Baurecht

Anforderungen an die vorläufige Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans

Aktenzeichen  1 NE 20.1813

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3025
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 2 Abs. 3, § 10 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Eine einstweilige Anordnung kann ergehen, wenn der (weitere) Vollzug eines Bebauungsplans vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die öffentliche Bekanntmachung eines Bebauungsplans (§ 10 Abs. 3 BauGB) ist nicht ordnungsgemäß, wenn in einer textlichen Festsetzung auf eine DIN-Norm Bezug genommen wird, ohne in der Bebauungsplanurkunde oder in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, wo die technische Vorschrift eingesehen werden kann.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus § 2 Abs. 3 BauGB folgt die Verpflichtung, vorhandene Nutzungen vollständig zu ermitteln und sie in ihrer rechtlichen Bedeutung zutreffend zu bewerten. Diese Bestandserhebung gehört zur Ermittlung des wesentlichen Abwägungsmaterials insbesondere dann, wenn es um potenzielle Konflikte zwischen Nutzungen unterschiedlicher Immissionsempfindlichkeit in Gemengelagen sowie um die Schaffung von Beurteilungsgrundlagen bei planungsbedingten Veränderungen der zulässigen Nutzungen und damit einhergehenden Eigentumsbeeinträchtigungen geht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 12.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. … für das Gebiet zwischen der S* …straße, der A* …-Straße, der S* … Straße und dem R.weg, den die Antragsgegnerin am 3. März 2020 beschlossen und am 12. März 2020 bekanntgemacht hat (im Folgenden: Bebauungsplan). Der Bebauungsplan ersetzt in seinem Geltungsbereich den bisherigen Bebauungsplan Nr. …, Nr. …, der ein Industriegebiet ausgewiesen hat, und bezieht im Osten und Südosten die bisher unbeplanten, überwiegend bereits bebauten Grundstücke ein.
Ziel des Bebauungsplans ist es, die sehr heterogene Bebauung im 10,28 ha großen Planungsgebiet städtebaulich zu ordnen. Hierzu wird in der Begründung ausgeführt, dass das Industriegebiet seit 1964 immer stärker mit dem Siedlungskörper verwachsen sei. Es hätten sich unterschiedlichste Nutzungen angesiedelt, bei deren Betrachtung ersichtlich werde, dass ausgewiesener Gebietscharakter und faktisch vorhandene Nutzung und Bebauung nicht mehr im Einklang stünden. So sollten nunmehr die Bereiche entlang des R* …wegs und der S* … Straße mit ihrer von kleineren Betrieben und Wohnbebauung geprägten Struktur als Mischgebiet (MI 1 und MI 2), andere Bereiche entsprechend ihrer Nutzung als Gewerbegebiet (GE 1 bis GE 6) und nur die Kernbereiche des produzierenden Industriebetriebs weiterhin als Industriegebiet ausgewiesen werden.
Das im Eigentum des Antragstellers stehende Grundstück FlNr. …, auf dem er ein Bowlingcenter sowie einen Getränkemarkt betreibt, befindet sich in dem als Gewerbegebiet (GE 1) ausgewiesenen Teil. Es grenzt im Süden unmittelbar an das Baugebiet MI 1 an und ist durch die R* …-Straße vom westlichen Teil des Baugebiets MI 2 getrennt.
Der Bebauungsplan enthält in den textlichen Festsetzungen unter II.8 und II.9 Vorgaben zum Immissionsschutz. Hiernach sind bei der Errichtung und Änderung von Gebäuden mit schutzbedürftigen Aufenthaltsräumen technische Vorkehrungen zum Schutz vor Verkehrs- und Anlagengeräuschen vorzusehen. Die für die Gebäude erforderlichen Schalldämmmaße sind in Abhängigkeit von Raumnutzung und -größe im Baugenehmigungsverfahren auf Basis der DIN 4109 zu bestimmen. Sofern diese Maßnahmen nicht realisierbar sind, sind an den Fassaden mit Überschreitungen der Richtwerte der TA Lärm keine Immissionsorte im Sinne der TA Lärm zulässig (II. 8.3).
Im Bebauungsplanverfahren gab die Antragsgegnerin eine schalltechnische Untersuchung sowie eine Geruchsimmissionsprognose in Auftrag. Die schalltechnische Untersuchung gelangt in der Fassung vom 21. August 2019 zusammenfassend insbesondere zu dem Ergebnis, dass es im Planungsbereich infolge von Gewerbelärmquellen in einigen Fällen zu Überschreitungen der Richtwerte der TA Lärm im Tages- und Nachtzeitraum kommen könne. In Bezug auf die vom Betrieb des Antragstellers ausgehenden Emissionen wird ausgeführt, dass die Immissionsrichtwerte im Tageszeitraum nicht überschritten würden. Im Nachtzeitraum könnten jedoch zur ungünstigsten Nachtstunde an den im zukünftigen Mischgebiet gelegenen Immissionsorten R* …-Straße * sowie R* …-Straße * ein Beurteilungspegel von 45,1 dB(A) bzw. 47,2 dB(A) erreicht werden. Der erhöhte Richtwert für Geräuschspitzen in der Nachtzeit werde am Immissionsort R* …-Straße * durch Autotürenzuschlagen von Besuchern des Bowlingscenters des Antragstellers um 0,5 dB(A) überschritten.
Am 2. Juni 2020 stellte der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan. Mit Schriftsatz vom 6. August 2020 beantragte er,
den Bebauungsplan Nr. 219 für das Gebiet zwischen der S* …straße, der A* …-Straße, der S* … Straße und dem R* …weg, bekanntgemacht am 12. März 2020, bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.
Eine Entscheidung sei zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten. Es müsse fortlaufend mit der Zulassung heranrückender schutzbedürftiger Nutzungen im Mischgebiet MI 1 und im südwestlichen Bereich des Mischgebiets MI 2 auf Individualgenehmigungsebene gerechnet werden. Ihm drohe daher ein irreversibler Schaden. Im Falle einer Änderung seiner Bestandsnutzung seien massive Einschränkungen mit Blick auf die Benutzbarkeit seines Grundstücks zu erwarten. Jedenfalls sei eine Suspendierung der Regelungen zu den Mischgebietsfestsetzungen zwingend erforderlich. Der Antragsgegnerin liege aktuell bereits ein Bauantrag für das im Mischgebiet MI 2 gelegene Grundstück FlNr. …, R* …-Straße, zur Realisierung eines Arbeiterwohnheims bzw. einer Arbeiterunterkunft mit insgesamt 50 Betten vor. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass durch den Vollzug des streitgegenständlichen Bebauungsplans unmittelbar belastende, vollendete Tatsachen geschaffen werden könnten, insbesondere sich die immissionsschutzfachlichen Konflikte manifestieren würden. Der Normenkontrollantrag werde in der Hauptsache offensichtlich Erfolg haben, da der Bebauungsplan unwirksam sei. Dem Plan fehle es sowohl hinsichtlich der Mischgebietsfestsetzungen als auch in Bezug auf die Festsetzungen zu den Stellplätzen, der Grundflächenzahl, der Wandhöhen, der Nutzungseinschränkungen und der Werbebeschränkungen bereits an der städtebaulichen Erforderlichkeit, insbesondere habe die jetzige Bestandssituation im Mischgebiet MI 1 und im südwestlichen Bereich des Mischgebiets MI 2 keinen Anlass oder eine Vorprägung für die Festsetzung eines Mischgebiets gegeben. Der Bebauungsplan leide an einem Ermittlungs- und Bewertungsdefizit und sei abwägungsfehlerhaft. Die Begründung des Bebauungsplans lasse erkennen, dass eine Bestandsaufnahme sowohl für die Nutzungsart als auch für die weiteren Festsetzungen nicht in der erforderlichen Form erfolgt sei. Die Antragsgegnerin habe sich nicht mit den bestehenden Genehmigungen auseinandergesetzt. Auch in Bezug auf die Lärmimmissionen sei der Bebauungsplan abwägungsfehlerhaft. Die von der Antragsgegnerin eingeholte schalltechnische Untersuchung sei defizitär, insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass die entlang der südlichen Grenze des Grundstücks des Antragstellers zum Mischgebiet MI 1 hin gelegenen Parkplätze baurechtlich genehmigt seien und diese auch zur Nachtzeit vom Bowlingcenter für die Kunden vorgehalten würden. Der Antragsteller habe ausgehend vom tatsächlichen und genehmigten Betrieb ein lärmschutzfachliches Gutachten (Büro S* …*) erstellen lassen. Hiernach würden durch den Betrieb des Antragstellers die Immissionsrichtwerte für Mischgebiete sowie die zugehörigen Spitzenpegelkriterien um bis zu 5 dB(A) überschritten. Die Festsetzungen zum Lärmschutz in II.8 des Bebauungsplans seien zu unbestimmt, da sich aus dem Bebauungsplan nicht ergebe, an welchen Fassaden die Grenzwerte nicht eingehalten würden. Die Lärmgrenzwertüberschreitungen seien zu Unrecht als vorexistente Konfliktlage abgehandelt worden, da eine schutzbedürftige Nutzung dort bislang nicht genehmigt sei. Auch in Bezug auf die beurteilungsrelevanten Geruchsimmissionen ergebe sich eine unauflösbare Konfliktlage. Die diesbezüglichen textlichen Festsetzungen stellten keine Abhilfe dar, sondern konstatierten letztlich die Unverträglichkeit der Mischgebiete mit den geruchsbezogenen Vorbelastungen. Die Festsetzungen zu den Stellplätzen, der Grundflächenzahl, den Wandhöhen, den Nutzungseinschränkungen in den ausgewiesenen Gebieten sowie zu den Werbebeschränkungen seien ebenfalls abwägungsfehlerhaft und rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Bebauungsplan sei aus den in der Begründung zum Bebauungsplan dargestellten Gründen städtebaulich erforderlich. Der Bebauungsplan leide auch nicht an Abwägungsfehlern. Sie habe sich im Aufstellungsverfahren ausführlich mit den im Gebiet bestehenden Nutzungen sowie deren Genehmigungssituation auseinandergesetzt und die für das Baugebiet bestehenden Baugenehmigungen geprüft. Die möglichen Konflikte zwischen Mischgebietsfestsetzungen und bestehenden gewerblichen Nutzungen seien gesehen worden und diesbezüglich sei eine schalltechnische Untersuchung (Untersuchung vom 21.12.2017) eingeholt worden, die zwar zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es im Bereich des GE 6 sowie des MI 1 und MI 2 zu Überschreitungen der Richtwerte im Tages- und Nachtzeitraum der TA Lärm kommen könne, gleichzeitig seien aber Maßnahmen vorgeschlagen worden, bei deren Umsetzung die Richtwerte am Gewerbegebiet GE 6 und am östlichen Teil des Mischgebiets MI 1 und im MI 2 zukünftig eingehalten werden könnten. Die Anregungen der Unteren Immissionsschutzbehörde des Landratsamts seien aufgegriffen, eine erneute schalltechnische Untersuchung in Auftrag gegeben und der Konflikt durch Festsetzungen von Maßnahmen zum Lärmschutz unter II.8 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans gelöst worden. Hierdurch sei sichergestellt, dass die bestehenden Gewerbebetriebe durch die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beschränkt würden. Die vom Antragsteller eingeholte schalltechnische Stellungnahme vom 6. Juli 2020 sei nicht geeignet, einen Abwägungsfehler des Bebauungsplans zu belegen. Diese Untersuchung zeige lediglich, dass an der nördlichen Baugrenze des Grundstücks FlNr. … keine schutzbedürftigen Räume ohne Schallschutzmaßnahmen oder aber keine Immissionsorte im Sinn der TA Lärm zulässig seien. Durch die textlichen Festsetzungen in II.8.3 sei sichergestellt, dass der Betrieb des Antragstellers durch das Hinzukommen von Vorhaben im festgesetzten Mischgebiet nicht eingeschränkt werde. Auch in Bezug auf die im Bebauungsplangebiet vorhandenen Geruchsimmissionen sei der Bebauungsplan nicht abwägungsfehlerhaft. Aufgrund der textlichen Festsetzungen in II.9 könnten in den Mischgebieten keine Nutzungen entstehen, die unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt seien. Auch hinsichtlich der weiteren Festsetzungen sei der Bebauungsplan nicht abwägungsfehlerhaft.
Der Antragsteller nahm hierzu mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2020 Stellung.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Normaufstellungsakten sowie auf die Gerichtsakten in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antragsteller ist antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15 – ZfBR 2016, 154). Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks (auch) gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (BayVGH, U.v. 13.10.2020 – 1 N 17.1125 – juris Rn. 11). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 1 NE 18.2637 – juris Rn. 11). Gemessen an diesen Grundsätzen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller, dessen Grundstück im Satzungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans liegt, durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in seinem Eigentumsrecht verletzt wird.
2. Der Antrag ist unbegründet. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ist weder zur Abwehr schwerer Nachteile noch aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten.
Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (BVerwG, B.v. 30.4.2019 – 4 VR 3.19 – juris Rn. 4). Wegen der weitreichenden Folgen, welche die Aussetzung des Vollzugs von Rechtsvorschriften hat, ist dabei in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 5.7.1995 – 1 BvR 2226/94 – BVerfGE 93, 181; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 1 NE 19.1502 – juris Rn. 14).
Hieran gemessen bedarf es vorliegend bereits keiner Entscheidung, ob der Normenkontrollantrag des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, fehlt es an schweren Nachteilen oder anderen wichtigen Gründen, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit aus dem weiteren Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren entstehen und mithin eine vorläufige Regelung unaufschiebbar machen könnten. Der bloße Planvollzug stellt für sich noch keinen schweren Nachteil dar. Auch aus dem Umstand, dass nach dem Vortrag des Antragstellers ein Bauantrag zur Realisierung eines Arbeitnehmerwohnheims bzw. einer Arbeiterunterkunft mit insgesamt 50 Betten für das Grundstück FlNr. … bei der Antragsgegnerin anhängig ist, ergibt sich nicht, dass hierdurch für den Antragsteller Nachteile in Bezug auf seinen genehmigten Betrieb entstehen werden. Weder aus den im Rahmen des Aufstellungsverfahren eingeholten schalltechnischen Untersuchungen noch aus dem vom Antragsteller vorgelegten schalltechnischen Gutachten ist ersichtlich, dass durch den genehmigten Betrieb des Antragstellers die Immissionswerte eines Mischgebiets auf dem Vorhabengrundstück FlNr. … überschritten werden, zumal der nach der Parkplatzlärmstudie (Untersuchung von Schallemissionen aus Parkplätzen, Autohöfen und Omnibusbahnhöfen sowie von Parkhäusern und Tiefgaragen – Bayerisches Landesamt für Umwelt, 6. Auflage, 2007) erforderliche Abstand zwischen dem südöstlichen Rand des Parkplatzes auf dem Grundstück des Antragstellers und den ausgewiesenen Baugrenzen auf dem Grundstück FlNr. … voraussichtlich gewahrt ist. Selbst wenn es durch den Betrieb des Antragstellers an diesem Grundstück zu einer Überschreitung der Lärmwerte kommen sollte bzw. weitere Bauanträge bzw. Freistellungsanträge anhängig würden, die auf die Zulassung schutzbedürftiger Nutzungen auf den Grundstücken im Mischgebiet MI 1 bzw. auf den Grundstücken FlNr. … und … im westlichen Bereich des Mischgebiet MI 2 abzielen, ist der bestehende Betrieb des Antragstellers ausreichend durch die Festsetzungen II.8.3 zum Lärmschutz in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans geschützt. Nach dieser Festsetzung sind bei der Errichtung und Änderung von Gebäuden mit schutzbedürftigen Aufenthaltsräumen technische Vorkehrungen zum Schutz von Verkehrs- und Anlagengeräuschen vorzusehen. Sofern solche technischen Maßnahmen nicht realisierbar sind, sind an den Fassaden mit Überschreitungen der Richtwerte der TA Lärm keine Immissionsorte im Sinn der TA Lärm zulässig. Diese Festsetzungen in II.8.3. sind nach summarischer Prüfung hinreichend bestimmt. Zwar enthält der Bebauungsplan aufgrund der weiter gezogenen Baugrenzen selbst keine Angaben, an welchen Orten die Richtwerte der TA Lärm überschritten werden. Sie können aber in einem baurechtlichen Genehmigungsverfahren durch entsprechende schalltechnische Gutachten festgestellt werden; ein Genehmigungsfreistellungsverfahren wird bei entsprechenden Vorhaben gemäß Art. 58 Abs. 4 Satz 1 BayBO nicht in Betracht kommen. Konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche schalltechnische Untersuchung ergeben sich aus dem Schallschutzgutachten, auf das in der Begründung des Bebauungsplans Bezug genommen wird. Schützenswerte konkrete Erweiterungsabsichten oder Änderungen seines Betriebs hat der Antragsteller nicht dargelegt. Abgesehen davon ist es dem Antragsteller unbenommen, künftige Baugenehmigungen anzufechten und um vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80a VwGO nachzusuchen. Dafür, dass der Antragsteller – wie von ihm befürchtet – von etwaig erteilten Baugenehmigungen keine Kenntnis erlangen wird, ist nichts ersichtlich. Hinsichtlich der im Mischgebiet MI 1 gelegenen Grundstücke FlNr. … und … ist er als unmittelbar angrenzender Nachbar nach Art. 66 Abs. 1 BayBO zu beteiligen. In Bezug auf die Grundstücke FlNr. … und … wäre er jedenfalls durch die textlichen Festsetzungen II.8.3 hinreichend geschützt. Der Antragsteller kann also ausreichend Individualrechtsschutz in Anspruch nehmen, eine notwendige Anfechtung einer Vielzahl von Baugenehmigungen ist nicht ersichtlich. In Bezug auf die vom Antragsteller weiter angegriffenen Festsetzungen zu den Stellplätzen, zur Wandhöhe, zur Grundflächenzahl, zum Ausschluss bestimmter Nutzungen (I.1 der textlichen Festsetzungen) sowie zu den Werbeanlagen sind schwere Nachteile bzw. negative Folgen durch eine vorläufige Umsetzung des angefochtenen Plans weder von Antragstellerseite vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Der Antragsteller macht selbst nicht geltend, in absehbarer Zeit hiervon betroffen zu sein, so dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Festsetzungen ohnehin dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2020 – 9 NE 20.770 – juris Rn. 26; OVG NW, B.v. 10.1.2013 – 2 B 1216/12.NE – juris Rn. 44).
Bei dieser Sachlage kommt auch der beantragte Schiebebeschluss nicht in Betracht.
3. Für das Hauptsacheverfahren weist der Senat auf der Grundlage einer summarischen Prüfung im Hinblick auf ein etwaig durchzuführendes ergänzendes Verfahren auf Folgendes hin:
3.1 Die öffentliche Bekanntmachung des Bebauungsplans am 12. März 2020 ist nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Antragsgegnerin hat in der textlichen Festsetzung II.8.3 zum Immissionsschutz auf die DIN 4109 Bezug genommen, ohne in der Bebauungsplanurkunde oder in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, wo die technische Vorschrift eingesehen werden kann. Eine solche Bekanntgabe genügt nicht den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus § 10 Abs. 3 BauGB ergebenden Anforderungen (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.2020 – 4 CN 5.18 – BauR 2020, 1726; BayVGH, U.v. 24.11.2020 – 1 N 17.1019 – juris Rn. 16; U.v. 28.11.2019 – 2 N 17.2338 – juris Rn. 22). Weitere Bedenken im Hinblick auf das Publizitätsprinzip ergeben sich daraus, dass die textliche Festsetzung II.8.2 auf die „Schalltechnische Untersuchung zum Bebauungsplan vom 23.8.2019, Lageplanskizze Verkehrslärm: Tag und Nacht“ verweist, ohne dass diese zum Bestandteil des Bebauungsplans erklärt ist und damit an dessen Bekanntmachung teilgenommen hat oder anderweitig bekannt gemacht wurde. Auch insoweit ist nicht sichergestellt, dass die Normbetroffenen sich zuverlässig Kenntnis vom Inhalt der in Bezug genommenen Schalltechnischen Untersuchung und damit über den Regelungsbereich der textlichen Festsetzung II.8.2 verschaffen können. Im Rahmen eines etwaig durchzuführenden ergänzenden Verfahrens wird auch zu prüfen sein, ob die in Bezug genommene Lageplanskizze ausgefertigt werden muss.
3.2 Weiter erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin die Lärmbelastung im Plangebiet entsprechend den Anforderungen des § 2 Abs. 3 BauGB für die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB ausreichend ermittelt und bewertet hat. Aus § 2 Abs. 3 BauGB folgt die Verpflichtung, die vorhandenen Nutzungen vollständig zu ermitteln und sie in ihrer rechtlichen Bedeutung auch zutreffend zu bewerten. Diese Bestandserhebung gehört zur Ermittlung des wesentlichen Abwägungsmaterials insbesondere dann, wenn es um potenzielle Konflikte zwischen Nutzungen unterschiedlicher Immissionsempfindlichkeit in Gemengelagen sowie um die Schaffung von Beurteilungsgrundlagen bei planungsbedingten Veränderungen der zulässigen Nutzungen und damit einhergehenden Eigentumsbeeinträchtigungen geht (vgl. VGH BW, U.v. 9.12.2014 – 3 S 1227/12 – juris Rn. 49).
Die seitens der Antragsgegnerin durchgeführten Ermittlungen erweisen sich nach summarischer Prüfung in Bezug auf die Vorbelastung durch Schallimmissionen teilweise als defizitär. Die schalltechnische Untersuchung berücksichtigt jedenfalls nicht die genehmigten Parkplätze im südlichen Bereich des Grundstücks des Antragstellers, die deutlich näher an der zukünftig als Mischgebiet MI 1 ausgewiesenen Fläche situiert sind als die in der schalltechnischen Untersuchung zugrunde gelegten Parkplätze. Soweit die Antragsgegnerin hierzu eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters im gerichtlichen Verfahren vorgelegt hat, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Es mag zwar zutreffen, dass die im westlichen Bereich gelegenen Parkplätze weniger genutzt werden. Jedoch befinden sich auch Parkplätze entlang der südlichen Grenze in der Nähe des Eingangsbereichs zum Bowlingcenter, so dass deren Nutzung auch zur Nachtzeit nicht abwegig erscheint. Eine Berücksichtigung dieser Parkplätze wäre jedenfalls im Rahmen der Beurteilung des Spitzenpegelkriteriums veranlasst gewesen. Die schalltechnische Untersuchung lässt zudem eine Aussage dazu vermissen, ob und inwieweit es an der Nordseite des als MI 1 ausgewiesenen Baufensters im Hinblick auf das Spitzenpegelkriterium zu einer Überschreitung kommt. Auf Bedenken stößt ferner, dass die schalltechnische Untersuchung hinsichtlich der Immissionsorte auf den vorhandenen Bestand abstellt, jedoch keine Prognose hinsichtlich der an den Baugrenzen zu erwartenden Immissionen trifft. Da innerhalb der Baugrenzen eine schutzbedürftige Nutzung dem Grunde nach zugelassen werden kann, erscheint eine schalltechnische Untersuchung zur sachgerechten Beurteilung der Auswirkungen der Bauleitplanung auch im Hinblick auf die Immissionen, die an den Baugrenzen auftreten, angezeigt (vgl. hierzu auch A.1.3 des Anhangs zur TA Lärm).
Nach summarischer Prüfung könnten diese Ermittlungsdefizite auch wesentlich im Sinn des § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sein. Die Antragsgegnerin hat zwar in II.8. Festsetzungen zum Lärmschutz getroffen und schutzwürdige Nutzungen ausgeschlossen, sofern die Richtwerte der TA Lärm nicht eingehalten werden können. Allerdings dient das planungsrechtliche Ermittlungsgebot dazu, die Antragsgegnerin in die Lage zu versetzen, sich ein umfassendes Bild über die wesentlichen Umstände und Auswirkungen der Planungen zu machen, um auf dieser Grundlage eine Abwägungsentscheidung treffen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG. Sie orientiert sich an Nummern 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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