Bankrecht

Wirksamer Widerspruch gegen Zustandekommen einer im sog. Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung – Anforderungen an den Inhalt der Widerspruchsbelehrung

Aktenzeichen  1 O 533/19

Datum:
20.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44591
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 5a
VAG aF § 10a
BGB § 242, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 818

 

Leitsatz

Aus der Belehrung nach § 5a Abs. 2 S. 1 VVG muss für den Versicherungsnehmer hervorgehen – oder zumindest für ihn ermittelbar sein -, dass der Beginn des Fristenlaufes voraussetzt, dass er neben dem Versicherungsschein die Vertragsbedingungen und maßgeblichen Verbraucherinformationen nach § 10a VAG aF erhalten hat. Dem genügt eine Belehrung in einem Policenbegleitschreiben, nach der der Versicherungsnehmer dem Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen “nach Erhalt des Versicherungsscheins und der unten aufgeführten Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen schriftlich widersprechen kann”, auch dann nicht, wenn am Ende des einseitigen Policenbegleitschreibens die im einzelnen namentlich genannten Anlagen, die auch übersandt wurden, aufgeführt sind. (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.227,41 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.01.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich bis auf die Nebenforderung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren als vollumfänglich begründet.
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten der Anspruch auf Zahlung von 13.227,41 € aus § 812 I 1 1. Alternative, § 818 I BGB nebst Zinsen zu.
1. Wirksamer Widerspruch
Der streitgegenständliche Versicherungsvertrag wurde im sogenannten Policenmodell abgeschlossen. Dieser Vertrag schafft jedoch zwischen den Parteien keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung, da er infolge des Widerspruchs des Klägers nicht wirksam zustande gekommen ist. Der mit Schreiben vom 18.01.2019 erklärte Widerspruch war rechtzeitig, da die in § 5 a II 4 VVG a.F. normierte Jahresfrist aufgrund Europarechtswidrigkeit nicht gilt (EuGH, Urteil vom 19.12.2013, NJW 2014, 452). Demzufolge besteht das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist, fort (BGH, Urteil vom 07.05.2014, IV ZR 76/11).
Zwischen den Parteien unstreitig wurde der Antrag von der Beklagten durch Übersendung der Police mit dem Policenbegleitschreiben vom 10.09.1999 angenommen.
Diesem Policenbegleitschreiben waren, ebenfalls unstreitig, die weiteren Vertragsunterlagen, namentlich Tabelle der Rückkaufswerte, die ABL 98, die BBL 97, ein Zertifikat, ein Steuermerkblatt, die Satzung und ein Datenschutzmerkblatt beigegeben, wobei die Vertragsunterlagen sämtliche Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG enthielten. Der Kläger ist dem diesbezüglichen Sachvortrag der Beklagten nicht entgegengetreten. Für die Frage der Wirksamkeit des Widerspruchs ist es jedoch ohne Belang, ob dem Kläger mit dem Versicherungsschein die weiteren erforderlichen Unterlagen zugingen, wenn die Belehrung inhaltlich fehlerhaft war (BGH, Urteil vom 24.02.2016, IV ZR 203/14, Rn. 12 Juris).
Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung ist auf § 5 a VVG in der Fassung vom 21.07.1994, gültig vom 29.07.1994 bis 31.07.2001, abzustellen. Dieser lautet:
„(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. …
(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. …“
Die fettgedruckte, und damit drucktechnisch in deutlicher Form hervorgehobene, Widerspruchsbelehrung im Policenbegleitschreiben vom 10.09.1999 belehrt den Versicherungsnehmer dahingehend, dass er dem Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins und der unten aufgeführten Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen schriftlich widersprechen kann. Am Ende des einseitigen Policenbegleitschreibens sind die oben im einzelnen namentlich genannten Anlagen, die auch übersandt wurden, aufgeführt.
Nach den gesetzlichen Vorgaben in § 5 a VVG a.F. muss mithin aus der Belehrung für den Versicherungsnehmer hervorgehen – oder zumindest für ihn ermittelbar sein -, dass der Beginn des Fristenlaufes voraussetzt, dass er neben dem Versicherungsschein die Vertragsbedingungen und maßgeblichen Verbraucherinformationen nach § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes erhalten hat. Die streitgegenständliche Belehrung entspricht hierbei unstreitig der Belehrung, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 23.03.2016, Az.: IV ZR 122/14, zugrunde lag. Dem diesbezüglichen Sachvortrag des Klägers ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Außerdem kann dies mittelbar auch den Urteilsgründen entnommen werden, wobei der einzige Unterschied der im Policenbegleitschreiben aufgezählten Anlagen darin besteht, dass im Sachverhalt des Urteils des BGH darüber hinaus noch BUZV 94 als Anlage aufgeführt waren; im Übrigen sind die am Ende des Begleitschreibens genannten Unterlagen identisch zu den in der BGH-Entscheidung Genannten.
Der BGH hat in dieser Entscheidung die Widerspruchsbelehrung als nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 5 a II 1 VVG a.F. angesehen. Er hat diesbezüglich in seiner Entscheidung ausgeführt – zunächst bezüglich der vorausgehenden Entscheidung des LG Dresden: Die Widerspruchsbelehrung im Begleitschreiben entspreche nicht den Voraussetzungen des § 5 a II 1 VVG a.F. Sie enthalte keinen Hinweis auf das Erfordernis der Vorlage der Verbraucherinformation nach § 10 a VAG. Die Verweisung auf die „unten angeführten Verbraucherinformationen“ führe nicht weiter. Die Verbraucherinformation nach § 10 a VAG sei in den am Ende des Begleitschreibens benannten Anlagen nicht mit aufgeführt. …“
In den Ausführungen zur begründeten Revision wurde wortwörtlich ausgeführt:
„Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer den VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5 a II 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Belehrung im Begleitschreiben inhaltlich unzutreffend, weil die Verbraucherinformation nicht genannt wird und damit die fristauslösenden Unterlagen unvollständig bezeichnet sind. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, genügt die Verweisung auf die „unten angeführten Verbraucherinformationen“ nicht“.
Damit hat der BGH aus Sicht des Gerichtes eindeutig ausgeführt, dass die Formulierung, „unten angeführten Verbraucherinformationen“ bei gleichzeitiger Nichtaufführung der Verbraucherinformation nach § 10 a VAG in den am Ende des Begleitschreibens benannten Anlagen, nicht ausreichend ist, da damit die fristauslösenden Unterlagen unvollständig bezeichnet sind. Damit vermochte der Versicherungsnehmer, also der Kläger, zwar grundsätzlich zu überprüfen, ob dem Policenbegleitschreiben die als Anlage benannten Unterlagen sämtlich beigegeben waren; er war damit aber nicht in der Lage zu überprüfen, was aber für den Fristbeginn relevant ist, dass er damit die Verbraucherinformation nach § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes und damit die für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen, erhalten hat.
Aus Sicht des Gerichtes stellte sich in der damaligen Entscheidung – aufgrund des Wortlauts der Urteilsgründe – lediglich zusätzlich die Problematik, ob die am Ende des Begleitschreibens genannten Unterlagen tatsächlich alle die in der Anlage Teil D, Abschnitt I, zu § 10 a VAG a.F. aufgeführten Informationen enthalten hatten, da im damaligen Verfahren dies anhand der von der dortigen Beklagten zu den Akten gereichten Reproduktion des Begleitschreibens nicht nachvollzogen werden konnte. Dies ist zwar im vorliegenden Verfahren unproblematisch aufgrund der seitens der Beklagten vorgelegten Unterlagen und des unstreitigen Umstandes, dass der Kläger sämtliche relevante Verbraucherinformationen i.S.d. § 10 a VAG a.F. erhalten hatte. Es verbleibt jedoch die oben dargelegte Problematik, dass damit der Kläger nicht in der Lage war, zu überprüfen, ob er die relevanten Verbraucherinformationen erhalten hat.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich auch von den seitens der Beklagten vorgelegten OLG-Entscheidungen. So kann beispielsweise der Entscheidung des OLG Koblenz, Az.: 10 U 1308/17, entnommen werden, dass der dortige Kläger auch – aktenkundig – eine mit „wichtige Informationen und Erklärungen“ überschriebene Seite und die darin unter 1 enthaltenen „Verbraucherinformationen gemäß § 10 a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)/sonstige Hinweise“ die ausdrücklich Gegenstand des vom Kläger gestellten Versicherungsantrages waren, erhalten hat. Nach den Ausführungen des OLG Koblenz war damit ein Abgleich mit den Anforderungen an die vorzulegenden Unterlagen entsprechend der Anlage D, Ziffer I des § 10 a VAG a.F. vorliegend möglich. Insofern vermochte das OLG Koblenz auch ausdrücklich festzustellen, dass der dortige Fall mit dem Sachverhalt des Urteils des BGH vom 23.03.2016, IV ZR 122/14, nicht identisch sei. Demgegenüber hat der Kläger – im Gegensatz zum Fall des OLG Koblenz – vorliegend kein Merkblatt erhalten, mit dem ihm ein Abgleich mit den Anforderungen an die vorzulegenden Unterlagen entsprechend der Anlage D, Ziffer I des § 10 a VAG a.F. möglich gewesen wäre. Dies wurde beklagtenseits weder vorgetragen, noch wurde ein entsprechendes Merkblatt vorgelegt. Entsprechende Hinweise und Ausführungen finden sich auch nicht im als Anlage BLD 1 einseitigen vorgelegten Antrag ebenso wenig in dem als Anlage BLD 2 vorgelegten Anlagenkonvolut, das die im Policenbegleitschreiben aufgeführten Anlagen enthält.
Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des BGH vom 30. Juli 2015, Az.: IV ZR 63/13, beruft, stellt sich zum einen bereits die Problematik, dass weder dem vorausgegangenen Urteil des Amtsgerichtes Landshut noch dem Berufungsurteil des Landgerichtes Landshut entnommen werden kann, wie der konkrete Text und die Belehrung im dortigen Policenbegleitschreiben erfolgte, insbesondere, wie die Anlagen dort bezeichnet wurden, so dass damit für den Versicherungsnehmer klar war, wenn es in der Belehrung heißt „nachstehend angeführte“ Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen, dass und welche Unterlagen er erhalten hat. Folglich lag dieser Entscheidung bereits eine vom Text her andere Belehrung zugrunde. Die Entscheidung des BGH steht mithin dem später ergangenen Urteil vom 23.03.2016, IV ZR 122/14, nicht entgegen. Die Beklagte vermag sich auch nicht auf den vorgelegten Beschluss des Kammergerichtes zu beziehen, da ausweislich der dortig genannten Gründe dem dortigen Kläger bzw. Versicherungsnehmer die übrigen Informationen zu § 10 a VAG bereits bei der Antragstellung erteilt wurden, weswegen es nach Auffassung des Kammergerichtes unproblematisch war, ob die dem Begleitschreiben beigefügten Unterlagen alle gemäß der vorgenannten Anlage zu § 10 a VAG erforderlichen Informationen beinhalteten. Gleiches gilt für die vorgelegte Entscheidung des OLG Dresden. Auch danach hatte der dortige Kläger bereits mit der Antragstellung das „Beiblatt III 31 (6/2002) des Beklagten, überschrieben als „Wichtige Informationen und Erklärungen“, u.a. enthaltend die Verbraucherinformationen gemäß § 10 a VAG (Anlage), erhalten. Dies gilt im Übrigen auch für die vorgelegte Entscheidung des OLG München vom 01.03.2018, Az.: 25 U 2690/16. Auch dieser kann entnommen werden, dass der Kläger bereits bei Antragstellung einen wesentlichen Teil der Verbraucherinformationen überlassen hatte, weswegen die Beklagte diese mit der Police nicht erneut übersenden und im unten aufgeführten Verzeichnis des Begleitschreibens naturgemäß auch nicht erwähnen musste.
Folglich unterscheiden die sich seitens der Beklagten vorgelegten Entscheidungen sämtlich von dem Urteil des BGH vom 23.03.2016, Az.: IV ZR 122/14, und dem vorliegenden Fall. Ein entsprechender Sachvortrag, wonach dem Kläger bereits bei Antragstellung ein entsprechendes Merkblatt oder die Verbraucherinformationen übergeben wurden, so dass dem Kläger bei Sichtung und Vergleichung der Unterlagen ein Abgleich möglich gewesen wäre, wurde seitens der Beklagten nicht vorgebracht und ist demzufolge auch nicht geschehen.
Aufgrund des unstreitig erklärten Widerspruchs stellt mithin der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung dar.
2. Rückzahlungsanspruch
Der Kläger hat – unstreitig – vom 01.10.1999 an bis zur Erklärung des Widerspruchs mit Schreiben vom 18.01.2019, also einschließlich Januar 2019, Beiträge von insgesamt 9.294,48 € gezahlt. Auf die entsprechenden Einwendungen der Beklagten, wurde dies seitens des Klägers dargestellt; dieser Sachvortrag stimmt auch mit der klägerseits vorgelegten Berechnung gemäß Anlage K 2 überein. Soweit der Kläger – wohl – weiterhin Beiträge zahlt und eine Rückzahlung dieser Beiträge mit der vorliegenden Klage nicht geltend macht, so führt dies nicht zu einer Unschlüssigkeit der Klage aufgrund der entsprechenden Darlegung. Es obliegt schließlich dem Kläger, selbst zu entscheiden, in welcher Höhe er seinen Rückforderungsanspruch geltend macht.
Zutreffend gehen sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite davon aus, dass der Klägerin – entsprechend der Rechtsprechung des BGH – die Darlegungs- und Beweislast für den von ihnen geltend gemachten Rückforderungsanspruch trägt. Dieser ist der Kläger aufgrund der detaillierten Darlegungen, denen die Beklagte inhaltlich nicht weiter bzw. ausreichend entgegengetreten ist, nachgekommen. Der Kläger hat auch die grundsätzliche Ermittlung der Anspruchshöhe im Rahmen eines zutreffenden Berechnungsweges – vgl. 14 der Klageschrift – vorgenommen und hierbei von den eingezahlten Beiträgen den faktischen Versicherungsschutz abgezogen und dieser Summe den Ersatz der Nutzungen, die die Beklagte aus den ihr zur Verfügung stehenden Beiträgen ziehen konnte, hinzugezählt. Zutreffend wurde seitens des Klägers ausgeführt, dass er, nachdem ihm die Prämienkalkulation der Beklagten nicht vorliegt, teilweise auf eine Schätzung sowohl hinsichtlich des faktischen Versicherungsschutzes, den der Kläger genossen hat, als auch hinsichtlich der Abschlusskosten und hinsichtlich der Nutzungszinsen zurückzugreifen müsse. Der Kläger hat hierbei detailliert dargelegt, wie er den faktischen Versicherungsschutz mit 371,68 € berechnet hat. Diesem Ansatz ist die Beklagtenseite nicht entgegengetreten; insbesondere wurde nicht einmal behauptet, dass der faktische Versicherungsschutz tatsächlich höher liege.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wurden seitens des Klägers auch die von der Beklagten erwirtschafteten Nutzungen aus den Prämien in einer schlüssigen und detaillierten Darlegung unterbreitet, so dass diese gemäß § 287 ZPO auch der gerichtlichen Schätzung zugrunde gelegt werden können. Nachdem dem Kläger die Prämienkalkulation der Beklagten wie auch sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht genauer bekannt sind, konnte er – zutreffend – auf die seitens der Beklagten der Bundesanstalt für Finanzaufsicht gemeldete sogenannte Reinverzinsung zugrunde legen. Dem Sachvortrag, dass dieser Zinssatz alle Erträge und Aufwendungen des Versicherungsunternehmens beinhalte und die entsprechende Reinverzinsung für die Beklagte der klägerseits vorgelegten Berechnung auf Monatsbasis unter Berücksichtigung der Abschlusskostenquoten zugrunde gelegt wurde, ist die Beklagtenseite nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten.
Damit konnte dem Kläger der begehrte Betrag von 13.227,41 € zugesprochen werden (9.294,48 € Prämien – 371,68 € faktischer Versicherungsschutz + 4.304,61 € Nutzungszinsen).
3. Verwirkung
Seitens der Beklagten wurde eingewandt, dass dem „ewigen“ Widerspruchsrecht des Klägers der Verwirkungseinwand aus § 242 BGB entgegenstehe, da der Kläger sich rechtsmissbräuchlich widersprüchlich verhalte, wenn er sich 20 Jahre nach Vertragsschluss auf einen vermeintlichen anfänglichen Mangel berufe. Auch sei der Wertungsgedanke nach § 124 III BGB zu berücksichtigen.
Grundsätzlich kommt die Annahme einer Verwirkung auch bei einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung, wie vorliegend, in Betracht. Bei einem Vergleich der diesbezüglich ergangenen Rechtsprechung des BGH ist jedoch erkenntlich, dass dies nur bei Vorliegen besonders gravierender Umstände angenommen werden kann, wie z.B. der zeitnahe Einsatz der abgeschlossenen Lebensversicherung zur Kreditsicherung oder einer mehrfachen Abtretung. Die Beklagte vermag sich vorliegend ausschließlich auf das Zeitmoment, nämlich die lange unbeanstandete Vertragsdauer, zu berufen. Auch wenn das Umstandsmoment bzw. dessen Gewicht auch vom Zeitmoment mit abhängt, so vermag sich die Beklagte letztlich vorliegend nur auf das Zeitmoment zu berufen. Die bloße Zeitdauer bei einem an sich unbeanstandeten Vertrag ohne Besonderheiten und einem letztlich „normalen“ Vertragsablauf, vermag dementsprechend eine Verwirkung nicht zu begründen.
4. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Verzug
Demgegenüber musste die Klage zurückgewiesen werden, soweit seitens des Klägers vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 835,98 € (vgl. Bl. 22 der Klageschrift) geltend gemacht werden. Nach dem Sachvortrag des Klägers hat nicht er selbst den Widerspruch erklärt und eine entsprechende Forderung zur Rückzahlung an die Beklagte gerichtet, sondern bereits – erstmals – der Klägervertreter mit Schreiben vom 18.01.2019. Damit ist der Kläger nicht erst nach Verzug tätig geworden, sondern selbst verzugsbegründend, als in dem Widerspruchsschreiben bereits die Klageforderung mit 13.227,41 € mit Fristsetzung zur Zahlung bis 01.02.2019 gefordert wurde. Dementsprechend steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch aus Verzug bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zu.
Nachdem die Beklagte eine Zahlung nicht getätigt hat und die Ansprüche des Klägers mit Schreiben vom 30.01.2019 abgelehnt hat, konnten die entsprechenden Verzugszinsen zugesprochen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben