/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Senat hält das angefochtene Urteil für offensichtlich zutreffend und nimmt darauf Bezug. Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis vom 15.03.2019 (Bl. 369 / 383 d.A.).
Auch der weitere Schriftsatz des Klägers vom 16.04.2019 (Bl. 384/394 d.A.) gab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Der Kläger selbst führt eingangs der Stellungsnahme aus, es könne „sich die Klägerseite hier nur wiederholen“. Ergänzend zum Hinweis vom 15.03.2019 sei daher lediglich ausgeführt:
1. Der Senat stellt nicht in Abrede, dass die Berufung Angriffe gegen die Widerrufsinformation sowie die erteilten Pflichtangaben ins Feld geführt hat, erachtet diese aber nicht für durchgreifend, der Berufung zum Erfolg zu verhelfen.
2. Zur Frage, ob die auf den Seiten 1 ff. der Anlage KGR 1 erteilten Informationen sowie die Widerrufsbelehrung Vertragsbestandteil geworden sind, vgl. Hinweis vom 15.03.2019, Ziff. I. 1 (Bl. 371 f. d. A.). Damit setzt sich die Stellungnahme nicht auseinander. Darüber hinaus wird aus dem Hinweis deutlich, dass der streitgegenständliche Darlehensvertrag die vom Kläger bemängelten Pflichtangaben zutreffend enthält, auch unabhängig davon, ob die „Europäische Standardinformation für Verbraucherkredite“ Vertragsbestandteil geworden sind. Es kommt also vorliegend auf diese Frage gar nicht an.
Da es auf diese Frage nicht ankommt, kann die Entscheidung des Senats auch nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder anderweitiger Oberlandesgerichte abweichen. Überdies lässt sich dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22.11.2016 – BGH XI ZR 434/15 ohnehin keine Divergenz entnehmen. Gleiches gilt für die von der Stellungnahme zitierte Entscheidung des OLG Karlsruhe. In dem dort zu entscheidenden Einzelfall diente das Merkblatt – obschon mit dem Darlehensangebot der Bank ausgehändigt – „ersichtlich der Erfüllung vorvertraglicher Informationspflichten“; daher wurde im Einleitungssatz des Merkblattes auch darauf hingewiesen, dass die dortigen Angaben „kein rechtsverbindliches Angebot“ darstellten und dass dessen Aushändigung „die Sparkassen nicht automatisch zur Darlehensbewilligung“ verpflichte (OLG Karlsruhe, in maßgeblichen Punkten anders dar als im vorliegenden Fall. Soweit die Stellungnahme noch auf einen Hinweisbeschluss des OLG Frankfurt am Main rekurriert, handelt es sich dabei um keine Endentscheidung. Urteil vom 28. März 2017 – 17 U 58/16 -, Rn. 31, juris). Der Sachverhalt stellte sich also
3. Soweit die Berufung rügt, die Beklagte habe einen Hinweis auf § 501 BGB pflichtwidrig nicht aufgenommen, legt sie nicht dar, weshalb Ziff. 4.2 der wirksam in den Vertrag einbezogenen ADB der Beklagten nicht hinreichend sein soll, der u. a. in S. 1 die gesetzliche Regelung des § 501 BGB im Wesentlichen wortgleich abbildet.
4. Soweit die Berufung nunmehr rügt, der im Darlehensvertrag angegebene Gesamtbetrag von EUR 25.258,63 weiche um 6 Cent nach oben ab vom vermeintlich tatsächlich geschuldeten Betrag in Höhe von EUR 25.258,57, deshalb wäre entgegen Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 und 8 EGBGB a. F. entweder die Angabe über den Gesamtbetrag oder über den Betrag, die Zahl und die Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen unzutreffend angegeben, gilt:
Es kann dahinstehen, dass die erstmalige Berufung des Klägers auf diesen Umstand ersichtlich verspätet ist. Dahinstehen kann auch, ob eine fehlerhafte überhaupt mit einer fehlenden Angabe im Sinne dieser Vorschriften gleichzusetzen ist (str., vgl. u.a. Münchener Kommentar, BGB 7. Auflage 2017, § 492 RdNr. 61; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 356b RdNr. 3; BeckOGK/Knops, 1.6.2018, BGB, § 492 Rn. 57; BeckOK BGB/Möller, 45. Ed. 1.11.2017, BGB, § 492 Rn. 46; Hölldampf, WM 2018, 114 ff). Denn unabhängig davon, ob unrichtige Pflichtangaben die Widerrufsfrist in Lauf setzen, ist dem Kläger ein Widerruf vorliegend jedenfalls aufgrund des Grundsatzes der unzulässigen Rechtsausübung verwehrt (§ 242 BGB). Ein Widerruf des Darlehensvertrages durch den Kläger unter Berufung auf diesen Umstand stellt aus Sicht des Senates im vorliegenden Fall bei umfassender Bewertung der gesamten Fallumstände unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten eine unzulässige Rechtsausübung dar.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann die Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechtes im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung darstellen und in Widerspruch zu § 242 BGB stehen, auch wenn die Voraussetzung einer Verwirkung nicht vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2017 – XI ZR 253/15, BeckRS 140388; Urteil vom 04.07.2017 – XI ZR 741/16, NJW-RR 2017, 1077; Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 501/15, BKR 2016 504, 506; Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 564/15, NJW 2016, 3512, 3517; Urteil vom 25.11.2009 – VIII ZR 318/08, NJW 2010, 610, 611; OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.03.2017 – 17 U 58/16, VuR 2017, 316).
b) Dem steht auch das Unionsrecht nicht grundsätzlich entgegen, denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die missbräuchliche Berufung auf Unionsrecht nicht gestattet. Die nationalen Gerichte können mithin ein missbräuchliches Verhalten nach objektiven Kriterien in Rechnung stellen, um dem Verbraucher die Berufung auf Bestimmungen des Unionsrechts zu verwehren, solange nationale Vorschriften wie § 242 BGB die Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes nicht beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 501/15, BKR 2016 504, 506 m. w. N.).
c) Eine Rechtsausübung kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Ob dies im konkreten Einzelfall der Fall ist, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 501/15, BKR 2016 504, 506 m. w. N.). Dabei ist die Ausübung des Widerrufsrechts nicht allein deshalb rechtsmissbräuchlich, weil sie nicht durch den Schutzzweck des Verbraucherwiderrufsrechts motiviert ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 501/15, BKR 2016 504, 506 m. w. N., Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 564/15, BKR 2016, 463, 468 OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.03.2017 – 17 U 58/16, VuR 2017, 316).
d) Soweit sich der Kläger hinsichtlich seines Widerrufs darauf beruft, dass im streitgegenständlichen Darlehensvertrag der Darlehensgesamtbetrag fehlerhaft angegeben sei, stellt dies aus Sicht des Senates im vorliegenden Fall bei umfassender Bewertung der gesamten Fallumstände unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten eine unzulässige Rechtsausübung dar:
Der Kläger hat einen Darlehensvertrag abgeschlossen (Anlage KGR 1), bei dem als Darlehensgesamtbetrag ein Betrag von EUR 25.258,63 angegeben ist. Nach dem Vortrag der Berufung hätte als Darlehensgesamtbetrag indes nur ein Betrag von EUR 25.258,57 angegeben werden dürfen. Die Differenz beträgt damit bei einem Darlehensvertrag über einen Gesamtbetrag von über EUR 25.000,00 und einer 4-jährigen Laufzeit gerade einmal 6 Cent.
Diese marginale Differenz von 6 Cent wirkt sich überdies zu Gunsten des Klägers aus; tatsächlich schuldet er nach seinem Vortrag einen Betrag von 6 Cent weniger als im Darlehensvertrag angegeben.
Obwohl er mit der Widerrufsinformation über sein Widerrufsrecht belehrt worden war, machte der Kläger auch in Ansehung des im Darlehensvertrag ausgewiesenen, vermeintlich höheren Darlehensgesamtbetrages von seinem Widerrufsrecht rund zwei Jahre lang nicht Gebrauch, leistete Annnuitäten und nutzte das Fahrzeug. Mit diesem Gesamtverhalten zeigte er deutlich, dass er den im Darlehensvertrag aufgeführten, vermeintlich sogar höheren Darlehensgesamtbetrag akzeptierte. Wenn der Kläger sich dann jetzt auf eine vermeintlich – zu seinen Gunsten – um 6 Cent geringere Darlehensgesamtbelastung beruft als ursprünglich vertraglich mitgeteilt, zeigt dies deutlich widersprüchliches Verhalten auf und ist mit seinem vorherigen Verhalten sachlich unvereinbar. Dies gilt gerade auch, weil die lediglich marginale Abweichung den Kläger keinesfalls daran hinderte, den Umfang seiner seinerzeit eingegangenen Verpflichtung faktisch einzuschätzen. Demgegenüber erscheinen im vorliegenden konkreten Fall die Interessen der Beklagten am Festhalten an einer vertragsgemäßen Abwicklung des Darlehensverhältnisses im vorliegenden Streitfall vorrangig schutzwürdig.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO bestimmt.


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