Baurecht

Ablehnung eines sogenannten Hängebeschlusses – Anforderungen an die Darlegung drohender irreparabler Schäden

Aktenzeichen  1 C 20.1893

Datum:
4.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24680
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3, Abs. 5, § 146

 

Leitsatz

1. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vollziehung einer erteilten Abgrabungsgenehmigung kann, wenn die maßgebliche Abraumung und Veränderung von Natur und Landschaft bereits erfolgt ist, im Wege eines Hängebeschlusses nicht erreicht werden, weil dessen Gegenstand allein die (vorübergehende) Aussetzung der Vollziehung sein kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Derjenige, der den Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses stellt, muss hinreichend substantiiert darlegen, aus welchen Gründen in dem zu erwartenden Zeitraum bis zu einer Entscheidung im Eilrechtsschutz mit erheblichen Beeinträchtigungen nach § 34 Abs. 2 BNatSchG zu rechnen ist.  (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 SN 20.3658 2020-08-14 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Beschwerde, deren Statthaftigkeit und Zulässigkeit zu Gunsten des Antragstellers unterstellt wird, bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag des Antragstellers abgelehnt, der Beigeladenen bis zur Entscheidung über den Antrag im erstinstanzlichen Eilverfahren zu untersagen, die weitere Abgrabungsarbeit im Rahmen der erteilten Abgrabungsgenehmigung vom 18. Juni 2020 für die Errichtung einer Kiesgrube und die Wiederverfüllung als Aushubdeponie auf dem Grundstück FlNr. … … der Gemarkung S* … in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 24. Juli 2020 fortzuführen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend zugrunde gelegt, dass eine derartige Zwischenentscheidung („Hängebeschluss“) dazu dient, den nach Art. 19 Abs. 4 GG von den Gerichten zu sichernden effektiven Rechtsschutz des von einem ihn belastenden Verwaltungsakt Betroffenen für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens durchzusetzen. Ob sie erforderlich ist, ist grundsätzlich im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind die Folgen, die einträten, wenn der Verwaltungsakt vollzogen würde und der Eilantrag später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die Vollziehung ausgesetzt und der Eilantrag später abgelehnt würde (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.2013 – 1 BvR 2616/13 – NVwZ 2014, 363). Das Beschwerdegericht hat bei der Beschwerde gegen einen Hängebeschluss grundsätzlich nur über diesen, nicht aber über die eigentliche Eilentscheidung zu befinden (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2015 – 22 C 15.197 – BayVBl 2015, 614; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 150 Rn. 4 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht gerechtfertigt. Das insbesondere auf Naturschutz und Gewässerschutzbelange gestützte Beschwerdevorbringen gebietet es nicht, im Wege eines Hängebeschlusses bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über den Eilantrag des Antragstellers die Fortsetzung der Abgrabungsarbeiten zu untersagen, da es an der Darlegung dadurch vor der erstinstanzlichen Entscheidung im Eilverfahren drohender irreparabler Schäden fehlt.
In Bezug auf die bereits erfolgte Abschiebung des Oberbodens in einer Tiefe von 1 m und der begonnenen Abgrabungstätigkeit durch die Beigeladene fehlt es bereits an dem für einen Hängebeschluss erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da insoweit Erledigung eingetreten ist. Eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vollziehung kann im Wege eines Hängebeschlusses nicht erreicht werden, da dessen Gegenstand allein die (vorübergehende) Aussetzung der Vollziehung sein kann. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend festgestellt, dass die maßgebliche Abraumung und Veränderung von Natur und Landschaft bereits erfolgt ist. Aus diesen Gründen ist es für die hier zu treffende Zwischenentscheidung nicht erheblich, ob mit den durchgeführten Arbeiten Folgen für den Schutz der vom Antragsteller genannte Belange verbunden sind und welchen Umfang diese haben.
Auch das Beschwerdevorbringen zu den mit der fortschreitenden Abgrabungstätigkeit verbundenen irreversiblen Folgen vermag eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu begründen. Denn insoweit legt der Antragsteller nicht hinreichend substantiiert dar, aus welchen Gründen in dem zu erwartenden Zeitraum bis zu einer Entscheidung im Eilrechtsschutz, mit der nach der gerichtlichen Mitteilung vom 19. August 2020 im Hinblick auf etwaige Äußerungswünsche jedenfalls ab dem 8. September 2020 zu rechnen ist, mit erheblichen Beeinträchtigungen nach § 34 Abs. 2 BNatSchG zu rechnen ist. Der Antragsteller macht in diesem Zusammenhang im Wesentlichen geltend, dass die Auswirkungen des Kiesabbaus nicht auf den Beginn der Abbautätigkeit verkürzt werden dürften, sondern (auch) die von dem Betrieb und der weiteren Errichtung der Kiesgrube ausgehenden fortlaufenden Auswirkungen, deren Intensität und Auswirkung auf die in Rede stehenden Schutzgüter nicht ermittelt worden seien, zu berücksichtigen seien. Drohende irreversible Schäden, die zu einer sofortigen Untersagung weiterer Maßnahmen führen müssten, lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.
Im Übrigen sind nach der FFH-Verträglichkeitsabschätzung vom 22. Januar 2020 für den LRT 3150 hinsichtlich bau-, anlage- und betriebsbedingter Wirkfaktoren keine Beeinträchtigungen durch den Kiesabbau zu erwarten. Auch die Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts vom 22. April 2020 geht nach derzeitigem Stand nicht von einer Beeinträchtigung der Oberflächengewässer aus, da mögliche Sickerwege/Sickerlinien nicht in Richtung Kiesgrube versickern, sondern im kiesigen Untergrund senkrecht in die Tiefe fließen würden. Das Vorhaben wird auch hinsichtlich des Grundwasserschutzes für realisierbar gehalten (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.2019 – 7 C 27.17 – BVerwGE 165, 340 zum maßgeblichen Prüfungsmaßstab). Die umfangreichen Ausführungen des Antragstellers, der diese Einschätzungen der Fachbehörde grundsätzlich in Frage stellt, sind der Überprüfung im Zwischenverfahren aufgrund des dargestellten Prüfungsmaßstabes nicht zugänglich. Der Antragsteller ist insoweit auf das noch zu entscheidende Eilverfahren zu verweisen. Die bloße Behauptung, es sei unklar bzw. nicht auszuschließen, dass Beeinträchtigungen (des B**sees) bei einer Entfernung von nur rd. 50 m ausgeschlossen seien, reicht bereits nicht für die Annahme drohender irreversibler Schäden im verbleibenden maßgeblichen Zeitraum bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ohne dass in diesem Zwischenverfahren die genaue Entfernung der nördlichen Abbaufläche vom B**see einer Überprüfung bedarf. Die Beigeladene hat zudem schriftlich zugesagt, dass die Abbausohle eine Tiefe von 527 m ü.NN nicht vor dem 1. Oktober 2020 unterschreiten werde. Anhaltspunkte dafür, dass sie sich daran nicht halten könnte, sind weder substantiiert vorgetragen noch erkennbar. Im Gegenteil, die Beigeladene hat aufgrund der fortgeschrittenen Vegetationsperiode mit der unteren Naturschutzbehörde und ihrer ökologischen Begleitung vereinbart, die notwendigen Reptilienschutzzäune weiter nach innen in das Abbaugelände zu versetzen und damit eine gegenüber dem B**see nochmals um rd. 20 m abgewandte reduzierte Teilfläche freizulegen. Darauf, ob die Abbausohle von 527 m ü.NN bereits zu einem früheren Zeitpunkt erreicht wird, kommt es daher nicht entscheidend an. Soweit der Antragsteller die Glaubhaftigkeit der Zusage der Beigeladenen mit dem Hinweis auf eine fehlerhafte Bewertung ihrer wirtschaftlichen Interessen durch das Verwaltungsgericht in Zweifel zieht ist festzustellen, dass der Rohstoff tatsächlich für ein Bauprojekt (Kindergarten) in Bad Endorf benötigt wird.
Auch soweit die Beschwerde beanstandet, dass die betriebsbedingten Auswirkungen des Vorhabens nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, kommt die FFH-Verträglichkeitsstudie für das SPA-Gebiet „Moorgebiet von E* … bis S* …“ vom 17. März 2020, die sich u.a. mit dem Verkehr, der Staubentwicklung sowie optischen Störungen befasst, zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der Vermeidungsmaßnahmen VM-1 und VM-2 eine Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des SPA-Gebiets festgestellt werden kann. Auch hier lässt das Beschwerdevorbringen eine substantiierte Auseinandersetzung damit vermissen, warum im Zeitraum bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts erhebliche Beeinträchtigungen nach § 34 Abs. 2 BNatSchG durch irreversible Zustände zu erwarten sein sollen, zumal die Feldgehölze am westlichen Abbaurand den tieferliegenden B**see abschirmen und dieser südwestlich außerhalb der vorherrschen Hauptwindrichtung liegt. Der Hinweis auf eine unterlassene (vertiefte) Untersuchung in der Form von Ausbreitungsberechnungen zur Ermittlung der von dem Vorhaben ausgehenden Immissionen, die wesentlich auf Erfahrungen von in den vergangenen Jahren versiegten Brunnenquellen in unmittelbarer Nähe zu einer anderen Kiesabbaustelle resultieren, vermag zu keinem anderen Ergebnis führen. Dies gilt auch in Bezug auf das weitere Vorbringen des Antragstellers zu den „bekannten Laufzeiten“ verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen und dazu, dass es mit fortschreitenden Arbeiten zu einer Vergrößerung der drohenden Nachteile und einer lang andauernden Störung von Erholungssuchenden komme. Auch der Beschwerdevortrag, es würden irreversible Zustände aufgrund der Abholzung von Feldgehölzen entstehen, legt nicht hinreichend dar, weshalb die Zusicherung der Beigeladene, dass in die Feldgehölze am westlichen Abbaurand zunächst nicht eingegriffen werde, nicht eingehalten werde.
Einer Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung bedarf es wegen des vorläufigen Charakters dieses Beschlusses nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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