Baurecht

Anspruch auf Aufhebung des Vorbescheids zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses

Aktenzeichen  AN 3 K 17.01124

Datum:
8.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4591
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 5 S. 1, Art. 71 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Wenn die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind, indiziert das regelmäßig, dass eine „erdrückende Wirkung“ nicht eintritt. (Rn. 44) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Dies gilt auch, wenn die Prüfung der Abstandsflächen nicht Gegenstand des Vorbescheids war, sich aber aus den genehmigten Plänen ergibt, dass die landesrechtlichen Vorgaben (hier: 1 H gem. Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBO) zum klägerischen Grundstück eigehalten sind.  (Rn. 45) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Zu beachten ist bei unterschiedlicher Firsthöhe in Hanglagen auch die Tatsache, dass das Vorhabengrundstück zum Klägergrundstück hin ansteigt und das Vorhaben so teilweise im Hang „verschwindet“.  (Rn. 47 – 48) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostenschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Der streitgegenständliche Vorbescheid vom 30. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gegenstand eines Vorbescheides können nach Art. 71 Satz 1 BayBO nur einzelne Fragen (auch eine Mehrzahl von Fragen) eines Bauvorhabens sein. Nach dem Sinn und Zweck des Vorbescheides, bindende Wirkung für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren zu erzeugen, sind einzelne Fragen solche, über die in der Baugenehmigung zu entscheiden ist. Die Fragen müssen danach zum einen einer gesonderten Beurteilung zugänglich sein und zum anderen ist zu fordern, dass diese sich auf ein konkretes (baugenehmigungspflichtiges) Vorhaben beziehen (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2008 – 15 B 06.3463 – NVwZ-RR 2008, 391 m.w.N.; Decker in: Simon/Busse, BayBO 2008, Art. 71 Rn. 71 ff.).
Dritte können sich gegen einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn der angefochtene Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die zum einen Gegenstand der Beantwortung der im Vorbescheidantrag gestellten Fragen waren und zum anderen gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22; VG München U.v. 20.6.2016 – 8 K 15.4999). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn der Vorbescheid gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch den angefochtenen Vorbescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden (BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 40.87).
Für die Frage der Verletzung von Nachbarrechten kommt es vorliegend allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme auf die Kläger einhält (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2014 a.a.O. juris Rn.12; B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris Rn. 13; B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris Rn. 4), da beide Grundstücke unstreitig im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB liegen.
Die positive Beantwortung der vom Beigeladenen gestellten Fragen im Vorbescheidverfahren hinsichtlich des „Einfügens“ nach § 34 Abs. 1 BauGB verletzt weder den als nachbarschützendes Recht der Kläger in Betracht kommenden Gebietserhaltungsanspruch/Gebietsprägungserhaltungsanspruch (dazu 1.) noch das Gebot der Rücksichtnahme hinsichtlich der Maßzahlen (dazu 2.)
1. Eine Verletzung des in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinsichtlich der Art der Nutzung drittschützenden Anspruchs auf Wahrung der Gebietsart ist wegen der geplanten Wohnnutzung vor-liegend zu verneinen.
Hierfür bestehen weder nach Aktenlage noch aufgrund des Vorbringens der Beteiligten Anhaltspunkte.
Ein darüber hinausgehender sog. „spezieller Gebietsprägungserhaltungsanspruch“, bei dem durch die Dimension des Vorhabens eine neue Art der baulichen Nutzung in das Baugebiet hineingetragen wird, so dass im Einzelfall „Quantität in Qualität“ umschlägt, d.h. wenn die Größe der baulichen Anlage die Zulässigkeit der Nutzungsart erfassen und beeinflussen kann (BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327), ist ebenfalls nicht gegeben.
In der näheren Umgebung befinden sich schon ähnlich dimensionierte Bauten, wie z.B. Mehrfamilienhäuser auf den Grundstücken FlNr. …, … und … sowie auf dem Grundstück FlNr. …, so dass man nicht nur von einer Prägung des Baugebiets durch Einfamilienhäusern reden kann. Zudem erreicht das Bauvorhaben nicht die für die Annahme eines Gebietsprägungserhaltungsanspruchs erforderliche Dimension.
2. Das Bauvorhaben des Beigeladenen verletzt auch nicht das im Begriff des „Einfügens“ enthaltene drittschützende Gebot der Rücksichtnahme hinsichtlich der Maßzahlen, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
Die in § 34 BauGB genannten weiteren Einfügensvoraussetzungen (Maß der baulichen Nutzung, Bauweise, überbaubare Grundstücksflächen) vermitteln grundsätzlich keinen Nachbarschutz, weil sie in aller Regel den Gebietscharakter unberührt lassen und – anders als die Bestimmungen über die Art der baulichen Nutzung – kein nachbarliches Austauschverhältnis begründen (BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – NVwZ 2004, 1244, 1246; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 und B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222- beide juris).
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 5).
Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls ist maßgeblich dafür, ob einem Vorhaben „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 und B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12). Eine solche Wirkung kommt nach der Rechtsprechung vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v.13.3.1981 – 4 C 1/78 – DVBl. 1981, 928: zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – DVBl. 1986, 1271: drei 11,50 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 9; B.v. 23.4.2014 a.a.O.).
Wenn jedoch die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind, indiziert das regelmäßig, dass eine „erdrückende Wirkung“ nicht eintritt. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung oder Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn die Beeinträchtigung unzumutbar ist. (vgl. z.B. BayVGH U.v. 6.10.2012 – 1 CS 12.2036; BayVGH März 2011 – 15 CS 11.9; vom 23.9.2009 – 15 ZB 09.98; auch BVerwG vom 11.1.1999 NVwZ 1999, 879).
Auch wenn die Prüfung der Abstandsflächen vorliegend nicht Gegenstand des Vorbescheids war, so ergibt sich aus den Planzeichnungen, dass die Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger hin (FlNr. …, südlich des streitgegenständlichen Vorhabens) eingehalten sind. Der nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO geforderte Abstand von 1 H zum klägerischen Grundstück ist laut den genehmigten Plänen gerade noch eingehalten.
Es ergeben sich in der konkreten Grundstückssituation auch keine ausreichenden Anhaltspunkte, dass das Vorhaben unabhängig von der Einhaltung der Abstandsflächen eine erdrückende Wirkung auf das klägerische Grundstück hat, da es sich hinsichtlich der Maßzahlen an die Umgebungsbebauung hält (BayVGH vom 12.9.2013 – 2 CS 13.1351).
Bezüglich der Höhenentwicklung liegt zwar das geplante Vorhaben mit einer Firsthöhe von 11,71 Metern ca. 2 Meter über der Firsthöhe des klägerischen Grundstücks. Allein aus diesem Höhenunterschied folgt jedoch keine Rücksichtslosigkeit im oben dargestellten Sinn. Denn nach den Plänen befinden sich auf den unmittelbar an das klägerische Grundstück angrenzenden Grundstücken (FlNrn. …, … und …*) Gebäude mit einer Firsthöhe von 12,05 Metern bei gleicher Anzahl von Stockwerken sowie in näherer Umgebung auf der FlNr. … ein Gebäude mit einer Firsthöhe von 12,30 Metern, so dass das streitgegenständliche Vorhaben bezüglich der Höhenentwicklung im Rahmen der näheren Umgebung liegt und eine Rücksichtslosigkeit hinsichtlich dieser Maßzahl zu verneinen ist.
Zu beachten ist auch die Tatsache, dass das Vorhabengrundstück zum Klägergrundstück hin ansteigt und das Vorhaben teilweise im Hang „verschwindet“, wodurch die Höhe des geplanten Gebäudes aus Sicht des Klägergrundstücks nochmals deutlich absinkt und wenn überhaupt nur minimal über der Höhe des klägerischen Gebäudes liegt.
Aber auch bezüglich der weiteren Maßzahlen kann nicht von einer unzumutbaren Beeinträchtigung gesprochen werden. Wie sich aus den Akten ergibt, befinden sich in unmittelbarer Nähe des geplanten Vorhabens ähnlich dimensionierte Baukörper mit ähnlich überbauter Grundfläche, GRZ und GFZ.
Das geplante Vorhaben soll eine überbaute Fläche von 416 qm, eine GRZ von 0,37 und eine GFZ von 0,75 haben. Auf dem unmittelbar des Vorhabengrundstück gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich auf dem Grundstück FlNr. … ein Gebäude mit einer überbauten Fläche von 458 qm und einer GRZ von 0,46 und einer GFZ von 0,91. Weiterhin befindet sich in der näheren Umgebung auf dem Grundstück FlNr. … ein Gebäude mit einer überbauten Fläche von 357 qm und einer GRZ von 0,46 und einer GFZ von 0,66.
Auch bezüglich dieser Maßzahlen liegt das Vorhaben im Rahmen der Umgebungsbebauung, so dass eine Rücksichtslosigkeit hinsichtlich dieser Maßzahlen ebenfalls zu verneinen ist und sich die Kläger insgesamt nicht auf eine aus dem Maß abgeleitete Rechtsverletzung nach obigen Grundsätzen berufen können.
Weitere Anhaltspunkte, die zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung in oben beschriebener Weise führen können, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Da sich der Beigeladene durch eine eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass seine außergerichtlichen Kosten von den Klägern getragen werden (§§ 154 Abs. 3 1. Halbsatz, 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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