Baurecht

Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen

Aktenzeichen  Au 5 K 15.876

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6, 63 I

 

Leitsatz

Die Situation, dass ein Umbau vorliegt und gewisse Teile des Bestandes bestehen bleiben, lässt noch keinen atypischen Fall annehmen, der die Erteilung einer Abweichung von den Vorschriften über die Abstandsflächen rechtfertigt. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Augsburg
Aktenzeichen: Au 5 K 15.876
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 21. April 2016
5. Kammer
Sachgebiets-Nr. 920
Hauptpunkte:
Nachbarklage;
Umbau eines Stadels zum Wohnhaus;
Neubetrachtung der Abstandsflächensituation;
Abweichung von Abstandsflächen
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache

– Kläger –
zu 1 und 2 bevollmächtigt: …
gegen

– Beklagter –
beigeladen: …
wegen Baugenehmigung
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg, 5. Kammer,
durch die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts …, den Richter am Verwaltungsgericht …, die Richterin …, den ehrenamtlichen Richter …, den ehrenamtlichen Richter … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2016 am 21. April 2016 folgendes Urteil:
I.
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 26.05.2015, Az. …, wird aufgehoben.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Wohnhaus.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr. … der Gemarkung … Das Grundstück ist mit einer Doppelhaushälfte bebaut.
Der Beigeladene ist Bauherr bezüglich eines Bauvorhabens auf dem südlich angrenzenden Grundstück mit der Fl.Nr. … der Gemarkung … Das Grundstück ist mit einem Stadel bebaut.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2015 genehmigte das Landratsamt … den Umbau des westlichen, auf dem Grundstück des Beigeladenen gelegenen Teils des Stadels zu einem Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten nach Maßgabe der mit dem Genehmigungsvermerk vom 26. Mai 2015 versehenen Bauvorlagen. Hierbei wurden von den erforderlichen Abstandsflächen folgende Abweichungen zugelassen:
„Die Tiefe der Abstandsfläche vor der südlichen Außenwand des umzubauenden Wohnbereiches mit einer Länge von 15,06 m darf bei schräg verlaufender Grundstücksgrenze zum Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … 5,00 m – 5,11 m anstelle der erforderlichen 5,25 m – 5,36 m betragen.
Die Abstandsfläche vor der westlichen Außenwand des umzubauenden Gebäudes darf die Straßenmitte (…straße) entsprechend der Darstellung im Abstandsflächenplan mit einer Fläche von 1,40 m² überschreiten.“
Zur Begründung ist im Bescheid ausgeführt, dass durch die Umbaumaßnahme eine Neubeurteilung der Abstandsflächen notwendig sei. Bei der Baumaßnahme blieben die tragenden Teile des bisherigen Stadels einschließlich des Dachstuhls mit Dacheindeckung erhalten. Die Voraussetzungen für eine Erteilung der beantragten Abweichungen seien gegeben. Durch die Baumaßnahme änderten sich die Außenmaße des Gebäudes nicht. Es sei nun eine Wohnnutzung anstelle der früheren landwirtschaftlichen Nutzung beabsichtigt. Dies stelle keine Beeinträchtigung der angrenzenden Nachbargrundstücke dar. Das Vorhaben sei daher unter Berücksichtigung der öffentlichrechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die erforderlichen geringfügigen Abweichungen von den Abstandsflächen der BayBO könnten deshalb erteilt werden.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2015, eingegangen bei Gericht am 22. Juni 2015, haben die Kläger bei Gericht Klage erhoben. Sie beantragen,
den Bescheid des Landratsamtes … vom 26. Mai 2015, Az. … aufzuheben.
Zur Begründung führen die Kläger aus, dass die Reduzierung der Abstandsflächen zulasten ihres Grundstücks erfolge. Weiterhin sei ein grundbuchrechtlich gesichertes Geh- und Fahrtrecht auf dem Baugrundstück mit einer Breite von 4 m entlang der südlichen Grundstücksgrenze zu ihren Gunsten eingetragen. Dieses diene der Zufahrt der Kläger zu ihren Garagen. Durch die Senkung des Höhenniveaus und der geplanten Anböschung vor den Hauseingangstüren des Bauvorhabens, sei eine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts zu erwarten. Auch überlappe die Abstandsfläche vollständig dieses Geh- und Fahrtrecht. Es werde damit gerechnet, dass auch der östlich angrenzende Teil des Stadels ausgebaut werden solle. Weiterhin sei zweifelhaft, ob es sich überhaupt um „Bauen im Bestand“ handele, da eine tiefere Bodenplatte erforderlich sei und das Vorhaben wegen der tiefgreifenden Eingriffe in die Bausubstanz damit einem Neubau gleich käme. Durch die Absenkung des Bodenniveaus von rund 1,0 m sei auch die Standsicherheit gefährdet. Die Gesamtfront des Bauvorhabens habe einen erdrückenden Eindruck auf das Doppelhaus der Kläger. Ein Stadel sei von der Wirkung auf das Nachbargrundstück deutlich von einem Wohnhaus zu unterscheiden. Die hierdurch verdichtete Bebauung wirke im Hinblick auf die großen Fenster erdrückend auf das Grundstück der Kläger.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11. August 2015 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … durch das Bauvorhaben abstandsflächenrechtlich überhaupt nicht betroffen würden, eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften scheide im Hinblick darauf aus. Die Baugenehmigung verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Abweichung von den Abstandsflächen zum Grundstück Fl.Nr. … habe nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erteilt werden können, weil bei der Baumaßnahme die tragenden Teile des bisherigen Stadels einschließlich des Dachstuhls mit Dacheindeckung erhalten blieben. Die Außenmaße des bestehenden Gebäudes veränderten sich nicht. Eine nachhaltige Beeinträchtigung hinsichtlich Belichtung, Besonnung und Belüftung ergebe sich durch die vorgesehene Nutzungsänderung nicht. Das Interesse des Bauherrn an der Verwertung einer vorhandenen Bausubstanz, noch dazu für eine gleichartige Nutzung wie auf dem Klägergrundstück, überwiege im vorliegenden Fall die Interessen der Kläger auf Einhaltung der Abstandsflächen, zumal die Überschreitung mit 0,25 m nur geringfügig sei. Der erdrückende Eindruck sei ebenfalls nicht gegeben, die Kläger hätten sich schon bei Errichtung ihres Doppelhauses einem Gebäude in der Größenordnung des Stadels gegenüber gesehen.
Die Baugenehmigung ergehe gemäß Art. 68 Abs. 4 BayBO grundsätzlich unbeschadet der privaten Rechte Dritter. Eine Streitigkeit um eine eventuelle, durch das Bauvorhaben hervorgerufene Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts sei rein privatrechtlicher Natur und für die Baugenehmigung ohne Belang. Bei der im Grundbuch zulasten Fl.Nr. … und … eingetragenen Nichtüberbauungsverpflichtung handele es sich nicht um eine Abstandsflächenübernahme, wie sie nach altem Recht im Grundbuch eingetragen werden musste. Aber auch unter Berücksichtigung einer Abstandsflächenübernahme aus der Dienstbarkeit werde eine Abweichung für vertretbar gehalten, da die klägerischen Doppelhäuser selbst die Abstandsflächen einhielten und durch den Umbau des Stadels zu Wohnzwecken die Außenmaße im Grunde nicht verändert würden.
Mit Beschluss des Gerichts vom 23. Juni 2015 wurde der Bauherr zum Verfahren notwendig beigeladen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Klage der Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung …, bebaut mit der anderen Doppelhaushälfte, wird unter dem Aktenzeichen Au 5 K 15.877 geführt.
Am 7. März 2016 fand mit dem Verfahren Au 5 K 15.877 ein gemeinsamer nichtöffentlicher Augenscheinstermin statt. Auf die Niederschrift hierüber wird Bezug genommen.
Am 21. April 2016 fand mit dem Verfahren Au 5 K 15.877 die gemeinsame mündliche Verhandlung vor Gericht statt.
Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hat Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Kläger sind insbesondere klagebefugt. Sie können sich als Nachbarn im baurechtlichen Sinn auf die Möglichkeit der Verletzung in drittschützenden Normen stützen. Der Nachbarbegriff hat eine rechtliche und eine räumliche Komponente. Nachbarn sind zum einen die Grundstückseigentümer, sowie die Inhaber eigentumsähnlicher Rechtspositionen (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 42 Rn. 97). Räumlich sind die unmittelbar angrenzenden Nachbarn solche im baurechtlichen Sinn, sowie Betroffene im weiteren Umkreis, die von der jeweiligen nachbarschützenden Norm in den Kreis der Berechtigten gezogen werden (Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rn. 97). Als unmittelbar angrenzende Grundstückseigentümer sind die Kläger Nachbarn im baurechtlichen Sinn. Als möglicherweise verletzte drittschützende Normen kommen insbesondere die Regelungen zum Abstandsflächenrecht in Betracht.
2. Die Klage ist auch in der Sache begründet.
Der angefochtene Baugenehmigungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in nachbarschützenden Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung hat der anfechtende Nachbar nur, wenn das Bauvorhaben im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlichrechtlichen Vorschriften widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung – BayBO i. V. m. Art. 55 ff. BayBO) und die verletzte Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, ihr also drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U. v. 6.10.1989 – 4 C 14/87, BVerwGE 82, 343). Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung nur dann verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Weiterhin muss der Nachbar durch den Verstoß gegen diese Norm in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen sein. Eine objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung reicht dabei nicht aus, denn der Nachbar muss in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein.
a) Durch die Erteilung der beantragten Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von den nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO notwendigen Abstandsflächen sind die Kläger in ihren subjektiven Rechten verletzt.
Die Erteilung der Abweichung von den notwendigen Abstandsflächen auf der südlichen Seite des Vorhabens ist rechtswidrig und verletzt die an dieser Seite als Nachbarn angrenzenden Kläger in ihren Rechten.
Die Baugenehmigung ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden. Es ist weiterhin eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO durch den Beigeladenen gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO beantragt worden. Damit sind die Regelungen zu den Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO Teil des Prüfprogrammes geworden. Durch die Erteilung der beantragten Abweichung nehmen sie auch an der Regelungswirkung der Baugenehmigung teil.
Die Vorschriften des Abstandsflächenrechts dienen in ihrer Gesamtheit auch dem Nachbarschutz (BayVGH, U. v. 25.5.1998 – 2 B 94.2682, BayVBl 1999, 246). Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zu den Abstandsflächen ist es, ausreichend Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Sicherung des sozialen Wohnfriedens zu gewährleisten. Damit ist der drittschützende Charakter der Regelungen gegeben. Bei der Zulassung einer Abweichung von einer dem Nachbarschutz dienenden Vorschrift des Bauordnungsrechts wird der Nachbar nicht nur dann in seinen Rechten verletzt, wenn sich die Rechtswidrigkeit der Abweichung aus einer unzureichenden Würdigung seiner nachbarlichen Interessen ergibt. Er ist vielmehr dann bereits in seinen Rechten verletzt, wenn die anderen tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abweichung nicht vorliegen und die Erteilung der Abweichung damit objektiv rechtswidrig erfolgte (vgl. BayVGH, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – NVwZ-RR 2008, 84).
b) Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Ausnahmen sind in den Art. 6 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BayBO geregelt. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO müssen die Abstandsflächen grundsätzlich auf dem Grundstück selbst liegen und dürfen sich nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO nicht überdecken.
Die Frage der Beurteilung von Abstandsflächen ergibt sich nicht nur bei Neubauten, sondern kann auch bei Nutzungsänderungen oder baulichen Veränderungen neu aufgeworfen werden (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Sept. 2015, Art 6 Rn. 14). Eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung ist bei der Änderung eines Gebäudes immer dann veranlasst, wenn sich entweder die für die Ermittlung der Abstandsflächentiefe relevanten Merkmale ändern oder wenn die Änderung für sich betrachtet zwar keine abstandsflächenrelevanten Merkmale betrifft, das bestehende Gebäude aber die nach dem geltenden Recht maßgeblichen Abstandsflächen nicht einhält und die Änderung zu nicht nur unerheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden führen kann (vgl. BayVGH, B. v. 9.10.2003 – 25 CS 03.897 – BayVBl. 2004, 149). In diesem Fall ist über die geplante bauliche Änderung hinaus auch der geschützte Bestand einzubeziehen und das neue Gesamtvorhaben auf seine Übereinstimmung mit den Abstandsflächenvorschriften hin zu überprüfen.
Bei dem gegenständlichen Vorhaben liegt eine solche Änderung, die abstandsflächenrelevante Merkmale betrifft, vor. Es handelt sich um einen Umbau des vorhandenen Stadels in größerem Umfang. Es sollen Zwischenböden und -wände neu errichtet, die Außenwände neu gestaltet und das Dach isoliert, sowie Fenster eingebaut werden. Des Weiteren wirft die Nutzungsänderung von der vormals landwirtschaftlichen Nutzung in Wohnnutzung die Frage der notwendigen Abstandsflächen neu auf. Eine nunmehr beabsichtigte Wohnnutzung stellt eine Änderung dar, die einen andersartigen Einfluss auf den Wohnfrieden hat. Dies ergibt sich unter anderem aus der Nutzung als Aufenthaltsräume anstatt der vormaligen Nutzung als landwirtschaftliche Lagerflächen und der damit verbundenen Möglichkeit der Einsicht in das klägerische Grundstück durch großflächige Fenster.
Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Das sich hieraus ergebend Maß ist H (Art. 6 Abs. 4 Satz 6 BayBO). Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt dabei 1 H, mindestens 3 m (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO). Vorliegend wäre eine Abstandsflächentiefe von 5,25 bis 5,36 m erforderlich, die vom Bauvorhaben des Beigeladenen nicht eingehalten wird.
c) Die Erteilung der Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO nicht vorliegen.
Von den Anforderungen der Bayerischen Bauordnung und damit auch von den Vorschriften über die Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlichrechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO, vereinbar sind (Art. 63 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO).
Während bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschrift vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt werden kann, wird der Zweck der Abstandsflächen, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden (BayVGH, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – NVwZ-RR 2008, 84). Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – a. a. O.; BayVGH, B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; BayVGH, B. v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; BayVGH, U. v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – BayVBl 2012, 535). Diese Atypik kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder den Nachbargrundstücken oder einer besonderen städtebaulichen Situation wie der Lage des Baugrundstückes in einem historischen Ortskern (vgl. BayVGH, B. v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – BayVBl 2007, 662) ergeben. In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – a. a. O.; BayVGH, B. v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 -, juris Rn. 2; BayVGH, B. v. 18.10.2005 – 1 ZB 04.1597 -, juris Rn. 22).
Die erforderliche Atypik ist dabei in Bezug auf die Einhaltung der Abstandsflächen nicht stets allein schon deshalb gegeben, weil das geplante Vorhaben Außenwände eines Altbestandes einbezieht, der seinerseits die Abstandsflächen nicht einhält (vgl. BayVGH, B. v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8). Die gesetzlichen Ziele, ein bestimmtes Mindestmaß an Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden sicherzustellen, gelten vielmehr für Neubauten und Umbauten gleichermaßen. Dass der Bauherr dadurch vor die Wahl gestellt ist, entweder seinen vom Gesetz abweichenden Altbestand im bisherigen Umfang weiter zu nutzen oder bei einer neuen Genehmigung das geltende Recht einzuhalten, ist im Gesetz selbst angelegt und kann nicht als atypischer, nicht bedachter Ausnahmefall angesehen werden (BayVGH, B. v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – a. a. O.). Nach dem Zweck des Gesetzes sollen überdies abstandsflächenwidrige Bebauungsverhältnisse nach Möglichkeit bereinigt und nicht verewigt werden (BayVGH, U. v. 22.11.2006 – 25 B 05.1714 – BayVBl. 2007, 276).
d) Gemessen an diesen Maßstäben liegt nach Auffassung der Kammer kein atypischer Fall vor, der eine Abweichung zulässt.
Die Situation, dass ein Umbau vorliegt und gewisse Teile des Bestandes bestehen bleiben, lässt entsprechend den obigen Erwägungen noch keinen atypischen Fall annehmen. Vielmehr muss zunächst eine der vorgenannten Fallgruppen der besonderen Grundstücksituation oder städtebaulichen Besonderheit vorliegen. Dafür sind nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung der beim Augenscheinstermin gewonnenen Erkenntnisse aufgrund der Ortsrandlage und des Grundstückszuschnitts keine Anhaltspunkte gegeben. Unabhängig von der Frage des baulichen Bestands ließe sich das Vorhaben auf dem Baugrundstück in mit dem Abstandsflächenrecht verträglicher Weise errichten. Ebenso gibt die Umgebungsbebauung keine besondere städtebauliche Situation vor.
Selbst wenn die Verwertung von vorhandener Bausubstanz im Rahmen eines Umbaus als eigenständige Fallgruppe angesehen werden würde, sind deren Voraussetzungen ebenfalls nicht gegeben. Es muss ein erheblicher Teil an Bausubstanz im Umbau zu verwerten sein. Vorliegend sollen nach dem Vortrag des Beigeladenen der Dachstuhl, die Dachplatten und die Holzträger der Außenwände erhalten bleiben, die Bodenplatte wird dagegen zumindest teilweise abgesenkt. Es müssen zwei Zwischenböden sowie sämtliche Zwischenwände eingezogen werden. Das Dach muss isoliert werden. Zwar soll nach den Vorstellungen des Bauherrn die tragende Holzkonstruktion des Stadels erhalten bleiben. Die Außenwände sollen jedoch – bis auf die Holzträger – völlig neu mit Holzverbundstoffen ausgekleidet werden. Keine der Außenwände kann ohne gravierende Änderung in den Umbau miteinbezogen werden. Damit liegt keine mit bisherigen obergerichtlichen Entscheidungen zu dem Sonderfall der Verwertung von vorhandener Bausubstanz vergleichbare Situation vor (vgl. BayVGH, B. v. 18.10.2005 – 1 ZB 04.1597 -, juris).
Hinzu kommt der Umstand, dass sich aus den mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Planunterlagen keine Informationen bezüglich Umfang und Inhalt des zu verwertenden Bestandes entnehmen lassen. Lediglich die Bodenplatte ist als Bestand gekennzeichnet. Gerade diese soll jedoch teilweise weiter abgesenkt und nivelliert werden. Die vom Beigeladenen geäußerte Absicht, die bislang vorhandene Holzkonstruktion weiter zu nutzen, schlägt sich in den genehmigten Planunterlagen nicht nieder. Offen ist auch, ob die über 100 Jahre alte Holzkonstruktion tatsächlich unverändert für das geplante Wohngebäude übernommen werden kann und ob das alte Fundament das neue Gebäude trägt. Eine Verpflichtung, diesen Altbestand zu erhalten, ergibt sich aus der Baugenehmigung nicht. Genehmigt ist damit ein Vorhaben, das auch ohne weitere Verwertung des Bestands errichtet werden könnte. Damit kann ein atypischer Fall im Sinne von „Bauen im Bestand“ nicht angenommen werden, da die Voraussetzungen nach den genehmigten Planunterlagen nicht vorliegen.
e) Im Ergebnis fehlt es für die Erteilung einer Abweichung an der erforderlichen atypischen Grundstückssituation. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung sind nicht gegeben und die Abweichung wurde damit rechtswidrig erteilt. Als unmittelbar an der betroffenen Seite des Vorhabens angrenzende Nachbarn sind die Kläger dadurch in ihren eigenen subjektiven Rechten verletzt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene hat keinen Antrag auf Klageabweisung gestellt. Ihm können damit keine Kosten auferlegt werden, er trägt seine außergerichtlichen Kosten jedoch selbst (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 9.9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.


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