Baurecht

Abstandsflächen, Baugenehmigungsverfahren, Erteilte Baugenehmigung, Erteilung der Baugenehmigung, Beiladung, Aufschiebende Wirkung, vorübergehender Aufenthalt, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Aufenthaltsräume, Nebengebäude, Grundstücksgrenze, Streitwertfestsetzung, Außergerichtliche Kosten, Verwaltungsgerichte, Antragsgegner, Prozeßbevollmächtigter, Genehmigungsfähigkeit, Angrenzende Grundstücke, Summarische Prüfung, Behördenakten

Aktenzeichen  B 2 S 20.1217

Datum:
9.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43420
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 2 Abs. 5
BayBO Art. 45
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Für das Vorliegen eines Aufenthaltsraumes nach Art. 2 Abs. 5 BayBO aufgrund der Eignung zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen ist nicht erforderlich, dass dieser Raum den Anforderungen nach Art. 45 BayBO entspricht.
Allerdings ergeben sich aus diesen Anforderungen Kriterien, nach denen die Eignung eines Raumes zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bewertet werden kann.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage (B 2 K 20.1218) der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27.10.2020, Az. …, wird angeordnet, soweit mit der Baugenehmigung die Errichtung des parallel entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … geplanten Nebengebäudes genehmigt worden ist.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 27.10.2020 für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit Nebengebäude und Carport auf dem Grundstück Fl.-Nr. … der Gemarkung L … soweit die Baugenehmigung das Nebengebäude betrifft.
Die Antragsteller sind Eigentümer des westlich an das noch unbebaute Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … Das Grundstück der Antragsteller sowie die weiteren neben dem Vorhabengrundstück nördlich an die Straße … angrenzenden Grundstücke sind jeweils mit einem Wohnhaus bebaut. Lediglich östlich vom Vorhabengrundstück befindet sich eine weitere, aus mehreren Flurstücken bestehende Baulücke. Südlich an die Straße … angrenzend sowie südlich hiervon findet sich ebenfalls Wohnbebauung. Ein Bebauungsplan besteht für dieses Gebiet nicht.
Mit Bauantrag vom 05.06.2020 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit Nebengebäude und Carport auf dem Grundstück …, …, Fl.-Nr. … der Gemarkung L … Das Wohnhaus soll im Nordosten des Baugrundstücks errichtet werden. Das Nebengebäude soll im nördlichen Teil des Baugrundstücks in einem Abstand von 0,6 m parallel zur westlichen Grundstücksgrenze errichtet werden. Es ist mit einer Länge entlang der Grenze von 9 m, einer Breite von 4,1 m, einer Wandstärke von 23,5 cm und einem Satteldach mit einer Dachneigung von 25 Grad geplant. Laut Plan beträgt die Höhe über der auf dem Grundstück vorhandenen Geländeoberfläche der westlichen, parallel zur Grenze verlaufenden Wand an der südwestlichen Ecke des Nebengebäudes 3,06 m und an der nordwestlichen Ecke 2,9 m. Das Nebengebäude soll mit einen 17,55 m² großen, als Schuppen bezeichneten Raum mit einer 1,3 m breiten Fensteröffnung sowie einem 12,95 m² großen Raum mit einer 0,9 m breiten Fensteröffnung und der Bezeichnung „Abstell“ errichtet werden. Die Raumhöhe beträgt jeweils ohne den nicht abgegliederten Dachraum 2,5 m. Eine Feuerstätte ist in dem Nebengebäude nicht geplant. Östlich vor dem Nebengebäude ist über die gesamte Länge des Nebengebäudes eine 1,5 m tiefe Fläche geplant, die in der zeichnerischen Darstellung der nördlich und westlich an das Wohnhaus anschließenden Fläche entspricht. Die an das Wohnhaus anschließende Fläche trägt die Bezeichnung „Terrasse“. Der Carport ist an der südöstlichen Ecke des Grundstücks mit 2 Stellplätzen geplant und soll an der südlichen Grundstücksgrenze mit einer Breite von 8 m und an der östlichen Grundstücksgrenze mit einer Länge von 6 m errichtet werden. Mit dem Bauantrag beantragten die Beigeladenen für den Carport eine Abweichung von § 2 Abs. 1 S. 1 der Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV – zur Positionierung des Carports straßenseitig bündig an der Grundstücksgrenze.
Die Gemeinde L … hat das gemeindliches Einvernehmen zum Bauantrag mit Stellungnahme vom 29.07.2020 aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates vom 20.07.2020 erteilt. Nach der Stellungnahme entspreche die Eigenart der näheren Umgebung einem allgemeinen Wohngebiet. Im Rahmen der Nachbarbeteiligung stimmten die Antragsteller dem Bauvorhaben nicht zu und machten mit Schreiben vom 07.07.2020 und 04.08.2020 Einwendungen bezüglich des geplanten Nebengebäudes geltend. In Bezug auf das Nebengebäude seien erforderliche Abstandsflächen nicht eingehalten. Das Nebengebäude sei nicht ohne Abstandsflächen zulässig, da es über Aufenthaltsräume verfüge. Darüber hinaus füge sich das Nebengebäude aufgrund seiner Lage auf dem Grundstück nicht in die nähere Umgebung ein.
Mit Bescheid vom 27.10.2020, Az. …, erteilte der Antragsgegner den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung (Ziffer I.) sowie die beantragte Abweichung von § 2 Abs. 1 S. 1 GaStellV unter der Voraussetzung, dass der Carport zur öffentlichen Verkehrsfläche ständig offen und nicht durch Tore, Ketten und der gleichen auch nur zeitweise verschlossen wird und legte fest, dass die Seitenwände nicht geschlossen werden dürfen, damit die Sicht beim Ausfahren auf die öffentliche Verkehrsfläche nicht behindert wird (Ziffer II.).
Das Vorhaben entspreche den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen seien. Die Abweichung von § 2 Abs. 1 S. 2 GaStellV könne zugelassen werden, da wegen der offenen Bauweise hinsichtlich der Sicht auf die öffentliche Verkehrsfläche keine Bedenken bestünden.
Der Bescheid vom 27.10.2020 wurde den Antragstellern durch die Post mit Postzustellungsurkunde am 31.10.2020 zugestellt.
Am 10.11.2020 haben die Antragsteller gegen diesen Bescheid Klage (B 2 K 20.1218) erhoben sowie am selben Tag einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung tragen die Antragsteller vor, eine Abweichung sei lediglich im Hinblick auf § 2 Abs. 1 S. 1 GaStellV im Hinblick auf den Entfall eines Stauraumes erteilt worden. Weitere Abweichungen seien in der Baugenehmigung nicht beinhaltet. Die im Bauantrag als Abstellraum und Schuppen beschriebenen Räume seien aufgrund der Art der baulichen Ausführung zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet. Aus der Anordnung von Hauptgebäude und Nebengebäude mit den jeweils vorgelagerten Terrassen ergebe sich, dass eine zusammenhängende Nutzung zu Aufenthaltszwecken geplant sei.
Die Antragsteller sind der Ansicht, die Baugenehmigung vom 27.10.2020 sei rechtswidrig und verletze die Antragsteller in ihren Rechten, da eine Abweichungsentscheidung bezüglich der Abstandsflächen des Nebengebäudes nicht vorliege. Aufgrund der Geeignetheit der sich darin befindenden Räume als Aufenthaltsraum sei das Nebengebäude abstandsflächenpflichtig und die Abstandsflächen seien nicht eingehalten. Auf die Bezeichnung der Räume in den Bauvorlagen als Schuppen oder Abstellraum und darauf, ob eine tatsächliche Benutzung als dauerhafte Nutzung erfolge, komme es nicht an.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27.10.2020 anzuordnen, soweit die Baugenehmigung sich auf die Genehmigung zur Errichtung eines Nebengebäudes bezieht;
hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27.10.2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, er habe sich im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens vor Erteilung der Baugenehmigung mit den Einwendungen der Antragsteller auseinandergesetzt. Bei der östlich vor dem Nebengebäude geplanten Fläche handle es sich um eine befestigte Abstellfläche. Bei den als Schuppen und Abstellraum bezeichneten Räumen handle es sich nicht um Aufenthaltsräume. Anhand der Planunterlagen seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass sich in dem Nebengebäude Aufenthaltsräume befinden würden. Es seien beispielsweise weder ein Ofen noch ein Heizungsrohr dargestellt.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, das Nebengebäude erfülle nach den genehmigten Planunterlagen die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 der Bayerischen Bauordnung und könne daher ohne Einhaltung von Abstandsflächen errichtet werden. Eine etwaige Umnutzung des Nebengebäudes nach dessen Errichtung, habe keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und sei im Rahmen der Bauaufsicht zu verfolgen.
Die mit Beschluss vom 11.11.2020 beigeladenen Bauherren haben sich zum Verfahren nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Gerichtsakte des Klageverfahrens (B 2 K 20.1218) sowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
II.
1. Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
Nach § 212a Abs. 1 des Baugesetzbuchs – BauGB – hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Dem Dritten steht aber die Möglichkeit offen, sich nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO an das Gericht zu wenden und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu beantragen.
a) Bezüglich der Klage (B 2 K 20.1218) gegen die Baugenehmigung vom 27.10.2020 ist die von den Antragstellern begehrte teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, soweit die Baugenehmigung die Genehmigung zur Errichtung des Nebengebäudes zum Gegenstand hat, möglich. Nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Eine teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage kommt in Betracht, wenn der Verwaltungsakt, gegen den sich die Klage richtet, selbst teilbar ist. Ein Bauantrag und damit eine Baugenehmigung ist dann teilbar, wenn sie Bauteile betrifft, die getrennt voneinander Gegenstand der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit seien können (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2014 – 2 CS 13.2472 – juris Rn. 7). Eine Teilbarkeit der Baugenehmigung vom 27.10.2020 in das parallel entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … geplante Nebengebäude einerseits und die im Übrigen geplanten Baukörper andererseits ist gegeben, da die insoweit getrennten Bauteile getrennt voneinander auf ihre Genehmigungsfähigkeit hin geprüft werden können. Denn es handelt sich um voneinander unabhängige Baukörper, die ohne Veränderung der einzelnen Teile selbstständig errichtet werden können, und eine Änderung des Bauantrages und der Bauvorlagen ist nicht erforderlich, um sowohl die Genehmigungsfähigkeit des abgetrennten Nebengebäudes als auch der verbleibenden Baukörper prüfen zu können.
b) Es ist nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage (B 2 K 20.1218) der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27.10.2020 anzuordnen, soweit mit der Baugenehmigung die Errichtung des parallel entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … geplanten Nebengebäudes genehmigt worden ist. Bei der zur Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vorzunehmenden Interessenabwägung hat das Gericht insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage im beantragten und tenorierten Umfang überwiegt das Interesse der Beigeladenen an der Nutzung der Baugenehmigung vom 27.10.2020 hinsichtlich der Errichtung auch des parallel entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … geplanten Nebengebäudes. Denn insoweit hat die Klage der Antragsteller nach summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg.
Eine Baunachbarklage kann ohne Rücksicht auf die etwaige objektive Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nur dann Erfolg haben, wenn die erteilte Genehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die gerade auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann darüber hinaus wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das objektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann.
Nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte das mit streitgegenständlichem Bescheid genehmigte parallel entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … geplante Nebengebäude gegen zu Gunsten der Antragsteller drittschützende Vorschriften verstoßen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die im Genehmigungsverfahren zu prüfen waren.
Da es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 der Bayerischen Bauordnung – BayBO – handelt, wurde von der Bauaufsichtsbehörde ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchgeführt.
Das Nebengebäude verstößt nach summarischer Prüfung zulasten der Antragsteller gegen die drittschützenden Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO, die nach Art. 59 S. 1 Nr. 1 lit. b BayBO im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen waren, da das Nebengebäude die erforderliche Abstandsfläche zur Grundstücksgrenze zwischen dem Baugrundstück Fl.-Nr. … der Gemarkung L … und dem Grundstück Fl.-Nr. … der Antragsteller nicht einhält.
aa) Von der westlichen Außenwand des geplanten Nebengebäudes als oberirdischem Gebäude (Art. 2 Abs. 2 BayBO) ist zunächst grundsätzlich nach Art. 6 Abs. 1 BayBO eine Abstandsfläche gegenüber der westlich von der Außenwand liegenden Grundstücksgrenze freizuhalten, da keine planungsrechtlichen Vorschriften, nach denen an die Grundstücksgrenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf, vorliegen. Nach § 34 des Baugesetzbuches – BauGB – muss oder darf vorliegend nicht an die Grenze gebaut werden. Denn im die Eigenart der näheren Umgebung prägenden, nördlich und südlich von der Straße … gelegenen Bereich bis zur Straße … sowie auch südlich davon findet sich keine Bauweise, die eine Grenzbebauung erlauben würde. Die Gebäude sind jeweils in offener Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 2 S. 1 der BaunutzungsverordnungBauNVO – mit seitlichem Grenzabstand errichtet. Soweit grenzständige Bebauung vorhanden ist, handelt es sich um Grenzgebäude nach Art. 6 Abs. 9 BayBO, die die Eigenart der näheren Umgebung nicht in der Weise berühren, dass eine geschlossene Bauweise ohne Grenzabstände zulässig wäre.
bb) Aufgrund dieser vorhandenen Bebauung ergeben sich auch keine einheitlich abweichenden Abstandsflächen aus der umgebenden Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB (s. o.), die nach Art. 6 Abs. 5 S. 4, 3 BayBO die Anwendung von Art. 6 Abs. 5 S. 1 und 2 BayBO ausschließen und eine Bebauung mit einem Grenzabstand von 0,6 m – wie vorliegend mit dem Nebengebäude geplant – zulassen würden.
cc) Das Nebengebäude ist nicht nach Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO ohne Abstandsfläche zur westlich vom geplanten Nebengebäude befindlichen Grundstücksgrenze zulässig. Nach Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO sind ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze angebaut werden, Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m zulässig.
(1) Das Nebengebäude hält laut mit Genehmigungsvermerk versehenem Plan (Bl. 45 der vorgelegten Behördenakte) diese Größenvorgaben zwar ein, da dessen Länge entlang der westlichen Grundstücksgrenze zum Grundstück der Kläger hin 9 m beträgt und diese Wand eine mittlere Wandhöhe über der auf dem Grundstück vorhandenen Geländeoberfläche von 2,98 m, errechnet aus der Höhe der südwestlichen Ecke des Nebengebäudes von 3,06 m und der nordwestlichen Ecke von 2,9 m ((3,06 m + 2,9 m) / 2), aufweist. Dem Plan ist auch keine Feuerstätte in dem Nebengebäude zu entnehmen.
(2) Allerdings handelt es sich bei dem Nebengebäude nicht um ein Gebäude ohne Aufenthaltsräume, da es sich bei den in dem Gebäude geplanten Räumen um Aufenthaltsräume handelt. Aufenthaltsräume sind nach Art. 2 Abs. 5 BayBO Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind.
Für das Vorliegen eines Aufenthaltsraumes ist danach nicht ein dauernder Aufenthalt von Menschen erforderlich, sondern lediglich, dass ein längerer Aufenthalt von Menschen nach der Planung gewollt („bestimmt“, Art 2 Abs. 5 BayBO) oder möglich („geeignet“, Art 2 Abs. 5 BayBO) ist. Keine Aufenthaltsräume sind deshalb Räume, die nicht oder nur vorübergehend, also nur für kurze Zeit zum Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Allerdings ist für das Vorliegen eines Aufenthaltsraumes nicht ein Aufenthalt über mehrere Tage, insbesondere ein regelmäßiges Wohnen zu fordern, es genügt vielmehr, dass ein nicht ganz kurzer Aufenthalt, beispielsweise tagsüber oder nur in der warmen Jahreszeit, gewollt oder möglich ist (Nolte in: Simon/Busse, BayBO, Stand: 138. EL September 2020, Art. 45 Rn. 11). Räume, die in diesem Sinne bestimmt oder geeignet sind, sind Aufenthaltsräume, unabhängig davon, ob sie allen nach der BayBO an Aufenthaltsräume gestellten Anforderungen (Art. 45 BayBO) genügen, da die Legaldefinition von Aufenthaltsräumen in Art. 2 Abs. 5 BayBO (s. o.) lediglich voraussetzt, dass der Raum entweder zum Aufenthalt bestimmt oder geeignet ist, aber nicht voraussetzt, dass der Aufenthaltsraum oder die Nutzung des Raumes als Aufenthaltsraum in jeder Hinsicht rechtmäßig ist (Nolte in: Simon/Busse, BayBO, Stand: 138. EL September 2020, Art. 45 Rn. 12). Für eine solche Auslegung von Art. 2 Abs. 5 BayBO im Verhältnis zu Art. 45 BayBO spricht, dass Art. 45 BayBO für die gestellten Anforderungen das Vorliegen eines Aufenthaltsraumes – unabhängig davon, ob ein Aufenthaltsraum aufgrund von Eignung oder Bestimmung gegeben ist – voraussetzt. Denn würden die Anforderungen des Art. 45 BayBO als Mindestvoraussetzungen für die Eignung eines Raumes zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen nach Art. 2 Abs. 5 BayBO verstanden, würden diese Anforderungen im Falle eines Aufenthaltsraumes nur der Eignung nach leerlaufen. Denn das die Anforderungen auslösende Tatbestandsmerkmal Aufenthaltsraum wäre erst bei Erfüllung aller Anforderungen, die das Tatbestandsmerkmal erst auslösen soll, gegeben. Allerdings ergeben sich aus den nach Art. 45 BayBO an Aufenthaltsräume gestellten Anforderungen Kriterien, nach denen die Eignung eines Raumes zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen im Sinne des Art. 2 Abs. 5 BayBO bewertet werden kann.
Nach Art. 45 Abs. 1 BayBO müssen Aufenthaltsräume, soweit sie sich nicht in Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 befinden (Art. 45 Abs. 1 S. 2 BayBO), eine lichte Raumhöhe von mindestens 2,40 m haben. Sie müssen weiter nach Art. 45 Abs. 2 S. 1 BayBO ausreichend belüftet und mit Tageslicht belichtet werden können sowie nach Art. 45 Abs. 2 S. 2 BayBO Fenster mit einem Rohbaumaß der Fensteröffnungen von mindestens einem Achtel der Netto-Grundfläche des Raumes haben.
Gemessen an diesen Voraussetzungen unter Heranziehung der Kriterien aus Art. 45 BayBO handelt es sich bei den im Nebengebäude geplanten Räumen, dem Raum mit der Bezeichnung „Schuppen“ und dem Raum mit der Bezeichnung „Abstell“, um Aufenthaltsräume im Sinne des Art. 2 Abs. 5 BayBO, da sowohl der Schuppen als auch der Abstellraum aufgrund der Planung (Bl. 45 der vorgelegten Behördenakte) zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet sind.
Sowohl der Schuppen als auch der Abstellraum sind für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen hinreichend groß und können ausreichend belüftet und mit Tageslicht beleuchtet werden. Auch die geplante Ausführung des Nebengebäudes mit einer Wandstärke von 23,5 cm spricht für eine Eignung der darin geplanten Räume im o. g. Sinne. Beide Räume haben eine lichte Raumhöhe von über 2,50 m. Der Schuppen ist 17,55 m² groß und hat eine 1,3 m breite Fensteröffnung, bei Zugrundelegung einer quadratischen Fensteröffnung also eine Fensteröffnungsfläche von 1,69 m². Der Abstellraum ist 12,95 m² groß und hat eine 0,9 m hohe und 0,9 m breite Fensteröffnung und damit eine Fensteröffnungsfläche von 0,81 m². Mit den geplanten Fensteröffnungen ist eine für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen ausreichende Belüftung und Belichtung der Räume mit Tageslicht möglich, auch wenn die nach Art. 45 Abs. 2 S. 2 BayBO erforderliche Größe der Fensteröffnungen (s. o.) von 2,19 m² (17,55 m² / 8) für den Schuppen und 1,62 m² (12,95 m² / 8) für den Abstellraum nicht erreicht wird.
Auf die Bezeichnung der Räume als Schuppen und Abstellraum und ein sich hieraus möglicherweise ergebendes Fehlen einer Bestimmung der Räume zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen kommt es damit nicht an, da für das Vorliegen eines Aufenthaltsraumes genügt, dass alternativ eine entsprechende Bestimmung oder Eignung gegeben ist (s. o.).
dd) Das Nebengebäude hält die nach Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBO erforderliche Tiefe der Abstandsfläche zur westlich vom Nebengebäude liegenden Grenze zum Grundstück der Antragsteller von mindestens 3 m nicht ein, da das Gebäude in einem Abstand von 0,6 m zu dieser Grundstücksgrenze geplant ist (Bl. 45 der vorgelegten Behördenakte).
ee) Eine Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO nach Art. 63 Abs. 1 BayBO haben die Beigeladenen weder beantragt noch wurde eine solche Abweichung mit der Baugenehmigung vom 27.10.2020 erteilt.
Nach alledem war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 27.10.2020 anzuordnen, soweit mit der Baugenehmigung die Errichtung des parallel entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung L … geplanten Nebengebäudes genehmigt worden ist. Denn insoweit hat die Klage nach summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg, da die Baugenehmigung insoweit wohl rechtswidrig ist und die Antragsteller in ihren Rechten verletzt, da mit der Genehmigung des Nebengebäudes eine Verletzung der zugunsten der Antragsteller drittschützenden Vorschriften über Abstandsflächen (Art. 6 BayBO) gegeben ist.
Über den hilfsweise für den Fall einer nicht gegebenen Teilbarkeit der Baugenehmigung (s. o. unter 1. a)) gestellten, in der Sache weiterreichenden Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (im Ganzen) anzuordnen, braucht daher nicht entschieden zu werden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und bezüglich der außergerichtlichen Kosten der der Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen, da sie keinen Antrag gestellt und damit selbst gemäß § 154 Abs. 3 VwGO kein Kostenrisiko übernommen haben.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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