Baurecht

Anspruch auf Zufahrt zu einem Grundstück infolge Anliegergebrauchs

Aktenzeichen  8 ZB 18.734

Datum:
18.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14553
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 108 Abs. 1 S. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
BayStrWG Art. 17 Abs. 1, Abs. 2, Art. 19 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Das Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs entfaltet seine Schutzwirkung nur innerhalb geschlossener Ortschaften; Zufahrten außerhalb derselben gelten als Sondernutzung (Art. 19 Abs. 1 BayStrWG). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Anliegergebrauch reicht nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf deren Vorhandensein in spezifischer Weise angewiesen ist. Er gewährt keinen Anspruch auf optimale Zufahrt; Einschränkungen oder Erschwernisse bei den Zufahrtsmöglichkeiten sind hinzunehmen (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 48424). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 2 K 16.281 2018-02-01 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Beseitigung einer Schutzplanke an einer Gemeindeverbindungsstraße.
Der Kläger ist Eigentümer des forstwirtschaftlich genutzten Grundstücks FlNr. …/1 Gemarkung S. Das Grundstück befindet sich in Hanglage und grenzt westlich (unterhalb) an einen öffentlichen Feld- und Waldweg auf dem Grundstück FlNr. 7… und östlich (oberhalb) an das Grundstück FlNr. …, auf dem die Gemeindeverbindungsstraße „…“ verläuft.
Anlässlich der Erneuerung der Gemeindeverbindungsstraße wurde auf dem Grundstück FlNr. … entlang des Grundstücks FlNr. …/1 eine Schutzplanke angebracht.
Mit Urteil vom 1. Februar 2018 hat das Verwaltungsgericht Regensburg die mit dem Ziel der Beseitigung der Schutzplanke erhobene Klage des Klägers als unzulässig abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt er sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist nicht hinreichend dargelegt oder liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1.1 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ihm die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) für seine auf Beseitigung der Schutzplanke gerichtete allgemeine Leistungsklage fehle, stellt der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage. Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass ihm unter Zugrundelegung seines Klagevorbringens offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise ein subjektives Recht auf Beseitigung der Schutzplanke zustehen kann (allgemein zu diesem Maßstab vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2017 – 6 A 6.16 – NVwZ 2018, 731 = juris Rn. 17; U.v. 22.2.1994 – 1 C 24.92 – BVerwGE 95, 133 = juris Rn. 11; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 93).
1.1.1 Das Verwaltungsgericht hat die Möglichkeit eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs zutreffend am einfach-rechtlichen Institut des Anliegergebrauchs gemessen (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2015 – 8 CE 15.2053 – juris Rn. 5). Dabei hat es zu Recht erkannt, dass dem Kläger offensichtlich kein subjektives Recht an einer weiteren Zufahrt zusteht. Das Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs entfaltet seine Schutzwirkung nur innerhalb geschlossener Ortschaften; Zufahrten außerhalb derselben gelten als Sondernutzung (vgl. Art. 19 Abs. 1 BayStrWG; BayVGH, U.v. 20.12.2016 – 8 B 15.884 – BayVBl 2017, 705 = juris Rn. 47; U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Rn. 35). Dass sein Grundstück FlNr. …/1 innerhalb der geschlossenen Ortschaft liegt, behauptet auch der Kläger nicht.
Aber auch wenn sein Grundstück innerhalb der geschlossenen Ortschaft läge, könnte der Kläger aus dem Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs offensichtlich kein Recht auf zusätzliche Zufahrt von der Gemeindeverbindungsstraße herleiten. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass dieses Rechtsinstitut die Erreichbarkeit eines innerörtlichen (Buch-)Grundstücks nicht uneingeschränkt, sondern nur in seinem Kern sichert (vgl. BayVGH, U.v. 23.6.2015 – 8 CE 15.1023 – BayVBl 2016, 100 = juris Rn. 10; B.v. 24.11.2014 – 8 CE 14.1882 – juris Rn. 9). Der gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf deren Vorhandensein in spezifischer Weise angewiesen ist (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Rn. 38). Sein Schutz erstreckt sich nur auf einen notwendigen Zugang von der Straße zum Grundstück, d.h. auf die Zugänglichkeit zum öffentlichen Straßenraum überhaupt. Solange die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt, gewährt er keinen Anspruch auf optimale Zufahrt; Einschränkungen oder Erschwernisse bei den Zufahrtsmöglichkeiten sind deshalb hinzunehmen (vgl. BayVGH, U.v. 23.6.2015 – 8 CE 15.1023 – BayVBl 2016, 100 = juris Rn. 10; B.v. 8.12.2015 – 8 CE 15.2053 – juris Rn. 5).
Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Zufahrt über das Grundstück FlNr. 750 reiche nicht aus, um das Waldgrundstück nachhaltig und ordnungsgemäß zu bewirtschaften und seine Verkehrssicherungspflichten wahrzunehmen, zeigt er keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf. Das Zulassungsvorbringen legt nicht ansatzweise dar, inwiefern die Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks ohne Zufahrtsmöglichkeit über die Gemeindeverbindungsstraße in schwerwiegender Weise eingeschränkt wäre und er dadurch gravierend betroffen sein könnte (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 8 ZB 13.647 u.a. – BayVBl 2017, 235 = juris Rn. 13). Das Zulassungsvorbringen setzt sich mit den diesbezüglichen Erwägungen des Ersturteils (zu Holzabtransport, Ladevorgang, Holzlagerplatz) nicht auseinander (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), sondern unterstellt zu Unrecht, dass das Verwaltungsgericht pauschal davon ausgegangen sei, dass eine Zufahrt von „unten her“ ausreiche. Auch der Einwand, das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft die für die Anfechtung einer straßenrechtlichen Einziehung geltenden Grundsätze herangezogen, erweist sich als unberechtigt. Das Ersturteil lässt ausdrücklich offen, ob die hierzu ergangene Rechtsprechung (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 22.10.2015 – 8 ZB 13.647 u.a. – BayVBl 2017, 235 = juris Rn. 12 ff.; vgl. auch Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand 1.5.2017, Art. 8 Rn. 50 f. m.w.N.) auf den vorliegenden Fall übertragbar ist. Im Übrigen vermag der Senat nicht zu erkennen, weshalb – wie der Kläger annimmt – die Reichweite des Anliegergebrauchs, der den Erhalt einer angemessenen Zufahrt schützt (vgl. BVerwG, U.v. 25.6.1969 – IV C 77.67 – BVerwGE 32, 222 = juris Rn. 20 f.; BayVGH, B.v. 23.6.2015 – 8 CE 15.1023 – BayVBl 2016, 100 = juris Rn. 11), vom Gewicht der betroffenen Interessen des Straßenbaulastträgers abhängen sollte.
1.1.2 Das Verwaltungsgericht hat auch nicht übersehen, dass der Kläger einen Anspruch auf Beseitigung der Schutzplanke aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) ableiten will. Vielmehr hat es einen solchen Anspruch u.a. mit der Begründung verneint, die Beklagte habe zwar bei anderen Grundstücken, deren Zufahrten erkennbar waren, diese erneut gewährt; eine Zufahrt des Klägers sei aber weder erkennbar gewesen noch während der Bauphase eingefordert worden.
Dieser Einschätzung ist der Kläger nicht substanziiert entgegengetreten. Sein pauschaler Einwand, die Zufahrt habe vor der Errichtung der Schutzplanke bestanden und sei regelmäßig benutzt worden, richtet sich gegen die richterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gericht ist im Grundsatz nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d.h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen einer fehlerhaften Beweiswürdigung ist folglich nur dann gegeben, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (vgl. BVerwG, B.v. 26.9.2016 – 5 B 3.16 D – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – ZfW 2013, 176 = juris Rn. 17; B.v. 6.10.2014 – 22 ZB 14.1079 u.a. – NuR 2014, 879 = juris Rn. 21). Ein solcher zur Zulassung der Berufung führender Mangel der Beweiswürdigung lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen.
1.2 Da das angefochtene Urteil die Klageabweisung eigenständig auf die fehlenden Klagebefugnis stützt (kumulative Mehrfachbegründung), ist es rechtlich unerheblich, ob die zusätzliche Verneinung des Rechtschutzbedürfnisses durch das Verwaltungsgericht ernstlichen Zweifeln begegnet (vgl. BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 7 BN 2.11 – KommJur 2011, 436 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – ZfW 2013, 176 = juris Rn. 15; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 61).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO)


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