Baurecht

Anforderungen an Erlass einer Veränderungsperre zur Sicherung der Bauleitplanung

Aktenzeichen  1 N 17.304

Datum:
21.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19729
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 14
VwGO § 161 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Veränderungssperre darf erst erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gemeinde darf eine Veränderungssperre nicht erlassen, um erst Zeit für die Entwicklung eines bestimmten Planungskonzepts zu gewinnen. Zu den Mindestanforderungen gehören die grobe Bezeichnung der Bereiche, in denen die unterschiedlichen Nutzungen verwirklicht werden sollen, sowie Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Antragsgegnerin hat am 21. Dezember 2015 einen Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans „Nördlicher Ortseingang A. – Gebiet westlich der W. und beidseits der Staatsstraße … und der A. Straße“ gefasst und am 15. Februar 2016 für den Bereich des Bebauungsplans eine Veränderungssperre beschlossen, deren Geltungsdauer um ein Jahr verlängert wurde. Zur Begründung des Aufstellungsbeschlusses wurde ausgeführt, dass sich im Gegensatz zu anderen Ortseingangsbereichen der Gemeinde in diesem Bereich ein klar ablesbarer und weitgehend noch nicht zersiedelter Übergang zwischen den bebauten und unbebauten Bereichen finde. Der aufzustellende Bebauungsplan solle inhaltlich u.a. folgende städtebauliche Ziele erreichen bzw. fördern: Erhaltung und Sicherung der für das Bebauungsplangebiet charakteristischen land- und forstwirtschaftlichen Flächen, Erhaltung und Sicherung des öffentlichen Wege- und Straßennetzes, Erhaltung und Sicherung des alleeartigen Baumbestandes östlich entlang der Staatsstraße …, Ausbildung eines harmonischeren Übergangs zwischen bebauten und unbebauten Bereichen durch Abrundung bebauter Flächen im Übergangsbereich zur offenen Landschaft und Festsetzung von Eingrünungsmaßnahmen, Steuerung des Entstehens nach § 35 BauGB privilegierter baulicher Anlagen im Geltungsbereich des Bebauungsplangebiets durch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, insbesondere Höhenentwicklung und Grundflächen, und zur Gestaltung baulicher Anlagen. Die Antragsteller sind Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich der Veränderungssperre und möchten auf ihrem Grundstück eine landwirtschaftliche Mehrzweckhalle und eine Maschinenhalle errichten. Das Landratsamt hat die Erteilung der Baugenehmigung abgelehnt, da die erlassene Veränderungssperre dem Bauvorhaben entgegenstehe. Die Antragsteller haben Klage gegen den ablehnenden Bescheid erhoben und ein Normenkontrollverfahren gegen die Veränderungssperre eingeleitet. Das Verwaltungsgericht hat die Veränderungssperre für unwirksam erachtet und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (1 BV 18.699). Der Bebauungsplan wurde am 11. Februar 2019 als Satzung beschlossen (Größe des Geltungsbereichs 56,3 ha).
Antragsteller und Antragsgegnerin haben den Rechtsstreit im Normenkontrollverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren ist daher in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen Verfahrensbeteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der das erledigende Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat oder der ohne die Erledigung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich unterlegen wäre. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit das Gericht nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache allerdings regelmäßig davon, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Rechtsstreit zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.2011 -1 C 19.10 – NVwZ-RR 2012, 44; B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2). Es ist vorliegend daher gerechtfertigt, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
Soweit die Antragsteller zunächst vortragen, dass der Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplans formell rechtswidrig sei, da die Gemeinderatsmitglieder nicht ordnungsgemäß geladen gewesen seien, liegt eine solche Unwirksamkeit des Aufstellungsbeschlusses nicht vor. Zum einen hat eine Überprüfung durch die Kommunalaufsicht ergeben, dass die gerügten Ladungsmängel nicht bestehen, zum anderen führt eine fehlerhafte Ladung zu einer Gemeinderatssitzung nicht zur Unwirksamkeit der darin gefassten Beschlüsse, wenn die Ratsmitglieder – wie hier – zu der Sitzung vollständig erschienen sind und rügelos an der Beratung teilgenommen haben (vgl. BayVGH, U.v. 20.6.2018 – 4 N 17.1548 – BayVBl 2019, 265 m.w.N.).
Eine Veränderungssperre darf erst erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus (vgl. BVerwG, B.v. 8.9.2016 – 4 BN 22.16 – juris Rn. 5; U.v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 – BVerwGE 144, 82 m.w.N.). Weiter ist eine Veränderungssperre als Sicherungsmittel ungeeignet, wenn der beabsichtigte Bebauungsplan mit einem rechtlich schlechthin nicht behebbaren Mangel behaftet ist. Ein solcher Mangel liegt vor, wenn evident ist, dass der Bebauungsplan nicht im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.2.2014 – 4 BN 6.14 – juris Rn. 3; B.v. 21.12.1993 – 4 NB 40.93 – NVwZ 1994, 685).
Vorliegend ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin das Sicherungsmittel der Veränderungssperre gezielt dazu eingesetzt hat, um das Bauvorhaben der Antragsteller zu verhindern. Nicht selten wird eine konkrete Planung erst dadurch ausgelöst, dass Bauanträge für Grundflächen gestellt werden, die die Gemeinde nicht in der beantragten Weise nutzen lassen möchte. Der Gemeinde ist es aber nicht verwehrt, auf derartige Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der ihnen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. Vielmehr kommt es darauf an, ob eine bestimmte Planung – auch wenn sie durch den Wunsch, ein konkretes Vorhaben zu verhindern, ausgelöst worden ist – für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB ist (vgl. BVerwG, B.v. 8.9.2016 a.a.O.; B.v. 18.12.1990 – 4 NB 8.90 – NVwZ 1991, 875).
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was in diesem Sinn erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht (st.Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – BVerwGE 153, 16). Der aufzustellende Bebauungsplan soll die für das Bebauungsplangebiet charakteristischen land- und forstwirtschaftlichen Flächen erhalten und nach § 35 BauGB privilegierte bauliche Anlagen durch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur Gestaltung baulicher Anlagen steuern. Weiter soll am Ortsrand eine Abrundung der bebauten Flächen erfolgen und es sollen Eingrünungsmaßnahmen festgesetzt werden. Damit verfolgt die Antragsgegnerin eine positive Planungskonzeption. Der Gemeinde ist es auch grundsätzlich nicht verwehrt, im Bebauungsplan Flächen für die Land- und Forstwirtschaft festzusetzen und das Maß der baulichen Nutzung zu steuern (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 1 N 15.938 – BayVBl 2019, 307). Ob sich die städtebaulichen Ziele im Bebauungsplanverfahren verwirklichen lassen, ist nicht bei der Erforderlichkeit der Bauleitplanung zu prüfen, sondern betrifft das Ermittlungs- und Abwägungsgebot (§ 2 Abs. 3, § 1 Abs. 7 BauGB). Als bloßes Mittel der Sicherung der Bauleitplanung unterliegt die Veränderungssperre selbst nicht dem Abwägungsgebot (vgl. BVerwG, B.v. 30.9.2012 – 4 NB 35.92 – NVwZ 1993, 473).
Fraglich ist, ob das erforderliche Mindestmaß an Konkretisierung der Planung vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2008 – 4 BN 18.08 – juris Rn. 3; U.v. 19.2.2004 – 4 CN 13.03 – NVwZ 2004, 984). Ein Mindestmaß an konkreter planerischer Vorstellung gehört auch zur Konzeption des § 14 BauGB. Nach seinem Absatz 2 Satz 1 kann eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Ob der praktisch wichtigste öffentliche Belang, nämlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung, beeinträchtigt ist, kann aber nur beurteilt werden, wenn die planerischen Vorstellungen der Gemeinde nicht noch völlig offen sind. Daraus folgt, dass das Mindestmaß an Vorstellungen, die vorliegen müssen, um eine Veränderungssperre zu rechtfertigen, zugleich geeignet sein muss, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2009 – 4 BN 34.09 – NVwZ 2010, 42; U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138). Eine Gemeinde darf eine Veränderungssperre nicht erlassen, um erst Zeit für die Entwicklung eines bestimmten Planungskonzepts zu gewinnen. Zu den Mindestanforderungen gehören die grobe Bezeichnung der Bereiche, in denen die unterschiedlichen Nutzungen verwirklicht werden sollen, sowie Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 13.03 – NVwZ 2004, 984). Ob diese Mindestanforderungen im Hinblick auf die fehlende Bezeichnung von Bereichen, in denen eine Ortsabrundung stattfinden soll, sowie der fehlenden Angabe, welcher Baugebietstyp dort zulässig sein soll, erfüllt sind, ist zumindest fraglich. Auch ist das städtebauliche Ziel, dass auf den landwirtschaftlichen Flächen keine vom typischen Erscheinungsbild landwirtschaftlicher Gebäude in Größe, Umfang und Gestaltung abweichende bauliche Anlage und Ansammlungen von baulichen Anlagen entstehen sollen, wenig konkret. Das Verwaltungsgericht, das die Planungsabsicht der Gemeinde im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre als nicht genügend konkretisiert angesehen hat, hat die Berufung zur Klärung dieser Frage zugelassen. In einem solchen Fall ist es nicht Aufgabe der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO, die Erfolgsaussichten der Streitsache abschließend zu prüfen. Es entspricht bei einer solchen Lage vielmehr billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2; B.v. 28.10.1992 – 11 C 30.92 – juris Rn. 2).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG.


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